Nikolai Wladimirowitsch Timoféew-RessowskiNikolai Wladimirowitsch Timoféef-Ressowski oder Nikolai Timoféef(f)-Ressovsky (russisch Николай Владимирович Тимофеев-Ресовский, wissenschaftliche Transliteration Nikolaj Vladimirovič Timofeev-Resovskij; * 7. Septemberjul. / 20. September 1900greg. in Moskau; † 28. März 1981 in Obninsk) war ein sowjetischer Genetiker aus Russland, der von 1925 bis 1945 in Berlin lebte und forschte. Er war mit der russischen Genetikerin Helena Alexandrowna Timofejew-Ressowski verheiratet. 1935 veröffentlichte er zusammen mit dem Genetiker Max Delbrück und dem Physiker Karl Günther Zimmer ein Werk über Genmutationen, in dem sie als erste vorschlugen, Gene als komplexe Atomverbände aufzufassen.[1] Mit diesem sogenannten „Drei-Männer-Buch“ begann in Deutschland die moderne Genetik. LebenTimofejew-Ressowski studierte Zoologie, Naturwissenschaften und Kunstgeschichte in Moskau. Die Studienzeit wurde unterbrochen durch seinen Militärdienst im Ersten Weltkrieg und im Bürgerkrieg. Nach seinem Studium arbeitete er über Mutationen und den Erbgang von Genen bei der Taufliege Drosophila. 1925 lud der Hirnforscher Oskar Vogt Timofejew-Ressowski und seine Ehefrau Elena Aleksandrowna (1898–1973) als Gastwissenschaftler nach Berlin an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung (KWI) ein, wo Timofejew-Ressowski ab 1926 die genetische Abteilung aufbaute und dort 1931 Leiter der Abteilung für experimentelle Genetik wurde. Diese Abteilung arbeitete eng mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik zusammen.[2] Auch mit den Kaiser-Wilhelm-Instituten für Biologie und Biochemie arbeitete er später zusammen. Die dazu erfolgenden Implantationsversuche und Versuche zur künstlichen Besamung der Drosophila-Fliegen oblagen der Genetikerin Anna-Elisa Stubbe, einer Mitarbeiterin von Timoféew-Ressowski, die in der Genetischen Abteilung des KWI für Hirnforschung mit Herbert Lüers[3] forschte.[4] 1930 wurde das KWI nach Berlin-Buch verlegt. Timoféef-Ressowski berichtete 1928 von Bestrahlungen befruchteter Eier und Larven der Fruchtfliege Drosophila und erzeugte Fruchtfliegen mit mutierten Körperteilen. Solche künstlich geschaffenen Erbschädigungen (Mutationen) dienten zur Erforschung der Gene. Bei der Erzeugung von Mutationen durch Röntgenstrahlen arbeitete er mit Lothar Loeffler zusammen (Beide waren Mitglied der DFG-Arbeitsgemeinschaft Erbschädigung durch Röntgen- und Radiumstrahlen).[5] Trotz Aufforderung Moskaus 1937, Deutschland zu verlassen und in die Sowjetunion zurückzukehren, blieben Timofejew-Ressowski und seine Frau in Berlin-Buch. Die deutsche Staatsbürgerschaft hatte Timoféeff abgelehnt.[6] In der Sowjetunion war zu dieser Zeit die Genetik unter dem Biologen Trofim Lyssenko verfemt und im Rahmen der stalinistischen Säuberungen wurden auch Genetiker verfolgt. Auch zwei von Timofejew-Ressowskis jüngeren Brüdern und Familienmitglieder seiner Frau wurden verhaftet, einer seiner Brüder hingerichtet. 1938 gab der für Biologen maßgebliche Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund eine positive Empfehlung für ihn ab, wegen seines weltweiten Rufs und wegen seines Antikommunismus. 1940 wurde Timofejew-Ressowski zum Mitglied in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt.[7] Die Familie Timofejew-Ressowski half vielen verfolgten jüdischen und ausländischen Wissenschaftlern und Zwangsarbeitern. Ihr ältester Sohn Dmitri (* 1923 in Moskau), der Mitglied einer Widerstandsgruppe war, wurde 1943 von der Gestapo verhaftet und kam noch am 1. Mai 1945 im KZ Ebensee ums Leben. Timofejew-Ressowski wurde 1945, nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin vorübergehend Institutsdirektor und Bürgermeister von Berlin-Buch. Am 14. September 1945 wurde Timofejew-Ressowski jedoch in Berlin-Buch verhaftet, in die Sowjetunion verschleppt und im Moskauer Gefängnis Lubjanka von einem russischen Militärgericht wegen Landesverrats[8] zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Ihm war vorgeworfen worden, 1937 trotz Aufforderung nicht in die Sowjetunion zurückgekehrt zu sein und mit den Nazis kollaboriert zu haben. Von Moskau kam er in ein Lager nach Kasachstan und galt als verschollen. Eine Abteilung des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, die Timofejew-Ressowski als Experten für Strahlenschäden im Rahmen des sowjetischen Atombombenprogramms haben wollte, machte ihn zwei Jahre später in Kasachstan ausfindig, holte ihn aus dem Arbeitslager und brachte ihn in das geschlossene „Forschungsobjekt 0211“ in Sungul im Ural. Dorthin folgten ihm 1947 seine Frau und sein zweiter Sohn Andrei (* 1927 in Berlin). Timofejew-Ressowski und seine Frau konnten wieder gemeinsam wissenschaftlich arbeiten, publizieren durften sie aber bis 1955 nicht. 1955 wurde Timofejew-Ressowski Leiter des Biophysikalischen Laboratoriums der Sibirischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Swerdlowsk außerhalb eines Gefangenenlagers. Dort und später bei Moskau wurde er in der Atomforschung[9] eingesetzt. 1964 erhielt er die Möglichkeit, am neuen Institut für Medizinische Radiologie in der geschlossenen Stadt Obninsk im Gebiet Kaluga die Abteilung für Genetik und Radiobiologie aufzubauen[10]. 1970 wurde er emeritiert, war aber danach noch weiter wissenschaftlich tätig und veröffentlichte mit seinen Schülern mehrere Bücher, darunter das kurz vor seinem Tod 1981 erschienene Buch Einführung in die Molekulare Radiobiologie. Erst nach dem Ende der Sowjetunion wurde Timofejew-Ressowski im Juni 1992 rehabilitiert, elf Jahre nach seinem Tod. Ehrungen
Auf dem Campus Berlin-Buch erinnert seit Gründung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, MDC, eine Gedenktafel an ihn. Am 30. Juni 2006 eröffneten das MDC und das Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) das neue Laborgebäude für Medizinische Genomforschung, das nach Timofejew-Ressowski benannt wurde. Davor steht sein Porträt in Steinguss, das der Berliner Bildhauer Stefan Kaehne 2006 geschaffen hat. Zu Ehren Timofejew-Ressowskis wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von Symposien veranstaltet. So wurde sein 100. Geburtstag im September 2000 sowohl in Russland in Dubna bei Moskau, als auch in Deutschland am MDC in Berlin-Buch begangen. An beiden Tagungen nahm sein Sohn, der Physiker Andrei Timofejew, teil. Der Essener Zellbiologe und Krebsforscher, der sich seit Jahren mit Timofejew-Ressowski befasst, hielt außerdem bei dem Symposium zum 110. Geburtstag am 8. Dezember 2010 den Festvortrag über ihn. Der Asteroid des mittleren Hauptgürtels (3238) Timresovia ist nach ihm benannt.[11] Veröffentlichungen (Auswahl)
Literatur
Romanhafte Verarbeitung der Judenrettung im Institut 1943–1946
WeblinksCommons: Nikolai Wladimirowitsch Timofejew-Ressowski – Sammlung von Bildern
Einzelnachweise
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