Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Für weitere Begriffsverwendungen siehe unter Der Nahe Osten.
Der Nahe Osten ist eine geographische Bezeichnung, die heute im Allgemeinen für arabische Staaten Vorderasiens und Israel benutzt wird. Insbesondere die Region des Fruchtbaren Halbmondes und die Arabische Halbinsel gehören zum Nahen Osten. Häufig werden außerdem Zypern, die Türkei (teilweise nur Anatolien), Ägypten (das hauptsächlich in Nordafrika liegt) und Iran dazugezählt.[1]
Historisch bezeichnete der Begriff „Naher Osten“ seit dem 19. Jahrhundert das Gebiet des Osmanischen Reiches außerhalb Europas.[1]
Der deutsche Begriff Naher Osten überschneidet sich mit dem englischen Begriff Middle East, ist aber nicht mit ihm gleichzusetzen.
Der Begriff Naher Osten ist von einer europäischen Perspektive geprägt, die auf die des Römischen Reiches zurückgeht. Nach der endgültigen Reichsteilung von 395 n. Chr. entstanden das Weströmische Reich (Imperium Romanum Occidentalis) und das Oströmische Reich (Imperium Romanum Orientalis). Nach dem Ende des Weströmischen Reiches etwa um 476 n. Chr. vererbte sich der Titel „Kaiser des Abendlandes“ (occidentalis) in das Reich Karls des Großen, das spätere „Heilige Römische Reich“, wohingegen der oströmische Kaiser den Nebentitel „Kaiser des Morgenlandes“ (orientalis) trug. Es handelte sich daher um ein Rom-zentriertes Weltbild,[2] das in den Gebieten der römischen Nachfolgestaaten in Europa sowie im islamischen Reich[3] übernommen wurde. Aus dieser Sicht liegen die Länder des Nahen Ostens im „Osten“, wodurch weitreichende Überlappungen mit dem Begriff „Vorderasien“, „Orient“ und „Vorderer Orient“ bestehen.
Naher und Mittlerer Osten
Im Deutschen wird zwischen dem Nahen Osten, dem Mittleren Osten (Südasien, Afghanistan und oft auch Iran) und dem Fernen Osten unterschieden. Verwirrung stiftet manchmal, dass die Region des Nahen Ostens im Englischen als Middle East und in vielen nahöstlichen Sprachen entsprechend übersetzt als „Mittlerer Osten“ bezeichnet wird, darunter arabisch الشرق الأوسط asch-scharq al-awsat, DMGaš-šarq al-ausaṭ, hebräisch המזרח התיכון haMizrach haTichon, türkischOrta Doğu, kurdischrojhilata navîn und persisch خاور میانه, DMGḫāwar-e miyāne.
Die G8-Definition von Middle East bezieht sogar das gesamte Nordafrika (Mittelmeeranrainerstaaten) mit ein.
Im Englischen existiert neben Middle East auch der Begriff Near East („Naher Osten“), der ursprünglich dem historischen Nahost-Begriff entsprach. Der britische Begriff Near East wurde ab etwa 1850 bis zum Ende des Osmanenreiches für den Balkan und das Osmanische Reich ohne Iran benutzt. Middle East bezeichnete damals das Gebiet von Iran über Afghanistan und den Kaukasus bis nach Zentralasien. Wenn er heute noch verwendet wird, dann in nicht genau festgelegter Bedeutung. Viele benutzen ihn synonym mit „Middle East“, das amerikanische Wörterbuch Merriam Webster definiert ihn als die Länder in Südwestasien und Nordostafrika von Libyen bis Afghanistan,[4] und Archäologen, Geographen und Historiker verstehen darunter vor allem Anatolien, die Levante und Mesopotamien.
Orient, Vorderer Orient
In einem eher religiös-kulturellen Sinne wird meist Orient oder Morgenland für das Gebiet des Mittleren und Nahen Ostens im politischen oder geographischen Sinne verwendet; der Vordere Orient ist dabei unscharf entsprechend der Nahe Osten. Die Welt des Orients beschäftigte viele europäische Dichter und Schriftsteller, siehe zum Beispiel Johann Wolfgang von GoethesWest-östlicher Divan, Hermann Hesses Roman Die Morgenlandfahrt oder die abenteuerlichen Orient-Erzählungen des Hermann von Pückler-Muskau, die Bestseller waren und zur Erzählfigur des Münchhausen führten. Der Orient ist kultur- und sittengeschichtlich eine Ansammlung von gegenteiligen Zuschreibungen und fantastischen Vorstellungen im Spiegelbild westlicher Kultur. Man kann sagen, dass der Orient in diesem religiös-kulturgeschichtlichen Sinne das ist, was der Okzident, das Abendland, nicht ist.
Abdoldjavad Falaturi (Hrsg.): Islam: Raum – Geschichte – Religion. Band 1: Der Islamische Orient. Köln 1990.
Amélie Kuhrt: The Ancient Near East c. 3000–330 B. C. Routledge, London 1995.
Eric M. Meyers (Hrsg.): The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East. 5 Bände. New York/ Oxford 1997.
Peter Pawelka, Lutz Richter-Bernburg (Hrsg.): Religion, Kultur und Politik im Vorderen Orient. VS Verlag, 2004, ISBN 3-531-14098-1.
Volker Perthes: Vom Krieg zur Konkurrenz – Regionale Politik und die Suche nach einer neuen arabisch-nahöstlichen Ordnung. Nomos Verlag, 2000, ISBN 3-7890-6712-1.
Volker Perthes: Geheime Gärten – Die neue arabische Welt. Goldmann, München 2003, ISBN 3-442-15274-7.
Jeremy Salt: The Unmaking of the Middle East. A History of Western Disorder in Arab Lands. University of California Press, 2008, ISBN 978-0-520-26170-9.
J. M. Sasson (Hrsg.): Civilizations of the Ancient Near East. 4 Bände. New York 1995.
Alfred Schlicht: Die Araber und Europa. Kohlhammer, Stuttgart 2008.
↑
Noch in der heutigen arabischen Welt wird zwischen „dem Ort des Sonnenaufgangs“ (arabisch المشرق, DMGal-Mašriq) östlich vom heutigen Libyen und „dem Ort des Sonnenuntergangs“ (arabisch المغرب, DMGal-Maġrib) westlich von Ägypten unterschieden, wobei diese geografische Trennlinie annähernd der Vorgängergrenzlinie zwischen dem West- und Oströmischen Reich nach dessen Teilung nach 395 n. Chr. entspricht.