Mykoplasmen
Der Ausdruck Mykoplasmen (Singular: Mykoplasma) ist die umgangssprachliche deutsche Bezeichnung für die sehr kleinen (0,2–0,3 µm) Vertreter der Klasse der Mollicutes (von lateinisch mollis „weich“ und cutis „Haut“, „die Weichhäutigen“). Im Gegensatz zu allen anderen Bakterien fehlt ihnen eine Zellwand (sie enthalten kein Peptidoglycan). Sie leben aerob bis fakultativ anaerob und sind von vielgestaltiger (pleomorpher), veränderlicher, bläschenförmiger Gestalt. Mycoplasma (von altgriechisch μύκης mýkēs „Pilz“ sowie πλάσμα plásma „das Geformte“),[1] ist eine Gattung der Mycoplasmataceae, der einzigen Familie der Ordnung Mycoplasmatales, welche zur Klasse der Mollicutes gehört (s. u.). Mykoplasmen (Mollicutes) sind meist parasitär, intra- und extrazellulär lebende Bakterien, die beim Menschen und Wirbeltieren die Ursache für zahlreiche Krankheiten sind. Wenige Arten sind Kommensalen oder opportunistische Krankheitserreger. Die erste Art wurde 1898 von kranken Rindern isoliert und beschrieben. Die häufig beobachteten pilzähnlichen Fadenformen waren namensprägend für die Gattung Mycoplasma. In der Humanmedizin gelang erst 1962 die Zuordnung der Art Mycoplasma pneumoniae zu einer Erkrankung.[1] Mit einer Größe von 580–1.380 kbp haben die Gattungen Mycoplasma und Ureaplasma das kleinste Genom der zur Auto-Replikation befähigten Prokaryoten mit Ausnahme des Tiefsee-Archaeons Nanoarchaeum equitans (~500 kbp) und des in Blattflöhen lebenden Endosymbionten Carsonella ruddii (etwa 160 kbp). Ihr Genom weist meist einen relativen niedrigen Guanin-Cytosin(GC)-Gehalt auf und ihre Zellmembran enthält Cholesterin, das sonst nur bei Eukaryoten gefunden wird.[1][2] KlassifizierungDie Gattung Mycoplasma zählt zur Familie der Mycoplasmataceae, welche zur Klasse der Mollicutes (umgangssprachlich Mykoplasmen) gehört. Die Klassifizierung dieser zellwandlosen, oft parasitischen oder endosymbiotischen Bakterien ist schwierig. Zunächst wurden die Mollicutes als Klasse in das Phylum (Stamm) Firmicutes gestellt, dann auf der Grundlage von 16S-rRNA-Analysen als eigenständiges Phylum Tenericutes abgetrennt (vgl. Systematik der Bakterien).[3] Nach neuesten Genomvergleichen allerdings werden sie wieder den Firmicutes zugeordnet.[4] Ein gemeinsames Merkmal der Klasse Mollicutes (Weichhäuter) und damit auch der Mykoplasmen ist das Fehlen einer peptidoglycanhaltigen Zellwand und die damit einhergehende Anfälligkeit für osmotische Schwankungen des umgebenden Mediums. Antibiotika, die die Biosynthese von Peptidoglycan hemmen (z. B. Penicilline) sind daher praktisch unwirksam gegen sie. Aufgrund der geringen Größe der Mykoplasmen lassen sie sich, im Gegensatz zu anderen Bakterien, nicht durch Sterilfilter mit einer nominalen Porengröße von 0,22 µm zurückhalten. Molekular-phylogenetische rRNA-Untersuchungen ergaben, dass die Mollicutes nicht an der Basis des bakteriellen phylogenetischen Baums stehen, sondern vielmehr durch degenerative Evolution aus Gram-positiven Bakterien der Lactobacillus-Gruppe mit einem niedrigen GC-Gehalt der DNA hervorgegangen sind. Im Zuge dieser degenerativen Evolution haben die Mollicutes einen erheblichen Teil ihrer genetischen Information verloren, so dass sie heute zu den Lebewesen mit dem kleinsten bekannten Genom zählen (Mollicutes: 580–2.300 kbp, E. coli: 4.500 kbp, Arabidopsis thaliana: 100.000 kbp, Homo sapiens: 3.400.000 kbp). Bakterien der Klasse Mollicutes leben nicht als freie Bakterien, sondern sind entweder auf eine Wirtszelle oder einen Wirtsorganismus angewiesen. Als Parasiten oder Kommensalen erhalten sie vom Wirtsorganismus essentielle Stoffwechselkomponenten wie z. B. Fettsäuren, Aminosäuren und Vorstufen der Nukleinsäuren. Die Möglichkeit zur Verkleinerung des Genoms wird auf die parasitäre Lebensweise der Mollicutes zurückgeführt. Für das Wachstum einiger Vertreter der Mollicutes ist auch Cholesterin erforderlich, eine Komponente, die normalerweise nicht in Bakterien gefunden wird und deren Synthesevorstufen ebenfalls von den Wirtszellen zur Verfügung gestellt wird. Klinisch bedeutsame MykoplasmenMykoplasmen sind als parasitär lebende Bakterien die Ursache für zahlreiche Krankheiten beim Menschen und Wirbeltieren. In der Regel töten Bakterien aus der Klasse der Mollicutes ihren Wirt jedoch nicht ab. Vielmehr verursachen sie chronische Infektionen, was für eine gute Anpassung an die Wirte spricht, und verkörpern damit eine sehr erfolgreiche Art des Parasitismus. Einige Arten sind auch opportunistische Krankheitserreger, wenige Arten wurden auch als harmlose Kommensalen beschrieben, so wurde die Art Mycoplasma cottewii in Gehörgängen und seltener in Nasennebenhöhlen von Ziegen gefunden, eine Pathogenität konnte nicht nachgewiesen werden.[5] Humanmedizin
Veterinärmedizin
ZellkulturNeben ihrer klinischen Bedeutung sind Mykoplasmen (hauptsächlich Mycoplasma orale) auch die gefährlichsten Kontaminationen in der normalen Zellkultur. Da sie lichtmikroskopisch wegen ihrer geringen Größe nur schwer zu erkennen sind und weil sie gegen Standardantibiotika resistent sind, bleiben sie oft unerkannt und beeinflussen so das zelluläre Wachstum und die Ergebnisse. Morphologie der Zellen und KolonienDie Zellformen der Mykoplasmen (Mollicutes) sind vielgestaltig (pleomorph), oft bläschenförmig (coccoid). Ihre Kolonien zeigen eine charakteristische Spiegeleiform. VermehrungDie zellwandlosen Mykoplasmen (Mollicutes), früher PPLO (pleuropneumonia-like organisms) genannt, vermehren sich durch Zweiteilung (binary fission) wie die anderen Bakterien oder durch einen Knospungsmechanismus. Fortlaufende Mikrofotografien von sich vermehrenden Mikrokulturen von verschiedenen Stämmen von Mykoplasmen, bakteriellen L-Formen und, als Kontrolle, einer Micrococcus-Art (als Beispiel für Zweiteilung) wiesen diese Vermehrungsweise nach.[9] Die lichtmikroskopischen Untersuchungen wurden elektronenmikroskopisch ergänzt.[10] Minimalgenom und synthetische BiologieEin 2010 von Craig Venter und Kollegen vom JCVI chemisch synthetisiertes Genom einer Mycoplasma-Zelle, das vollständig auf synthetischer DNA basiert und sich selbst replizieren kann, wurde als ‚Mycoplasma laboratorium‘ (Arbeitstitel, kein Taxon) bezeichnet.[11] Am 24. März 2016 veröffentlichte das JCVI Ergebnisse, wonach er ein synthetisches Bakterium Mycoplasma mycoides JCVI-syn3.0 mit 473 Genen, beziehungsweise 531.000 Basenpaaren, geschaffen hat, die es benötigt, um alle lebenswichtigen Prozesse durchzuführen (Minimalgenom).[12][13] Probenentnahme, Transport und NachweisAufgrund einer fehlenden bakteriellen Zellwand sind die Mykoplasmen in Proben und Untersuchungsmaterialien sehr empfindlich gegenüber Austrocknung. Proben an Tupfern müssen daher schnell weiterverarbeitet werden oder in ein Transportmedium[14] eingebracht werden. Mykoplasmen in Gewebe- und Sputumproben können unbehandelt transportiert werden. Ein Intervall von 24 bis 48 Stunden zwischen Probenentnahme und Probenanalyse kann mit Kühlung auf +4 °C überbrückt werden. Auch das Einfrieren der Proben auf −70 °C ist möglich.[1] Da Mykoplasmen keine Zellwand haben, können sie nur auf speziellen Nährböden angezüchtet werden. Deshalb hat sich als schnelle und billige Standardmethode die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zum Nachweis etabliert. Dies gilt aber nicht für alle Mykoplasmen. MeldepflichtNach dem Recht Sachsens[15] ist der direkte oder indirekte Nachweis von Mycoplasma species namentlich meldepflichtig, soweit der Nachweis auf eine akute Infektion hinweist. Literatur
Einzelnachweise
WeblinksCommons: Mykoplasmen (Mycoplasma) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
|