MediengenealogieAls Mediengenealogie bezeichnet man in der Medientheorie die Entwicklungen und Kausalitäten in der Entwicklung von Medien. Dabei legt man in der Regel einen sehr weitgefassten Medienbegriff zugrunde, der nicht auf die Massenmedien begrenzt ist. Der Begriff Genealogie verweist dabei auf eine nicht-lineare Geschichtstheorie. Mit der Geschichte der Entstehung und Entwicklung von Kommunikationsmitteln im Allgemeinen befasst sich die Mediengeschichte. ÜbersichtWeitgehende Übereinstimmung herrscht in der groben Struktur der Medienabfolge: Beginnend mit der Entwicklung der Sprache setzt die kulturelle Entwicklung der Menschheit im medialen Sinne an; diese Epoche ist primär durch Oralität (Mündlichkeit) geprägt und steht beispielsweise mit dem mündlich tradierten Mythos und dem traditionellen Bild in einer engen Beziehung. Wissen wird mündlich tradiert, stirbt ein erfahrener Mensch der Gemeinschaft, verschwindet ein Wissensspeicher (strukturelle Amnesie). Abgelöst wird diese Epoche in der alten Welt durch die Erfindung der Schrift um 3500 v. Chr., welche die Phase der Literalität und damit der schriftlichen Überlieferungen einleitet. Neben Schriftkritik (vor allem durch Sokrates und Platon) findet hier in der griechischen Antike der Übergang vom Mythos zum Logos statt und die Philosophie entsteht. Texte werden erstmals in diskrete Einheiten (Buchstaben) ohne individuelle semantische Bedeutung zerlegt. Wissen kann interpersonell gespeichert werden, wird durch die Möglichkeit des Transports räumlich mobil und durch die Unabhängigkeit von Personen zeitlich stabil. Durch die schriftliche Fixierung beginnt auch die Möglichkeit der Adressierung, d. h. der Zuweisung einer Urheberschaft zu einem identifizierbaren Autor. Diese Phase reicht von der Antike bis ins Mittelalter, wo Wissen in Skriptorien manuell reproduziert und für eine begrenzte Leserschaft in Bibliotheken aufbewahrt wird. Abgelöst wird diese Epoche – zumindest in Europa – mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1440 („Gutenberg-Galaxis“), welcher die Neuzeit und die Herausdifferenzierung der verschiedenen Wissenschaften einleitet. Texte werden in mechanisch rekombinierbare diskrete Einheiten (Typen) zerlegt und im Publikationssystem eines Typographeums dauerhaft gespeichert. Ein Prozess der allgemeinen Alphabetisierung setzt ein, Wissen wird preiswerter, zugänglicher, präziser adressier- und referenzierbar; es findet eine weitere „Demokratisierung“ von Wissen statt. Das Wissen kann massenhaft mechanisch reproduziert werden, was insbesondere ab etwa 1810 durch Rotationsdruck und Endlospapier weiter beschleunigt wird. Wir befinden uns derzeit nach weitgehend übereinstimmender Lesart in einer fundamentalen Umbruchsphase, die als Turing-Galaxis, Zeitalter der technischen Bilder oder einfach elektronisches Computerzeitalter bezeichnet wird. Das alphabetische Monopol wird aufgehoben und die Aufschreibesysteme differenzieren sich mit der Möglichkeit der mechanischen Speicherung serieller Daten aus. Das Kunstwerk wird technisch reproduzierbar, die längst in diskrete Einheiten zerlegten Texte werden durch technische Übertragungstechnologien wie Telegraf und Telefon materiell entkoppelt und weitgehend verzögerungsfrei über große Distanzen austauschbar; dieser Prozess führte über das interkontinentale Telefonnetz zum globalen Datennetz des Internets. Die Digitalisierung schließlich nivelliert auch die Problematik von Medienbrüchen und ermöglicht die Medienintegration in Hypertext und Multimedia. Mediengenealogie nach FlusserVilém Flusser geht in seiner Mediengenealogie von einem fünfstufigen historischen Phasenmodell aus. Es ist „ein Modell der Kulturgeschichte und der Entfremdung des Menschen vom Konkreten“,[1] das durch zunehmende Abstraktion und abnehmende Dimensionalität gekennzeichnet ist.
Mediengenealogie nach InnisDer Wirtschaftswissenschaftler und spätere Medientheoretiker aus der so genannten kanadischen Schule, Harold A. Innis, konzipierte in den 1940er Jahren eine universalgeschichtliche Untersuchung der Einflüsse und Effekte von Kommunikationsmedien auf die Formen sozialer Organisation. Er betrachtet dabei insbesondere die Entstehung von Wissensmonopolen (monopolies of knowledge) und ihre Institutionalisierung. Er führte die Vorstellung, Medien seien historisch und systematisch aufeinander bezogen, in die Medientheorie ein. Innis unterteilte die menschheitsgeschichtlichen Epochen nach der Art ihrer Kommunikationsmittel ein; man könnte hier auch von einer Art „Leitmedium“ der jeweiligen Epochen sprechen.
Mediengenealogie nach McLuhanMarshall McLuhan (1911–1980) baute auf Innis’ Theorie auf und entwarf seine Mediengenealogie in seinem Werk The Gutenberg Galaxy (1962). Darin unterscheidet er vier menschheitsgeschichtliche Epochen, die jeweils durch die Einführung eines neuen Mediums abgelöst werden:
Siehe auchLiteratur
Weblinks
Einzelnachweise
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