Mainzer RathausDas Rathaus der Stadt Mainz, am Rheinufer unweit der Theodor-Heuss-Brücke gelegen, wurde von Arne Jacobsen und Otto Weitling 1968/1970 entworfen und von 1970 bis 1974 erbaut. Nach dem Tod Jacobsens 1971 vollendete die Architektengemeinschaft Dissing+Weitling dessen begonnene Arbeit. Mit dem Brandzentrum, dem Hilton-Hotel und der Rheingoldhalle bildet das denkmalgeschützte Gebäude einen eindrucksvollen Komplex der Nachkriegsmoderne. VorgeschichteVor dem Neubau 1974 hatte es in Mainz seit 1462, als Adolf von Nassau als Ergebnis der Mainzer Stiftsfehde den Stadtrat auflöste und die Stadt nur noch von den Vertretern des Erzbischofs und Kurfürsten regiert wurde, kein eigentliches Rathaus mehr gegeben.[2] Der Stadtrat, der bis zur „Franzosenzeit“ seiner Kompetenzen beraubt war, tagte ein halbes Jahrtausend lang in verschiedenen Gebäuden, die meistens als „Stadthaus“ firmierten. Seit den 1930er Jahren sind verschiedene Standorte für ein neues Rathaus diskutiert worden,[3] darunter die 1934 vom Stadtplanungsamt vorgelegten Pläne für einen Neubau im Bereich der Golden-Ross-Kaserne, wobei alte und neue Bausubstanz harmonisch vereint werden sollte. Kühle Klassizistik und Monumentalität der NS-Architektur sind in diese Pläne eingeflossen, es fehlte ihnen aber an Härte und Brutalität, da der Maßstab normal blieb in der Synthese von alt und neu.[4] Die Pläne wurden jedoch nicht verwirklicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das noch von den Luftangriffen auf Mainz gezeichnete Stadtzentrum erheblich umgestaltet und ausgebaut. Erstmals gab es 1954 wieder Vorschläge für ein neues Rathaus. Die FDP-Stadtratsfraktion schlug vor, das Gelände einer Schule in der Mitternacht zu benutzen. Fünf Jahre später beschloss der Stadtrat den Ausbau des bisher genutzten Stadthauses am Pulverturm. Am 12. Juli 1962 beschloss der Stadtrat, das neue Rathaus auf dem Gelände „Am Brand“ aufzubauen und das bisher genutzte Gelände am Pulverturm zu verkaufen.[5] Ein knappes Jahr später, am 27. Juni 1963 lag dem Stadtrat eine umfangreiche Beschlussvorlage vor. Nachdem festgestellt wurde, dass die bisherigen Pläne die Finanzkraft der Stadt mit dem „100-Millionen-Projekt“ sprengen würden, wurde die nochmalige Überprüfung des gesamten Projektes im Bauausschuss „unter Hinzuziehung der Fachleute des Hochbauamtes und Tiefbauamtes“ angeregt. Die Abstimmung über einen Beschluss wurde auf einen späteren Zeitpunkt zurückgestellt.[6] BaugeschichteStandortfestlegung und AusschreibungEine erneute Standortdiskussion kam erst wieder, nachdem zwischenzeitlich auch das Kurfürstliche Schloss ins Gespräch gebracht wurde, zwischen Februar und Mai 1967 auf die Tagesordnungen des Stadtrates. Am 31. Mai 1967 billigte[7] die Mehrheit des Stadtrates endgültig den Standort am Platz der ehemaligen Stadthalle, dem nur noch der Brand auf der gegenüberliegenden Straßenseite entgegengesetzt worden war.[8] Am 29. November 1967 wurde der Architekturwettbewerb veröffentlicht, der bis zum 1. April 1968 dauerte. In den Wettbewerb wurden unter anderem folgende Punkte aufgenommen:[9]
Erwartet wurde ein mit vertretbarem Aufwand realisierbarer Vorentwurf für ein funktionsfähiges Rathaus, dessen städtebauliche Note wie folgt beschrieben wurde:
– Das Mainzer Rathaus: S. 76 Die elfköpfige Jury setzte sich aus den sieben Fachjuroren Egon Eiermann, Rudolf Hillebrecht, Hans Jacobi (Mainzer Baudezernet), Jürgen Joedicke, Johannes Krahn, Arthur Schech, Heinrich Schmidt und den vier Sachpreisrichtern Jockel Fuchs sowie den Stadtratsfraktionsmitglieder Paul Distelhut (SPD), Fritz Grebner (CDU) und Günter Stroch (FDP) zusammen und begutachtete die 22 eingereichten Entwürfe.[10] Der dritte Platz ging mit 10.000 DM an Hans Maurer und Horst Mauder. Der zweite Platz wurde zweimal mit je 20.000 DM an Hentrich-Petschnigg in Zusammenarbeit mit H. J. Stutz aus Düsseldorf/Köln und an die Werkgemeinschaft Freier Architekten Wolfgang Hirsch, Rudolf Hoinkis, Martin Lanz, Paul Schütz, Dieter Stahl vergeben. Zwei weitere Entwürfe wurden für je 5000 DM von den aus Mainz stammenden Architekten angekauft.[11] Der erste Platz mit 30.000 DM wurde einstimmig unter Vorsitz von Rudolf Hillebrecht an Arne Jacobsen und Otto Weitling vergeben.[12] Diese schrieben in ihrem Erläuterungsbericht:
– Das Mainzer Rathaus: S. 76–77 Bauausführung und EinweihungAuch als der Bau und der Standort beschlossen waren, gingen die Diskussionen weiter, diesmal entzündeten sie sich an den Kosten und der Architektur. Dennoch billigte der Stadtrat den Architektenentwurf am 18. Dezember 1969.[13][14] Das Bauleitbüro wurde am 1. April 1970 in der Nähe am Fischtorplatz eingerichtet, die eigentliche Baustelle erst am 12. Oktober 1970 mit dem offiziellen ersten Spatenstich. Das Gießen des Fundamentes erfolgte am 1. Februar 1971.[15] Am 24. März 1971 starb Arne Jacobsen, Otto Weitling übernahm allein die Ausführung, da die Planungen bis ins Detail abgeschlossen waren. Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. Juni 1971.[16] Das Rathaus wurde am 31. Dezember 1973 eingeweiht. Zur Einweihung gratulierten vor Ort Bundespräsident Gustav Heinemann, Ministerpräsident Helmut Kohl, Hans Koschnick vom Deutschen Städtetag, Rudi Schmitt aus dem benachbarten Wiesbaden sowie Vertreter aus den Partnerstädten Dijon, Watford und Zagreb. Einen Tag später, am Neujahrstag 1974, stürmten Narren der Mainzer Fastnacht unter dem Kommando des Prinzenpaares „Rolf I. und Marion I.“ das Rathaus. BaukostenFür den gesamten Rathaus-Komplex inklusive Rathausplateau und Brückenturm wurden 1969 45 Mio. DM veranschlagt.[17] 1973, ein Jahr vor der Fertigstellung, wurden bereits 67 Mio. DM kalkuliert, davon 40,125 Mio. DM für das Gebäude, 20,5 Mio. DM für Rathausplatz, Parkhaus und Café-Restaurant und 6,342 Mio. DM für den Brückenturm einschließlich der Brücke zum Brand.[18] Letztendlich kostete der Rathauskomplex die Stadt Mainz circa 80 Mio. DM, nach heutiger Kaufkraft ca. 133 Mio. Euro. RathausplatzDer Rathausplatz wurde ein Jahr nach dem Tod des langjährigen Oberbürgermeisters und ersten Hausherrn des Rathauses Jockel Fuchs 2002 in Jockel-Fuchs-Platz umbenannt. Das Gebäude wird von den Mainzern auch als Fuchsbau, gelegentlich scherzhaft als Beamtengefängnis bezeichnet. Zustand und SanierungZu Beginn des 21. Jahrhunderts traten in dem Gebäude immer mehr Probleme auf. Waren dies erst technische Mängel, so zum Beispiel bei der veralteten Lüftungsanlage, so nahmen später auch bauliche Mängel deutlich zu. Nach einem Gutachten der Mainzer Gebäudewirtschaft, eines städtischen Unternehmens, von 2009 sollte die energetische Instandsetzung etwa 14,5 Millionen Euro kosten. Einkalkuliert waren sämtliche Installationen, die zum Teil noch im Zustand von 1973 waren. Damals kam eine Sanierung des Gebäudes durch die stark verschuldete Stadt Mainz aus Kostengründen nicht in Frage. Der Ehrenpräsident der Landesarchitektenkammer Rheinland-Pfalz, Günther Franz, sah die Gründe für den Verfall in der Verwendung nicht ausreichend erforschter Materialien sowie in Fehlern bei der Planung und Instandhaltung. Er stellte fest, dass „gerade die Architektur jener Zeit nur schwer in Würde altern kann.“[19] Zum 26. November 2011 wurde von der Mainzer Aufbaugesellschaft eine Machbarkeitsstudie zur Sanierung des Gebäudes vorgelegt.[20] Darin wurden die Sanierungskosten auf nunmehr rund 47,6 Mio. € geschätzt. Der Architekturtheoretiker Werner Durth bemerkte dazu, dass der Neubau des Rathauses auf „billigem Grund“ nicht günstiger als eine Sanierung des Bestandes ausfallen werde.[21] Durth monierte zudem 2013 im Rahmen einer Bürgerinformation, das Rathaus habe „solche Verwahrlosung – und auch die Vernachlässigung im Bewusstsein der Bürgerschaft – nicht verdient.“ Er attestierte dem bestehenden Gebäude „viel Potential“ und regte an, es „durch überschaubare Maßnahmen […] derart zukunftsfähig“ zu machen, „dass bei gutem Gelingen spätere Generationen Mainzer Bürger stolz [sein] können, ein solches Wahrzeichen zu besitzen.“[22] Im Herbst 2012 gab die Stadt bekannt, das mittlerweile stark sanierungsbedürftige Rathaus für circa 50 Mio. € sanieren zu wollen.[23] Dagegen regte sich in der Bevölkerung Widerstand. Seinerzeit wurde über die Notwendigkeit einer Sanierung auch bundesweit diskutiert.[24] Im November 2012 übergaben die Kommunalpolitiker Tobias Huch (FDP) und Felix Leidecker (CDU) dem Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling einen Einwohnerantrag, in dem 2.222 Mainzer Bürger einen Bürgerentscheid über die Zukunft des Rathauses forderten.[25] Nach der politischen Willensbekundung zur Sanierung des Rathauses bei gleichzeitiger Deckelung der Kosten auf 50 Mio. € beauftragte der Mainzer Stadtrat 2016 ein europaweites Ausschreibungsverfahren als Grundlage für weitere Maßnahmen. Die im Herbst 2017 vorgelegten Planungsvarianten des beauftragten Generalplanungsbüros überschritten das geplante Budget deutlich, sehen allerdings auch keine kostengünstigere und akzeptable Alternative in einem Neubau. Eine Sanierung des Gebäudes wird als einzig praktikable Lösung empfohlen.[26] Seit Ende 2017 ist das Gebäude aufgrund herunterfallender Dachbestandteile weitläufig mit Bauzäunen abgesperrt. Auch der Innenhof und die Treppe in Richtung des Adenauerufers sind gesperrt. An einzelnen Stellen fehlen Fassadenplatten und die Dächer sind zum Teil undicht. In der Stadtratssitzung vom 7. Februar 2018 beschloss der Stadtrat die Sanierung des Rathauses.[27][28] Seit November 2019 wird das Rathaus nunmehr umfassend saniert; die Sanierung soll (Stand August 2022) im Jahr 2027 abgeschlossen sein.[29] Ein Interimsquartier des Ratssaals wurde im Steinsaal des Landesmuseums Mainz eingerichtet, während die Stadtverwaltung im Stadthaus Große Bleiche in die frühere Westdeutsche Immobilien Servicing und in die Malakoff Passage einzog.[30] Für rund 32 Millionen Euro hat die Stadt dieses Gebäude von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) gekauft. NutzungDas Jacobsen-Gebäude dient nicht nur als Rathaus für die Stadt Mainz, sondern beherbergt auch die Ortsverwaltung für den Ortsbezirk Altstadt. Im Foyer finden regelmäßig kulturelle Ausstellungen statt; gelegentlich werden das Foyer oder der Ratsaal auch für Musikaufführungen, Lesungen oder andere Veranstaltungen genutzt. Unterhalb des Ratssaals befindet sich ein Hörsaal, der für verschiedene Vorlesungen unter anderem von der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA Mainz) genutzt wird. Die Konferenzräume im Rathaus tragen die Namen der Partnerstädte von Mainz. Die darin enthaltene Bestuhlung stammt ebenfalls von Arne Jacobsen und ist, wie das Rathaus, denkmalgeschützt. Die insgesamt 460 Stühle gehören zur Serie 7, die Jacobsen in den 1950er Jahren entworfen hatte. Modell 3107 ist ohne und Modell 3207 mit Armlehne. Beide Typen sind mit rotbraunem Leder überzogen. Ende Oktober 2006 wurden in einem Stuttgarter Auktionshaus 270 Sitzmöbel von Jacobsen aus dem Rathaus versteigert. Der Erlös von knapp 85.000 Euro war für die Sanierung der verbleibenden 190 unter Denkmalschutz stehenden Stücke vorgesehen. 2015–2016 war der Ratsaal des Rathauses Ausweichtagungsort des Rheinland-Pfälzischen Landtags, da das Landtagsgebäude saniert wird, und das Provisorium im Landesmuseum Mainz noch nicht eingerichtet war. Siehe auch
Literatur
WeblinksCommons: Mainzer Rathaus – Sammlung von Bildern
Einzelnachweise
Koordinaten: 50° 0′ 3″ N, 8° 16′ 38″ O |