LuddismusDer Luddismus (oft deckungsgleich mit „Maschinensturm“ verwendet) war eine primitivistische Bewegung englischer Arbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts gegen Statusverlust und drohende soziale Verelendung durch die einsetzende Industrialisierung. Die als Ludditen bezeichneten Vertreter des Luddismus waren Textilarbeiter, die gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen im Zuge der Industriellen Revolution kämpften und dabei auch gezielt Maschinen zerstörten. Die nach ihrem legendenumwobenen, fiktiven Anführer Ned Ludd benannte Bewegung wurde 1814 militärisch niedergeschlagen. Zahlreiche Beteiligte wurden hingerichtet oder nach Australien deportiert. EtymologieAufrufe der Ludditen waren ungeachtet der eigentlichen Urheberschaft häufig mit Ned Ludd, der auch King Ludd, General Ludd oder Captain Ludd genannt wurde, unterzeichnet. Ned Ludd fungierte als fiktiver Anführer der Ludditen und kollektives Pseudonym der unterschiedlichen Gruppen. Er war der Wiedergutmacher oder Große Vollstrecker, der die traditionellen Rechte der Handwerker und Gesellen verteidigte.[1] Vorbild soll ein Wirkerlehrling namens Ned Ludlam gewesen sein, der aus Zorn über eine Rüge die Wirkstühle seines Meisters mit einem Hammer zerschlug.[2] GeschichteDie Bewegung entstand 1811 in Nottingham. Bis 1812 verbreitete sie sich über ganz England. Dabei zerstörten die Ludditen zahlreiche Woll- und Baumwollspinnereien. Die größte Stärke entwickelten sie im November 1811 in Nottinghamshire, Anfang 1812 in West Riding of Yorkshire und ab März 1812 in Lancashire. Regelrechte Schlachten lieferten sich die Ludditen mit dem Militär in Burtons’ Mill in Middleton und in Westhoughton Mill, beide in Lancashire. Andere Angriffsziele waren Richter und Lebensmittelhändler, da den Richtern ein zu hartes Vorgehen gegen Ludditen vorgeworfen wurde, während die Lebensmittelhändler bezichtigt wurden, den geringen Lohn der Arbeiter erpresserisch für ihre Waren zu fordern. Im Sommer 1812 wurden gegen die Ludditen rund 12.000 Soldaten eingesetzt, der größte Aufmarsch britischen Militärs im Inland bis zu diesem Zeitpunkt.[2] In der Folge wurde „Maschinenstürmerei“ (Sabotage) zum Kapitalverbrechen erklärt und die Bewegung militärisch niedergeschlagen. Zahlreiche Ludditen wurden nach Massenprozessen hingerichtet oder nach Australien deportiert. Der Luddismus ist einer der großen Kampfzyklen der englischen Arbeiterklasse Anfang des 19. Jahrhunderts. Er ist eingebettet in eine allgemein zunehmende Unruhe, die z. B. 1817 zum Aufstand von Pentrich führte. KritikIn der Rezeption fortschrittsgläubiger politischer Richtungen, wie Liberalismus und später Sozialdemokratie und Leninismus, wurden die Ludditen als reaktionär und technikfeindlich wahrgenommen. Edward P. ThompsonEdward P. Thompsons Buch The Making of the English Working Class trug auch in einer breiteren Öffentlichkeit zu einem neuen Verständnis des Luddismus bei. Laut Thompson waren die Ludditen in der Hauptsache nicht Gegner der neuen Technik, sondern Gegner der neuen Wirtschaftsbeziehungen (so Abschaffung der Festpreise), die im Zuge ihrer Einführung durchgesetzt werden sollten. Die Maschinen seien dabei nicht wahllos als vermeintliche Verursacher dieses Wandels angegriffen worden. Die Zerstörung der Maschinen war demgemäß eine organisierte und gezielte Aktionsform, die sich gegen bestimmte Eigentümer richtete, die zur Einhaltung der alten Regelungen bewegt werden sollten, während Maschinen anderer Eigentümer häufig verschont blieben. Die hohe Effizienz, Zielgerichtetheit und Organisiertheit der luddistischen Aktionen mit bis zu 100 Teilnehmern gilt Thompson auch als Anzeichen der großen Akzeptanz der Ludditen in ihren Gemeinden. Insgesamt erscheinen nach Thompson die lange Zeit auch in der Linken üblichen Vorstellungen – Ludditen sind randalierende Verbrecherbanden oder beschränkte Menschen, die in den Maschinen selbst die Ursache ihres Elends sehen – als Fortsetzung der damaligen Propaganda von Regierung und Eigentümern. In Wirklichkeit waren die Ludditen nichts weiter als Arbeiter, die sich zur Verteidigung ihrer Interessen zusammenfanden und nach erfolgversprechenden Wegen suchten. Lord ByronEiner der wenigen prominenten Fürsprecher der Ludditen und Gegner der Repressionsmaßnahmen war Lord Byron. So verteidigte er in seiner Jungfernrede am 27. Februar 1812 die Aktionen der Ludditen in Nottinghamshire im House of Lords des britischen Parlaments.[3] Er wandte sich auch 1812 mit einer mäßigenden Rede gegen das Frame Breaking Bill. 1816 feierte er die Ludditen in seinem Gedicht Song of the Luddites:
Karl MarxKarl Marx schätzte in Das Kapital. Band I ein, dass die Arbeiter die Maschinen anfangs noch nicht von ihrer „kapitalistischen Anwendung“ unterschieden, mit mehr Bewusstsein dafür jedoch lernen würden, „Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform [zu] übertragen“.[4] Neo-LuddismusAuch im 20. und 21. Jahrhundert gibt es technikkritische und wachstumskritische Strukturen, die vermeintliche technologische Fortschritte nicht als „fortschrittlich“ betrachten. Zu nennen ist hierbei vor allem die politische und philosophische Strömung des Primitivismus. Im englischsprachigen Raum werden Primitivisten häufig (teils abwertend) als „Neo-Ludditen“ bezeichnet; oder auch heute noch (meist abwertend) schlicht als „Ludditen“. „Ludditisch“ oder „neo-ludditisch“ werden vor allem diejenigen Technikkritiker abwertend genannt, die zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anwenden. Hierzu zählen solche, die Anschläge auf Forscher verüben, die sich mit Kern- oder Nanotechnologie beschäftigen,[5] oder auf Personen, die im ganz Allgemeinen eng mit moderner Technologie in Verbindung zu stehen scheinen. Solche Anschläge verübte beispielsweise der als „Unabomber“ bezeichnete US-amerikanische Terrorist Theodore Kaczynski, der Briefbomben an Mitbürger versandte, die seiner Meinung nach ein von ihm „das industriell-technologische System“ genanntes autopoietisches System repräsentieren, das sich durch den technischen Fortschritt immer weiter ausbreitet und das Individuum damit vereinnahmt, vom Leben entfremdet, ihm Freiheit und Würde raubt und dadurch viel Leid erzeugt, allen voran psychische Probleme.[6] Auch das französische Committee for Liquidation or Subversion of Computers (CLODO) ist dem Neo-Luddismus zuzurechnen.[7] Rezeption in der Populärkultur
Siehe auchLiteratur
Einzelnachweise
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