Der Lucas-Plan (Originaltitel: The Lucas Plan) war ein Strategiepapier der Belegschaft der Lucas Aerospace Corporation vom Januar 1976,[1] in dem die gewerkschaftlichenVertrauenspersonen einen alternativen Entwicklungsplan für ihr Unternehmen vorstellten.[2] Der Plan war eine Erwiderung auf die Verlautbarung der Unternehmensführung, wegen Umstrukturierungen aufgrund technischen Wandels und internationalen Wettbewerbs tausende Arbeitsplätze streichen zu wollen.[3] Anstelle ihrer Kündigung plädierten die Belegschaftsangehörigen dafür, künftig „sozial nützliche Produkte“ herzustellen.[4]
Die Beschäftigten, unter anderem Ernie Scarbrow (Betriebsratsvorsitzender), Phil Asquith,[5] Brian Sulibury, Mick Cooney, Danny Conroy, Mike Cooley, Ron Mills, Bob Dodd, John Routley und Terry Moran, warben für staatliche Subventionen, um gesellschaftlich zweckdienliche Produkte und Fertigung anzustoßen, anstatt Rüstungsgüter herzustellen und Lieferverträgen der Streitkräfte nachzukommen.[4][6]
Für die Entwicklung des Plans fand eine Konsultation der Belegschaftsmitglieder statt, die die vorhandenen Wissensstände, Fähig- und Fertigkeiten mit einbezog.[7] Die Endfassung enthielt Entwürfe für über 150 Produkte, die alternativ hergestellt werden konnten, darunter Windturbinen, Hybridfahrzeuge, Wärmepumpen und Technologien für energieeffizientere Gebäude,[8] sowie dazugehörige Marktanalysen, ökonomische Abwägungen und mögliche Fortbildungen.[9] Der Plan sah zudem die Neuorganisation der Angestellten in Teams vor, die impliziten Wissen der Fertigungsarbeiter mit dem theoretischen Wissen der Ingenieure und Produktdesigner zusammenführen sollte.[10] Die Unternehmensleitung lehnte die Inhalte strikt ab.[11]
Mike Cooley wurde schlussendlich 1981 von Lucas Aerospace entlassen.[12] Später erhielt er den Right Livelihood Award für die Entwicklung und Bewerbung der Theorie und Praktiken einer menschenzentrieren, sozial nützlichen Produktion.[13]
In seiner Monographie Architect or Bee? (deutsch: „Architekt oder Biene?“, erschienen als: Produkte für das Leben) attestiert Cooley: „Die [bevorstehenden] Alternativen sind krass. Entweder werden wir eine Zukunft haben, in der Menschen auf ein den Arbeitsbienen gleiches Verhalten reduziert werden und nur auf für sie vorgesehene Systeme und Geräte reagieren werden; oder wir werden eine Zukunft haben, in der Massen von Menschen, ihren eigenen Fähigkeiten auf politische wie technische Art und Weise bewusst, entscheiden, dass sie die Architekten einer neuen Form des technischen Fortschritts sein wollen, der Kreativität, Wahl-, und Meinungsfreiheit eher mehr als weniger schätzt. Es ist wahr, dass wir die tiefgreifende Entscheidung treffen müssen, ob wir Architekten handeln oder wie Bienen verhalten wollen.“[14]
Das Mike-Cooley-Archiv am Waterford Institute of Technology
Die Hinterbliebenen Mike Cooleys vermachten den Nachlass Cooleys der Luke Wadding Library des irischen Waterford Institute of Technology. Die Sammlung enthält über 1400 Objekte wie Fotografien, Korrespondenzen, Briefe und Postkarten, Journale, Bücher, Zeichnungen, Kassetten und Präsentationsfolien. Ein Großteil des Archivs bezieht sich auf den Lucas-Plan und den zahlreichen Schriftverkehr zwischen den verschiedenen Beteiligten während der 1970er-Jahre sowie Zeitungsartikel und Poster.
Rezeption
Politik
John McDonnell, damaliger Schatzkanzler im Schattenkabinett Jeremy Corbyns, sprach auf dem der Labour Party nahestehenden FestivalThe World Transformed 2018 über die historische Relevanz des Lucas-Plans.[15] Der entsprechende Veranstaltungsteil war dem Lucas Plan als Vorbild für neue Wirtschaftspolitik verschrieben.[16]
Historische Hintergründe zum Lucas-Plan und ein Lucas-Combine-Archiv können auf der WebseiteA New Lucas Plan eingesehen werden.[17]
Belegschaften
2021 berief sich die Belegschaft des vor der Schließung stehenden Florenzer Werkes des Automobilzulieferers GKN auf den Lucas-Plan und schlug vor, künftig Photovoltaik-Module, Akkus für Elektrobusse und Lastenräder herstellen zu wollen.[18] Aus der inzwischen längsten Betriebsversammlung in der Geschichte Italiens ist die Gründung einer Genossenschaft hervorgegangen, bei der Vorbestellungen erfolgen können (Stand: März 2024).[19]
Am 14. Oktober 2018 wurde der Dokumentarfilm The Plan (That Came from the Bottom Up) von Steve Sprung auf dem BFI London Film Festival vorgestellt,[20] in dem viele der Urheber des Plans zu Wort kommen.[21] Zu den Interviewpartnern des ehemaligen Lucas-Betriebsrats kommen Phil Asquith, Brian Salisbury, Mick Cooney, Ron Mills und Bob Dodd zu Wort.[6] Der Film bemüht sich um die zeitgenössische Relevanz des Plans angesichts Klimakrise[1] und weltweiter Arbeitslosigkeit.[22]
Literatur und Primärquellen
Die nachfolgenden Publikationen umfassen die Geschichte des Lucas-Planes, des Konzepts der sozial nützlichen Produktion (Socially Useful Production) und an Passagen des Plans anschließende Konzept.
Primärquellen
The Lucas Plan and Socially Useful Production, Spokesman Books.
Hilary Wainwright und Dave Elliott: The Lucas Plan. A New Trade Unionism in the Making? Spokesman Books (Erstveröffentlichung durch Allison and Busby, 1981[23]).
Mike Cooley: Architect or Bee? The Human Price of Technology. Vorwort von Frances O’Grady. Spokesman Books, 2016.[24]
Deutschsprachige Ausgabe: Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod. Arbeitnehmerstrategien für eine andere Produktion. Das Beispiel Lucas Aerospace. Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 1982 (2. Auflage), ISBN 978-3499148309.
Monographien
Peter Löw-Beer: Industrie und Glück.Der Alternativplan von Lucas Aerospace. Vorwort von Mike Cooley und einem Beitrag von Alfred Sohn-Rethel: Produktionslogik gegen Aneignungslogik. WagenbachVerlag, Berlin 1981, ISBN 9783803110893.
Sammelbeiträge
Eckart Hildebrandt und Boris Penth: Der Corporate Plan von Lucas Aerospace. Eine englische Arbeiterinitiative. Veröffentlichungsreihe des Internationalen Instituts für Vergleichende Gesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin. Ebenda, April 1982.
Eckhart Hildebrandt: Technik für die Menschen. Aspekte der Technik-Kritik im Fall Lucas Aerospace. In: Gotthard Bechmann et al. (Hrsg.): Technik und Gesellschaft. Jahrbuch. Campus, Frankfurt a. M. / New York 1982, S. 79–96, ISBN 3-593-32867-4.
Gesine Kleen und Stephan Peter: Genossenschafts-Sozialismus. Perspektiven des kooperativen Commonwealth. In: Newsletter Wirtschaftsdemokratie, Nr. 12. Peter-Imandt-Gesellschaft der Rosa-Luxemburg-Stiftung / Werkstatt Wirtschaftsdemokratie, März 2022.
Philipp Frey und Felix Gnisa: Zukunft in der Vergangenheit. Von der industriellen Alternativbewegung der 1970er zur strategischen Mitbestimmung? In: PROKLA, 53 (213), 2023, S. 641–660. DOI:10.32387/prokla.v53i213.2085
Philipp Frey, Felix Gnisa und Linda Nierling: Demokratische Technikgestaltung in der Arbeitswelt. Visionäre Impulse aus Genossenschaften und industrieller alternativbewegung für den digitalen Wandel. In: WSI Mitteilungen, 77 (1), 2024, S. 50–57. DOI:10.5771/0342-300X-2024-1-50
Weblinks
A New Lucas Plan – Archivdokumente und Hintergründe zum Lucas-Plan