1786 veröffentlichte der Komponist und Musikschriftsteller Johann Adam Hiller in seinem Buch Ueber Metastasio und seine Werke: nebst einigen ins Deutsche übersetzten Stücken desselben eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Die Chinesischen Mädchen.[Digitalisat 1]
Ein Zimmer im chinesischen Stil mit einem Tisch und vier Stühlen im Haus Lisingas
Lisinga und ihre beiden Freundinnen Sivene und Tangia sitzen gelangweilt am Tisch, trinken Tee und denken darüber nach, wie sie sich die Zeit vertreiben könnten. Lisingas Bruder Silango kommt unbemerkt hinzu und horcht eine Weile durch eine nicht ganz geschlossene Tür. Als er schließlich das Zimmer betritt, sind die Mädchen schockiert, weil er damit ein chinesisches Verbot gebrochen hat. Silango weiß das, hat aber auf seiner Europareise bemerkt, dass man dort überall über diese Sitte lacht. Aus Sorge um ihren Ruf bitten ihn die Mädchen, zu gehen. Er verabschiedet sich auch, wird aber von ihnen zurückgehalten. Nach seiner Versicherung, dass ihn niemand gesehen habe, entscheidet Lisinga, dass er erst nach Einbruch der Dunkelheit gehen solle.
Nachdem das geklärt ist, schlägt Lisinga vor, zum Zeitvertreib eine Theaterszene zu spielen. Silango stimmt zu und erklärt, dass diese Kunst bisher nur in den europäischen Ländern geübt werde und in China völlig unbekannt sei. Er schlägt vor, ein in Europa übliches Sujet zu wählen. Da jeder andere Vorlieben hat, gibt es schließlich drei kleine Szenen.
Lisinga wählt ein heroisches Thema über Andromache, der Witwe Hektors. Diese wird von Pyrrhus (Neoptolemos) bedrängt, der damit droht, ihren Sohn Astyanax zu töten, falls sie ihn nicht erhören will.
Sivene entscheidet sich für ein Pastoral über die schöne Schäferin Licoris, die über die Tränen ihres unglücklichen Verehrers Thyrsis lacht, weil sie die Liebe nicht kennt. Silango übernimmt dabei die Rolle des Schäfers.
Tangia hat sich für eine Komödie entschieden. Sie hat Silangos Schwärmerei für Sivene bemerkt und will sich über ihn lustig machen. In ihrer Szene spielt sie daher einen „gezierten“ jungen Mann, der von einer Reise zurückgekehrt ist. Er sitzt vor einem Spiegel, macht sich zurecht und lästert dabei über die hiesige Lebensart, die so gar nichts mit dem zu tun hat, was er in Paris kennengelernt hat.
Nun wollen sie entscheiden, welche Dichtungsart die beste ist. Sivene gefällt die Tragödie am besten, aber diese eignet sich nicht zum bloßen Zeitvertreib. Silango schlägt das Schäferspiel vor, in dem Tangia aber die Abwechslung vermisst. Sie empfiehlt die Komödie. Lisinga befürchtet jedoch, dass sich dadurch jemand beleidigt fühlen könne. Als Lösung schlägt Silango schließlich vor, Musiker kommen zu lassen und ein Ballett aufzuführen.
Geschichte
Im Jahr 1735 schrieb Metastasio neben seinem Oratorium Gioas re di Giuda gleich vier Gelegenheitswerke: Le cinesi, Le grazie vendicate, Il palladio conservato und Il sogno di Scipione. Bis auf das letzte waren sie für Amateur-Aufführungen bestimmt, die von den Erzherzoginnen Maria Theresia und Maria Anna sowie einer Hofdame ausgeführt wurden – die Erstfassung von Le cinesi enthielt lediglich die drei weiblichen Charaktere. Der Auftrag zu dem Werk kam von Kaiserin Elisabeth Christine. Es war als Einleitung zu einem chinesischen Ballett von Georg Reutter bestimmt. In einem seiner Briefe erinnerte sich Metastasio, wie zufrieden er über die materielle und künstlerische Qualität der Aufführung war. Die Erzherzoginnen hätten „rezitiert und gesungen wie Engel“ („Esse hanno recitato et cantato come angeli“).[5] Im Gegensatz zu Metastasios bisherigen Werken hat Le cinesi weder einen mythologischen noch einen rein höfischen Charakter. Die Rolle der Lisinga ist auf die Thronerbin Maria Theresia zugeschnitten. Sie ist ernsthafter als die anderen Charaktere und die eigentliche Handlungsträgerin. Zudem ist sie weder verliebt wie Sivene noch oberflächlich wie Tangia.[6]
Der Charakter der Tangia ist eine der gelungensten Schöpfungen Metastasios. Durch ihre Naivität und Schlagfertigkeit erinnert sie an die Figur der Silvia in seinem späteren Werk L’isola disabitata, die wie sie von den Männern sowohl erschrocken als auch angezogen wird. Ihre Wünsche werden regelmäßig durch die Autorität ihrer Schwestern und ihre eigene Unerfahrenheit vereitelt. Ihre Eifersucht gab Metastasio die Möglichkeit, die Leidenschaft Sivenes für Silango ironisch zu verarbeiten.[6]
1749 wurde Metastasio von seinem Freund, dem Sänger Farinelli, gebeten, den Text zu überarbeiten und eine Männerrolle hinzuzufügen.[6] Diese Fassung wurde mit neuer Musik von Nicola Conforto erstmals 1750 aufgeführt[7] und in den folgenden Jahren in anderen Städten wiederholt. Obwohl der Inhalt des Werks durch den neuen Charakter Silango nicht wesentlich verändert wurde, erhielt der Text durch seine unerwartete Ankunft im Zimmer der Frauen eine neue dramatische Dimension. Silango übernimmt nun gemeinsam mit Lisinga die Initiative für die Handlung. Insbesondere ist er es, der am Schluss den Vorschlag macht, ein Ballett aufzuführen – dies war ursprünglich eine Idee Lisingas.[6]
2010 bearbeitete der Komponist Karsten Gundermann Glucks Vertonung und ergänzte sie um Intermezzi im Stil der Peking-Oper des 18. Jahrhunderts. Diese Fassung wurde bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci und in Peking aufgeführt.[8]
2015: Aufführung einer Produktion der Amics de l’Òpera de Sarrià am Teatre de Sarrià in Barcelona (Leitung: Raúl Giménez) und beim Festival Rossini in Wildbad (Leitung: Michele D’Elia). Regie: Jochen Schönleber. Sänger: Sara Bañeras (Lisinga), Silvia Aurea De Stefano (Sivene), Ana Victoria Pitts (Tangìa), César Arrieta (Silango).[24]
2010/2012: Aufführung der Bearbeitung von Karsten Gundermann bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci und im Mei Lanfang Grand Theatre in Peking. Ensemble L’Arte del mondo, China National Peking Opera Company, Leitung: Werner Ehrhardt. Sänger: Kremena Dilcheva (Lisinga), Barbara Emilia Schedel (Sivene), Milena Storti (Tangia) und Krystian Adam (Silango).[8]
2014: Aufführung im Garten der Kirche St. Lorenz in Berching. Opera Incognita, Leitung: Ernst Bartmann, Inszenierung: Andreas Wiedermann. Sänger: Yeonjin Choi (Lisinga), Namyoung Kim (Sivene), Minjung Yoon (Tangia), Sangkyu Lee (Silango).[29]
2014: Aufführung in Schloss Hof. Cappella Istropolitana, Leitung: Gerhard Lessky. Sänger: Elsa Giannoulidou (Lisinga), Marelize Gerber (Sivene), Anna Manske (Tangia), Gernot Heinrich (Silango).[30]
↑Metastasio, Pietro in Die Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 50861 ff (vgl. MGG Bd. 9, S. 229 ff.) Bärenreiter-Verlag 1986 (Digitale Bibliothek Band 60).
↑ abJacques Joly: Les fêtes théâtrales de Métastase à la cour de Vienne, 1731–1767. Pu Blaise Pascal, 1978, ISBN 978-2845160194, S. 160.
↑Pietro Metastasio: Kritische Ausgabe, Band III, 1. 90, S. 121. Zitiert nach Jacques Joly: Les fêtes théâtrales de Métastase à la cour de Vienne, 1731–1767. Pu Blaise Pascal, 1978, ISBN 978-2-84516-019-4, S. 137.
↑ abcdeJacques Joly: Les fêtes théâtrales de Métastase à la cour de Vienne, 1731–1767. Pu Blaise Pascal, 1978, ISBN 978-2845160194, S. 135 ff.