Kuno Callsen

Kuno Friedrich Callsen (* 19. Oktober 1911 in Wilster in Schleswig-Holstein; † 17. Mai 2001 in Neu-Isenburg[1]) war ein deutscher SS-Sturmbannführer (1944). Er war maßgeblich an den Massenmorden in Babyn Jar beteiligt.

Werdegang

Callsen, Sohn eines Lehrers, war 1929 Mitbegründer des Nationalsozialistischen Schülerbunds in Itzehoe. Zum 1. Oktober 1931 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 647.505),[2] in der er bereits 1932 zum politischen Leiter aufstieg. Seit 1934 gehörte er zum Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD). 1935 trat er der SS (SS-Nr. 107.362) bei. Im selben Jahr war er am Aufbau des Pressereferats des SD-Oberabschnitts Rhein in Frankfurt am Main beteiligt.[3]

Im Zweiten Weltkrieg war er im Krieg gegen die Sowjetunion von Mai bis Oktober 1941 Leiter eines Teilkommandos des Sonderkommandos 4a in der Einsatzgruppe C und Stellvertreter Paul Blobels,[3] der 1951 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde.

Als SS-Hauptsturmführer war Callsen zusammen mit Kurt Hans, August Häfner und Adolf Janssen Leiter der Massenerschießungen im Massaker von Babyn Jar, bei denen am 29. und 30. September 1941 über 30.000 Juden erschossen wurden. Damit wurde Babyn Jar zum Symbol für die Massenmorde der Einsatzgruppen, denn weder vorher noch nachher wurden von einem Einsatzkommando in so kurzer Zeit so viele Menschen ermordet.[4]

1943 wurde Callsen Persönlicher Referent Otto Ohlendorfs im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tauchte Callsen unter falschem Namen unter und arbeitete als Angestellter.[5]

Callsen, wohnhaft in Neu-Isenburg, wurde 1968 zusammen mit weiteren Angeklagten vom Landgericht Darmstadt im sogenannten Callsen-Prozess wegen fünf verschiedener Straftaten, darunter der Beteiligung an den Massenerschießungen in Babyn Jar, zu einer Haftstrafe von 15 Jahren Zuchthaus[6] verurteilt.[7][8][9] Am 29. September 1975 trat er seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Butzbach an. Am 10. Januar 1977 wurde er an die Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main überstellt. Am 20. Januar 1981 wurde er auf Bewährung aus der Haft entlassen.

Der Tatsachenroman Die Wohlgesinnten des Schriftstellers Jonathan Littell verbindet eine fiktive Biografie mit verschiedenen realen Ereignissen und Personen des Holocausts, unter anderem auch die Ereignisse in Babyn Jar mit den Personen Kuno Callsen und Paul Blobel.

Literatur

  • Joscha Döpp: Von Babyn Jar nach Darmstadt. Der SS-Sonderkommandoführer Kuno Callsen vor Gericht (= Kleine Reihe zur Geschichte und Wirkung des Holocaust; 5). Wallstein Verlag, Göttingen 2024, ISBN 978-3-8353-5718-1; E-Book: ISBN 978-3-8353-8722-5 (nicht eingesehen).[10]
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 89–90.
  • Alfred Streim: Zum Beispiel: Die Verbrechen der Einsatzgruppen in der Sowjetunion. In: Adalbert Rückerl: NS-Prozesse: Nach 25 Jahren Strafverfolgung: Möglichkeiten – Grenzen – Ergebnisse (= Recht, Justiz, Zeitgeschehen; 12). C. F. Müller Verlag, Karlsruhe, 2. Auflage, 1972, ISBN 3-7880-2015-6, S. 65–106.
  • Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2005, ISBN 3-596-15645-9.
  • Nathalie Gerstle: Callsen-Prozess (Babij-Jar). In: Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Transcript, Bielefeld, 2007, ISBN 978-3-89942-773-8, S. 143–145
  • Walter Vietzen: Kuno Friedrich Callsen: Vom Gründer des Itzehoer NS-Schülerbundes zum Massenmörder. In: Miriam J. Hoffmann, Vivian Vierkant (Hrsg.): „Heute marschieren wir alle geschlossen hinter dem Führer“. Itzehoe und der Kreis Steinburg 1933–1945. Kreismuseum Prinzeßhof, Itzehoe 2022, ISBN 978-3-00-070808-4, S. 182–199.

Einzelnachweise

  1. Sterberegister des Standesamtes Neu-Isenburg Nr. 61/2001.
  2. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/19090545
  3. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 89.
  4. Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, transcript Verlag, Bielefeld 2007, S. 144, ISBN 978-3-89942-773-8.
  5. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 90.
  6. Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie., (=Schriftenreihe des Fritz-Bauer-Instituts Bd. 23), Verlag C. H. Beck oHG, München 2. durchgesehene Auflage 2009, S. 426.
  7. Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden. Frankfurt 2005, ISBN 3-596-15645-9, S. 127.
  8. C.F. Rüter, D.W. de Mildt (Hrsg.:) Justiz und NS-Verbrechen, Bd.XXXI, Verfahren Lfd.Nr.694; S. 263–265. [1]
  9. Vgl. auch: Urteil vom 29. November 1968, S. 474, in: BA Ludwigsburg, 204 AR-Z 269/1960, Bd. 34, 683 Blatt, Bl. 539, zit. n.: Wolfram Wette: Zivilcourage unter extremen Bedingungen. Empörte, Helfer und Retter in der Wehrmacht in: Freiburger Rundbrief 1/2004.
  10. Conrad Lay: Joscha Döpp: „Von Babyn Jar nach Darmstadt“ SS-Sonderkommandoführer Kuno Callsen. (mp3-Audio; 7 MB; 7:30 Minuten) In: Deutschlandfunk-Sendung „Andruck – Das Magazin für Politische Literatur“. 23. Dezember 2024, abgerufen am 23. Dezember 2024.