Koninklijke Fabriek van WaskaarsenDie Koninklijke Fabriek van Waskaarsen (Königliche Wachskerzenfabrik) war eine niederländische Kerzen-Produktionsstätte an der Boerenwetering-Gracht im Stadtteil Amsterdam-Zuid. Sie wurde Anfang des 17. Jahrhunderts gegründet, 1833 von Philip Josef Faure erworben, 1839 von Nathan Diaz Brandon übernommen, 1883 liquidiert, 1906 vom Hauptkonkurrenten aufgekauft und im selben Jahr demontiert. Seinen zeitweise großen Erfolg verdankte das Unternehmen der Entwicklung der Stearinkerze. In Spitzenzeiten produzierten 500 bis 600 Beschäftigte jährlich rund 11 bis 12 Mio. Gebinde. 1887 kam ans Licht, dass vor allem die weiblichen Mitarbeiter, von der Stadtbevölkerung abwertend Waspitten genannt, unter den herrschenden Arbeitsbedingungen litten. Die Stadtverwaltung wollte die Wachskerzenfabrik schon lange vor 1906 loswerden, da sie üble Gerüche emittierte und die Entwicklung der Gebäude an der Ostseite des Museumpleins behinderte. Heute ist das Gelände Hobbemakade 28–51 ein Wohnquartier. Faures Wachskerzenfabrik1833 erwarb Philip Josef Faure von der Familie Van Laar für mindestens 10.000 Gulden die mehr als 200 Jahre alte, renommierte Wachsbleiche und Wachskerzenfabrik „De Honingbij“ (Honigbiene) am Stadtrand von Amsterdam. Faure ergriff sofort nach dem Kauf mehrere Initiativen. Er beantragte die Genehmigung zum Einbau einer Dampfmaschine, änderte den Namen der Fabrik in „De Bijenkorf“ (Bienenstock) und erwirkte von König Wilhelm I. die Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung „Königlich“ im Unternehmensnamen. Dass sich seine Wachskerzen dennoch schlecht verkauften, ist auf den Preisdruck durch die Importe von Stearinkerzen und „Patentwachskerzen“ aus England, Frankreich, Deutschland und Belgien zurückzuführen. Auch der Wechsel zur Produktion gegossener Kerzen brachte keinen wirtschaftlichen Erfolg, sodass Faure sein Unternehmen 1839 für nur 2400 Gulden wieder veräußerte.[1] Brandons StearinkerzenfabrikÜber Zwischenhändler gelangte Faures Wachskerzenfabrik im April 1839 in die Hände des jüdischen Kaufmanns Nathan Diaz Brandon (1803–1874). Einer der Hauptgründe für seinen Kauf war die hervorragende Lage des weitläufigen Geländes. Es bot alle Möglichkeiten zur Erweiterung und besaß mit dem Boerenwetering-Kanal eine perfekte Anbindung. Im Sommer darauf unternahm Brandon eine Reise nach Paris, um sich direkt vor Ort über die Entwicklung der Stearinkerze und ihre Produktion zu informieren, möglicherweise dabei auch einige Experten und erfahrene Arbeiter anzuwerben. Kontinuierliche Investitionen und ein energisches Vorgehen gegen Wettbewerber sorgten für einen raschen Aufstieg. 1841 verlieh ihm die Nederlandsche Maatschappij ter bevordering van Nijverheid (Niederländische Gesellschaft zur Förderung der Industrie) eine Silbermedaille. Zum Zeitpunkt der Umwandlung in eine Offene Handelsgesellschaft (vennootschap onder firma) 1851 beschäftigte Brandon bereits 100 Arbeiter und kontrollierte mehr als drei Viertel des niederländischen Stearinkerzenmarktes.[2] Nach 1850 verdrängte die Stearinkerzenindustrie zusammen mit der Gas- und Lampenindustrie die traditionelle Kerzenherstellung innerhalb weniger Jahrzehnte vollständig. Die neuen Kerzen brannten länger, tropften nicht und entwickelten keinen Ruß. Zudem wurden sie immer erschwinglicher, was auf Neuheiten bezüglich des Materials und der Technik im Produktionsprozess zurückzuführen war: Reichlich verfügbares Palmöl ersetzte das herkömmliche Tierfett, Schwefelsäure den gelöschten Kalk bei der Verseifung. Als sich herausstellte, dass allein aus Pflanzenöl hergestellte Kerzen nicht die gewünschte Härte hatten, konnte das Problem durch ein Komposit aus Palmöl und Talg gelöst werden. Der Umstieg bei der Verseifung ergab eine deutliche Steigerung der Ausbeute.[3] Der Ersatz von Tierfett durch Palmöl hat einen politischen Hintergrund: Anders als zum Beispiel in Frankreich waren große, stadtnahe Schlachthöfe in den Niederlanden verboten. Der unverzichtbare Rohstoff Palmöl kam aus den Kolonien, wurde in großem Umfang nach Amsterdam und Rotterdam verschifft und ging größtenteils als „hitzebeständige“ Kerzen zurück. Im Inland wurden nur etwa 20 Prozent des importierten Palmöls verbraucht.[4] Eine bedrohliche Konkurrenzsituation veranlasste Brandon 1857 zur Expansion. Da Innovationen bei den Verseifungsmethoden und den Rohstoffen zudem höhere Investitionen erforderten, beschloss der Firmeninhaber im Oktober die Gründung einer Aktiengesellschaft. 1866 wählten die Aktionäre den Ingenieur Lodewijk A.H. Hartogh einstimmig zum dritten Direktor neben den Brüdern Brandon. Unter seiner Leitung erfuhr die NV Koninklijke Fabriek van Waskaarsen ein enormes Wachstum. Die Produktion stieg innerhalb von zwei Jahren von 3,6 auf 11 Millionen Packungen Kerzen (1870–1872). 1874 produzierten rund 500 Personen etwa 12 Millionen Packungen.[5] Auslöser für den kurz danach beginnenden Niedergang war wahrscheinlich eine hohe Verschuldung durch den Börsenkrach von 1873. 1883 kam es dann zur Liquidation. 1906 erhielt der Hauptgläubiger, das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim, 900.000 Gulden als Ablösesumme. Noch im selben Jahr wurde die Fabrik demontiert und die „königliche“ Stearinkerzenproduktion in Gouda konzentriert.[6] Neben Fotos existieren auch einige Dokumente von Künstlerhand: Herman Misset fertigte im letzten Jahr ihres Betriebs zwei Zeichnungen der Anlage an.[7] Von Piet Mondrian sind ein Ölgemälde[8] und eine Kohlezeichnung[9] von 1895 bzw. 1899 erhalten. KonkurrenzunternehmenIn den 1860er-Jahren existierten in den Niederlanden vier weitere große Stearinkerzenfabriken, eine in Gouda, eine in Schiedam und zwei in Amsterdam:
Arbeit in der Stearinkerzenfabrik1905 erstellte der niederländische Künstler Jan Toorop zwölf Lithografien, die den Produktionsprozess in der Kerzenfabrik Gouda dokumentieren. Die Serie entstand im Auftrag einer Tochter von Direktor lJssel de Schepper, als Geschenk zu dessen 25-jährigem Jubiläum. Die Originale befinden sich im Eigentum des Unternehmens. Einige lithografische Reproduktionen werden in öffentlich zugänglichen Sammlungen aufbewahrt, wie dem Museum Gouda und dem Museum Helmond.[16][17] Die Lithografien veranschaulichen die einzelnen Arbeitsschritte, nicht jedoch die realen Arbeitsbedingungen der Frauen und Männer in Stearinkerzenfabriken der Jahrhundertwende. Einen Einblick erlaubt die Arbeidsenquête van 1887.[18] Befragt wurde neben vier Arbeiterinnen (siehe Waspitten) auch der ehemalige Fabrikleiter Daniel Sanches. In seiner Erklärung erinnert er sich an die Zustände in der Koninklijke Waskaarsenfabriek im Jahr 1884. So wie auf den Illustrationen sichtbar, hatten die weiblichen und männlichen Beschäftigten unterschiedliche, streng voneinander getrennte Arbeitsbereiche. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Belastungen. Sanches bezeichnete die Arbeit der Frauen als „relativ schwerer und anstrengender“ als die der Männer. Beispielsweise mussten junge Mädchen, die meisten von ihnen zwischen 12 und 16 Jahre alt, nach dem Kerzengießen die 20 bis 30 kg schweren Kisten zu den Sägemaschinen schleppen. Die Arbeitszeiten waren lang, Überstunden an der Tagesordnung. Dafür war der Zustand ihrer Arbeitsräume „zufriedenstellend“. Anders sah es bei den Männern aus, die bei der Azidifikation ätzenden Schwefelsäuredämpfen ausgesetzt waren und häufig über gesundheitliche Probleme klagten. Je nach Wetterlage zogen die Dämpfe beim Lüften nicht ab oder wurden „über die ganze Stadt verteilt“. Noch verschärfend wirkte die künstliche Beleuchtung mit Leuchtgas, das, weil klassisches „Pech“ zu teuer war, aus Abfällen aus der Destillation, hergestellt wurde. Laut Sanches war es nicht nur ineffizient, sondern erfüllte den Raum „mit blauem Rauch, der in den Augen und im Rachen brannte“.[19] Durch die Erhebung verbesserten sich die Arbeitsbedingungen etwas. Bereits 1889 wurden die ersten Gesetze verabschiedet, die einen gewissen Schutz gegen die Ausbeutung von Frauen und Kindern in Fabriken und Werkstätten boten.[20] Die übel riechenden Emissionen waren jedoch nach wie vor ein Ärgernis. Sie raubten vor allem den Menschen im Arbeiterviertel De Pijp den Atem, bei Südwind roch man sie sogar in der vornehmen Kalverstraat. Die Erleichterung muss also groß gewesen sein, als die Fabrik im November/Dezember 1906 schließlich abgerissen wurde.[5] Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
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