Zufahrt zur Anlage mit dem DFR-Reaktor im Vordergrund und dem PFR-Gebäude rechts im Hintergrund. Nicht im Bild: Der MTR befindet sich am nördlichen Teil der Anlage. Vulcan/Naval Reactor befindet sich am westlichen Ende.
Das Kernkraftwerk und die Nuklearforschungsanlage Dounreay[1][2] liegen nahe einer verfallenen Burg[3] in der Grafschaft Caithness im Verwaltungsbezirk Highland an der Nordküste Schottlands. Diese Burg befindet sich heute auf einem Gelände, das von der United Kingdom Atomic Energy Authority (UKAEA) und dem Verteidigungsministerium (Ministry of Defence, MoD) und der Royal Navy genutzt wurde. Das Gelände ist als Standort mehrerer kerntechnischer Anlagen bekannt, von denen drei der UKAEA gehörten und von dieser bis 31. März 2008 betrieben wurden. Aktuell befindet sich die Anlage im Um- und Rückbau durch die Nuclear Decommissioning Authority (NDA).
Geschichte
Das Dounreay Nuclear Power Development Establishment (NPDE)[4] wurde – wie auch das Kernkraftwerk Bradwell – neben einem ehemaligen Militärflugplatz eingerichtet.[5] Es wurde in den frühen 1950er Jahren als Zentrum für die Entwicklung des Schnellen Brutreaktors[6] und des zugehörigen Brennstoffkreislaufs (Brennelementfertigung, Wiederaufarbeitung) ausgewählt.[7] Der Standort wurde zum Hauptarbeitgeber der Region und des wirtschaftlichen Aufbruchs der nahe gelegenen Stadt Thurso.[8] Die Stadt ist auch unter dem Namen "Atomic Town" bekannt. Die neuen Einwohner wurden als "Atomics" bezeichnet.[9]
Im Jahr 1988 entschloss sich die Britische Regierung (analog zu den Programmen aus Frankreich und Deutschland) zum Ausstieg aus dem Programm für schnelle Reaktoren (Brutreaktoren).[10] Ab diesem Zeitpunkt waren die öffentlichen Mittel zur Forschung rückgängig und eine Kommerzialisierung wurde angestrebt.
Im Jahr 2004 bzw. 2009 (nach dem Jahr der Kritikalität des DFR) wurde der Standort Dounreay 50 Jahre alt.[11][12]
Die Sicherheit wird von der Civil Nuclear Constabulary, einer Polizeieinheit für Nuklearanlagen in Großbritannien, gewährleistet.
Anlagen
Forschungsreaktor
Am Standort gab es den Dounreay Material Test Reaktor (DMTR), einen Forschungsreaktor, der 1958 kritisch wurde.[16]
Schnelle Reaktoren
Es existieren zwei Blöcke: Der Dounreay Fast Reactor (DFR) und der Prototype Fast Reactor (PFR).[17][18] Der Reaktor DFR wurde am 14. November 1959 kritisch,[12] der Reaktor PFR am 1. März 1974.[19] Ihre Stilllegung erfolgte 1977 bzw. 1994.
Militärische Nutzung und Anlagen
Das britische Verteidigungsministerium betrieb hier 40 Jahre lang eine Einrichtung mit der Bezeichnung Vulcan NRTE (Vulcan Naval Reactor Test Establishment, umgangssprachlich Vulcan), in der Nuklearantriebe für die Atom-U-Boote der Royal Navy entwickelt wurden. Die Einrichtung ist auch unter dem Namen Admiralty Reactor Test Establishment (ARTE) bekannt.[20]
Weitere Anlagen am Standort Dounreay
Außer den drei vor allem aus wirtschaftlichen Gründen (gestrichene Subventionen) stillgelegten Reaktoren (DFR, PFR und MTR) und zahlreichen Einrichtungen zur Abfallbehandlung befinden sich auf dem Gelände auch zwei stillgelegte Wiederaufarbeitungsanlagen:
Die erste Anlage ist die MTR Fuel Reprocessing Plant D1204 zur Rückgewinnung von hoch angereichertem Uran aus abgebrannten Brennelementen in- und ausländischer Materialtestreaktoren (MTR). Unter anderem wurden Brennstoffe aus den MTR-Reaktoren in Dounreay und Harwell wiederaufgearbeitet. Die Anlage war seit 1958 in Betrieb.
Eine zweite Anlage diente zur Wiederaufarbeitung des hoch angereicherten Brennstoffs aus dem Brutreaktor DFR. Die Anlage wurde von 1975 bis 1979 zur Anlage D1206[21] umgebaut, in der abgebrannter Mischoxid-Brennstoff aus dem Brutreaktor PFR aufgearbeitet wurde.[22]
Ende der 1990er Jahre wurden in Dounreay rund 88 t Natrium des KNK II (Karlsruhe) entsorgt.[23]
Störfälle
Am 10. Mai 1977 wurde ein flüssiges Gemisch aus zwei Kilogramm Natrium und Kalium (NaK) in einen 65 Meter tiefen Schacht hinab gelassen. In dem Schacht lagerten unter anderem abgebrannte Brennelemente aus den 1960er Jahren. Diese unterirdische Deponie war zur Abschirmung der radioaktiven Strahlung mit Meerwasser überflutet.[24] Aus der Chemie ist bekannt, dass reines Natrium und Kalium in flüssiger Form sehr stark mit Wasser reagieren. Es kam zu einer Explosion, durch die radioaktives Material in den Untergrund gelangte und offenbar weithin verbreitet wurde. Die etwa sieben Tonnen schwere Betonabdeckung des Schachts wurde dabei etwa vier Meter weit weg geschleudert, eine Stahlabdeckung mit einem Durchmesser von anderthalb Metern flog etwa zwölf Meter weit. Teile aus dem Schacht flogen bis an den etwa 40 Meter entfernten Strand – andere Teile wurden bis zu 75 Meter entfernt gefunden. Im Küstenvorland wurden seit 1983 jährlich mehr als zehn radioaktive millimetergroße Partikel gefunden, eines davon an einem viel besuchten Strand. Bekannt wurde der Vorfall erst durch einen Bericht einer Kommission des zuständigen Gesundheitsministeriums im Jahr 1995. Das Küstenvorland von Dounreay wurde daraufhin abgesperrt.[25][26][27][28]
Nach der Entdeckung eines kleinen Lecks im Kühlkreislauf bei der Dekommissionierung wurde der Betrieb von D1206 im Oktober 1996 zunächst vorläufig eingestellt. Im Juli 2001 entschied die britische Regierung, den Wiederaufarbeitungsbetrieb definitiv nicht wieder aufzunehmen.
Aktuelle Aktivitäten und Rückbau
Die Planungen für den Rückbau der Anlagen wurde im Jahr 2000 begonnen,[11] dazu wurde die Dounreay Site Restoration Ltd (DSRL)[29] am Standort von der Nuclear Decommissioning Authority (NDA) beauftragt.[12]
Inzwischen wurde die Verarbeitung von Kernbrennstoffen eingestellt und mit den Rückbauarbeiten begonnen.[31] Am 1. April 2005 ging das Gelände in das Eigentum der Nuclear Decommissioning Authority über, und seit 1. April 2008 werden die meisten Anlagen auch von dieser betrieben.[32]
Wegen des Vorkommens radioaktiver Verbindungen aus Uran und Plutonium auf dem gesamten Gelände wird die Anlage als Sicherheitsrisiko angesehen und streng bewacht. Stand 2019 wurde rund die Hälfte der Brennelemente entfernt.[33]
Die Anlage oder Teile der Anlage Vulcan sind (Stand 2022) im Gespräch über den Rückbau.[34]
Am 1. April 2023 ging Dounreay (vormals Dounreay Site Restoration Ltd (DSRL))[35] in die Magnox Ltd., einem Teil der NDA, über.[36] Der Abschluss des Rückbaus (Stand 2013) ist für 2025 geplant.[37]
Schema des DFR
Der DFR im Oktober 1986
Daten der Reaktorblöcke
Das Kernkraftwerk Dounreay hatte drei Reaktoren, davon waren zwei kommerzielle Leistungsreaktoren:[19]
Reaktorblock
Reaktortyp
Netto- leistung
Brutto- leistung
Baubeginn
Netzsyn- chronisation
Kommer- zieller Betrieb
Abschal- tung
Dounreay DFR
Schneller Brutreaktor
11 MW
15 MW
01.03.1955
01.10.1962
01.10.1962
01.03.1977
Dounreay MTR
Forschungsreaktor/Materialtestreaktor
n. r.
n. r.
Ende 1950
n. r.
1958 (Kritikalität)
1969
Dounreay PFR
Schneller Brutreaktor
234 MW
250 MW
01.01.1966
10.01.1975
01.07.1976
31.03.1994
Literatur
Berichte und Andere
UKAEA: Memorandum Dounreay - UKAEA History. United Kingdom Atomic Energy Authority, Dounreay 2005 (englisch, caithness.org).
William A. Paterson: 50 Years of Dounreay. North of Scotland Newspapers, Wick, Caithness, Scotland 2008 (englisch, archive.org [abgerufen am 25. Juni 2023]).
Weblinks
Artikel, Reporte etc.
DSRL: Dounreay 2021. (englisch, gov.uk [PDF]). Broschüre mit umfangreichen Details und Fotomaterial.
Videos
DounreayTV: The Dounreay Project (1959) auf YouTube, abgerufen am 25. Juni 2023 (englisch; Der offizielle Kanal DounreayTV hat viele weitere Aufnahmen zu aktuellen Aktivitäten.).
Dounreay. Gov.uk, abgerufen am 26. September 2023 (englisch).
Dounreay 2023. In: GOV.UK. 3. April 2023, abgerufen am 19. Juni 2023 (englisch).Der Artikel enthält eine komplette Übersicht über die Anlage von 1954–2023 und allen Änderungen.
↑J. W. Kendall, T. M. Fry: The Dounreay Fast Reactor Proiect. In: Proceedings of the International Conference on the Peaceful Uses of Atomic Energy, held in Geneva, 8 August - 20 August 1955.: Volume 3,: Power reactors. Band3. UN, 1956, S.193ff. (englisch, un.org [abgerufen am 25. Juni 2023]).
↑Linda M. Ross: Dounreay: Creating the Nuclear North. In: The Scottish Historical Review. Band100, Nr.1, April 2021, ISSN0036-9241, S.82–108, doi:10.3366/shr.2021.0498 (englisch, euppublishing.com [abgerufen am 26. September 2023]).
↑L J Koch, H C Paxton: Fast Reactors. In: Annual Review of Nuclear Science. Band9, Nr.1, Dezember 1959, ISSN0066-4243, S.437–472, doi:10.1146/annurev.ns.09.120159.002253 (englisch, annualreviews.org [abgerufen am 25. Juni 2023] Details zu Dounreay an mehreren Stellen im Artikel.).
↑J D Frew, D Thom, T D Brown: Experience of Prototype Fast Reactor Fuel Reprocessing. In: Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part A: Power and Process Engineering. Band201, Nr.4, November 1987, ISSN0263-7138, S.249–258, doi:10.1243/PIME_PROC_1987_201_032_02 (englisch, sagepub.com [abgerufen am 25. Juni 2023]).
↑The Atomics: The early days of Scotland's first nuclear families. In: BBC News. 2. November 2022 (bbc.com [abgerufen am 15. August 2023]).
↑A. M. Judd, K. F. Ainsworth: Fast reactors in the U.K. 1946–1996. In: Energy. Band23, Nr.7-8, Juli 1998, S.609–617, doi:10.1016/S0360-5442(97)00072-8 (englisch, elsevier.com [abgerufen am 14. Juli 2023]).
↑S. E. Jensen, P. L. Oelgaard: Description of the prototype fast reactor at Dounreay. 1. Dezember 1995 (englisch, osti.gov [abgerufen am 25. Juni 2023] PDF ist dort verlinkt.).
↑William Macrae: The prototype fast reactor at dounreay. In: Electronics & Power. Band20, Nr.14, 8. August 1974, ISSN2053-7883, S.581–584, doi:10.1049/ep.1974.0435 (englisch, theiet.org [abgerufen am 25. Juni 2023]).
↑Gareth Michael Jones: Introduction. In: The Development of Nuclear Propulsion in the Royal Navy, 1946-1975. Springer International Publishing, Cham 2022, ISBN 978-3-03105128-9, S.1–22, doi:10.1007/978-3-031-05129-6_1 (englisch, springer.com [abgerufen am 25. Juni 2023]).
↑H. G. Sutherland, S. Beckitt, A. B. Potts: Fast reactor fuel reprocessing plant D1206: disassembly cave window 4 replacement. In: Remote techniques for hazardous environments. Thomas Telford Publishing, 1996, ISBN 978-0-7277-5192-8, S.219–226, doi:10.1680/rtfhe.25370.0035 (englisch, icevirtuallibrary.com [abgerufen am 14. Juli 2023]).
↑GEORGIAN NUCLEAR MATERIAL AT DOUNREAY. In: Parliament.uk, House of Commons (Hrsg.): Select Committee on Trade and Industry. Ninth Report, 28. Juli 1998 (parliament.uk [abgerufen am 14. Juli 2023]).
↑R. Bowser, J. Farquhar, R. Currie: The design, construction, commissioning and operation of a plant at Dounreay to dispose of sodium from KNKII. 1. November 1997 (osti.gov [abgerufen am 14. Juli 2023]).
↑St. Galler Tagblatt, 10. Febr. 1998, Artikel „Schnelle Brüter sind derzeit nicht notwendig“
↑J. B. Gunn: A unique journey in preserving nuclear industrial heritage. 6. Juni 2012, S.175–186, doi:10.2495/DSHF120141 (englisch, witpress.com [abgerufen am 25. Juni 2023]).