Kera (Sprache)Das Kera, Selbstbezeichnung kéérá, ist eine in der Region südlich der Stadt Fianga im Südwesten des Tschad gesprochene Sprache. Es gehört zur Familie der Tschadischen Sprachen und dort zur Untergruppe der osttschadischen Sprachen. Die Sprecherzahl wird unterschiedlich angegeben, so als 15.000[1] oder als 50.500[2]. LautsystemKonsonantenDas Kera unterscheidet folgende Konsonanten:
Dazu kommen die Sonoranten r, l, w und y. Der phonemische Status von ʔ ist zweifelhaft. Eine Opposition stimmlos vs. stimmhaft (z. B. t vs. d) besteht vor allem im Wortanlaut. Im Wortinnern findet man kaum Minimalpaare, wohl aber solche zwischen nicht-implosiven und implosiven Konsonanten (z. B. ɗ). Worte enden gewöhnlich auf Vokal, Sonorant oder Nasal. Andere Konsonanten am Wortende findet man nur in Ideophonen (lautmalerischen Wörtern). VokaleDas Kera besitzt sechs Vokale, die sich in einer 2 × 3-Matrix darstellen lassen:
Die Vokale kommen auch lang vor, jedoch nur in offener Silbe. In sehr wenigen Wörtern sind auch nasalierte Vokale belegt. Es besteht eine Tendenz zu einer Form von Vokalharmonie, wonach ein Wort entweder nur offene oder nur geschlossene Vokale enthält. Dies spielt eine besondere Rolle im Verbalsystem, wo typischerweise entweder das Anfügen von Suffixen den Stammvokal verändert oder Suffixe in zwei je nach Stammvokal auszuwählenden Varianten zur Verfügung stehen, so dass die Vokalharmonie erfüllt wird. Die Sprache besitzt jedoch auch eine Reihe von Wörtern, vor allem Substantiven, die sich der Vokalharmonie nicht fügen. Außerdem begegnen einem folgende Vokalregeln an verschiedenen Stellen der Grammatik, worauf unten gegebenenfalls wieder hingewiesen wird:
TonDas Kera ist eine Tonsprache mit drei Registern: hoch (á), mittel (ā), tief (à). In selteneren Fällen kommen auch Bewegungstöne vor: steigend (ǎ), fallend (â). Diese sind in der Regel erkennbar durch den Ausfall eines Vokals entstanden, dessen Ton sich auf die vorangehende Silbe überträgt. Der Ton spielt vor allem zur Unterscheidung grammatischer Formen eine wichtige Rolle. Vorhersagbarkeit des TonsDer Ton ist im Kera bis zu einem gewissen Grad aus den Konsonanten vorhersagbar, jedoch nicht vollständig, so dass die drei Töne als phonemisch angesehen werden müssen. Folgende Tendenzen lassen sich erkennen:
Bei Verben gelten diese Regeln recht strikt. Bei Nomina gibt es zahlreiche Ausnahmen. Wenigstens zum Teil handelt es sich dabei um Lehnwörter aus anderen Sprachen, deren originales Tonmuster beibehalten wurde. Personal- und Possessivpronomen
Für die 1. Person pl. existieren keine Suffixe. In der 3. Person stehen die Varianten tó, tá und té:
SubstantivWenn das Substantiv auf Vokal endet, so fällt dieser Vokal im Kontext ab, also zum Beispiel immer dann, wenn dem Substantiv ein Attribut folgt. Dies gilt aber nicht, wenn dem Vokal eine Konsonantengruppe vorausgeht, weil sonst im Satzzusammenhang eine im Kera unzulässige Abfolge von drei Konsonanten entstehen würde. Genus und NumerusDas Kera besitzt zwei grammatische Geschlechter: Maskulinum und Femininum. Das Geschlecht zeigt sich vor allem in Kongruenzphänomena. In vielen Fällen ist das Geschlecht aber schon der Form des Substantivs anzusehen, denn maskuline Substantiva beginnen oft mit einem Präfix k- (seltener g- oder p-), feminine oft mit einem Präfix t- (seltener d- oder h-). Nur ein Teil der Substantive bildet Pluralformen, die dann immer recht unregelmäßig sind. Sie haben gewöhnlich ein Präfix k-, teilweise auch ein Suffix -w oder inneren Ablaut. Beispiele:
Viele Substantive bilden keine Pluralform: də̀r „Auge, Augen“. Begriffe für Unzählbares werden gewöhnlich als grammatische Plurale behandelt und lauten demgemäß auch häufig mit k- an:
AdjektivAdjektive haben meist differenzierte Formen für Maskulinum, Femininum und Plural, zum Teil mit ähnlichen Präfixen, wie sie für die Substantive beschrieben wurden. Die Formen sind generell recht unregelmäßig. Beispiele:
Einige Adjektive sind aber indeklinabel, z. B. gòdògròy „kurz“. Adjektive stehen hinter ihrem Bezugswort und kongruieren mit ihm:
Bestimmter ArtikelDas Kera besitzt einen bestimmten Artikel, der demjenigen des Deutschen in seiner Verwendung stark ähnelt. Er besteht aus einem Suffix -ŋ (selten und wohl archaisch -ŋa) mit Polarton, d. h. es steht mitteltoniges -ŋ̄ nach vorangehendem Hochton, hochtoniges -ŋ́ nach vorangehendem Tief- oder Mittelton. Nach einem Konsonanten tritt das -ŋ nicht in Erscheinung und nur der Ton bleibt übrig. Beispiele:
Der Artikel steht hinter allen anderen Attributen:
In Genitivverbindungen kann im Gegensatz zum Deutschen nur ein einziger Artikel stehen, nämlich am Ende der Gruppe: hàrgá kə́ hə̀lgə́-ŋ̄ PossessionInalienabelInalienable (unveräußerliche) Possession liegt vor, wenn es sich um den Besitz von Körperteilen, Verwandten und ähnlichem handelt. In diesem Fall tritt das Possessum in eine besondere Form, die man nach Analogie der semitischen Sprachen als status constructus bezeichnen kann. Die Bildung des status constructus ist recht unregelmäßig; meist erfolgt eine Erweiterung am Wortende. Aus Bedeutungsgründen wird aber nur von einer überschaubaren Menge von Substantiven überhaupt ein status constructus gebildet. Auf den status constructus folgt der Possessor entweder in Form eines pronominalen Suffixes (Formen siehe oben im Abschnitt „Personal- und Possessivpronomen“) oder eines gewöhnlichen Substantivs. Eine Kasusmarkierung dieses Substantivs, entsprechend dem deutschen Genitiv, existiert nicht. Die folgende Tabelle gibt einige Beispiele für Substantive in der Grundform und im status constructus mit hùlùḿ „der Mann“ als Possessor:
Manche Substantive, vor allem Verwandtschaftstermini wie z. B. „Bruder“, können überhaupt nur im status constructus, also mit explizitem Possessor, gebraucht werden. Beim Anfügen von Suffixen kommt die Vokalharmonie zum Tragen. Der Vokalwechsel erfolgt entweder im Nominalstamm oder im Suffix. Bei Antritt der Suffixe -i und -u passt sich der Nominalstamm an: So wird ein -a- des Stammes zu -ə-, ein -ə- des Stammes jedoch zu -i-/-u-. Dagegen verändert das Suffix -a der 3. Pers. sg. fem. den Nominalstamm nicht, wird aber seinerseits nach geschlossenem Stammvokal zu -ə. Das Suffix der 1. Pers. sg. und alle Suffixe der 3. Person sind bei den meisten, jedoch nicht allen Substantiven hochtonig und rufen dann zumeist Hochton auf dem kompletten Wort hervor. Da für die 1. Pers. pl. keine Suffixe existieren, tritt hier ersatzweise die gewöhnliche status-constructus-Verbindung mit dem Pronomen der 1. Pers. pl. ein. Als Beispiel das Substantiv cə̄ „Kopf“ mit Suffixen:
Die Verbindungen von status constructus mit pronominalen Suffixen sind nicht immer komplett vorhersagbar. Weitere Beispiele:
AlienabelAlienable Possession wird bei nominalem Possessor durch die Konstruktion Possessum + kə́ + Possessor ausgedrückt:
Für den pronominalen Possessor steht eine spezielle Reihe von Possessivpronomina zur Verfügung (siehe Tabelle oben):
Die Possessivpronomina der 3. Person werden durch -ŋ̄ erweitert, sofern sie mit dem Subjekt referenzidentisch sind:
DemonstrativumDem deutschen Demonstrativpronomen „dieser“ entspricht die Reihe tóŋ (mask.) – táŋ (fem.) – téŋ (pl.). Diese Formen werden dem Substantiv nachgestellt:
VerbGrundformVerben besitzen eine Grundform, die einerseits etwa unserem Infinitiv entspricht, andererseits aber auch als Tempusform fungieren kann. Verben werden in dieser Form zitiert. Das durch die Grundform gebildete Tempus bezeichnet generelle Aussagen ohne genau definierten Zeitbezug. Man kann es teilweise mit dem englischen simple present vergleichen. Die Grundform endet auf -é oder -í. Die Auswahl der Endung richtet sich nach der Vokalharmonie: Man gebraucht -é nach Stammvokal e, a oder o, dagegen -í nach Stammvokal i, ə oder u. Die Endung -é/-í ist inhärent hochtonig. Sie wird aber tieftonig, falls das Verb einen durch seinen Anfangskonsonanten verursachten Tiefton hat und dieser von der Endung nur durch einen einfachen Sonoranten getrennt ist (Beispiel hàmè „essen“). Siehe oben im Abschnitt „Vorhersagbarkeit des Tons“. Die Endung -é/-í fällt im Satzinnern nach einfachem Konsonanten fort:
PräteritumStatt -é/-í steht im Präteritum eine Endung -ŋ, der eine Kopie des Stammvokals des Verbs vorangeht. Auch -ŋ ist inhärent hochtonig, so dass das Präteritum immer dasselbe Tonmuster aufweist wie die Grundform. Verben des Typs félé „finden“ bilden das Präteritum auf -aŋ, weil der Stamm eigentlich *fal- lautet. (In der Grundform findet ein Umlaut *fálé > félé statt.) Bei kurzen Verben, deren Stamm nur aus Konsonant+Vokal besteht, ist der Vokal des Präteritums aus der Grundform nicht vorhersagbar, z. B.:
OptativEinen Optativ bildet man mittels der Endung -la. Dabei erscheint das Verb in seiner reinen Stammform. Die Endung ist vom Verb trennbar und passt sich ihm auch nicht nach den Regeln der Vokalharmonie an. Ein (nominales oder pronominales) Objekt tritt zwischen das Verb und -la. Zum Ton:
Beispiele:
In der 2. Pers. sg. kann der Optativ ohne Subjektspronomen gebraucht werden. Dies entspricht dann unserem Imperativ. Im Plural muss das Pronomen aber stehen:
VerbalnomenDas Verbalnomen, das auch für die Bildung des Progressivs (siehe unten) wichtig ist, stimmt meist mit der Grundform überein, hat also wie dieses eine Endung -é oder -í. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sich die tonsenkende Wirkung eines tieftonigen Stammes nicht auf die Endung des Verbalnomens erstreckt. Beispiele:
Verb mit ObjektssuffixenDas Verb kann mit denselben Personalsuffixen verbunden werden, die auch als Possessivsuffixe fungieren. Beim Verb bezeichnen sie das Objekt. Die Anfügung der Suffixe bringt allerlei Lautveränderungen des Stammes mit sich. Weiter wird das Suffix -ŋ des Präteritums vor Personalsuffix zu -n-. Als Beispiel werden hier die betreffenden Formen des Verbs félé „finden“ in der Grundform und im Präteritum komplett angeführt:
Beobachtungen:
Stammformen ausgewählter VerbenEs werden angeführt: die Grundform, das Präteritum, bei transitiven Verben auch deren Verbindungen mit den Objektsuffixen für „mich“ und „ihn“, das Verbalnomen und der Optativ.
Im Wesentlichen lassen sich alle Formen aus den angegebenen Regeln ableiten, allerdings kann es im Einzelfall zu nicht vorhersagbaren Besonderheiten kommen. So liegt bei Formen wie hàn „mich zu nehmen“ eigentlich ein Langvokal zugrunde (*hàà-), der aber in geschlossener Silbe gekürzt wird. Der Langvokal taucht wieder auf in hààrà „sie(fem.) zu nehmen“, wo außerdem noch ein Übergangslaut -r- zwischen Stamm und der Endung -à erscheint. ProgressivDer Progressiv entspricht etwa dem Englischen present progressive oder past progressive und kann häufig als Übersetzung eines deutschen Präsens fungieren. Die Konstruktion lautet: Subjektspronomen – bə̀ - Verbalnomen – (Objekt) – Lokativendung (zu dieser siehe unten). Sie ist etwa als „er ist etwas am tun“ u. ä. zu verstehen. Die Lokativendung -á geht in einem vorhergehenden Vokal auf und ist nur in bestimmten Fällen nach einem Objekt erkennbar. Beispiele:
FuturEin Futur wird ausgedrückt, indem das Element yāŋ der Grundform nachgestellt wird:
Es existiert eine Reihe weiterer Tempora, die hier nicht behandelt werden. PluralstammEin Teil der Verben bildet einen Pluralstamm. Man gebraucht diesen, wenn eine Handlung mehrfach, von mehreren Subjekten (bei intransitiven Verben) oder an mehreren Objekten (bei transitiven Verben) ausgeführt wird. Im Pluralstamm wird oft ein stimmhafter initialer Konsonant stimmlos, was einen Tonwechsel auslöst, weil die tonsenkende Wirkung des stimmhaften Konsonanten verloren geht:
Einige kurze Verben fügen einen zusätzlichen Konsonanten an:
Beispiel:
Adverbiale AusdrückeLokativDie Sprache verfügt über eine Lokativendung -á, die nur noch eingeschränkt gebräuchlich ist. Die Endung ist grundsätzlich hochtonig. In einigen Fällen, so stets nach dem bestimmten Artikel, wird die Lokativendung mitteltonig. Das a geht in einem vorangehenden Vokal auf, so dass der Lokativ dann nur noch durch den Ton oder eventuell auch gar nicht erkennbar ist. Nur wenige Substantive, sowie auch Ortsnamen können im reinen Lokativ gebraucht werden:
Auch in bestimmten auf -a ausgehenden Adverbialien dürfte die Lokativendung enthalten sein:
Produktiv ist der Lokativ noch in der Konstruktion Körperteil – Possessor – Lokativendung. Wenn der Possessor nominal ist, wird in dieser Konstruktion zusätzlich auch die Körperteilbezeichnung hochtonig. Beispiele:
In vielen Fällen entspricht diese Konstruktion funktional einer deutschen Präpositionalverbindung:
Der Lokativ spielt auch bei der Konstruktion der Progressivform des Verbs eine Rolle (dazu siehe oben). PräpositionenLokale Adverbialien werden normalerweise gebildet, in dem man den Lokativ mit der Präposition ā kombiniert:
Die Präposition gèr (gèrd-) „bei“ wird entweder mit oder ohne Lokativendung gebraucht; in einem Fall ist die Bedeutung lokal, im anderen direktional:
Eine weitere häufige Präposition ist də̀ „mit“. Verbunden mit Pronominalsuffixen entstehen die Formen:
DativDer pronominale Dativ wird durch nahezu dieselben Suffixe am Verb bezeichnet wie das pronominale direkte Objekt, mit der Besonderheit jedoch, dass die dativischen Suffixe keinen inhärenten Hochton besitzen (auch nicht in der 3. Person).
Der nominale Dativ wird hingegen mit der Präposition á gebildet. Anstelle der Objektssuffixe kommt es manchmal auch vor, dass á mit dem selbständigen Personalpronomen kombiniert wird.
āy kúsúk lá á kóóyáŋ̄ SyntaxWortstellungDie normale Wortstellung ist Subjekt – Verb – Objekt. Weder das Subjekt noch das Objekt werden durch einen besonderen Kasus markiert. Das Subjekt wird durch irgendeinen nominalen Ausdruck, z. B. ein Substantiv oder ein selbständiges Pronomen, realisiert. mə̄sár hùmùŋ kə́cə́ŋ nēēté wə́rā Das Verb verliert vor dem Objekt einen auslautenden Vokal, sofern keine Konsonantengruppe vorangeht.
NichtverbalsatzSätze können mit nominalem oder adverbialem Prädikat ohne Kopula gebildet werden:
Wenn das Prädikat aus einem mit-Ausdruck besteht, ergibt sich eine Entsprechung zu unserem Verb „haben“: yē də̀ bèké àblàw NegationMan negiert einen Satz in der Regel durch bà am Ende eines Satzes, der ansonsten normal gebildet wird:
Der Optativ hat allerdings eine spezielle Negation der Form á + Grundform + bà:
Sätze mit nichtverbalem Prädikat (dazu gehört auch die Konstruktion des Progressivs) sind durch pāāpá ... bà zu negieren:
FragesatzFragesätze enthalten grundsätzlich am Satzende das Element mó:
Dies gilt auch für Wortfragen. Bei diesen steht das Fragewort nicht wie im Deutschen zwangsläufig am Satzanfang, sondern an seiner normalen syntaktischen Position: mīntí lə́táŋ nə̄wr-ī mó wə̄ ānē mó ā bə̀ŋ də̀ mīntí mó NebensätzeEine häufige Konjunktion ist míntí „dass“: wə̄ wááté míntí mār-ń ānē mó Wenn míntí eines der Elemente bə̀ (mask.) / də̀ (fem.) / gə̀ (plural) vorangestellt wird, entsteht ein Relativsatz: kō bə̀ míntí yē kééré ádà-ŋ́ WortschatzEinige Elemente aus dem Grundwortschatz:
Literatur
Anmerkungen
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