Zusammensetzung und Regierungspolitik 1970 bis 1980
Dem Kabinett gehörten folgende Minister und Staatssekretäre an:
Erstes Kabinett (6. November 1970 bis 29. Oktober 1971)
Der schlechte Gesundheitszustand und dadurch bedingte lange Auslandsaufenthalte von StaatspräsidentHabib Bourguiba lassen die Nachfolgefrage und die Zukunft des Präsidialsystems zum beherrschenden innenpolitischen Thema werden. Der Reformflügel um den bisherigen Innenminister Ahmed Mestiri setzte sich beim Parteikongress der PSD (11. bis 15. Oktober 1971) mit Vorschlägen zur Reform der Verfassung gegen Bourguiba durch. Bourguiba und Premierminister Hédi Nouira entmachten darauf die Reformer und festigen in den nächsten Jahren ihre Kontrolle über das politische System. 1971 endete der 1962 begonnene Zehn-Jahres-Perspektivplan, der einen eigenen „tunesischen Weg zum Sozialismus“ mit umfassenden Strukturreformen und „autonomer Entwicklung“ durch ein integriertes System von privaten, genossenschaftlichen und staatlichen Unternehmen bestimmte. Kernstück war die Agrarreform, die eine Angleichung der Eigentumsverhältnisse, kooperative Bewirtschaftung und Erziehung zu neuem Bewusstsein vorsah. Durch den Plan ließen umfangreiche staatliche Investitionen in der Industrie die Produktion in den Jahren von 1962 bis 1971 um 106 Prozent steigen und zwar vor allem im Phosohatbergbau und der Erdölgewinnung sowie in der verarbeitenden Industrie wie Textilien, Baumaterialien und Phosphate. Im Export verdrängen in der Folgezeit Erdöl, Phosphate und Textilien die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Olivenöl von der Spitze. Wichtige Devisenbringer sind der Tourismus sowie die Überweisungen tunesischer Erwerbstätiger vor allem aus der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich sowie dem Nachbarland Libyen.[1]
Das Kabinett wurde mehrfach auf einzelnen Positionen umgebildet, und zwar am 24. Juni 1971, 4. September 1971 sowie 23. Oktober 1971. Das Kabinett trat geschlossen am 29. Oktober 1971 zurück, sodass Premierminister Nouira am 29. Oktober 1971 ein neues Kabinett bildete.
Zweites Kabinett (29. Oktober 1971 bis 5. November 1974)
Auf dem Parteikongress der PSD (12. bis 15. September 1974) in Monastir wurde Habib Bourguiba zum Parteivorsitzenden auf Lebenszeit gewählt. Ferner werden seine politischen Vorstellungen von den Delegierten gebilligt.[2]
Das Kabinett wurde mehrfach auf einzelnen Positionen umgebildet, und zwar am 22. März 1972, 9. August 1972, 17. März 1973, 5. Juni 1973, 4. September 1973, 5. November 1973, 28. November 1973, 14. Januar 1974, 7. März 1974 und 25. September 1974. Das Kabinett trat nach der Wahl der Nationalversammlung am 3. November 1974 geschlossen am 5. September 1974 zurück, sodass Premierminister Nouira am 29. Oktober 1971 ein neues Kabinett bildete.
Drittes Kabinett (5. November 1974 bis 27. Dezember 1977)
Nach den Wiederwahl Bourguibas zum Staatspräsidenten und der Wahl der Nationalversammlung am 3. November 1974 wurde die Verfassung geändert. Die Änderungen sahen vor, dass der Premierminister designierter Nachfolger des Staatspräsidenten ist und die Nationalversammlung einen Präsidenten auf Lebenszeit wählen kann.
Das Kabinett wurde am 5. November 1974 gebildet und mehrfach auf einzelnen Positionen umgebildet, und zwar am 31. Mai 1976, 21. Juli 1976 sowie am 9. Dezember 1976.
Am 19. März 1975 wurde Habib Bourguiba von der Nationalversammlung zum Präsidenten auf Lebens gewählt. Durch erneute Verfassungsänderungen im Dezember 1975 werden die Rechte des Staatspräsidenten noch einmal erweitert. Das Regime fährt anschließend einen scharfen innenpolitischen Kurs gegen Oppositionelle, vor allem Lehrer und Studenten, worauf es mehrere Hundert politische Festnahmen gibt. In den Jahren 1976 und 1977 modernisiert und vergrößert Tunesien mit Unterstützung der USA durch Waffenlieferungen und Frankreich durch Rüstungsgüter und Ausbildungsbeihilfe seine Streitkräfte. Am 10. Juni 1977 wollen Tunesien und Libyen ihren Streit über die Abgrenzung des gemeinsamen Festlandsockels, unter dem reiche Ölreserven vermutet werden, dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zum Schiedsspruch vorlegen, der am 1. Dezember 1978 erfolgte. Damit entspannte sich das seit Jahren gestörte Verhältnis zu Libyen, nachdem Tunesien die am 12. Januar 1974 beschlossene Union mit Libyen nach drei Tagen praktisch widerrufen hatte. Im Oktober 1977 beschlossen beide Staaten wieder eine engere Zusammenarbeit.[3]
Nach einer offenen Regierungskrise, die zur Entlassung von Innenminister Tahar Belkhodja, zur Ablösung des Generaldirektors für nationale Sicherheit Abdelmajid Bouslama durch Zine el-Abidine Ben Ali sowie am 24. und 26. Dezember 1977 zum Rücktritt von sechs weiteren Kabinettsmitgliedern führte, trat das Kabinett geschlossen zurück, sodass Premierminister Nouira am 27. Dezember 1977 ein neues Kabinett bildete.
Viertes Kabinett (27. November 1977 bis 23. April 1980)
Das Kabinett wurde nach einer offenen Regierungskrise am 27. Dezember 1977 gebildet und mehrfach auf einzelnen Positionen umgebildet, und zwar am 13. September 1978, 20. September 1978 und 12. September 1978.
Am 26. Januar 1978 rief der Gewerkschaftsverband UGTT (Union Générale Tunisienne du Travail) zum Generalstreik auf. Daraufhin kam es in mehreren Städten zu Demonstrationen und blutigen Zusammenstößen, woraufhin der Ausnahmezustand bis zum 25. Februar 1978 erklärt wurde. In den Monaten Juli bis Oktober 1978 werden gegen über 200 Gewerkschaftsfunktionäre Prozesse angestrengt.
Soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Stagnation, Inflation und Massenarbeitslosigkeit, aber auch eine schwache Regierungsführung ließen die organisierte Opposition stark anwachsen, die wiederum soziale Sicherheit, bürgerliche Freiheitsrechte, vor allem Pressefreiheit und die Zulassung von Oppositionsparteien fordert. Die gewerkschaftliche Opposition agierte zum Teil vom Ausland aus, da zum Beispiel der frühere langjährige Minister und UGTT-Führer Ahmed Ben Salah 1973 nach Algerien geflohen war.[4]
Nach der Wahl der Nationalversammlung am 4. November 1979 kam es am 7. November 1979 zu einer umfangreichen Kabinettsumbildung, die acht Minister und drei Staatssekretäre umfasste. Dabei kehrte unter anderem Sozialminister Mohamed Ennaceur in die Regierung zurück, der am 26. Dezember 1977 zurückgetreten war.
Die Berufung von Mohamed Mzali zum Koordinator für Regierungshandlungen aufgrund der Erkrankung von Premierminister Hédi Nouira am 1. März 1980 führte auch zur Rückkehr von Driss Guiga ins Kabinett, in dem er Innenminister wurde. Am 15. April 1980 kam es zu einer neuerlichen kleinen Kabinettsumbildung.
Am 23. April 1980 löste Mohamed Mzali schließlich Hédi Nouira nach fast zehnjähriger Amtszeit als Premierminister ab.
↑Der Große Ploetz. Die Enzyklopädie der Weltgeschichte, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 35. Auflage, 2008, S. 1897, ISBN 978-3-525-32008-2
↑Der Große Ploetz. Die Enzyklopädie der Weltgeschichte, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 35. Auflage, 2008, S. 1897 f., ISBN 978-3-525-32008-2
↑Der Große Ploetz. Die Enzyklopädie der Weltgeschichte, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 35. Auflage, 2008, S. 1898, ISBN 978-3-525-32008-2
↑Der Große Ploetz. Die Enzyklopädie der Weltgeschichte, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 35. Auflage, 2008, S. 1898, ISBN 978-3-525-32008-2
↑Mohamed Mzali wurde aufgrund der Erkrankung von Premierminister Hédi Nouira am 1. März 1980 Koordinator für Regierungshandlung und damit de facto kommissarischer Premierminister.