KZ-Außenlager UrbèsDas KZ-Außenlager Urbès – nach der Nachbargemeinde Wesserling häufig auch als Außenkommando Wesserling-Urhès (oder Urbis) bezeichnet[1] – war ein im März 1944 eröffnetes Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof. Es bestand aus einem Lager für die zur Zwangsarbeit gezwungenen KZ-Häftlinge und einer unterirdischen Produktionsstätte (Deckname Kranich) für Flugzeugmotoren im unvollendet gebliebenen Eisenbahntunnel von Urbès. Lager und Produktionsstätte wurden im Oktober/November 1944 wegen des alliierten Vormarsches aufgegeben. Das Außenlager Urbès im Kontext der RüstungsindustrieNach Robert Steegmann wies das KZ Natzweiler im August 1944 den höchsten Häftlingsbestand im Laufe seiner Geschichte auf, „was mit der neuen Rolle der Konzentrationslager bei der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft im Rahmen des totalen Krieges zusammenhing“. Ein wichtiger Baustein in diesem System „der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft“ war die Gründung von Außenlagern, in denen vorrangig für die Rüstungsindustrie gearbeitet werden musste. Diese Außenlager unterstanden zwar dem Stammlager Natzweiler-Struthof, doch ab 1944 wurden die meisten Häftlinge direkt in die Außenkommandos verbracht. In Kontakt zum Stammlager kamen sie allenfalls im Falle einer Überstellung in das dortige Krankenrevier.[2]:S. 68 Das Außenlager Urbès entstand Mitte März 1944 in dem zuvor skizzierten Kontext. Seine Notwendigkeit aus der Sicht des NS-Regimes und der Rüstungsindustrie ergab sich aus den Folgen der Big Week, in der die Alliierten Luftstreitkräfte zwischen dem 20. und dem 25. Februar 1944 verheerende Angriffe auf die deutsche Rüstungsindustrie geflogen hatten. Um diese Schäden zu kompensieren, gründeten Albert Speer, Erhard Milch und Hermann Göring einen neuen Führungsstab, der insbesondere die Produktion von Jagdflugzeugen wieder in Gang bringen sollte.[3]:S. 32 Eine der zu ergreifenden Maßnahmen bestand darin, für die Rüstungsproduktion vorhandene Untertageanlagen (Bergwerke, Tunnel, Steinbrüche) ausfindig zu machen, in die gefährdete Produktionsstätten im Rahmen der U-Verlagerung verlegt werden konnten. Zum Ausbau dieser Produktionsstätten und deren anschließenden Betrieb sollten KZ-Häftlinge herangezogen werden. Unter der Leitung des hochrangigen SS-Offiziers Hans Kammler wurden ab Mitte März 1944 20 Projekte in Angriff genommen, davon 10 mit höchster Priorität. Eines dieser 10 A-Projekte, das Projekt A 10 (codename Kranich), war der Tunnel bei Urbès.[3]:S. 32 Der nie fertiggestellte Eisenbahntunnel von Urbès sollte Produktionsstandort für eine unterirdische Flugmotorenfabrikation für den Motorentyp Daimler-Benz DB 605 werden, mit dem vor allem Jagdflugzeuge des Typs Messerschmitt Bf 109 ausgestattet waren. Urbès sollte „als Standort der Daimler-Benz-Niederlassungen in Colmar, Reichshof (Flugmotoren-Werke)[4] und Sindelfingen dienen […]. Ziel war es, die über ganz Deutschland verstreuten Produktionsstätten von Daimler-Benz in Urbis zu konzentrieren.“[2]:S. 296 Die kurze Existenz des Außenlagers UrbèsWie oben schon erwähnt, umfasste der Komplex des Außenlagers Urbès das Lager für die Häftlinge und den Stollen des Eisenbahntunnels als geplantem Produktionsstandort. Ernest Gillen, ein ehemaliger Deportierter aus Luxemburg, hat das in einer Lagerskizze noch etwas differenzierter dargestellt. Nach ihm befand sich das Hauptlager einschließlich der vorgelagerten Unterkünfte für die SS dort, wo sich heute der Campingplatz befindet. Dieses Gelände war auch der Standort der Arbeiterunterkünfte während der Tunnelbauarbeiten in der ersten Hälfte der 1930er Jahre. (Lage) Innerhalb dieses Lagerkomplexes enthält Gillens Skizze noch einen separaten Bereich, den er als „Camp des Italiens“ bezeichnete, und darüber hinaus zeichnete er einen weiteren Lagerbereich direkt neben dem Tunneleingang ein, etwa 700 Meter bergauf. Nach ihm war dies das „Camp des ‚Ostarbeiter‘“.[5] (Lage) Huth bestätigt dies, indem er daraufhinweist, dass die „Daimler-Benz Juden“ „nach ihrem Eintreffen vom übrigen Lager abgesondert worden [seien], damit sie nicht mit den anderen Gefangenen in Kontakt kämen“.[3]:S. 34 Ab dem 25. März 1944 trafen die zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen in Urbès ein – durchweg aus anderen Konzentrationslagern.
Zu den Häftlingen aus Lublin-Majdanek gehörte Zacheusz Pawlak, von dem es eine Erinnerung an die Ankunft in Wesserling und dann in Urbès gibt.
– Zacheusz Pawlak: Commune d'Urbès: Das Auβenlager von Urbis: Flucht von 2 russischen Häftlingen, pdf-S. 7 f. Pawlaks letzter Satz verweist auf die unterschiedlichen Kategorien von Menschen, die sich in diesem Außenlager aufhielten.
Sie alle unterstanden einem Führungsstab des Außenlagers, der aus einem Leiter und seinem für die Bauplanung verantwortlichen Stellvertreter bestand, sowie einem Kommandoführer für den Einsatz der KZ-Häftlinge und einem Wachkommandoführer und weiteren Personen für spezielle Aufgaben. Die Bauleitung wurde zusammen mit den Beauftragten der zu verlagernden Rüstungsfirma ausgeübt, in dem Fall den Vertretern von Mercedes-Benz.[3]:S. 33 In Urbès war der SS-Hauptsturmführer Josef Janisch der Projektleiter, während das Häftlingslager unter Leitung von SS-Hauptsturmführer Arnold Brendler stand.[10] Das Lager- und Wachpersonal, das in Privatunterkünften und in einem Hotel untergebracht war, bestand anfangs aus etwa 30 Personen und wuchs schließlich auf 120 Personen an. Es bestand aus SS-Leuten sowie Offizieren und Soldaten der Luftwaffe.[9] Die Lebensverhältnisse waren für die Häftlinge sowohl im Lager als auch an den Arbeitsstätten katastrophal. In den Baracken schliefen 120 bis 150 Menschen in einem engen Raum auf dem Boden und hatten nur etwas Stroh als Unterlage. Die Nahrung war sehr schlecht und ungenügend.[11] Und über die Arbeitsbedingungen berichtete ein Häftling:
– Commune d'Urbès: Der Tunnel von Urbis: Ort des kollektiven Gedenkens…[11] Unter diesen Umständen waren Krankheiten und Unfälle nahezu unausweichlich. Doch anfangs verfügte das Lager über keine eigene Krankenstation, weshalb bis Ende Juli 1944 Kranke in das Stammlager Natzweiler überstellt wurden. Seit dem 22. Mai 1944 befand sich allerdings der irakische Häftling Aschur Barhard, ein Mediziner, der von den Nazis als französischer politischer Schutzhäftling betrachtet wurde, im Lager und hatte die Aufgabe, kranke Häftlinge zu pflegen.[3]:S. 34[12] Während Steegmann die in Urbès herrschenden extremen Bedingungen dafür verantwortlich macht, dass mehr als 100 der hier arbeitenden Häftlinge an den Folgen von Verschleppung und Zwangsarbeit.starben[2]:S. 296 f., ist auf der Webseite Gedenkorte Europa von 51 Menschen die Rede, die im Außenlager Urbès zu Tode gekommen seien.[13] Bei Huth heißt es gar, dass es im Lager nur vereinzelte Todesfälle gegeben habe[14], von denen einige auch im Zusammenhang mit gescheiterten Fluchtversuchen standen. Aufgegriffene Häftlinge seien erhängt worden.[3]:S. 34 Gegen Josef Janisch und Arnold Brendler wurden nach dem Krieg wegen derartiger Erhängungen Strafverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart stellte die Verfahren am 22. Februar 1971 endgültig ein[15]:
Unter Berufung auf Steegmann und Wehrbach geht die AFMD 68 davon aus, dass die Gesamtzahl der in Urbès eingesetzten Häftlinge und Deportierten bei über 2.100 Personen lag, darunter 1.100 Russen, 300 Polen, 40 Deutsche, Luxemburger, Jugoslawen, Franzosen und 200 italienische Kriegsgefangene sowie die 465 „Daimler-Benz Juden“, von denen 11 aus Deutschland stammten, 9 aus der UdSSR, 1 aus Tschechien und 444 aus Polen.[16] Die Zahl der tatsächlich gemeinsam im Außenlager anwesenden Häftlinge unterlag großen Schwankungen, da ständig Verlegungen zwischen verschiedenen Lagern und dem Stammlager Natzweiler-Struthof stattfanden.[9] Produktionsbeginn und LagerendeMit dem Fortgang der Bauarbeiten im Stollen und vermutlich auch aufgrund der näherrückenden Frontlinien verringerte sich ab Juni 1944 die Zahl der Häftlinge. Es gab Überstellungen an das benachbarte Lager in Markirch und vor allem ins KZ Neckarelz, das ebenfalls als Außenstelle von Natzweiler-Struthof Produktionsstätten für die Mercedes-Flugzeugmotoren betrieb. Ein Zug, mit dem am 9. August 1944 300 Häftlinge aus Urbès nach Neckarelz transportiert werden sollten, geriet bei Karlsruhe in einen Fliegerangriff. Es gab mehr als 100 Tote.[3]:S. 34 Zu diesem Zeitpunkt war in Urbès die Motorenproduktion überhaupt noch nicht angelaufen. Diese begann erst nach dem Eintreffen der 465 „Daimler-Benz Juden“ am 25. August 1944, die über mehrere Zwischenstationen (unter anderem im KZ Flossenbürg) zusammen mit den notwendigen Maschinen in Wesserling eintrafen.[3]:S. 34 Ein genaues Datum, ab wann tatsächlich Motoren produziert wurden, ist nicht überliefert.
– Arno Huth: Das doppelte Ende des „K.L. Natzweiler“ auf beiden Seiten des Rheins, S. 34 Abweichend davon ist bei Steegmann zu lesen, dass unter anderem auch die Maschinen aus Urbès in den Lämmerbuckeltunnel bei Wiesensteig südlich von Göppingen gebracht worden seien. Über einen eventuellen Einsatz von Natzweiler-Häftlingen dort gäbe es aber keine Hinweise.[2]:S. 297 Ironie der Geschichte: Der einzige Zug, der den Bahnhof Wesserling mit im KZ-Außenlager Urbès produzierten Flugzeugmotoren verließ, kam nie an: er entgleiste bei Thann.[8] Gedenkort TunnelDie Geschichte des Tunnels von Urbès einschließlich seiner Zeit als KZ-Außenlager in Verbindung mit einer Produktionsstätte für Rüstungsgüter ist heute umfassend erforscht und dokumentiert. Der eigentliche Tunnel ist nicht zugänglich, lediglich der von den Zwangsarbeitern errichtete mächtige Bunkervorbau. Dieser enthält die Geschichte des Tunnels aufgreifende Kunstwerke, die von 2013 bis 2015 von Schülern des Lycée Gustave Eiffel in Cernay im Rahmen eines pädagogischen Projekts gestaltet wurden. Zu der 2016 erweiterten Gedenkstätte führt vom Kirchplatz in Urbès aus ein von Infotafeln begleiteter Pfad der Erinnerungen.[17] Vor dem Tunnelportal erzählen weitere 10 Informationstafeln die Geschichte des Lagers und der Menschen, die so hart arbeiten mussten.[18] Literatur
WeblinksCommons: Tunnel d'Urbès – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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