Julius BrumsackJulius Brumsack (* 19. Januar 1915 in Beverstedt; † 22. Oktober 2011 in Oldenburg (Oldenburg)) war Kaufmann in Beverstedt und Überlebender des Holocaust. Er kam 1948 nach Beverstedt zurück und eröffnete ein Textilgeschäft. Kindheit in BeverstedtIn seinem Nachlass[1] schildert Brumsack die Kindheit in Beverstedt als unbeschwerte Zeit. Die Familien[2] waren Mitglied der jüdischen Gemeinde Osterholz-Scharmbeck, trafen sich oft im Familienkreise am Sabbat. 1927 feierten die Kinder Annelise, Hans Leo und Julius die Bar Mitzwa. Die Männer waren Mitglied im Schützenverein und in der Feuerwehr. Die Frauen nahmen an Wohltätigkeitsveranstaltungen und Kaffeekränzchen teil und gehörten zum Frauenverein. Mit zehn Jahren wechselten Julius und seine Geschwister von der Volksschule zur privaten Mittelschule in Beverstedt. Dort lernte Julius Englisch. Bei seiner späteren Flucht nach Großbritannien kam ihm das zugute, wie auch seine Leidenschaft fürs Briefmarkensammeln. Jugend und Ausbildung in SehndeAls Julius und sein Cousin Hans Leo 14 Jahre alt waren, begannen sie eine kaufmännische Lehre bei Verwandten in Sehnde.[3][4]
– E. Brumsack: „Er kam zurück...“, siehe Literatur, S. 184 Die Machtergreifung Hitlers wirkte sich zunächst im Alltagsleben der Familien nicht so stark aus. Man gab sich dem Trugschluss hin: Wir sind doch nicht gemeint! Wir sind doch treue Deutsche! (E. Brumsack, siehe Literatur, S. 184) Nach einer Reise nach Jugoslawien nahm man Julius Brumsack seine Kamera ab, verdächtigte ihn der Spionage und Postbeamte, mit denen er durch Briefmarkensammeln verbunden war, ließen ihn wissen, dass er von der Gestapo überwacht und seine Post kontrolliert würde. Auf offener Straße wurde er von einem SS-Mann verprügelt, weil er „Kontakte zu einem arischen Mädchen pflegte“. (E. Brumsack, siehe Literatur, S. 185)
– Julius Brumsack: E. Brumsack, „Er kam zurück...“, siehe Literatur, S. 185 Julius Brumsack erlebte die Pogromnacht 1938 in Hannover, entging aber durch einen glücklichen Umstand der Verhaftung. Sein Cousin Hans Leo wurde verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Jetzt war Julius Brumsack klar, dass er Deutschland verlassen musste. Aber wohin sollte er gehen? Diskriminierung und Verfolgung in BeverstedtAm 1. April 1933 wurde reichsweit ein Judenboykott ausgerufen. Er richtete sich gegen jüdische Geschäfte, Warenhäuser, Banken, Arztpraxen, Rechtsanwalts- und Notarkanzleien. In Beverstedt ließen sich nicht alle Einwohner von den SA- und SS-Männern vor den Geschäften vom Einkauf abhalten. Viele kauften in der Schlachterei Brumsack nach Ladenschluss durch den Hintereingang und wenn es dunkel war. Viele Bauern wollten auch aufgrund ihrer guten Erfahrungen die Geschäfte zu den jüdischen Viehhändlern beibehalten.
– Gestapo Wesermünde 1935: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 188 Der deutsche Konkurrent, das war Friedrich Teschen – NSDAP-Mitglied, Viehagent bei der Viehverteilungsstelle in Wesermünde und Kreisamtsleiter der NSV in Beverstedt. Am 8. August 1935 erließ der Landesbauernführer der Landesbauernschaft Hannover eine Anordnung.
– Landesbauernführer in Hannover: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 189 Bereits eine Woche später kündigte die Spar- und Darlehnskasse Meyerhof-Beverstedt einen Kredit von 7.000 Reichsmark.[6] Am 8. September 1935 bat Siegmund Brumsack das Finanzamt Wesermünde um Stundung der Einkommens- und Umsatzsteuer für August.[7] Anfang 1939 musste das von Siegmund, Elise, Annelise und Hans Leo Brumsack bewohnte Haus in der Poststraße an die Familie Busch verkauft werden. Beide Familien lebten danach in dem Haus von Emma, Grete und Julius Brumsack in der Meyerhofstraße. Von dem Erlös von 9.100 RM, der von der NSDAP festgelegt worden war, wurden die Restverbindlichkeit gegenüber der Spar- und Darlehnskasse und die Judenvermögensabgabe beglichen, so dass nichts übrig blieb. Der Schlachterei- und Viehhandelsbetrieb, der die Existenzgrundlage für alle Familienmitglieder gewesen war, musste 1937 eingestellt und an einen "arischen" Schlachter verpachtet werden. Die Brumsacks arbeiteten als Tiefbauarbeiter in Bremerhaven und in einer Sackfabrik in Hahnenknoop (heute Loxstedt). Siegmund Brumsack wurde aus dem Schützenverein ausgeschlossen. Der Name „Markus Brumsack“ wurde aus dem Gefallenenehrenmal des Ersten Weltkriegs herausgemeißelt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf Betreiben seines Sohnes Julius wieder hinzugefügt. Flucht nach GroßbritannienAm 28. April 1939 verließ Julius Brumsack Deutschland. Er hatte im Februar die Einreiseerlaubnis nach England bekommen.[8] Ende 1939 erhielt er vom Jewish Aid Committee die dringende Empfehlung, sich als jüdischer Flüchtling für den Kampf gegen Hitler-Deutschland zu melden. So würde er der Verhaftung als „Enemy Alien“ und dem Internierungslager entgehen.
– Julius Brumsack: Aufzeichnungen aus dem Nachlass, siehe: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 195 In einer Brigade jüdischer Flüchtlinge ging es 1940 mit den British Expeditionary Forces (BEF) nach Frankreich; Anfang Juni 1940 wurde er aus dem Kessel von Dünkirchen evakuiert. Er musste sich einen neuen Namen zulegen, um bei einer möglichen Gefangennahme nicht als Verräter zu gelten. Die Initialen JB sollten beibehalten werden – er nahm den Namen Jeffrey Barclay an. 1944 kam er im Laufe der Invasion erneut als britischer Soldat über den Kanal nach Frankreich. In Brüssel erlebte er die Kapitulation Deutschlands.
– Julius Brumsack: Aufzeichnungen aus dem Nachlass, siehe: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 197 An verschiedenen Orten u. a. in Osterholz-Scharmbeck und Stade, nahm er als Dolmetscher an Verhandlungen gegen NS-Leute und an Entnazifizierungsverfahren teil. Rückkehr nach Beverstedt und Aufklärung des Schicksals seiner FamilieMehrere Male suchte er von Bielefeld aus das Haus Schragenheim in Sehnde auf, um etwas über das Schicksal seiner Angehörigen zu erfahren. Von Stade unternahm er mit einem Leichtmotorrad die erste Fahrt nach Beverstedt.
– Julius Brumsack: Aufzeichnungen aus dem Nachlass, siehe: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 199 Gleich nach Kriegsende schrieb Brumsack aus Bielefeld unter dem Pseudonym Joseph Braun an die Gemeinde Beverstedt, um etwas über das Schicksal der Familie Brumsack zu erfahren. Er erhielt keine wirkliche Auskunft.[9] Ende August 1948 verließ Brumsack England endgültig. Im November heiratete er seine Freundin Emmi Barg, 1950 wurde sein Sohn Hans-Jürgen und 1955 die Tochter Sabina geboren. In einem Briefwechsel mit der Israelitischen Gemeinde in Hannover beklagte Julius Brumsack die „mangelnde Auskunftsbereitschaft der Beverstedter Bevölkerung“.[10] Es gelang aber, die Geschehnisse um seine Familie weitgehend zu rekonstruieren. Der Polizeimeister Toskowski beschrieb die Deportierung der Familienmitglieder nach Bremen, die Plombierung des Besitzes bis zur Versteigerung durch den Auktionator Heinrich Jäger am 8. Dezember 1941 und am 7. April 1942. Der leugnete später die Existenz von Versteigerungslisten. Unter Schwierigkeiten bekam Brumsack sie aber doch. In der Schulchronik des Volksschullehrers Ludwig Behrens fand sich die Eintragung: „Beverstedt seit dem 17.11.1941 judenfrei.“ Die Spuren der Angehörigen von Julius Brumsack enden am 18. November 1941 in Bremen. Sämtliche Familienmitglieder aus Beverstedt und Sehnde (darunter seine Mutter, Schwester, sein Cousin sowie Onkel und Tanten) wurden von den Nazis ermordet. Einzig seine Cousine Annelise konnte sich mit Julius Hilfe noch nach England retten (siehe E. Brumsack, siehe Literatur, S. 206f). Neuanfang aus dem Nichts in Beverstedt
– Elfriede Brumsack: Er kam zurück, siehe Literatur, S. 208 Anwälte versuchten im Auftrag der Beverstedter Nutznießer des Brumsackschen Familien-Eigentums mit allen Mitteln, die Zwangsverkäufe in der Nazi-Zeit als freiwillig zu deklarieren. Es wurde auch versucht, die Maßnahme als Folge der zurückgehenden Umsätze darzustellen, so dass der Verkauf nötig war, um Darlehensschulden zu begleichen.
– Julius Brumsack am 28. Juni 1948 in einem Brief an den Landrat: Elfriede Brumsack, siehe Literatur, S. 209 Bei seiner Rückkehr nach Beverstedt und Sehnde stieß Julius Brumsack zunächst auf eine Mauer des Schweigens und Leugnens. Erst Anfang 1951 erhielt Brumsack das elterliche Anwesen zurück. Zum Beispiel musste er absurderweise in einem zweijährigen Verfahren gerichtlich durchsetzen, den Schaden für Fahrrad und Radio ersetzt zu bekommen – über den Wert der Sachen wurden Zeugen gehört, die über Marke, Alter und Beschaffenheit Auskunft geben sollten. Der Anspruch auf Ersatz des Versteigerungserlöses für 385 im Dezember 1941 versteigerte Gegenstände wurde vom Wiedergutmachungsamt abgelehnt. Brumsack wurde auch zum Vorwurf gemacht, „er habe nicht für Deutschland gekämpft, sondern die Zeit des Krieges im Ausland verbracht“. (E. Brumsack, siehe Literatur, S. 210) Für die Anerkennung als „rassisch Verfolgter“ sollte Brumsack 1949 beim Kreisarzt untersucht werden. Zwei Jahre nach der Antragsstellung ging es plötzlich auch ohne dieses Attest.
– Der Regierungspräsident in Stade: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 212 Julius Brumsack hat man öfters die Frage gestellt, warum er nach Deutschland zurückgekehrt sei. In seinen Aufzeichnungen hat er die Antwort aufgeschrieben:
– Julius Brumsack: E. Brumsack, siehe Literatur, S. 213 Brumsack wurde in Beverstedt ein erfolgreicher Geschäftsmann mit einem Textilgeschäft in der Meyerhofstr. 12. Seine Ehefrau Emmi verstarb 1979 bei einem Autounfall. Er selbst verbrachte die letzten Lebensjahre bis zum Tod in einem Pflegeheim in Oldenburg in der Nähe seines Sohnes und seiner Schwiegertochter. Auf dem jüdischen Friedhof in Beverstedt wurde er nach jüdischem Ritus bestattet. Gedenken in Sehnde
– Rahel Bruns: Rede der Künstlerin bei der Enthüllung und feierlichen Einweihung der Gedenktafel für die Jüdinnen und Juden vor dem Ratssaal in Sehnde[13] Rahel Bruns[14] ist von der Gruppe „Stolpersteine in Sehnde“ gebeten worden, eine Gedenktafel zu erstellen. Sie berichtet bei der Einweihung über die Technik der Entstehung dieser Platte.[15] Auf ihr sind alle namentlich bekannten Juden aus Sehnde verzeichnet. Zuvor waren Stolpersteine in Sehnde und Ilten verlegt worden – aber nicht für alle.[16] Hans-Jürgen Brumsack, der Sohn von Julius Brumsack, berichtete auf der Einweihungsfeier über das Leben seines Vaters und urteilte, dass es der Stadt Sehnde gelungen sei, „dieses dunkle Kapitel nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen und den ermordeten jüdischen Mitbürgern endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“.[17]
– Rahel Bruns am Ende der Einweihung der Gedenktafel über die Leistung der Kunst: Rede von Rahel Bruns am 9. November 2014 Gedenken in BeverstedtIn Beverstedt wurden am 13. Juni 2016 neun Stolpersteine an den vormaligen Häusern der Familien Brumsack verlegt.[18] An der Meyerhofstraße 12 (früher Haus-Nr. 2) wurden Steine für Julius, Grete und Emma Brumsack in den Fußweg eingefügt. Während Grete und Emma Brumsack nach Minsk deportiert und ermordet wurden, konnte Julius Brumsack früh genug nach England fliehen, überleben und nach dem Krieg an dieser Stelle ein Textilgeschäft aufbauen.
– Hans-Jürgen Brumsack: Rede zur Verlegung der Stolpersteine für Vater, Großmutter und Tante vor dem Haus Meyerhofstr. 12 in Beverstedt[19] An der Poststraße 11 (früher Haus Nr. 21), am einstigen Geschäftshaus der Schlachter und Viehhändler „Gebrüder Brumsack“ (Siegmund und Markus [nach dem Tod im ersten Weltkrieg: seiner Witwe Emma] Brumsack) wurden Stolpersteine für Arnold, Siegmund, Elise, Rosa, Annelise und Hans Leo Brumsack verlegt. Das Haus musste 1939 verkauft werden. Danach lebten beide Familien Brumsack im Haus in der Meyerhofstraße. Literatur
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