Heunisch war in Mitteleuropa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die wichtigste Weißweinsorte. Besonders zeichnete sie sich durch hohen Ertrag und späten Austrieb aus. Damit war sie ertragssicher in Jahren mit Spätfrösten. Diese Sortenmerkmale waren im Mittelalter wichtige Eigenschaften. Der Wein ist dünn, extraktarm und säurereich.
Genanalysen ergaben, dass 119 der heute bekannten Rebsorten nachweislich vom Heunisch abstammen. Durch natürliche Kreuzung mit Burgunder oder Vitis vinifera subsp. silvestris sind zum Beispiel die Sorten Chardonnay und Riesling entstanden.[1][2]
Heunisch ist mit dem Traminer eine der Stammsorten vieler europäischen Rebsorten.
Es handelt sich um eine sehr alte Rebsorte, deren Herkunft und Wanderung nur auf Vermutungen beruhen. Gut gesichert scheint die Wanderung von Ost nach West, weil die Sorte auch an der Entstehung ungarischer Sorten, wie zum Beispiel Furmint, beteiligt war. Die späte Reife und die Winterfrostempfindlichkeit legen seine Urheimat in südlichere Gebiete.[3] Drei Einwanderungshypothesen werden häufig genannt. Die Art und Weise und wann die Einwanderung passierte, ist ungewiss und wird auf Grund fehlender Datenlage wohl kaum geklärt werden können. Als Migrationswege sind denkbar:
von Osten nach Westen unter Attila († 453) durch die Hunnen, die die germanischen Stämme unterwarfen;
mit den Ungarn/Magyaren 905 oder 922;
mit süddeutschen Siedlern, die im 9. bzw. 11. Jahrhundert nach Siebenbürgen und Ungarn ausgewandert sind und Reiser in ihre Heimat schickten.
Anzunehmen ist auch, dass die Sorte eher in Friedenszeiten nach Mitteleuropa gebracht wurde, da nur in diesen Zeiten die Kultur und Pflege in Weingärten möglich war.
Von Süddeutschland ausgehend verbreitete sich die Sorte wahrscheinlich nach Frankreich und die Schweiz.
Huntscher und frentscher Wein
Im Hoch- und Spätmittelalter unterschied man in den deutschen Anbaugebieten zwischen huntschen oder hunnischen (Pannonien) und frentschen oder fränkischen Reben.[4] Der Name Heunisch wird oft mit der Bezeichnung „hunnisch“, „huntsch“ oder „hünsch“ in Verbindung gebracht. Zunächst wurde „hunnisch“ oder „heunisch“ von den Hunnen hergeleitet. Gemeint ist jedoch nicht das Reitervolk der Völkerwanderungszeit, sondern das Volk der Ungarn und ihr Siedlungsgebiet in der pannonischen Ebene, dessen Ausdehnung im Mittelalter wesentlich größer war als der heutige Staat Ungarn. Philip Jacob Sachs schreibt 1661 in seiner Ampelographie: Heunisch sei zu Beginn des 10. Jahrhunderts von den Hunnen oder den Ungarn während ihrer Raubzüge nach Deutschland gebracht worden.[5] Im isidorischen GlossarSummarium Heinrici taucht die Bezeichnung huniscdrubo auf. Der Text des Isidortext war verderbt. Balanite wurde fälschlich balatine geschrieben, was Heinrich als große Trauben übersetzte. Dass sich der ursprüngliche isidorische Begriff balanin auf die Größe von Eicheln bezog und von Heinrich nicht verstanden wurde, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Aufschlussreich ist vielmehr, dass Heinrich die großen Trauben mit dem Balaton, dem Plattensee, in Verbindung brachte und entsprechend als huniscdrubo übersetzte. Ihm dürfte somit eine aus Ungarn stammende Rebsorte mit großen Trauben bekannt gewesen sein, die offenbar am Plattensee angebaut wurde.[6]
Seit dem Hochmittelalter ist der Heunisch in allen mitteleuropäischen Ländern vertreten. Die Verbreitung von Nordost- und Westfrankreich über die Schweiz, Südwestdeutschland, Österreich, Ungarn bis Osteuropa ist durch die Namenkunde belegt.[7]
In französischen Quellen wird der Heunisch seit dem 13. Jahrhundert Gouais Blanc genannt. Philippe de Beaumanoir erwähnt 1283 den Roten Heunisch als eine einfache Rebsorte, für die man beim Verkauf nur die Hälfte des Grauburgunders erhält.[8] Aufgrund der mäßigen Weinqualität ist die Sorte aus den Weinbergen Frankreichs fast völlig verschwunden. In Lothringen wurden bereits im Jahr 1598 Rodungen existierender Rebflächen angeordnet. Die Sorte hielt sich jedoch trotz dieser und später erfolgter Anordnungen, da sie enorm ertragsstark ist. Außerdem treibt sie im Frühjahr spät aus. Die empfindlichen Blüten entgehen daher meist den Frühjahrsfrösten.
Als Gwäss wird die französische Bezeichnung in der deutschsprachigen Schweiz entlehnt.[9] Im 16. Jahrhundert gelangte die Sorte in die Schweiz, wo sie heute noch unter der Bezeichnung Gwäss im Oberwallis angebaut wird. Weit verbreitet war der Heunisch in Ost- und Südosteuropa und lieferte hier gute Qualitäten. In Siebenbürgen wurde aus ihm zum Beispiel der berühmte Cotnari erzeugt.[10]
Die Sorte wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr empfohlen und ausgepflanzt. Heute sind nur äußerst geringe Bestände mit Heunisch vorhanden.
Abstammung
Es handelt sich um eine sehr alte Rebsorte, deren Abstammung nicht bekannt ist.
Von großer Bedeutung ist, dass Heunisch (= Goais blanc) bei einer großen Anzahl von heute wichtigen Rebsorten als natürlicher Kreuzungspartner (Spontankreuzung) fungierte. Folgende Liste beinhaltet einen Teil bekannter Rebsorten.[11][12]
Bei der Pinot-Sorte handelte es sich höchstwahrscheinlich um den Pinot Noir (die genetische Nähe von Pinot Noir, Pinot Gris und Pinot Blanc macht eine genauere Bestimmung noch nicht möglich).[13] Die Häufigkeit der spontanen Kreuzung zwischen den Pinot-Sorten und Heunisch lässt sich dadurch erklären, dass die Pinot mit Heunisch in Frankreich, speziell in Burgund und Champagne, einige Jahrhunderte gemeinsam in den Weingärten ausgepflanzt und vermehrt wurden.
In der Ampelografie wird der Habitus folgendermaßen beschrieben: Da es sich um eine sehr alte Sorte handelt, entstand eine große Klonenvielfalt. Dies äußert sich durch sehr unterschiedliche Morphologie. Diese wird sichtbar an der wechselnden Intensität von Rotfärbung an Trieb, Ranken, Knospen, Blättern und Traubengerüst, der Behaarungsintensität von Triebspitze, jungen und ausgewachsenen Blättern und der Form und Haltung von Blättern, Trauben, Beeren und Trieb.[3] Heunisch-Klone werden auch mit eigenem Namen benannt wie: Weißer Heunisch, Grobheunisch, Gelber Heunisch, Rotgestreifter Heunisch und Roter Heunisch.[17][18] Diese sind aber keine selbstständigen Rebsorten.
Triebspitzen: kahl und rötlich gefärbt
Blatt: mittelgroß und derb, wenig gebuchteter Blattrand, gesägt, Unterseite leicht wollig behaart
Ein Foto von Triebspitzen, Blättern und Trauben findet sich auf der Vitis-Datenbank.[19]
Reife: spät
Ertrag
Heunisch zeichnet sich durch hohe Ertragsmengen aus und ist durch einen späten Austrieb ertragssicher in Jahren mit spätem Frost.
Vor- und Nachteile
Vorteile:
sehr hoher und sicherer Ertrag (200 Hektoliter je Hektar)[20]
anspruchslos
später Austrieb, deshalb in Jahren mit Spätfrösten ertragssicher
Nachteile
Weine sind extraktarm und säurereich
selbst bei starker Mengenbegrenzung nur wenig Oechsle
Wein
Der Wein ist von geringer Qualität, wässerig und sauer. Im Mittelalter wurde die Sorte wegen ihrer guten Fruchtbarkeit kultiviert. Hildegard von Bingen stellt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in ihrer Physica fest, der fränkische Wein sei ein starker Wein, der mit Wasser vermischt werden müsse, hingegen sei der hunnische von Natur aus wässrig und müsse nicht verdünnt werden.[21]
Hans Ambrosi, Bernd H. E. Hill, Erika Maul, Erst H. Rühl, Joachim Schmid, Fritz Schuhmann: Farbatlas Rebsorten. 3. Auflage. Eugen Ulmer, 2011, ISBN 978-3-8001-5957-4.
Hermann Goethe: Ampelographisches Wörterbuch. Eine alphabetische Zusammenstellung und Beschreibung der bis jetzt bekannten Traubenvarietäten Deutschlands, Frankreichs, Griechenlands, Italiens, Oesterreichs, des Orients, der Schweiz, Serbiens, Südrusslands, Ungarns, Wien 1876.
↑J. M. Boursiquot, T. Lacombe, J. Bowers, C. Meredith, Le Gouais, un cépage clé du patrimoine européen, in: [1] (PDF; 1,34 MB) Bulletin de l'Organisation Internationale de la Vigne et du Vin (OIV), No. 77, 875-876 (2004), S. 5–19
↑ abcErika Maul: Die sehr alte Rebsorte Weißer Heunisch und ihre zum Teil berühmt gewordenen Kinder, wie z. B. Chardonnay. Deutsches Weinbau Jahrbuch 2005, Verlag Ulmer, S. 129–145.
↑Fritz Schumann, Rebsorten und Weinarten im mittelalterlichen Deutschland, in: Christhard Schrenk, Hubert Weckbach (Hrsg.): Weinwirtschaft im Mittelalter. Zur Verbreitung, Regionalisierung und wirtschaftlichen Nutzung einer Sonderkultur aus der Römerzeit (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 9), Heilbronn 1997, S. 221–250, hier S. 222
↑Philip Jacob Sachs, Ampelographie sive Vitis Viniferae, Preßburg 1661, S. 22: Heunisch vel Hunnisch quod ab Hunnis vel Hungaris in Germaniam anno 906 et 923 irrumpentibus eo simul translatae vites.
↑Hildebrandt, Summarium Heinrici, Bd. 1, S. 171f.: Balatine a magnitudine sunt dicte huniscedruben. Vgl. zweite Fassung, Bd. 2, S. 41: Balatinae hunisc drubun a magnitudine dictae sunt.
↑Fritz Schumann: Rebsorten und Weinarten im mittelalterlichen Deutschland. In: Christhard Schrenk, Hubert Weckbach (Hrsg.): Weinwirtschaft im Mittelalter. Zur Verbreitung, Regionalisierung und wirtschaftlichen Nutzung einer Sonderkultur aus der Römerzeit. (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 9) Heilbronn 1997, S. 235–237.
↑Philippe de Beaumanior, Coutumes de Beauvaisis, hg. von Amédée Salmon, 2 Bde., Paris 1899/1900 (Neudr. Paris 1970), Bd. 1, Nr. 790: Drois pris de vins de rentes (…) Li vins fourmenteus, a la mesure de Clermont, doit estre prisiés chascun mui .XII. s. de rente, et li vins de moreillons chascun mui .IX. s. de rente chascun an, et li vins de gros noirs ou de gouet chascun mui .VI. de rente.
↑J. M. Boursiquot, T. Lacombe, J. Bowers, C. Meredith, Le Gouais, S. 9–12.
↑Olivier Jullien, Topographie de tous les vignobles connus, Genf, Paris 1985 (Reprint der Ausgabe von 1866), S. 446
↑Erika Maul: Zur Herkunft alter Rebsorten, Schweizer Zeitschrift für Obst-Weinbau Nr. 6/06
↑Archivlink (Memento des Originals vom 22. November 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ecaaser3.ecaa.ntu.edu.tw A single Pair of Parents proposed for a group of Grapevine Varieties in Northeastern France, von J.E. Bowers, R. Siret und C.P. Meredith sowie von P. This und J.-M. Boursiquot
↑Louis Bordenave, Thierry Lacombe, Valérie Laucou, Jean-Michel Boursiquot: Etude historique, génétique et ampélograpfique des cépages Pyrénéo Atlantiques. In: Le Bulletin de l’OIV. Nr.920-921-922, 2007, ISSN0029-7127, Vol. 80, S.579 (französisch, oiv.int [PDF; 5,3MB; abgerufen am 26. November 2014]).online (Memento des Originals vom 4. Juni 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.oiv.int
↑ abKarl Müller: Weinbau-Lexikon. Verlag P. Parey, Freiburg 1930, S. 341
↑Hans Ambrosi, Bernd H. E. Hill, Erika Maul, Erst H. Rühl, Joachim Schmid, Fritz Schuhmann: Farbatlas Rebsorten, 3. Auflage, Eugen Ulmer, 2011, ISBN 978-3-8001-5957-4, S. 136
↑Hildegard von Bingen, Physica, Würzburg 1835, S. 45: Franconicum et forte vinum velut procellas in sanguine parat, et ideo qui eum bibere voluerit, aqua temperet. Sed necesse non est, ut hunonicum aqua permiscatur, quoniam illud naturaliter aquosum est.
↑Regner F., Stadlbauer A., Eisenheld C. 1998, Heunisch x Fränkisch ein wichtiger Genpool europäischer Rebsorten. Vitis Enol. Sci. 53(3): 114–118
↑John Bowers, Jean-Michel Boursiquot, Patrice This, Kieu Chu, Henrik Johansson, Carole Meredith: Historical Genetics: The Parentage of Chardonnay, Gamay, and Other Wine Grapes of Northeastern France. Science 3 September 1999: 1562–1565. doi:10.1126/science.285.5433.1562