Hermann Sudermann wurde als Sohn des Bauern und Bierbrauers Johann Sudermann und seiner Ehefrau Dorothea geb. Raabe geboren. Die Familie des Vaters stammte von niederländischenMennoniten ab, die in das Weichseldelta eingewandert waren.[1][2] Hermann besuchte die Volksschule in Heydekrug und die Realschule in Elbing, die er in der Obersekunda abbrach. Danach begann er eine Apothekerlehre, die er auf Grund von gesundheitlichen Problemen aufgeben musste. 1872 trat er in das Tilsiter Realgymnasium ein, an dem er 1875 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend studierte er an der Albertus-Universität KönigsbergGeschichte und Philosophie. Er wurde Mitglied der freien Landsmannschaft Littuania.[3][4] 1877 wechselte er an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Er hatte freilich finanzielle Probleme und wurde Hauslehrer der Söhne des Schriftstellers Hans Hopfen und eines Bankiers. Er brach das Studium ab und wechselte in die Journalistik, da seine Prosa- und Dramenversuche auf wenig Resonanz stießen.
Journalist und Schriftsteller
1881 wurde er zunächst journalistischer Mitarbeiter der Liberalen Korrespondenz, danach Chefredakteur der liberalen ZeitungDas deutsche Reichsblatt in Berlin und 1882 Schriftleiter des Reichsfreunds, wo auch seine ersten Erzählungen publiziert wurden. 1891 heiratete er die verwitwete Schriftstellerin Clara Lauckner, die drei Kinder in die Ehe brachte, lebte in Königsberg, danach in Dresden, um sich 1895 endgültig in Berlin niederzulassen. Sein einziges leibliches Kind, die Tochter Hede, heiratete später den Lyriker und Publizisten Hans Frentz.
Seit 1902 residierte der erfolgsverwöhnte Sudermann auf dem von ihm erworbenen Schloss mit großem Park des Landgutes Blankensee bei Trebbin. Das Schloss und den Park stattete er mit den Kunstgegenständen seiner Sammlung aus, darunter Stücke, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte. 1909 erwarb er eine repräsentative Villa in der Bettinastraße 3 in Berlin-Grunewald, die er laut dort angebrachter Gedenktafel von 1916 bis zu seinem Tod als Stadtwohnung nutzte. Sein bevorzugter Wohnsitz blieb allerdings das Landgut Blankensee. Nach Sudermanns Tod übernahm die Sudermann-Stiftung die Grunewald-Villa und unterhielt dort eine Gedenkstätte für Sudermann. 2005 verkaufte die Stiftung das Haus wegen Geldmangels; die Besitztümer Sudermanns wurden im gleichen Jahr versteigert.[5]
Erster Weltkrieg und letzte Lebensphase
Von der nationalen Begeisterungswelle zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde auch Sudermann erfasst. Er verfertigte patriotische Lyrik und sammelte Spenden für durch Krieg in Not geratene Menschen. Zusammen mit Ludwig Fulda und Georg Reicke war er im Herbst 1914 einer der Verfasser des Aufrufs von 93 Gelehrten und Künstlern „An die Kulturwelt!“.[6] Nach 1918 gehörte er zu den Gründern des „Bundes schaffender Künstler“, wurde aber als politischer Opportunist verteufelt. 1924 starb seine Frau, mit der er trotz aller Spannungen lange zusammengelebt hatte.
Hermann Sudermann starb im Alter von 71 Jahren an einer Lungenentzündung mit vorausgegangenem Schlaganfall. Nach seinem Testament gründeten sein Stiefsohn Rolf Lauckner und andere die Hermann-Sudermann-Stiftung, die bedürftige Autoren unterstützte.[7]
Werk
Sudermann hatte sich schon vor seinem Durchbruch als Dramatiker einen Namen als Erzähler gemacht. Mit seinen gesammelten Erzählungen Im Zwielicht (1886) orientierte er sich an Guy de Maupassant. Mit seinem ersten Roman Frau Sorge (1887), einem Bildungsroman mit Elementen eines Gesellschaftsromans, benannt nach einem Motiv aus Faust II, schloss er sich anscheinend der Schule Friedrich Spielhagens an. In seinem Roman Der Katzensteg (1890) wurden inszenierte Posen und mythische Überhöhung festgestellt sowie Beziehungen zu Gemälden wie Triton und Nereide von Arnold Böcklin hergestellt. Doch stecke dahinter mehr als stilistische Konvention, so der Literaturwissenschaftler Peter Sprengel, sondern Protest gegen klerikal verengtes Christentum. Der Erzähler Sudermann übte bis weit ins 20. Jahrhundert eine ambivalente Wirkung aus. Auf der einen Seite stand er im Verdacht der Trivialität; auf der anderen Seite erzählte er spannungsreich und mit einem sicheren Gespür für Effekte. Die aktuellen Bezüge und sein liberales Engagement stellen Sudermann zwar in die Nähe zur literarischen Moderne. Sein reflektierter, aber ungebrochener Umgang mit überlieferten literarischen Modellen, Klischees und Artefakten steigern jedoch das Pathos der Empfindung, das den Lesern vermittelt werden soll.[8]
Sudermanns Drama Die Ehre wurde 1889 ein Sensationserfolg am Berliner Lessingtheater. Darin kontrastierte Sudermann den Ehrbegriff der Reichen mit dem der Armen und bildete die unterschiedlichen Wohnverhältnisse vom Berliner Bürgertum und dem Proletariat durch den Gegensatz von Vorderhaus und Hinterhaus ab. Das auch von der neu gegründeten Freien Volksbühne regelmäßig aufgeführte Stück begründete Sudermanns Ruf, neben Gerhart Hauptmann der bedeutendste Dramatiker des Naturalismus zu sein.
Die Uraufführung seines Künstlerdramas Sodoms Ende (1891) wurde vom Berliner PolizeipräsidentenBernhard von Richthofen untersagt. Erst durch Intervention des Theaterleiters Oscar Blumenthal beim preußischen Innenminister Ernst Ludwig Herrfurth und nach kleineren Kürzungen wurde die Aufführung erlaubt. Allerdings nahm Kaiser Wilhelm II. Anstoß an dem Drama, setzte Herrfurth unter Druck und kündigte 1892 aus Protest seine Loge im Wallner-Theater, als das Stück dort aufgeführt werden sollte. In Kassel und München wurde das Stück verboten, in Bielefeld und Halle kam es zu öffentlichen Protesten Christlich-Konservativer.[9]
Sudermanns erfolgreichstes Stück wurde Heimat (1893), die Geschichte einer jungen Frau, die sich den Heiratsplänen ihres Vaters widersetzt und als berühmte Opernsängerin in ihre Heimat zurückkehrt. Das Stück war nicht zuletzt in England und den USA populär, wo Sarah Bernhardt und Eleonora Duse mit der Hauptrolle bekannt wurden. Zeitgenössische Kritiker wie Maximilian Harden, Franz Mehring und Alfred Kerr warfen Sudermann jedoch vor, zu Gunsten von Bühnenwirksamkeit konventionelle Lösungen zu bevorzugen. Sudermann setzte sich 1902 mit seinen Kritikern auseinander (Die Verrohung der Theaterkritik) und hielt in seinen Dramen an den moralischen Idealen fest, die den Naturalismus um 1890 bestimmt hatten.[10]
In seiner Heimat hatte er vor allem am Stadttheater von Elbing mit seinem Drama Das Glück im Winkel durchschlagenden Erfolg, wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund der von Paul Albert Glaeser-Wilken im Oktober 1910 dort geleiteten Aufführung, die sich an der dem Naturalismus verpflichteten Breslauer Aufführungspraxis orientierte.
Mit dem nachlassenden Erfolg seiner Dramatik widmete sich Sudermann verstärkt Prosaarbeiten, die an die Traditionen des Poetischen Realismus anknüpften und stärker heimatverbunden wirkten (Litauische Geschichten, 1917).
Auszeichnungen/Ehrungen/Anerkennungen
Noch zu Lebzeiten erhielt Sudermann mehrere Ehrungen/Auszeichnungen o. ä.:
1873: Zuerkennung der „Schillerprämie“ (ein Exemplar des Gesamtwerkes des Dichters) vom „Schillerkomitee Tilsit“ für herausragende Schulleistungen an der „Städtischen Realschule erster Ordnung zu Tilsit“
1912: Verleihung des „Preußischen Kronenordens, 3. Klasse“ – von Kaiser Wilhelm II persönlich überreicht, (zur Anerkennung von Sudermanns Stellung und Tätigkeit in der Öffentlichkeit)
1918: Eisernes Kreuz 2. Klasse für die Wiederbelebung des von ihm gegründeten Goethebundes
1921: Ehrung Sudermanns durch Herausgabe von Notgeld der Stadt Heydekrug/Memelland mit Bildnis, Abbildung v. Geburtshaus und Gedichtstext von H. Sudermann.
Nach seinem Tode ehrten ihn Städte und Gemeinden mit Straßen, Denkmälern und Gebäuden bzw. Kultureinrichtungen o. ä. mit seinem Namen. Darunter befinden sich:
Hermann Sudermann-Stiftung zur Unterstützung von bedürftigen Autoren mit Sitz in Berlin, die seit 2013 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater Berlin den Hermann-Sudermann-Preis verleiht
Sudermann-Denkmal in Šilutė (Heydekrug), Litauen
Sudermann-Museum[11] in der ehemaligen Brauerei des Guts Matzicken[12], die Sudermanns Eltern betrieben, in Macikai/Šilutė (Matzicken), Litauen.
Gedenkkabinett im ehemaligen Arbeitszimmer im Sudermann-Schloss (Sudermann-Haus) in Blankensee/Trebbin[7]
1981: Reise ins Paradies – nach der Novelle „Die Reise nach Tilsit“
Literatur
Aufsätze
Leopold Jessner, Victor Barnowsky u. a.: Sudermann als Rollenschreiber. In: Berliner Börsen-Courier. Ausgabe vom 30. September 1927. Erste Beilage, S. 5–6.
Theodor Kappstein: Hermann Sudermann und seine besten Bühnenwerke. Eine Einführung. F. Schneider, Berlin/Leipzig 1922.
Walter T. Rix (Hrsg.): Hermann Sudermann. Werk und Wirkung. Königshausen und Neumann, Würzburg 1980, ISBN 3-88479-024-2.
Christiane Schiller: Bilinguismus. Zur Darstellung eines soziolinguistischen Phänomens in der Literatur. Dargestellt an Beispielen der regionalen Literatur Preußisch-Litauens: Hermann Sudermann „Litauische Geschichten“, Ieva Simonaitytė „Vilius Karalius“ (= Hallesche Sprach- und Textforschung; 7). Lang, Frankfurt am Main u. a. 2000, ISBN 3-631-35376-6.
Thorsten Stegemann: Literatur im Abseits. Studien zu ausgewählten Werken von Rainer Maria Rilke, Hermann Sudermann, Max Halbe, Gottfried Benn und Erich Kästner. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 3-89821-040-5.
Werner Sulzgruber: Hermann Sudermann „Heimat“. Betrachtungen und Analysen zu einem vergessenen Schauspiel. Edition Praesens, Wien 1997, ISBN 3-901126-83-X.
Hubert Walter: Sudermann und die Franzosen. Ein Beitrag zum Verständnis seiner Art und Kunst. Lechte, Emsdetten i. Westf. 1930.
Dissertationen
Gerhard Bock: Sudermanns episches Schaffen im Spiegel der Kritik. Universität Jena 1935.
Harry Sharp Cannon: Sudermanns Treatment of Verse. Laupp, Tübingen 1922 (zugleich Dissertation Universität Baltimore 1922).
Marie-Luise Correns: Bühnenwerk und Publikum. Eine Untersuchung der Struktur von vier erfolgreiche Dramen um die letzte Jahrhundertwende in Berlin. Universität Jena 1956 Inhalt: Sudermanns „Heimat“, Halbes „Jugend“, Hauptmanns „Fuhrmann Henschel“, Holz und Jerschkes „Traumulus.“
Elis Herdin: Studien über Bericht und indirekte Rede im modernen Deutsch. Auswertung zeitgenössischer Werke von Hauptmann, Holz, Schnitzler, Sudermann, Ebers, Fontane, Ganghofer, Keller. Almquist & Wiksell, Uppsala 1905.
Gora Iwanowa: Roman- und Novellentechnik bei Sudermann. Universität München 1925.
Caren Kollek: Literarische Selbstfindungsprozesse um 1900. Personen-, Erotik- und Moralkonzeption in Erzähltexten von Arthur Schnitzler, Eduard von Keyserling und Hermann Sudermann. Ludwig, Kiel 2011, ISBN 978-3-86935-137-7 (Dissertation Universität Kiel 2008, unter dem Titel: Was wissen wir denn, was in unseren Seelen ist).
Karl Leydecker: Marriage and Divorce in the Plays of Hermann Sudermann. Peter Lang, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-631-50019-X (zugleich Dissertation, Universität Oxford 1996).
Edith Lind: Die Szenenbemerkung bei H. Sudermann. Universität Wien 1961.
Otto Martinetz: Hermann Sudermann als Erzähler. Universität Wien 1935.
Rodney H. Mathers: Sudermann and the Critics. An analysis of the criticism of Sudermann’s works and of his revolt against the literary criticism of his time. University of South California, Los Angeles 1951.
Anatole Matulis: Lithuanian culture in the prose works of Hermann Sudermann, Ernst Wichert und Agnes Miege. U.M.F, Ann Arbor, Mich. 1974 (zugleich Dissertation University Michigan 1963).
Jean Paul Mathieu Nannes: Hermann Sudermann. Eine Untersuchung seines theatralischen Erfolges. Universität Utrecht 1976.
Jean Paul Mathieu Nannes: Die Aufnahme der dramatischen Werke Hermann Sudermanns. Universität Utrecht 1979 (Habilitationsschrift)
Ingrid Nohl: Das dramatische Werk Hermann Sudermanns. Versuch einer Darstellung seiner Gesellschaftskritik auf dem Theater im 19. und 20. Jahrhundert und im Film. Universität Köln 1973.
Günter Walter Richter: Die Gesellschaftskritik im Prosawerk von Hermann Sudermann. Universität Urbana, Ill. 1975.
Cordelia E. Stroinigg: A reinterpretation of Sudermanns „Frau Sorge“. U,M.F., Ann Arbor, Mich. 1986 (zugleich Dissertation Universität Cincinnati, Ill. 1984).
Brigitte Stuhlmacher: Studien und Interpretation zu Dramen von Holz und Schlaf, Halbe, Sudermann, Hauptmann und Brecht. Universität Berlin 1987.
Hubert Walter: Sudermann und die Franzosen. Ein Beitrag zum Verständnis seiner Art und Kunst. Lechte Verlag, Emsdetten 1930 (zugleich Dissertation Universität Münster 1930).
Elisabeth Wellner: Gerhart Hauptmann und Hermann Sudermann im Konkurrenzkampf. Universität Wien 1949.
Barbara J. Wrasidlo: The Politics of German Naturalism. Holz, Sudermann, Hauptmann. University San Diego 1986.
↑Hermann Sudermann: Ich stand leidenschaftlich gern auf Mensur. In: Kurt U. Bertrams: Als Student in Königsberg. Erinnerungen bekannter Korporierter. Hilden 2006, S. 78–99.
↑Vgl. Jürgen und Wolfgang von Ungern-Sternberg: Der Aufruf „An die Kulturwelt!“ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Zweite, erweiterte Auflage. Frankfurt am Main u. a. 2013, ISBN 978-3-631-64167-5.
↑Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870–1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44104-1, S. 372–375.
↑Gary D. Stark: Banned in Berlin. Literary Censorship in Imperial Germany, 1871–1918. Berghahn Books, N.Y. 2009, S. 210–213.
↑Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. C. H. Beck, München 2004, S. 526f.