Heinrich Bruppacher (Philologe)Heinrich Bruppacher (* 30. März 1845 in Zollikon; † 29. Mai 1906 ebd.) war ein Schweizer Altphilologe, Germanist und Volkskundler, der während rund vier Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen für das Schweizerische Idiotikon wirkte. Bedeutend war er überdies für sein Heimatdorf Zollikon, über das er zusammen mit Alexander Nüesch eine umfassende kulturgeschichtliche Ortschronik schrieb. LebenBruppacher kam als ältestes Kind des Zolliker Bauern Heinrich Bruppacher und seiner Frau Anna, geborener Ernst, zur Welt.[1] Die Primarschule besuchte er in Zollikon, die Sekundarschule in Neumünster (heute zu Zürich) und das Gymnasium in der Stadt Zürich. Nach der 1864 bestandenen Matura studierte er an der Universität Zürich klassische Philologie und Germanistik. 1869 promovierte Bruppacher mit einer Schrift über das Oskische, eine in vorchristlicher Zeit in der südlichen Hälfte Italiens gesprochene italische Sprache. Als Friedrich Staub, der Begründer des Schweizerischen Idiotikons, 1862 seinen Aufruf für ein schweizerdeutsches Wörterbuch publizierte, entschloss sich der Gymnasiast Bruppacher sogleich, mitzumachen. 1868 hiess es im Jahresbericht des Wörterbuchs, seine Beiträge «zeug[t]en von feiner Beobachtungsgabe, namentlich auf dem Felde der Phonetik. Obwohl aus der Nachbarschaft der Stadt schöpfend, bringt er manche Rarität unter Obdach, von deren Vorhandensein wir keine Ahnung hatten.»[2] Tatsächlich gehen fast alle Belege im gedruckten Werk, welche mit der Sigle «ZZoll.» (für «Kanton Zürich, Zollikon») verortet sind, auf Bruppacher zurück, wie es in Hermann Blattners Nachruf heisst.[3] Nach der Universität bekam Bruppacher mehrmals eine Stelle als Hauslehrer angeboten, schickte aber jeweils Freunde vor, da er nicht «Toilette machen» wollte, wie er es ausdrückte,[4] also sein ländliches Wesen nicht durch ein städtisches Verhalten abzutauschen gedachte. 1874/1875 wirkte er an einem Knabeninstitut in Kornthal bei Stuttgart, doch das Heimweh veranlasste ihn zur Rückkehr nach Zürich, worauf ihn Staub für ein Jahr am Schweizerischen Idiotikon unterbrachte. Während längerer Zeit arbeitete Bruppacher anschliessend als Privatgelehrter und gab überdies Gymnasiasten Nachhilfe in alten Sprachen. Gleichzeitig schrieb er zu Handen des Materialkorpus des Schweizerischen Idiotikons ältere Schweizer Literatur aus. 1879 war er kurze Zeit Mitglied der Redaktionskommission des Wörterbuchs. 1887/1888 arbeitete er als Hilfslehrer an der Zürcher Kantonsschule und von 1888 bis 1894 als Lehrer für Latein und Griechisch am neu gegründeten Freien Gymnasium. Parallel dazu hatte er eine beträchtliche Schar Privatschüler (allein 1887 waren es 117[4]), und von 1886 bis 1890 war er zusätzlich als Redaktor am Schweizerischen Idiotikon angestellt. Daneben trieb er weiterhin historische und sprachliche Studien. Endgültig an das Idiotikon wechselte er 1894, wo er nach Friedrich Staub, Ludwig Tobler und Rudolf Schoch der vierte Redaktor war, der auf dem Titelblatt des Werks namentlich aufgeführt wurde – allerdings erst ab dem dritten Band, obwohl Staub ihm den Titel «Redaktor» schon 1887 zuerkannt hat.[5] 1888 heiratete er als Mittvierziger die 23 Jahre jüngere Maria Maurer, und gemeinsam zogen sie sieben Kinder gross. Die Familie wohnte im Zolliker Oberdorf im 1528 erbauten «Obristenhof», den Bruppacher vier Jahre nach seiner Heirat erworben hatte. Drei Söhne wurden Pfarrer: Heinrich jun. (1890–1959) wirkte in Matt und in Langnau am Albis; Hans (1891–1978) amtete in Mühlehorn, Buchs und Töss und war Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich; und Theophil (1897–1986) wirkte in Tschiertschen, St. Peter, Wil und Winterthur-Wülflingen.[6] Bruppacher starb nach kurzem, aber schwerem Leiden an einer durch Zuckerkrankheit hervorgerufenen Herzlähmung im Alter von 61 Jahren. Sein Nachfolger am Schweizerischen Idiotikon wurde Johann Ulrich Hubschmied. Schaffen«Schweizerisches Idiotikon»In den Nachrufen heisst es, Bruppacher habe viel für das Schweizerische Idiotikon geleistet. Er selbst brachte sein urchiges Zürichdeutsch (in der Variante der Seemundart) und sein breites Wissen in die Wörterbucharbeit ein. Neben dem Verfassen von Wortartikeln zog er zum Zweck der Vermehrung der Wörterbuchquellen unentwegt Manuskripte sowie sprachliche, geschichtliche, kulturhistorische und religiöse Literatur aus verschiedenen Jahrhunderten aus, auf die er in der Stadtbibliothek und im Staatsarchiv zugreifen konnte. 1876/1877 erhielt er für jeden ausgeschriebenen Beleg, der schon von Friedrich Staub angestrichen worden war, 2 Rappen, und für solche, die er selbst exzerpiert hatte, verlangte er 3 Rappen.[7] Als Verfasser von Wörterbuchartikeln kam ihm sein grosses philologisches Gespür zugute; besonders interessierten ihn die Bereiche Sachkultur, Brauchtum, Volkskunde, bäuerliches Tagewerk, Handwerk und das ländliche Denken, Reden und Handeln. Ein typischer Idiotikon-Artikel von Bruppacher ist derjenige über das Brot[8] – ein Artikel, in dem die volkskundliche und kulturgeschichtliche Bedeutung des Brotes erschöpfend abgehandelt wird.[9] Als volksnah denkender Mensch war ihm aber auch bewusst, dass das Schweizerische Idiotikon zu komplex ist, um wirklich volkstümlich zu sein, weshalb er 1906 in der Zürcher Wochen-Chronik schrieb:[10]
An dieser Vision hält die Redaktion des Schweizerischen Idiotikons bis heute fest.[11] «Das alte Zollikon»Auch in der Chronik über das alte Zollikon, die Bruppacher und der Zolliker Pfarrer Alexander Nüesch verfassten und 1899 dem Druck übergaben, nahm die Kulturgeschichte einen zentralen Platz ein. Bruppacher selbst betrachtete die Zolliker Chronik als sein eigentliches Lebenswerk; dort konnte er viel freier schalten und walten als in seinen Artikeln im Schweizerischen Idiotikon, wo er sich nur mit grossen Widerständen in die straffe Methodik einfügte.[3] In der Besprechung, welche die Neue Zürcher Zeitung am 28. März 1899 abdruckte,[12] wurde das Buch fast durchwegs gelobt: Die Arbeit sei originell, orientiere sich nicht am üblichen Schema der damals in grosser Zahl erscheinenden Ortschroniken und umgehe damit die Fehler, die für Publikationen dieser Art typisch seien. Besonders positiv wird die kulturgeschichtliche Ausrichtung des Buches gewürdigt und dass es als eine Art Urkundenbuch für Zollikon fungiere, womit es nicht nur den Lokalhistoriker anspreche; überdies vermittle es auch wirtschaftsgeschichtliche Aufschlüsse. Die Kapitel, die Bruppacher geschrieben hatte – über den Wald, die Orts- und Flurnamen, die Personennamen und Geschlechter, die Hausmarken, die Landwirtschaft und das Gewerbe, die Brunnen usw. –, verrieten ein «feines Gefühl und tiefes Verständnis für des Volkes Sinn und Art in der Vergangenheit». Trotz seiner starken Wissenschaftlichkeit sei das Buch «nichts weniger als unvolkstümlich». Zuletzt meinte der Rezensent:
Weiteres WirkenBruppacher arbeitete auch bei der – erst 2013 abgeschlossenen – wissenschaftlichen Ausgabe von Huldrych Zwinglis Schriften mit. Er las Korrektur und verfasste die Worterklärungen in den ersten beiden Bänden.[13] Dem Archiv für schweizerische Volkskunde sandte er eine Reihe Notizen über das Brauchtum in Zollikon zu, die in den ersten beiden Bänden abgedruckt wurden. Für das Schweizerische Künstler-Lexikon, das ab 1905 herauskam, verfasste er eine grössere Zahl von Künstlerbiographien. Im Zürcher Taschenbuch edierte er unter anderem eine gekürzte Fassung von Josua Malers Selbstbiographie, und in der Zeitschrift Zwingliana publizierte er eine bis heute gültige sprachwissenschaftliche Deutung des Familiennamens «Zwingli». MenschBruppacher war, wie es in den Nachrufen heisst, ein vielseitig begabter Gelehrter von zugleich bescheidenem Charakter. Dank seiner umfassenden Exzerpiertätigkeit für das Schweizerische Idiotikon waren ihm unter anderem die Erbauungsliteratur aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, die Chroniken von Ägidius Tschudi, Johannes Stumpf, Valerius Anshelm, Gerold Edlibach, Heinrich Bullinger und Johann Jakob Wick, die Aktensammlungen zur Zürcher Reformation und der Alten Eidgenossenschaft sowie die naturkundlichen Werke von Conrad Gessner bestens vertraut. Zuletzt fing er an, sich in die Schriften Jacob Burckhardts zu vertiefen. Bruppacher war ein tief religiöser Mensch, der jeden Sonntag die Kirche besuchte. Den rund fünf Kilometer langen Arbeitsweg von Zollikon nach Zürich legte er Morgen für Morgen zu Fuss zurück – im Büro traf er im Sommer spätestens um halb sieben, im Winter um halb acht ein –,[14] und am Mittag ging er wieder zu Fuss nach Hause, um sich dem Ausschreiben von Quellen und seinen anderen Studien zu widmen.[3] Das Alte war ihm lieber als das Neue, und er tat sich schwer damit, dass eine neue Zeit auch neue Anforderungen an den Staat, die Kirche und die Gemeinde stellte.[13] Alles in allem verbanden sich ein schroffes und misstrauisches Auftreten sowie «hypochondrische Anwandlungen» mit Gelehrsamkeit, Fleiss, Treue und «Christenhoffnung» zu einer «kräftigen, originellen Persönlichkeit».[13][15][16] Publikationen (Auswahl)
Literatur
WeblinksCommons: Heinrich Bruppacher – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Fussnoten
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