Harmonie (Malerei)Harmonie (von altgriechisch ἁρμονία harmonía, deutsch ‚Ebenmaß, Harmonie‘) bezeichnet in der Malerei ein System optisch-emotionaler Gesetzmäßigkeiten, die über den jeweiligen Zeitgeschmack und sich wandelnder Schönheitsideale hinaus als eine Grundwahrheit der Malerei aufgefasst werden. Sie bildet eine der Grundlagen der klassischen Malerei. Vergleichend mit der Musik gibt es auch in der Malerei keine anerkannte zeitlose Harmonielehre der Komposition, sondern nur systematisierte Aspekte, wie z. B. den Farbkreis oder die mathematische Perspektive. Die Gebrüder Grimm schreiben hierzu: „Harmonie ist die Verbindung von einzelnen gleichzeitig angeschlagenen Tönen zu einem wolklingenden Ganzen, die wolthuende Anordnung der Farben und Gruppen eines Gemäldes.“ Und nach der Farbenlehre Goethes entsteht doch „die eigentliche harmonische Wirkung nur alsdann, wenn alle Farben nebeneinander im Gleichgewicht angebracht sind.“ Die ausführlichsten Untersuchungen zur Harmonie in der Bildenden Kunst stammen von Vitruv, Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer. Der Einfluss dieser Forschungen auf die Malerei und auf andere Meister ist jedoch umstritten. Nach Michelangelo verliert man mit solchen Theorien „nur seine Zeit, die man besser auf das Malen verwende, (der Künstler) hat das richtige Maß im Auge.“ Ähnlich scheint Raffael eher eine „bestimmte Idee“ und die Natur den Zahlen Vitruvs vorzuziehen, wie auch die Antike die Proportionen ständig neu bestimmt hatte und einer „bestimmten Idee“ zu folgen suchte. So schrieb Raffael an Castiglione: „Um eine schöne Frau zu malen, müßte ich mehr schöne Frauen sehen, und zwar unter der Bedingung, daß Ihr mir bei der Auswahl behilflich wäret; aber da es so wenig schöne Frauen und befugte Richter gibt, so bediene ich mich einer bestimmten Idee, die mir in den Sinn kommt.“ Zur GeschichteErik Hornung schreibt im Jahre 1989: „Bereits in der Kunst der alten Ägypter ist alle Symmetrie als […] Teil eines umfassenderen Grundprinzips […] Doch auch dann, wenn wir eine Stele, Scheintür, Statue oder Sargdekoration betrachten, haben wir das Gefühl einer vollkommenen Symmetrie, die jedoch kaum jemals starr und leblos wirkt. (Das Paradox dieser) lebendigen Wirkung strenger Bezogenheit erklärt sich dadurch, daß nur auf den ersten Blick vollkommene Symmetrie scheint, was sich schon auf den zweiten Blick als raffinierte und wohldurchdachte Abweichung davon zu erkennen gibt. […] in der wissenschaftlichen Literatur wurden Abweichungen von Symmetrie als Fehler oder Nachlässigkeit des ägyptischen Schreibers oder Künstlers erklärt.“ Ob den altägyptischen Malern und Schreibern bereits theoretische Harmonielehren zur Seite standen, ist unbekannt. Früheste abendländische Hinweise auf solche Lehren finden sich im Harmonia-Mythos der Theogonie Hesiods. Danach ist Harmonia die Tochter des Kriegsgottes Ares und der Aphrodite; ihre Geschwister sind Phobos (die Furcht) und Deimos (der Schrecken). An diese alten Quellen knüpft sich die neben der pythagoreischen einflussreichste Harmonietheorie Heraklits: „Widerstreitendes fügt sich und Auseinanderstrebendes ergibt Harmonie und alles entsteht durch Widerspruch.“
– Aristoteles, Ethik Alle konkreten Harmonielehren, welche dem Schüler direkte Handhaben geben wollen, lehrten die Anwendung bestimmter Teilungsverhältnisse. In der bildenden Kunst nicht anders als in der Musik. Das ursprüngliche Maß aller Teilung war hier aber der menschliche Leib.
Die bedeutendste antike Proportionslehre der bildenden Kunst stammt von Polyklet (5. Jh. v. Chr.). Er verfasste den heute verlorenen „Kanon“ und schuf insbesondere mit seinem Doryphoros (Speerträger) den maßgeblichen Ausdruck seiner Lehre.
– Galen (2. Jh n. Chr.) Die Überzeugung in Proportionen oder Teilungsverhältnissen zeitlos gültige Grundlagen bildender Kunst zu finden wird in der Renaissance zugleich erneuert und relativiert. Antikekritik auf Grundlage abweichender Ergebnisse eigener Proportions-Forschung, sowohl als überhaupt ein unüberwindbares Moment der Willkür aller Proportionslehren, verstärkten die Suche nach einem übergeordneten und ungegenständlichen Sehgesetz. In Frage für ein solches Sehgesetz kam von Anfang nur die Verkürzung bzw. die Perspektive (la prospectiva). Lange vor den Forschungen Galileis und Newtons zur Trägheit führt Leonardo da Vinci die unendliche Vielfalt der Schöpfung zurück auf ein immer gleiches Naturgesetz:
– da Vinci Mit der Perspektive, die ja gleichfalls alle sichtbaren Dinge einer „kürzesten Wirkung“ unterworfen darstellt – Leonardo spricht hier von der Sehpyramide –, scheint ein solches einheitliches Naturgesetz für die Optik und damit für die bildende Kunst gefunden. Aber weder von Leonardo selbst, noch in einer anderen erhaltenen Lehrschrift der Meister wurde je ein naturgesetzlicher Zusammenhang von Verkürzung (lo scorto, bzw. la prospettiva) und Zeichnung (il disegno) dargestellt. Die Verteilung von Schwarz und Weiß, bzw. die Verteilung der „Massen“ auf einem Bild im Zusammenhang mit dem Sehgesetz der Verkürzung wurde nur in der praktischen Unterweisung durch den Meister gelehrt und musste in jedem Werk neu bestimmt werden. Die Fülle der theoretischen Schriften seit der Renaissance, insbesondere die Betonung der Traktate Leonardo da Vincis, täuscht hier über große Zurückhaltung der Meister. An dieser Stelle entstand die akademische Lehre.
– Johann Georg Sulzer: Allgemeine(n) Theorie der Schönen Künste (1771/74) Die ersten mathematischen Untersuchungen des Lichts, bzw. die Entdeckung der Spektralfarben durch Isaac Newton, beflügelte die Suche nach den Harmoniegesetzen allein im Reich der Farben. Heraus ragt hier die Entdeckung des Farbkreises (Runge, Goethe). Danach kommt Harmonie aus den Eigenschaften der sich im Farbkreis gegenüberliegenden Farben z. B. Rot-Grün. Aber auch in diese Farblehren gehen die Grundlagen der Zeichnung nicht ein. Daher ihre sehr widersprüchliche und oft missverstandene Bedeutung in der Malerei. Im 19. Jahrhundert tritt bei den Malern an die Stelle des Harmoniebegriffs häufig der Begriff der Logik, wie bei Eugène Delacroix.
Synonym verwendet wurde gleichfalls die Rede vom Ausdruck. Ein Werk habe keinen Ausdruck, keine Kraft, keine Logik oder keine Harmonie, meint innerhalb dieses Gebrauchs weitgehend das Gleiche. Einen modernen theoretischen Ausdruck des Harmoniebegriffs gibt Charles Baudelaire in seinem Vorwort zu den „Fleurs du Mal“. An die Zeitlosigkeit antiker Harmonielehre knüpfend spricht Baudelaire dort von: „dem unsterblichen Bedürfnis des Menschen nach Monotonie, Symmetrie und Überraschung“, zugleich aber auch von der Vergeblichkeit hier mit Belehrung Unwissende zu überzeugen. Hauptsächliche Ergebnisse dieser Untersuchungen waren folgende Entdeckungen:
In der abstrakten Kunst ist die Harmonielehre in der bildnerischen Gestaltung nur scheinbar weniger bedeutend als in der klassischen Periode der Malerei – im Gegenteil ist die genaue Kenntnis der Harmoniegesetze auch für den modernen Künstler wesentlich, um sie bewusst und spielerisch einsetzen beziehungsweise kontrolliert und gewollt von ihnen abweichen zu können. Die Umsetzung dieser Harmoniegesetze in der Bildkomposition entspricht demnach in etwa der Harmonik in der Musik. Die verschiedenen Stilmittel zur Erreichung eines durchgestalteten, lebendigen und harmonischen Bildeindrucks wurden entsprechend weiterentwickelt unter Berücksichtigung der Gesetze der visuellen Wahrnehmung, insbesondere der Gestaltpsychologie, um harmonisierende oder irritierende Wirkung zu erreichen. Beispielsweise wird eine horizontale Flächenschichtung oder linienhafte Trennung (insbesondere im Querformat = Breitformat) auch im abstrakten Bild rasch als Horizont interpretiert, kontrastreichere Formen erscheinen als (verzerrte) Figuren, es können bewusst irreführend angelegte Kippfiguren oder andere Methoden der optischen Täuschung eingesetzt werden, um ein lebendig durchgestaltetes Ergebnis zu erreichen. Als entscheidende Faktoren erkannte man außerdem:
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Einzelnachweise
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