Handy-EtiketteAls Handy-Etikette (auch Smartphone-Etikette) bezeichnet man allgemeine Verhaltensregeln und Verhaltensnormen im Umgang mit Mobiltelefonen im Alltag. Die Handy-Etikette ist in Deutschland ein aktuelles Thema bei Etikette-Trainern,[1] wird in Benimmbüchern für das 21. Jahrhundert beschrieben und ist darüber hinaus Ausbildungs- und Prüfungsgegenstand im kaufmännischen Bereich und bei der Ausbildung im Büro-Bereich. GeschichteBereits lange vor der Einführung digitaler Medien gibt es in Tischzuchten Regeln zum Nachrichtenkonsum in Gesellschaft. So findet sich etwa die Anweisung, das Lesen von Briefen bei Tisch zu unterlassen, bei Giovanni Della Casa im 16. Jahrhundert.[2] Der Bedarf an Verhaltensregeln für die Nutzung von Mobiltelefonen im Alltag stieg durch das verstärkte Aufkommen und die damit verbundene Verwendung von Mobiltelefonen Mitte der 1990er Jahre an. Ein Großteil der Deutschen beklagte um die Jahrtausendwende herum das störende Handyklingeln und störend wirkende Handygespräche im Alltag.[3] Der zunehmend verantwortungslose Umgang mit Handys im Alltag und Geschäftsleben sorgte Ende der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre für das Einrichten von Verbotszonen für Handys.[4] Daraufhin wurde der Umgang mit Handys beim Autofahren und auch beim Radfahren gesetzlich reglementiert. Handyverbote an Schulen, in Kirchen und auf Friedhöfen, in Theatern und Konzerthäusern und in Krankenhäusern wurden durch die jeweilige Hausordnung einzeln bestimmt. Einige der Verbote wurden Mitte der 2010er Jahre wieder aufgehoben. Heute gehört die Handy-Etikette zur kaufmännischen Ausbildung[5] und wird von Etikette-Trainern als Seminar für Firmen angeboten.[6] Darin werden den Teilnehmern Verhaltensweisen im Umgang mit Mobiltelefonen nahegelegt. Ein Informationszentrum Mobilfunk wurde eingerichtet und gab Regeln für den richtigen Handygebrauch heraus.[7] Eine Institutionalisierung sozialwissenschaftlicher Forschung zur Mobilkommunikation durch Fachzeitschriften und Fachgesellschaften hat bereits begonnen.[8] Dabei werden in psychologischen Studien konstruktive und destruktive Nutzungsweisen von Mobilmedien und Kriterien für Mobilmedienkompetenz herausgearbeitet, die dann auch im Unterricht an Kinder oder Arbeitnehmer vermittelt werden.[9] HandyverboteHandynutzung im AutoBereits seit 2001 ist das Telefonieren im Auto ohne Freisprecheinrichtung in Deutschland verboten. Verstöße werden seit dem Jahr 2004 mit einem Bußgeld geahndet.[10] In den Jahren 2014 und 2017 wurden die Richtlinien verschärft.[11][12] Das Verbot betrifft nicht nur das Lesen von SMS oder der Uhrzeit, sondern auch sämtliche Bedienfunktionen beim Benutzen des Handys als Navigationsgerät, aber auch das Wegdrücken oder Diktieren.[13] Seit der Verschärfung im Jahr 2017 betrifft das Verbot nicht mehr ausschließlich Handys und Autotelefone, sondern alle elektronischen Geräte, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen, wie beispielsweise Tablet-PCs, Navigationsgeräte, Diktiergeräte und E-Books.[14] Ein Verstoß gegen das Nutzungsverbot von Handys und anderen elektronischen Geräten, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen, wird mit einem Bußgeld von 100 Euro und der Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister geahndet. Bei Verstößen mit einer Gefährdung Anderer oder mit einem Verkehrsunfall erhöht sich das Bußgeld auf 150 Euro bzw. 200 Euro. Zudem werden in diesen Fällen zwei Punkte im Fahreignungsregister eingetragen und zusätzlich ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.[15] Das Verbot soll das Unfallrisiko minimieren. Auch für Radfahrer ist das Halten eines Handys oder das Telefonieren damit während der Fahrt gesetzlich verboten und wird mit Bußgeldern geahndet.[16] Darüber hinaus wird diskutiert, ob aufgrund der nahezu flächendeckenden Smartphonenutzung in Deutschland auch ein Handyverbot für Fußgänger und damit auch Ordnungsgelder eingeführt werden sollen, da auch diese Handynutzung den Straßenverkehrsteilnehmer ablenkt und ihn gefährden kann.[17] In China wurden dafür bereits spezielle Smartphone-Wege eingerichtet. 2016 gaben bei einer Umfrage[18] 42 Prozent der Autofahrer an, dass sie mit dem Handy am Ohr ohne Freisprecheinrichtung telefonieren. 44 Prozent lesen Kurznachrichten, 23 Prozent schreiben während der Fahrt selbst Nachrichten über die Tastatur, 25 Prozent lesen E-Mails auf dem Handy, und 8 Prozent tippen E-Mails.[19] Handynutzung im KrankenhausBei Handygebrauch in Krankenhäusern kam die Gefahr hinzu, durch die Signale, die von Mobiltelefonen gesendet werden, empfindliche Geräte in ihrer Funktionalität zu beeinflussen. Falsche Werte können zum Tod des Patienten führen. Moderne medizinische Maschinen sind gegen Funkwellen weitestgehend abgesichert.[20] Die Verbote wurden mit dem Aufkommen moderner Geräte gelockert. Einige Krankenhäuser und Arztpraxen behalten das Handyverbot jedoch bei, da die meisten Patienten Ruhe zur Genesung brauchen und Handygespräche störend wirken.[21] Handynutzung in Kirchen und öffentlichen EinrichtungenGrundsätzliches Handyverbot gilt in Bibliotheken. Fast alle Kirchen und Friedhöfe verbieten heute das Nutzen von Mobiltelefonen auf dem Grundstück. Hier gibt es keine gesetzlichen Regelungen. Es gilt das Hausrecht des Eigentümers. Regionale Handyverbote gibt es auch an einigen Schulen oder für Konzerthäuser, Kinos und Theater. Diese sind aber nicht gesetzlich geregelt, sondern werden durch die jeweiligen Hausordnungen bestimmt.[22] Ein 2001 gefordertes generelles Handyverbot für Restaurants[23] hat sich nie durchgesetzt und blieb den individuellen Verhaltensmaßstäben des Einzelnen überlassen. Gesetzlich nicht geregelte VerhaltensmaßstäbeLautes SprechenMehrere Studien[24] über Handyetikette haben ergeben, dass gezwungenes Mithören als erhebliche Beeinträchtigung empfunden wird.[25] Vor allem das laute Sprechen und Gestikulieren ohne erkennbares Telefon oder Mikrofon bei Smartphone mit Headset wirkt auch Mitte der 2010er Jahre noch irritierend.[26] Heute wird das laute Sprechen zwar – zumindest unter jungen Leuten – nicht mehr als Problem angesehen,[27] dennoch raten die Etikette-Trainer dazu, in der Öffentlichkeit Gespräche nur leise zu führen und diese kurz zu halten,[28] sich bei einem Anruf in Gesellschaft von dieser zu entfernen, um das Telefonat an einem (ggf. leiseren Ort) entgegenzunehmen[29] und für das Hören von Musik mit dem Handy Kopfhörer zu verwenden.[30] KlingelnEbenso wird das laute Klingeln mit verschiedensten Klingeltönen als unangenehm oder gar als Eindringen in die Privatsphäre betrachtet, wie Ling mit Blick auf Goffman ausführt.[31] Dass lautes Klingeln als Störung empfunden wird, bestätigt auch eine explorative Studie, die 2002/2003 in Finnland, Deutschland, Italien und Spanien durchgeführt wurde.[32] Mit dem spontanen Ausbruch des Klingelns müssen demnach alle Umstehenden neue Rollen für sich definieren, Gespräche pausieren, den Blick der Person zuwenden, die nach dem Telefon sucht. Der Telefonierende indes bereitet sich darauf vor, mit einem parallelen Teil seines Lebens umzugehen, auf eine völlig andere Situation zu reagieren. Dieses Klingeln kann für eine Person auch die Gefahr bergen, das Gesicht zu verlieren.[33] Durch die Handynutzung wird laut J. Höflich der öffentliche Raum als sozial geregelter Raum zunehmend privatisiert.[34] Tugenden der reinen Höflichkeit, wie beispielsweise sich auf seinen Gegenüber zu konzentrieren, ohne sich mit dem Handy abzulenken, gingen damit verloren. Etikette-Trainer empfehlen daher, das Mobiltelefon in öffentlichen Einrichtungen sowie im Restaurant oder bei geschäftlichen Meetings auf lautlos zu schalten,[35] und bei Vergessen des Lautlos-Schaltens das Handy mit einer kurzen Entschuldigung auszuschalten oder mit dem Anrufer einen Rückruftermin zu vereinbaren.[36] Eine moderate Ruftonlautstärke und das Vermeiden endlosen Läutens wird in den Seminaren als Selbstverständlichkeit vermittelt.[36] GesprächsthemenAls unhöflich und unangenehm angesehen wird auch, wenn bei Handytelefonaten private Dinge oder geschäftsinterne Themen mit der Öffentlichkeit geteilt werden. J. Höflich begründet diese Empfindung mit unserer historisch-psychologischen Entwicklung. Man zielt darauf, die anderen mit der Last des eigenen Selbst zu verschonen, ein Verhalten, das Richard Sennett „Zivilisiertheit“ nennt und das uns ermöglicht, an der Gesellschaft anderer Gefallen zu finden.[37] Wir haben gelernt, mit Nähe adäquat umzugehen, indem wir Distanz halten, ein Mechanismus, der dann greift, wenn wir in Hörweite von anderen sind, und den Goffman „höfliche Gleichgültigkeit“ nennt.[38] Vergleichsstudien in den Niederlanden, Frankreich und den USA bestätigten den Trend, dass sich Menschen mit abendländischer Sozialisierung weitestgehend einig sind, über welche Dinge man in der Öffentlichkeit spricht und worüber nicht.[39] Handy-Etikette-Trainer empfehlen in Schulungen daher, das Handy im Meeting und Gespräch auf lautlos zu schalten und nicht auf den Tisch zu legen, um dem Gegenüber die Wichtigkeit des persönlichen Gesprächs zu signalisieren. Vor allem im Gespräch im Job sei das SMS-Schreiben oder E-Mail-Lesen tabu.[40] Außerdem wird empfohlen, beim Annehmen von Gesprächen den Namen zu nennen und Geschäftsinformationen diskret zu behandeln.[41] Grenzen und EntwicklungDie ethischen Maßstäbe und sozialen Verhaltensnormen befinden sich in einer ständigen Entwicklung und differieren je nach Region, Geschlecht und Beschäftigungsstatus.[42] Ling weist nach, dass die Art und Weise, in der wir diese Technologie nutzen, Einfluss hat auf unsere gesamtgesellschaftlichen sozialen Grenzen und ihre Verwendungen in anderen Situationen.[43] Eine Studie unter Jugendlichen hat die Beziehungen zwischen Mobilkommunikation und Auswirkung auf Medien und Mediennutzungsweisen untersucht und herausgefunden, dass mobiler Technik ein immer stärkerer Einfluss auf immer mehr Lebensbereiche zugestanden wird und sich bestehende moralische Grenzen in bestimmten Altersgruppen bereits aufgelöst haben.[44] Laut J. Höflich befinden wir uns momentan in einer Entwicklung, einem Übergangszustand, der die Grenzen vom besonderen Störfaktor hin zu einem sozial geregelten Gebrauch verschiebt.[45] Mit der Weiterentwicklung des mobilen Telefons ist somit ein weiterer Regelungsbedarf verbunden, der mit gesetzlichen Vorstößen im Bereich der Straßenverkehrsordnung einen Anfang gemacht hat. Wie fast alle aktuellen Entwicklungen wurde auch die Handy-Etikette von Marketing-Unternehmen aufgegriffen. Im Auftrag eines australischen Lexikonverlages erfand eine Werbeagentur den Begriff Phubbing als angeblich reale Bezeichnung, für Menschen, die andere damit brüskieren, dass sie nur auf ihr Gerät schauen. Siehe auchLiteratur
Weblinks
Einzelnachweise
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