Die Glosas Emilianenses sind in einen lateinischen Kodex zwischenlinear oder am Rand eingefügte Glossen, die eine Vermischung von lateinischer Sakralsprache und romanischer Volkssprache der Region Rioja zeigen. In diesen Anmerkungen, Einlassungen und Worterläuterungen zeigt sich, dass das Lateinische, aber auch das Vulgärlateinische als eine von der lokalen romanischen Volkssprache getrennte Sprache erlebt wurde.[1] Wahrscheinlich diente das Manuskript den Ordensmitbrüdern zum Verstehen des religiösen Textes. Die Einfügungen in der regionalen Volkssprache waren dem lateinischen Ursprungstext als Interlinear- oder Marginalglossen hinzugefügt worden. Sie hatten offensichtlich einen didaktischen Wert, erklären sie doch Wörter und Textabschnitte, die mutmaßlich im Originaltext nicht mehr verständlich waren.[2]
Sie entstanden um das Jahr 977[3] und wurden aus zwei schon bestehenden Teilen vereint, einer Bearbeitung von aufgezeichneten Aussprüchen einiger Kirchenväter, insbesondere Augustinus von Hippo, und einem Homiliar.[4][5]
Das Kloster San Millán de la Cogolla in der Region Rioja lag in der Nähe der ursprünglichen Einsiedelei, des später namensgebenden Heiligen Aemilianus von Cogolla (spanisch San Millán), der sich in die Sierra de la Demanda zurückgezogen hatte. Schon vor der Überführung seiner sterblichen Überreste im Jahre 1053 war das Grab des Heiligen und das neu entstandene Kloster zu einem bedeutenden Anbetungsort geworden. Man begann mit dem Bau im 6. Jahrhundert als die ersten Gebäude des oberen Klosters errichtet worden waren. Das klösterliche Leben ordnete sich nach den benediktinischen Regeln.
Es war im Skriptorium dieses Klosters, wo ein oder mehrere Mönche (Glossator) die Glosas Emilianenses, die ersten Zeilen in westaragonesisch (oder auch Navarro-Aragonesisch), einer iberoromanischen Sprache, die aus dem Vulgärlatein entstand und dem Spanischen verwandt ist, geschrieben hatte.
Die Glossas zeigen einige Eigentümlichkeiten, etwa die Nummerierung und Erläuterungen über einzelne Wörter und Textabschnitten ferner eingetragene lateinischen Fragewörter so quis (dtsch. „wer“) und quid (dtsch. „was“). Genauer der Schreiber notierte in den Zwischenräumen und am Rand zwischen den Zeilen der Glossen die Bedeutung der lateinischen Worte in der sich entwickelnden romanischen Landessprache.[6]
Alle diese Besonderheiten lassen die Hypothese aufstellen, dass das Werk für die Unterweisung oder Ausbildung verwendet wurde.
Mit den marginalen Einlassungen wird deutlich, dass die Schreiber ein Bewusstsein des Unterschiedes zwischen den romanischen Lokaldialekt und Latein besaßen und beide Sprachen beherrschten. Denn das ist die Voraussetzung zur Erklärung der lateinischen Syntax und der Worterklärungen in den romanischen Texten.
Sprachliches
Sie enthalten auch die ersten Notizen auf Baskisch. Aus diesem Grund gilt das Kloster auch als der verschriftliche Ursprungsort der spanischen und baskischenRomanzen.
Die Glossen bestehen also aus Interlinearversionen oder Interlinearübersetzungen, also der „Wort-für-Wort-Übersetzung“ (lat. versio) des Ausgangstextes zwischen (lat. inter) den Zeilen (lat. lineas) und auch Marginalien, die aus Einzelwörtern oder auch Syntagmen in Lateinisch oder einer romanischen Sprache abgefasst sind.
Somit enthalten die Glosas Emilianenses drei Sprachen bzw. den Wandel dieser Sprachen:
Der Zweck dieser Anmerkungen und Übertragungen der Glossen mag in einer erläuternden Funktion und in einer Form der Lesehilfe für den mündlichen Vortrag liegen. So befinden sich über einzelnen Wörtern Nummern, über verschiedenen Worten lateinische Fragepronomen und Worterklärungen in Aragonesisch oder Baskisch und Marginalien in romanischer Syntax.[7]
Schreibweisen
Vergleich einiger Wörter aus den Glossen mit den Entsprechungen im Aragonesischen, Spanischen und Lateinischem.
„Aragonesische Sprache Con o aiutorio de nuestro dueno Christo, dueno salbatore, qual dueno get ena honore et qual duenno tienet ela mandatione con o Patre cono Spiritu Sancto en os siéculos de lo siécu los. Facanos Deus Omnipotes tal serbitio fere ke denante ela sua face gaudioso segamus. Amen.
Castellano Con la ayuda de nuestro Señor Don Cristo Don Salvador, Señor que está en el honor y Señor que tiene el mandato con el Padre con el Espíritu Santo en los siglos de los siglos. Háganos Dios omnipotente hacer tal servicio que delante de su faz gozosos seamos. Amén.“
Dámaso Alonso sprach in seiner Beurteilung vom „el primer vagido de la lengua española“ (dtsch: „dem ersten Schrei (eines Neugeborenen) der spanischen Sprache“).[8]
Auffällig in einem weiteren Textausschnitt sind die Gleichzeitigkeit lateinischer und romanischer Formen, z. B. cum und con, secula und siéculos, get und est sowie et und e. Dabei durchziehen die romanischen Formen aber das gesamte Werk in geringer Konstanz und Stabilität.[9]
„Aragonesische Sprache Con o aiutorio de nuestro dueno Christo, dueno salbatore, qual dueno get ena honore e qual duenno tienet ela mandatione con o Patre cono Spiritu Sancto en os siéculos de lo siécu los. adiubante domino nostro Ihesu Christo, cui est honor et imperium cum Patre et Spiritu Sancto in secula seculorum ...“
Lapesa, Rafael: Historia de la lengua española. Escelicer, Madrid 1968; Gredos, Madrid 1981, S. 162.
Tomás Navarro Tomás: El perfecto de los verbos en -AR en aragonés antiguo. Revue de Dialectologie Romane, I, Bruselas, 1905, S. 110–121. Versión en castellano: Archivo de Filología Aragonesa, X-XI, 1958–59, S. 315–324.
Eduardo Vicente de Vera: El Aragonés: Historiografía y literatura. Estudios Mira, Zaragoza 1992.
Germán Colón: Español y catalán, juntos y en contraste. Ariel, 1989, S. 243.
Kurt Baldinger: La formación de los dominios lingüísticos de la Península Ibérica. Gredos, Madrid 1972, S. 48–54.
Philippe Wolf: Origen de las lenguas occidentales. Guadarrama, Madrid 1971, S. 212.
Bérnard Pottier: L’évolution de la langue aragonaise à la fin du moyen âge. Bulletin Hispanique, Burdeos, LIV, 1952, S. 184–199. Traducción en Archivo de Filología Aragonesa, XXXVIII (1986), S. 225–240.
Jean Saroïhandy: Mission de M. Saroïhandy en Espagne. Ecole Pratique des Hautes Etudes. Annuaire 1898, S. 85–94. También en: ALVAR, M. (trad.): "Misión de J. Saroïhandy en España (1896)", Archivo de Filología Aragonesa, VI, 1954, S. 9–26.
Jean Saroïhandy: Mission de M. Saroïhandy en Espagne. Ecole Pratique des Hautes Etudes. Annuaire 1901, S. 106–118. ebenso: LABORDA (trad.): "Informe del señor Saroïhandy en España", Revista de Aragón, 1902, S. 644–654.
C. García Turza y M.A. Muro: Introducción a las Glosas Emilianenses. Logroño, Gobierno de la Rioja, 1992.
R. Menéndez Pidal: Orígenes del español. Espasa Calpe, Madrid 1976, S. 395.
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↑Helmut Berschin, Julio Fernández-Sevilla, Josef Felixberger: Die Spanische Sprache. Verbreitung, Geschichte, Struktur. 3. Auflage. Georg Olms, Hildesheim / Zürich / New York 2005, ISBN 3-487-12814-4, S. 81
↑Reinhard Kiesler: Einführung in die Problematik des Vulgärlateins. In: Romanistische Arbeitshefte, 48. Niemeyer, Tübingen 2006, ISBN 3-484-54048-6, S. 119–122
↑Wolf Dietrich: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft: Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Erich Schmidt Verlag, Berlin-Tiergarten 2006, ISBN 3-503-06188-6