Finanzierungsbedarf

Als Finanzierungsbedarf wird im Finanzwesen der Bedarf eines Wirtschaftssubjekts an Finanzierungsmitteln bezeichnet.

Allgemeines

Als Wirtschaftssubjekte kommen Unternehmen (Unternehmensfinanzierung), Privathaushalte (private Finanzplanung: Anschaffungskredite, Baufinanzierungen, Konsumkredite, Kundenkredite) oder der Staat und Staatsunternehmen (Staatsfinanzierung) in Betracht. Finanzierungsbedarf sind sämtliche Finanzierungsmittel, die kurz-, mittel- oder langfristig zur Durchführung des Geschäftsprozesses, der Hauswirtschaft oder der Staatstätigkeit benötigt werden.[1] Der langfristige Finanzierungsbedarf wird auch als Kapitalbedarf gesondert untersucht.

Der Begriff des Finanzierungsbedarfs ist in der Finanzierungstheorie neutral, so dass der Finanzierungsbedarf sowohl durch Eigenkapital (Eigenfinanzierung) als auch durch Fremdkapital (Fremdfinanzierung) gedeckt werden kann. In der Umgangssprache wird unter Finanzierungsbedarf meist die Fremdfinanzierung verstanden.

Der Finanzierungsbedarf ergibt sich in der Betriebswirtschaftslehre aus der Finanzierungsbedarfsrechnung und dem Finanzierungsplan der Unternehmen und Privathaushalte und in der Öffentlichen Betriebswirtschaftslehre bzw. Finanzwissenschaft aus der Kreditermächtigung, die auf der mittelfristigen Finanzplanung öffentlicher Haushalte beruht.

In der Volkswirtschaftslehre wird der gesamtwirtschaftliche Finanzierungsbedarf der Unternehmen untersucht.

Kompensationsmöglichkeiten des Finanzierungsbedarfs der Unternehmen

Gesamtwirtschaftlicher Finanzierungsbedarf der Unternehmen

Der Finanzierungsbedarf der Unternehmen ergibt sich aus dem Sparen der Unternehmen () etwa durch Gewinnthesaurierung und den Investitionen ():[2]

.

Damit entspricht in einer geschlossenen Volkswirtschaft (zusätzlich ohne Staat) ex post der Finanzierungsbedarf der Unternehmen genau der Höhe des Sparens der Privathaushalte.[3] Abstrahiert man von dem Sparen der Unternehmen, so ergibt sich der Finanzierungsbedarf ausschließlich durch Investitionen:

.

Dann bleiben die Umsatzerlöse der Unternehmen aus dem Güterverkauf hinter den Faktoreinkommen für die Produktion zurück, so dass die Differenz derjenige Teil der Arbeitseinkommen der Privathaushalte darstellt, der nicht für die Güternachfrage ausgegeben wird. Dieser Teil ist das Sparen der Privathaushalte. Durch Berücksichtigung der Gewinnthesaurierung verringert sich der Finanzierungsbedarf der Unternehmen. Der Finanzierungsbedarf erhöht sich für den komplementären Teil der Unternehmen, wenn ein anderer Teil der Unternehmen seine Einnahmen nicht unmittelbar wieder in voller Höhe investiert.

Bei einer offenen Volkswirtschaft wird das Ausland in Form von Exporten und Importen einbezogen. Das geschieht durch Saldierung der Exporte mit den Importen, so dass sich hieraus (einschließlich empfangener Netto-Übertragungen) der Leistungsbilanzsaldo des Inlands ergibt. Ist die Summe der Deviseneinnahmen (aus Exporten) größer als die Summe der Devisenausgaben (für Importe), so ergibt sich ein Leistungsbilanzüberschuss, der einen Finanzierungsbedarf des Auslands zur Folge hat und umgekehrt.[4]

Gesamtwirtschaftlicher Finanzierungsbedarf des Staates

Finanzierungsbedarf des Staates entsteht, wenn die Staatseinnahmen geringer sind als die Staatsausgaben :

, wobei

als Haushaltsdefizit bezeichnet wird.

Die Staatseinnahmen setzen sich insbesondere aus Steuern sonstigen Abgaben sowie Gewinnen der Staatsunternehmen zusammen. Die Staatsausgaben bestehen aus dem Staatskonsum, zu dem der Staatskonsum im engeren Sinne (etwa Personalkosten in der öffentlichen Verwaltung), also einem echten Verbrauch, und die Staatsinvestitionen gehören.[5] Im Falle eines Haushaltsdefizits muss der öffentliche Sektor Kredite aufnehmen, was durch Kommunalkredite (Kassenkredite) oder öffentliche Anleihen geschehen kann. Die Kreditvergabe des Finanzsektors an den Staat löst – ceteris paribus – eine Geldnachfrage der Kreditinstitute nach Zentralbankgeld aus, dem sich eine Zentralbank kaum entziehen kann, es sei denn, sie nimmt einen steigenden Geldmarkt- und Kreditzins und eine Verdrängung privatwirtschaftlicher Kreditnachfrage durch Kredite an den Staat in Kauf.[6] Steigender Finanzierungsbedarf des Staates lässt den Geldmarktzins, vor allem aber den Kapitalmarktzins steigen. Ist das (reale) Zinsniveau des Inlands höher als das des Auslands, kann ein Kapitalimport einsetzen, der die umlaufende Geldmenge erhöht.[7]

Finanzierungsbedarf in der Betriebswirtschaftslehre

Unternehmen können ihren Finanzierungsbedarf durch Innenfinanzierung (Selbstfinanzierung, Gewinnthesaurierung) oder Außenfinanzierung (Kapitalerhöhung, Fremdfinanzierung) decken.[8] Finanzierungsbedarf haben Unternehmen bei der Finanzierung des Umlaufvermögens (Liquiditätsmanagement), im Anlagevermögen bei Investitionen in Sachanlagen oder in Kapitalbeteiligungen. Großunternehmen wie multinationale Unternehmen können bei kleineren Kapitalmärkten an die Grenzen das Kapital- oder Kreditangebots stoßen, so dass sie ihren Finanzierungsbedarf auf dem internationalen Kapitalmarkt (internationaler Kreditverkehr) decken müssen.[9]

Gibt der Staat mehr aus als er einnimmt, verringert sich um den Ausgabenüberschuss (Defizit) des Staates der Finanzierungsbedarf der Unternehmen (bei unveränderter Höhe des Sparens der privaten Haushalte). Umgekehrt gilt, wenn der Staat Einnahmeüberschüsse erzielt, also mehr (aus den Abgaben inländischer Sektoren) einnimmt als er ausgibt, dass sich um genau diesen Einnahmeüberschuss (Sparen) des Staates der Finanzierungsbedarf der Unternehmen per Saldo erhöht:[10][11]

.

In einer offenen Volkswirtschaft erhöht ein (eigenes) Leistungsbilanzdefizit in gleicher Höhe den Finanzierungsbedarf der inländischen Unternehmen, ein Nettoexport () verringert in gleicher Höhe den Finanzierungsbedarf der Unternehmen (unter sonst gleichen Bedingungen), denn es gilt:

.

Verringert ein Staat also sein Defizit (Ausgabenüberschuss), muss bei ausgeglichener Leistungsbilanz entweder der Unternehmenssektor seinen Ausgabenüberschuss (Verschuldung) erhöhen oder der Sektor der privaten Haushalte sein Geldsparbemühungen verringern.[12] Erhöhen die Unternehmen ihre Investitionen nicht um die Höhe der (gewohnten)[13] gesunkenen Staatsausgaben, sondern reduzieren diese ihre Investitionen sogar, sinken die Einnahmen in der Ökonomie nicht nur um die Höhe der reduzierten Ausgaben der Staatsausgaben und Unternehmensinvestitionen, da das gesamtwirtschaftliche Einkommen zu sinken beginnt und tendenziell Kaufzurückhaltung und die Bildung monetärer Reserven initiiert wird.[14]

Finanzierungsbedarfsrechnung

Die Finanzierungsbedarfsrechnung ist eine ex-ante-Kalkulation und beantwortet die Frage, welche Fremd- und Eigenmittel im Rahmen eines Investitionsvorhabens für welchen Zeitraum zur Verfügung stehen müssen. Im Rahmen eines Kreditantrags wird eine Finanzierungsbedarfsrechnung durch Kreditinstitute im Rahmen der Finanzanalyse vorgenommen.

Der Gesamtfinanzierungsbedarf ist zunächst einmal die Summe aller Ausgaben, die im Rahmen eines Investitionsvorhabens anfallen.

Bei einer Baufinanzierung sind dies beispielsweise: Kaufpreis, Bau- oder Sanierungskosten und Anschaffungsnebenkosten wie Grunderwerbsteuer oder Notargebühren. Wichtig ist die Berücksichtigung von Bauzeitzinsen und einem Puffer für Unvorhergesehenes.

Zieht man vom Gesamtfinanzierungsbedarf das vorhandene Eigenkapital sowie die vorgesehene Eigenleistung ab, so ergibt sich der Fremdfinanzierungsbedarf. In der Höhe dieses Fremdfinanzierungsbedarfs müssen Kredite bei Kreditinstituten, Bausparkassen oder anderen Kreditgebern aufgenommen werden.

Das bestehende Eigenkapital ist teilweise nicht stets sofort verfügbar, sondern erst nach der Fälligkeit von Kapitalanlagen, der Zuteilung von Bausparverträgen oder dem Eingang des Verkaufserlöses bisheriger Immobilien. In diesen Fällen ist im Rahmen der Finanzierungsbedarfsrechnung eine Zwischenfinanzierung bzw. Vorfinanzierung vorzusehen. Kommt es zu unvorhergesehenem Finanzierungsbedarf (etwa durch Verlängerung der Bauzeit oder Nachtragsarbeiten), ist eine – meist mit höheren Finanzierungskosten verbundene – Nachfinanzierung erforderlich. Ob eine Nachfinanzierung möglich ist, hängt von der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers ab.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Claudia Breuer/Thilo Schweizer/Wolfgang Breuer, Gabler Lexikon Corporate Finance, 2003, S. 177
  2. Michael Frenkel/Klaus Dieter John/Ralf Fendel, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 2016, S. 22
  3. Michael Frenkel/Klaus Dieter John/Ralf Fendel, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 2016, S. 23
  4. Michael Frenkel/Klaus Dieter John/Ralf Fendel, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 2016, S. 28
  5. N. Gregory Mankiw/Klaus Dieter John, Makroökonomik, 2017, S. 32
  6. Paul-Günther Schmidt, Institutionelle Strukturen und makroökonomische Stabilität, 2005, S. 351
  7. Dieter Dahl, Volkswirtschaftslehre, 1990, S. 127
  8. Rolf-E. Breuer, Handbuch Finanzierung, 2001, S. 11
  9. Kurt V. Auer, International harmonisierte Rechnungslegungsstandards aus Sicht der Aktionäre, 1997, S. 51
  10. Wolfgang Stützel, Volkswirtschaftliche Saldenmechanik, Nachdruck der 2. Auflage, 2011, S. 80:
    „Die Unternehmergewinne bleiben stets nur genau um jenen Betrag hinter dem Unternehmeraufwand für Konsum und Investition zurück, um den die Nichtunternehmer Einnahmeüberschüsse bilden.“
  11. Wilhelm Lautenbach, Zins, Kredit und Produktion (PDF; 1,2 MB), (Hrsg. Wolfgang Stützel), 1952, S. 49: „Der Kreditbedarf der Unternehmer entsteht hier also gerade dadurch, dass Nichtunternehmer sparen, einerlei, ob es Private sind oder ob es die öffentliche Hand ist, die Überschüsse hat.“
  12. Erich Schneider, Geld, Kredit, Volkseinkommen und Beschäftigung, 1964, S. 129:
    „Wenn die beabsichtigte Ersparnis aus dem Einkommen die Höhe hat, so kann dieses Einkommen dann und nur dann bestehen bleiben, wenn die Unternehmer freiwillig Investitionen in einer der beabsichtigten Ersparnis gleichen Höhe durchführen.“
  13. Hans J. Barth, Potentialorientierte Verschuldung. Das Konzept des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in: Staatsverschuldung Kontrovers, Köln, 1981, S. 59:
    „Der Staat nimmt zur Erfüllung der ihm von der Gesellschaft übertragenen Aufgaben einen Teil des Produktionspotentials in Anspruch, sei es direkt, indem er selbst Güter kauft und Personal beschäftigt, sei es indirekt, indem er durch Transfer- und Subventionszahlungen Private in den Stand setzt, Nachfrage geltend zu machen. Konjunkturneutral sind die öffentlichen Haushalte dann, wenn der Staat mit seinen Ausgaben und mit seinen Einnahmeregelungen nicht von dem abweicht, woran die Privaten gewöhnt sind, wenn der Staat also für sich genommen keine Abweichung von der Normalauslastung des Produktionspotentials bewirkt. Weicht das tatsächliche Haushaltsvolumen vom konjunkturneutralen Haushalt ab, steht die Differenz für den konjunkturen Impuls.“
  14. Erich Schneider, Geld, Kredit, Volkseinkommen und Beschäftigung, 1964, S. 278 f:
    „Eine Abnahme der privaten Investitionen oder (und) der privaten Konsumneigung wird, wenn ständiger Ausgleich des Budgets gefordert wird, immer eine stärkere kontraktive Wirkung auslösen als wenn diese Forderung nicht gestellt, vielmehr ein Budgetdefizit zugelassen wird; und umgekehrt wird ein expansiver Prozess bei stets ausgeglichenem Budget zu einer stärkeren Erhöhung des Einkommens führen, als wenn ein Budgetüberschuss zugelassen wird. Der Grund für diese expansions- und kontraktionsverstärkende Wirkung eines stets ausgeglichenen Budgets ist besonders leicht einzusehen, wenn man sich die Zusammenhänge im Rahmen einer Verlaufsanalyse klarmacht. Wenn in einer Periode die privaten Nettoinvestitionen abnehmen, sinkt das Einkommen in dieser Periode um den Betrag der Abnahme der Investitionen. In der zweiten Periode sinken dann der Konsum und die Nettobezüge und mithin die Ausgaben des Staates, so dass also eine stärkere Abnahme des Einkommens eintritt, als bei unveränderten Ausgaben des Staates. In der dritten Periode sinken Konsum, Nettobezüge und Ausgaben des Staates erneut usw. bis der neue Gleichgewichtszustand erreicht ist.“