Geboren als ältestes von neun Kindern des jüdischen Kaufmanns David Marcus (1787–1846) und seiner Frau Zipora geborene Assur (1790–1841) trug sie den Namen Marcus, bis der Vater 1831 seine gesamte Familie in Lewald umbenennen ließ. Bereits 1826 hatte er seinen beiden Söhnen und 1829 seiner Tochter den Übertritt zum Protestantismus gestattet – im Bestreben, den Kindern zu helfen, ihre soziale Außenseitersituation zu überwinden, den Söhnen freie Berufswahl und Fanny die Eheschließung mit einem christlichen Mann zu ermöglichen. Obgleich ihre Familie nicht religiös war, bekam Lewald schon als kleines Kind und 1819 bei den Hep-Hep-Krawallen antisemitische Anfeindungen zu spüren. Unmittelbar nach der Taufe bereute sie den Übergang zum Christentum, da sie der Vorstellung eines persönlichen Gottes zunehmend kritisch, ja ablehnend gegenüberstand. Eine Ehe mit dem Theologiestudenten Leopold Bock, der um sie warb, kam nicht zustande.
Bis zum 14. Lebensjahr besuchte Lewald eine Privatschule, da ihr Vater trotz seiner Vorbehalte gegen die sogenannten gelehrten Frauenzimmer dem Bildungshunger seiner hochbegabten ältesten Tochter nachgab. Ein Universitätsstudium, das ihren Brüdern selbstverständlich zustand, kam für sie – wie im 19. Jahrhundert für Frauen üblich – nicht in Frage. Lewald wurden die Betätigungen übertragen, die sich für eine gebildete Bürgerin ihres Standes gehörten: Handarbeiten und leichte Hausarbeiten, außerdem Klavierspiel und etwas Lektüre. Zeitweise, während einer schweren Erkrankung ihrer Mutter, führte sie den großen Haushalt der Familie. 1832/33 begleitete sie den Vater auf einer Geschäftsreise an Rhein und Neckar. Einige Zeit verbrachte sie in Breslau, wo sie bei ihrem Onkel Friedrich Lewald und dessen Frau, Henriette geb. Schlesinger lebte, die einen literarischen Salon führte. In Breslau lernte Fanny Lewald auch ihren Cousin Heinrich Simon kennen, den Sohn einer nach Breslau verheirateten Tante, in den sie sich verliebte, der aber ihre Zuneigung nicht erwiderte. 1837 widersetzte sie sich einer Zweckehe, welche die Eltern zu ihrer Versorgung schließen wollten.
Nachdem bereits in der von dem Publizisten August Lewald, einem Vetter ihres Vaters, geleiteten Zeitschrift Europa einige Artikel von ihr erschienen waren, veröffentlichte sie 1843 die beiden Romane Clementine und Jenny – aus Rücksicht auf die Familie zunächst anonym. Allen inneren und äußeren Widerständen zum Trotz suchte sie seither ihren Lebensunterhalt mit der Schriftstellerei zu bestreiten, verließ Königsberg und zog nach Berlin.
Von 1845 bis 1846 unternahm Lewald eine Italienreise. In das Jahr 1845 fielen zwei entscheidende Begegnungen. Lewald lernte die Schriftstellerin Therese von Bacheracht kennen, mit der sie bis zu deren Tod 1852 eine enge Freundschaft verband. Und sie traf während ihres Aufenthaltes 1845/46 in Rom auf den Mann, der zur großen Liebe ihres Lebens wurde, den Oldenburger Gymnasiallehrer, Kritiker und Schriftsteller Adolf Stahr. Stahr wollte seine Frau und seine fünf Kinder zunächst nicht verlassen, aber auch die Beziehung zu Lewald nicht aufgeben. Eine Dreiecksbeziehung war jedoch besonders für Lewald inakzeptabel. Es folgten Jahre, in denen sie sich jeweils wenige Wochen sahen, bevor Stahr sich entschied und im Herbst 1852 zu Lewald nach Berlin zog. Bis Stahrs Ehe geschieden wurde und sie heiraten konnten, dauerte es weitere zweieinhalb Jahre.[1] Gemeinsam unternahm das Paar zahlreiche Reisen nicht nur durch Deutschland, sondern auch nach England, Frankreich, Italien und in die Schweiz.
Lewald verstarb 1889 in Dresden, wo auch ihre Schwester Minna Susanne Minden (1821–1891) lebte, wurde jedoch auf dem Alten Friedhof in Wiesbaden an der Seite ihres Mannes beerdigt. In Dresden erinnert heute die Fanny-Lewald-Straße an sie. Auch in Hamburg-Bergedorf, Wolfsburg und Rheine wurden Straßen nach ihr benannt.
Ihr jüngerer Bruder Otto (1813–1874), dem sie die „Wandlungen“ (1853) widmete, zählte zu den namhaftesten politischen Strafverteidigern seiner Zeit und war durch den „Polenprozeß“ (1847) und die Verteidigung Bettina von Arnims im „Magistratsprozess“ (1847) hervorgetreten. Ihre jüngere Schwester Elisabeth (1823–1909) war mit dem Maler Louis Gurlitt verheiratet und die Mutter des Kunsthistorikers Cornelius Gurlitt. Die Schwester Minna Susanne war die Mutter des Verlegers Heinrich Minden.
Bedeutung
Lewald forderte das uneingeschränkte Recht der Frauen auf Bildung und auf gewerbliche Arbeit ebenso, wie sie sich gegen die Zwangsverheiratung junger Frauen einsetzte (sie selbst hatte sich in ihrer Jugend erfolgreich der Verheiratung mit einem ungeliebten Mann widersetzt). Auch gegen das Scheidungsverbot opponierte sie und sprach sich in ihrem dritten Roman Eine Lebensfrage für die Erleichterung der Ehescheidung aus. Soziale Fragen beschäftigten sie immer wieder, so in Der dritte Stand (1845) oder Die Lage der weiblichen Dienstboten (1843). Aber auch Erzählungen und Reisebilder gehörten zum Repertoire der Schriftstellerin, die oft auf Reisen war. Die Ereignisse von 1848 begleitete sie publizistisch und setzte den Revolutionen in Paris, Berlin und Frankfurt in ihren zweibändigen Erinnerungen aus dem Jahr 1848 (1850) ein Denkmal.
Lewald analysierte die Konventionen und Traditionen ihrer Zeit, sparte aber auch nicht an selbstkritischen Äußerungen gegen sich und das weibliche Geschlecht.
„Nun spielte mir kürzlich Fanny Lewald ihr 8-bändiges Werk ‚Von Geschlecht zu Geschlecht‘ in die Hände, und da habe ich mich denn 14 Tage mit schrecklichen Aufregungen herumschlagen müssen. Denn das Buch ist meisterhaft gearbeitet und jeder Charakter so trefflich gezeichnet, dass man unwillkürlich den ganzen Tag mit den Personen lebt. Ich unternehme aber fürs erste nicht wieder ein solches Abenteuer; es hat mich sicher ein Jahr meines Lebens gekostet“
Lewalds Schriften sind von einem klaren Schreibstil geprägt; den romantisch-sentimentalen Tenor ihrer Zeit lehnte sie entschieden ab, wie ihre bitterböse, auf die Schriftstellerkollegin Ida Hahn-Hahn gemünzte Satire Diogena (1847) zeigt.
In den 1990er-Jahren wurde das Werk von Fanny Lewald im Ulrike Helmer Verlag wieder aufgelegt. Der dreibändige Briefwechsel Fanny Lewalds mit Adolf Stahr erscheint seit 2014 im Aisthesis Verlag, die Wiederauflage ihres Romans Jenny erschien 2023 bei Reclam[2].
1883 Vom Sund zum Posilipp! Briefe aus den Jahren 1879–1881.
1885 Im Abendrot. Kaleidoskopische Erzählungen in 16 Briefen.
1887 Erinnerungen an Franz Liszt
1887 Erinnerungen an Fürst Hermann von Pückler-Muskau
1887 Die Familie Darner. 3 Bände
1888 Zwölf Bilder nach dem Leben. Erinnerungen. (Digitalisat)
1888 Josias. Eine Geschichte aus alter Zeit
1910 Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Thomas Weitin (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
Ann-Christin Bolay, Julia Ilgner: Epigonales Erzählen und dialogische Intertextualität. Fanny Lewalds literarisches Spiel mit der Tradition im „Italienischen Bilderbuch“ (1847). In: Jahrbuch Forum Vormärz Forschung 19 (2013), S. 297–324. (Digitalisat)
Gisela Brinker-Gabler, Karola Ludwig, Angela Wöffen: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800–1945. dtv, München 1986, ISBN 3-423-03282-0, S. 198–201.
Roswitha Hoffmann: Das Mädchen mit dem Jungenkopf. Kindheit und Jugend der Schriftstellerin Fanny Lewald. Helmer, Sulzbach/Taunus 2011, ISBN 978-3-89741-312-2. Zugleich Dissertation, Universität Hannover 2002.
Fanny Lewald, Adolf Stahr: Ein Leben auf dem Papier. Der Briefwechsel 1846–1852. 3 Bände. Hrsg. von Gabriele Schneider und Renate Sternagel. Aisthesis, Bielefeld 2014/2015/2017, ISBN 978-3-8498-1046-7 (Bd. 1), ISBN 978-3-8498-1104-4 (Bd. 2), ISBN 978-3-8498-1204-1 (Bd. 3).
Jürgen Manthey: Femme spirituelle der deutschen Literatur (Fanny Lewald). In: Jürgen Manthey: Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik. München 2005, ISBN 978-3-423-34318-3, S. 493–514.
Sandra Markewitz: Die Sprache der Anderen. Fanny Lewalds Jenny, das Eigene und das Fremde: eine sprachkritische Lektüre mit Bacons Idolenlehre. In: Jahrbuch Forum Vormärz Forschung. Band 16, 2010, S. 271–302 (online).
Elisa Müller-Adams: „Das gigantische England und meine kleine Feder“. Gender und Nation in Englandreiseberichten von Fanny Lewald und Emma Niendorf. In: Christina Ujma (Hrsg.): Wege in die Moderne. Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz. Aisthesis, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89528-728-2.
Frederike Neuber: Fanny Lewald an Hermann Hettner. Briefe aus den Jahren 1847-1857. In: Jörg Jungmayr, Marcus Schotte (Hrsg.): Opera minora editorica: Editorische Beiträge zur Kulturwissenschaft (= Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft 18, hrsg. v. Hans-Gert Roloff). Weidler, Berlin 2017, ISBN 978-3-89693-677-6, S. 165–254.
Kurd von Schlözer: Römische Briefe. 1864–1869. 16. Auflage. DVA, Stuttgart 1926.
Gabriele Schneider: Fanny Lewald. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1996, ISBN 3-499-50553-3.
Dietmar Sehn: Dresdner Straßengeschichten. Wartberg, Gudensberg-Gleichen 2006, ISBN 3-8313-1620-1.
Krimhild Stöver: Leben und Wirken der Fanny Lewald: Grenzen und Möglichkeiten einer Schriftstellerin im gesellschaftlichen Kontext des 19. Jahrhunderts. Igel-Verlag, Hamburg 2013, ISBN 978-3-86815-578-5.
Christina Ujma: Fanny Lewalds urbanes Arkadien. Studien zu Stadt, Kunst und Politik in ihren italienischen Reiseberichten aus Vormärz, Nachmärz und Gründerzeit. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
Christina Ujma: Fanny Lewald (1811–1889). Studien zu einer großen europäischen Schriftstellerin und Intellektuellen (= Vormärz-Studien 20). Aisthesis, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-89528-807-4.
Regula Venske: „Ach Fanny!“ Vom jüdischen Mädchen zur preußischen Schriftstellerin: Fanny Lewald. Elefanten Press, Berlin 1988.
Margaret E. Ward: Fanny Lewald. Between Rebellion and Renunciation. Peter Lang, New York u. a. 2006, ISBN 0-8204-8184-X.
Gudrun Wedel: Art. Lewald, Fanny. In: Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Böhlau, Köln 2010, S. 499–503.
↑Fanny Lewald / Adolf Stahr, Ein Leben auf dem Papier. Der Briefwechsel 1846–1852, hg. v. Gabriele Schneider und Renate Sternagel, Bielefeld 2014f., ISBN 978-3-8498-1046-7.