Fall Noel FieldDer Fall Noel Field betraf Untersuchungen und Verurteilungen von führenden Funktionären und Parteimitgliedern in Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei zwischen 1949 und 1954. Ihnen wurde vorgeworfen, mit dem angeblichen US-amerikanischen Agenten Noel H. Field im Auftrag der CIA diese Länder zu unterwandern. Die Vorwürfe erwiesen sich später als völlig unbegründet und alle Beschuldigten wurden ab 1956 inoffiziell rehabilitiert. VorgeschichteStalinistische SäuberungenIn der Sowjetunion wurden in den 1930er Jahren zahlreiche Funktionäre und Mitglieder der KPdSU verhaftet und erschossen. Auch viele Mitglieder ausländischer kommunistischer Parteien fielen den Säuberungen zum Opfer, es kamen dort mehr KPD-Mitglieder ums Leben als im nationalsozialistischen Deutschland. Auch in den ostmitteleuropäischen Ländern unter sowjetischer Kontrolle wurden seit 1945 gegen viele Personen vorgegangen. Noel FieldNoel Field stammte aus einer liberalen US-amerikanischen Quäkerfamilie. Seit 1938 leitete er in der Schweiz die europäische Zweigstelle des Hilfswerks Unitarian Service Committee (USC) in Zürich. Er unterstützte tausende östliche Emigranten mit Hilfsgütern und teilweise auch mit Waffen, vor allem viele kommunistische Widerstandskämpfer.[1] Um 1941 hatte er deshalb Kontakte zu Allen Dulles, den Leiter des US-Geheimdienstes OSS in Mitteleuropa, den er von seiner früheren Tätigkeit im State Departement (Außenministerium) kannte.
1948 suchte er einen neuen Aufenthaltsort für sich und seine Frau in einem der östlichen Länder, da er Vorladungen vor das Komitee für unamerikanisches Umtriebe als Zeuge und als Beschuldigter auch wegen seiner Tätigkeit für den sowjetischen Geheimdienst NKWD in den USA zu befürchten hatte. Im Herbst 1948 ließ er danach in Ost-Berlin nachfragen und fuhr auch erstmals nach Prag. UngarnDer ungarische Parteichef Mátyás Rákosi wurde seit Ende 1948 von der sowjetischen Führung gedrängt, entschlossener gegen Abweichler in der eigenen Partei vorzugehen. In dieser Zeit informierte ihn der ungarische Geheimdienst, dass Noel Field ein US-amerikanischer Agent sei und weiter Kontakte zum CIA-Chef Allen Dulles habe. (Diese Angabe hat sich später als nachweislich falsch herausgestellt.) Als Noel Field für einige Tage in Prag war, wurde er dort am 11. Mai vom ungarischen Geheimdienst mit Billigung der tschechoslowakischen Parteiführung entführt und nach Budapest gebracht.[3] Dort wurde er in den folgenden Wochen vielfach verhört und schwer gefoltert. Dabei nannte er die Namen von ungarischen KP-Mitgliedern, mit denen er in der Schweiz, Frankreich und Spanien Kontakt gehabt hatte. Daraus wurde von Parteichef Rákosi eine antikommunistische Verschwörung konstruiert, deren Leiter Noel Field sei. Die genannten Personen wurden daraufhin verhaftet, darunter der Außenminister László Rajk und der Kaderchef der Partei der Werktätigen Tibor Szőnyi. Auch diese wurden vielfach verhört und schwer misshandelt. Noel Field zog im Juli seine erzwungenen falschen Beschuldigungen zurück und war danach als Hauptanklagezeuge nicht mehr zu gebrauchen. Im August entwarf der Parteichef Rákosi gemeinsam mit Stalin in einer Besprechung den detaillierten Ablauf des Prozesses.[4] Im September wurde ein großer Schauprozess durchgeführt, der zu mehreren Todesurteilen sowie langjährigen Gefängnisstrafen führte. Dabei waren auch offizielle Vertreter aus Polen, der ČSR und weiteren Ländern als Beobachter anwesend. Kontakte zu Noel FieldIn dem Prozess in Budapest wurde behauptet, dass Noel Field mit seinen Bekannten aus der Emigrationszeit die kommunistischen Parteien in Ungarn und anderen östlichen Ländern im Auftrag der CIA unterwandern würde. Damit war jeder verdächtig, der irgendwann einmal mit ihm in dieser Zeit in Kontakt gewesen war. Noel Field war damit
Dieses galt dann auch für Personen, die gar nicht direkt mit ihm zu tun hatten, sondern nur mit dessen Mitarbeitern. Die sowjetische Führung, besonders Stalin selber, drängten nun die Verantwortlichen in mehreren östlichen Ländern, gezielt jeden zu überprüfen, der in der Emigration in Frankreich, der Schweiz, Spanien oder Mexiko gewesen war und so dieses Spionagenetzwerk zu zerstören. DDRGeschichtlicher ÜberblickDurch den Prozess gegen László Rajk in Budapest im September 1949 geriet die SED-Führung unter Druck, auch ihre Westemigranten zu untersuchen, vor allem jene mit Kontakten zu Noel Field. Der ungarische Parteichef Rakosi hatte Namen von 40 deutschen Genossen gesandt, die er bei den Geständnissen unter Folter erfahren hatte.[6] Seit Oktober 1949 untersuchte die Zentrale Parteikontrollkommission der SED durch eine Sonderkommission unter Leitung von Herta Geffke alle Westemigranten.[7][8] Sie sollten detailliert schriftlich ihre dortigen Erlebnisse schildern und zu wem sie Kontakte hatten, was die meisten auch gewissenhaft taten. Daraus ergaben sich zunächst keine Konsequenzen für die meisten Betroffenen, weil sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ab 1945 alle schon einmal überprüft worden waren. Anfang 1950 drängte der Leiter der Politischen Abteilung der Sowjetischen Kontrollkommission Wladimir Semjonow noch einmal, warum es bis dahin in der DDR keine sichtbaren Säuberungen gegeben habe. Seit März 1950 wurden die Untersuchungen gegen einige engere Kontaktpersonen von Noel Field verschärft. Danach wurden einige Ausschlüsse bekanntgegeben. Am 24. August 1950 beschloss das Plenum des ZK der SED den Parteiausschluss von sechs Mitgliedern wegen der Verbindung zu Noel Field, drei von ihnen wurden verhaftet, vier weitere wurden ohne Parteiausschluss ihrer Funktionen enthoben.[9][10][11] Die prominentesten Beschuldigten waren die Politbüromitglieder Franz Dahlem und Paul Merker, die engen Kontakt zu Noel Field hatten, und sich noch 1948 für seine Übersiedlung nach Prag oder Ost-Berlin eingesetzt hatten. Sie blieben aber wegen ihres hohen Ansehens in der Partei zunächst von Verhaftungen verschont. In den folgenden Monaten wurden zahlreiche weitere Westemigranten von führenden Posten entbunden oder aus der SED ausgeschlossen. Auch einige Mitglieder der westdeutschen KPD mussten sich den Untersuchungen unterziehen, der stellvertretende Parteivorsitzende Fritz Sperling wurde in der DDR verhaftet, weitere Vorstandsmitglieder verloren ihre Parteifunktionen.[12] Es gelang den Verantwortlichen aber nicht, einen Schauprozess wie in Budapest vorzubereiten, da die dafür vorgesehenen Verhafteten die gewünschten Geständnisse nicht erbrachten.[13] Durch den Slánský-Prozess in Prag im November 1952 geriet die SED-Führung erneut unter Druck, da dort Paul Merker mit seinen Verbindungen zu Noel Field erwähnt wurde. Sie sah sich gezwungen, diesen und zwei weitere Personen zu verhaften und außerdem die Kontakte von weiteren Parteimitgliedern zu Beschuldigten des Slánský-Prozesses zu untersuchen.[14] Dieses geschah aber wieder nur zögerlich und ohne Konsequenzen für die meisten Betroffenen. Erst als der Leiter der politischen Abteilung der Sowjetischen Kontrollkommission Wladimir Semjonow erneut nachdrücklich stärkere Konsequenzen forderte, wurden im Frühjahr 1953 Maßnahmen gegen Franz Dahlem und zwei weitere Parteimitglieder (ohne Bezug zu Noel Field) beschlossen.[15] Nach dem Tod von Stalin im März 1953 wurden zwar einige Maßnahmen gegen Ausgeschlossene abgemildert, aber noch 1954 wurden einige der Inhaftierten zu mehrjährigen Strafen verurteilt. Erst nach dem XX. Parteitag der KPdSU im März 1956 wurden alle Verurteilten entlassen und alle von den Verfahren Betroffenen intern ohne öffentliche Bekanntmachung rehabilitiert, da ihre Verurteilungen unrechtmäßig gewesen seien. BilanzDie Untersuchungen von SED-Mitgliedern aus der Westemigration mit direkten oder indirekten Kontakten zu Noel Field verlief wesentlich glimpflicher ab als in Ungarn oder der ČSR. Es gab keine vollstreckten Todesurteile, dafür aber einen ungeklärten Todesfall in der Haft (Willi Kreikemeyer), zwei Todesfälle als unmittelbare Folge der Beschuldigungen (Paul Bertz, Rudolf Feistmann), zwei nicht vollstreckte Todesurteile durch sowjetische Gerichte (Leo Bauer, Erica Wallach), mindestens fünf mehrjährige Haftstrafen, sowie zahlreiche Entlassungen und Parteiausschlüsse. Die Untersuchungen seit 1949 geschahen vor allem auf sowjetischen Druck, die DDR-Führung hatte anfangs offenbar kein großes Interesse daran, wohl, da sie alle betroffenen Genossen als verlässlich einschätzte. Deshalb gab es auch verhältnismäßig wenige Verurteilungen. Präsident Wilhelm Pieck und sogar der SED-Chef Walter Ulbricht schützten einzelne Personen gegen zu rigorose Maßnahmen. Insgesamt waren mindestens 300 Personen in der DDR von den Untersuchungen zu Noel Field betroffen.[16] Alle waren bis dahin als absolut zuverlässige Genossen bekannt.[17] Es konnte bei allen Untersuchungen kein einziger Beleg für eine tatsächliche Zusammenarbeit von Beschuldigten mit dem US-amerikanischen Geheimdienst oder anderen westlichen Organisationen festgestellt werden. Einzelne BetroffeneVerhaftungen und Todesfälle
Weitere Betroffene
Weitere BefragteWeitere untersuchte SED-Mitglieder waren Albert Norden, Anna Seghers, Ludwig Renn und andere, diese hatten meist keine negativen Konsequenzen. Westdeutsche Betroffene
Außerdem wurden die führenden westdeutschen KPD-Funktionäre Kurt Müller, Willi Prinz und Ewald Kaiser in der DDR durch das MfS 1950/1951 aus anderen Gründen verhaftet und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. HaftbedingungenDie wenigen Verhafteten wurden zunächst von der SED an einen neutralen Ort zu einem unverdächtigen Termin geladen und danach in der Nähe von Mitarbeitern des MfS verhaftet. Diese brachten sie dann in die Albrechtstraße, Schumannstraße oder nach Hohenschönhausen. Dort waren, sie meist in einer kleinen Kellerzelle mit einer Holzpritsche und einem Fäkalienbehälter ohne Fenster und Heizung untergebracht. In zahlreichen Verhören sollten sie ihre Schuld gestehen. Der Hauptverantwortliche dafür war der Staatssekretär Erich Mielke. Die Vernehmungen wurden meist nachts durchgeführt, es wurde psychischer Druck ausgeübt, aber keine direkte körperliche Gewalt. Schriftliche Anklageschriften, Gerichtsverfahren und Verurteilungen erfolgten meist erst viele Monate später. Es gab für die Gefangenen keine Außenkontakte und auch meist auch keinen Hofgang. Bei den Gefangenen unter sowjetischer Kontrolle (Leo Bauer, Fritz Sperling und Erica Glaser-Wallach) wurde bei den Verhören auch regelmäßig körperliche Gewalt ausgeübt.[19] ČSRAuch in der Tschechoslowakei gab es Beschuldigungen gegen mehrere hochrangige Funktionäre der KPČ wegen Kontakten zu Noel Field in der Emigration. Präsident Gottwald konnte diese aber zunächst noch einige Zeit gegen sowjetischen Druck schützen. Dennoch wurde ein großer Schauprozess gegen 14 Regierungsmitglieder und Parteifunktionäre in Prag vom 20. bis 27. November 1952 durchgeführt, mit dem Vorwurf der Spionage unter Leitung von Noel Field. Elf der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, darunter der Parteivorsitzende Rudolf Slánský und sein Stellvertreter, sowie der Außenminister Clementis und vier stellvertretende Minister. Die meisten von ihnen hatten eine jüdische Herkunft. FazitZwischen 1949 und 1952 gab es in mehreren Ländern unter sowjetischer Vorherrschaft umfangreiche Maßnahmen gegen einige Parteifunktionäre und Mitglieder. Diese betrafen vor allem Emigranten, die in den 1930er und 1940er Jahren in westlichen Ländern gelebt hatten. Diese waren offensichtlich durch die sowjetische Führung schwerer zu disziplinieren als diejenigen, die in dieser Zeit in Moskau gewesen waren. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil von ihnen war jüdischer Herkunft, wie zum Beispiel im Prager Slánský-Prozess. Den meisten der Beschuldigten konnten Kontakte in dieser Zeit zu Noel Field nachgewiesen werden, da er sie mit seinem Komitee unterstützt hatte. Literatur
Einzelnachweise
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