Der Gründer der Werft, Carlos Roeder (1902–1960), hatte nach seinem Ingenieurstudium in Lissabon und Deutschland zunächst Güldner-Dieselmotoren an die Fischereigesellschaft Empresa de Pesca de Aveiro verkauft und wurde darüber Partner in der Gesellschaft. Er überzeugte sie, von der Dory-Fischerei auf die Schleppnetzfischerei umzustellen, ließ dazu 1935/36 auf der Nakskov Skibsværft in Dänemark den ersten portugiesischen Groß-Trawler, die Santa Joana, bauen und kaufte wenig später als zweiten Trawler die ausgebrannte Spitzberg, die nach Reparatur in Aveiro als Santa Principesa in Dienst gestellt wurde.[1][2][3][4][5] Aufgrund des perspektivischen Bedarfs an weiteren modernen Trawlern versuchte er, mit der Empresa de Pesca de Aveiro eine Werft zu gründen, doch die Fischereigesellschaft zeigte kein Interesse.
Gründung und Aufbaujahre
Carlos Roeder ging daher daran, eine eigene Werft zu gründen. Etwas außerhalb von Aveiro fand er an der Lagune Ria de Aveiro ein geeignetes Gelände am Rande der Gemeinde São Jacinto, auf dem zuvor eine Düngemittelfabrik Fischreste verarbeitet hatte. Es umfasste 70.000 Quadratmeter Fläche, von der etwa 20.000 Quadratmeter bebaut waren. Mit Freunden und Mitarbeitern gründete er 1940 die Werft Estaleiros São Jacinto, deren Gründung von der Regierung unterstützt wurde. Diese förderte den heimischen Schiffbau, da sie die Entwicklung und Modernisierung der portugiesischen Flotte anstrebte. Beim Ausbau des Geländes erhielt die Werft drei Slipanlagen über 46,0 Meter, 65,5 Meter sowie 70,0 Meter Länge, die Schiffe bis zu 1600 Tonnen aufnehmen konnten.[6][7] Für den Antrieb und die Stromerzeugung der Schiffe wurden Motoren von verschiedensten Herstellern wie MWM, MAN, Sulzer, Mirrlees, Fairbanks, MAK und anderen zugekauft.
Während des Zweiten Weltkrieges konnte die Werft aufgrund des Materialmangels keine Schiffe bauen. Stattdessen betätigte sie sich im Metall- und Maschinenbau. Als bekanntestes baute sie den Hangar der damaligen Marinefliegerschule in São Jacinto, der eine Spannweite von 60 Metern hatte und zwei Wasserflugzeuge aufnehmen konnte.[8]
Schiffsbau-Innovationen
Die ersten Reparatur- und Umbauarbeiten fanden 1945 statt, als der lokale Trawler São Gonçalo von Dampfantrieb auf einen Dieselmotor umgerüstet wurde.[8] Ein Jahr später folgte als erster Neubau das KüstenmotorschiffCaramulo für die Reederei Empresa de Navegação Continental aus Aveiro und 1947 das SchwesterschiffNereus für die Reederei Bagão, Nunes & Machado aus Lissabon.[9][10] 1951 folgte mit 1100 Tonnen Tragfähigkeit die Dione für die Reederei Empresa Continental de Navegação. Sie blieb für Jahre das größte Schiff der Werft.[11][12][13][14] Diese Schiffe waren auch die ersten Schiffe, bei denen in Portugal das Elektroschweißverfahren angewendet wurde. Die Werft um Carlos Roeder führte in den folgenden Jahren weitere innovative Techniken im Schiffbau Portugals ein: 1951 wurde erstmals ein Schiff verlängert – zu dieser Zeit nicht nur in Portugal eine Neuheit. Dabei wurde der frühere Trawler und 1947 zum Frachtschiff umgebaute Rui Alberto der Reederei Ribamar aus Aveiro um gut 6 Meter verlängert.[15] Das Hauptgeschäft der Reederei bestand jedoch weiterhin aus der Überholung und Reparatur der lokalen Fischereifahrzeuge.
Die ab 1955 von der portugiesischen Regierung geförderte Erneuerung der Fischereiflotte führte auch in São Jacinto zu einer guten Auftragslage. Dabei führte die Werft weitere Neuerungen ein: Bei dem Seitentrawler João Ferreira und seinen Schwesterschiffen Neptune, Rio Alfusqueiro und Vimieiro, die sie für die Indústria Aveirense de Pesca baute, führte sie eine neue und effizientere Raumaufteilung ein und verwendete statt des bislang genutzten Gleichstroms nun Wechselstrom für die Beleuchtung. Wenige Jahre später wurde 1960 mit der Artevido der erste Hecktrawler des Landes gebaut. Auch für die Küstenfischerei wurde dieses Prinzip schnell übernommen und die Werft stellte rund 30 neue Hecktrawler her, von denen die „Vila do Conde“ aus dem Jahr 1977 den letzten dieser Serie bildete.[8]
Etwa Anfang der 1970er Jahre erweiterte die Werft ihr Portfolio um Schlepper. Mit der Verwendung von Kortdüsen und Verstellgetrieben in der Arad-Klasse gelang der Werft die Konstruktion eines Schleppers, der niedrige Produktions- und Betriebskosten und eine hohe Zugkraft aufwies. Von dieser Klasse stellte sie 18 Exemplare her, die auch in den Export gingen.[8] Bereits früher hatte die Werft einzelne Tank- und Bunkerschiffe gebaut und erhielt auch Aufträge von der portugiesischen Marine, die Patrouillenboote bestellte. Nach Trawlern und Schleppern baute die Werft 1977 mit der Tunes ihr erstes Passagier- und Fährschiff. In den nächsten Jahren folgten zahlreiche weitere Fährschiffe für den Einsatz auf dem Tejo und anderen Flüssen, den Inselverkehr auf den Azoren wie für den Export. Allein Transtejo erteilte einen Auftrag über sechs Fähren, den sogenannten Cacilheiros.[16]
Im Trawlerbau entwickelte die Werft in den 1980er Jahren die Heckfänger weiter, von den viele nach Norwegen in die Kleine Hochseefischerei exportiert wurden. Zu ihnen zählt etwa die 1987 für Arctic Seafood gebaute Sea Prawn. Diese Schiffe sind auch für den Einsatz am Polarkreis vorgesehen und dafür eisverstärkt, für den Krabbenfang und -verarbeitung ausgestattet und sind zum Teil bis heute im Einsatz.[17]
Die Gesamtheit des Portfolios und der Anzahl von Neubauten einschließlich der Neuerungen führten zu Folgeaufträgen und gleichzeitig zur Aufstockung der Mitarbeiterzahl von 150 auf einen Höchststand von über 600 Beschäftigten in den Jahren ab 1975 bis mindestens Anfang der 1980er Jahre. Gleichzeitig waren infolge der Auftragslage und Auslastung die Kapazitäten der Werft erschöpft. Erstmals musste sie Aufträge weitergeben. So gingen Schlepperneubauten als Unteraufträge an die Werft H. Parry & Son in Cacilhas – etwa die Dokhan und die Portel. Zugleich gab es erste Absichten und Planungen, die Werft auszubauen: Die Kapazitäten sollten verdoppelt werden und Schiffe von bis zu 6000 Tonnen gebaut werden können. Diese Pläne wurden jedoch nicht umgesetzt.[16]
Von Ausbauplänen zur Schließung
Über das Ende der Werft liegen nur bruchstückhafte Informationen vor: Nach Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft und der Reduzierung der Fangquoten brachen Reparatur- und Neubauaufträge der heimischen Fischereiwirtschaft ein. Diese konnten auch durch Exporte von Trawlern – wie nach Norwegen – und durch Bauten von Fähren nicht aufgefangen werden. Gleichzeitig wuchs im Schiffbau der Druck durch die Konkurrenz asiatischer Werften und infolge dieser geänderten Rahmenbedingungen sowie von Misswirtschaft führten ausbleibende Aufträge zur Insolvenz und zur Schließung des Betriebes. Das Datum der Schließung liegt nicht vor; die letzten bekannten gebauten Schiffe wurden im Jahr 2007 ausgeliefert.[18][19] Während ihres Bestehens hat die Werft 211 Schiffe gebaut. Die Gebäude der Werft sind noch nicht abgerissen, aber stark verfallen.
Bauliste (Auswahl)
Eine Bauliste der Werft existiert bislang nicht in der Literatur – die aufgeführten Einträge enthalten eine Auswahl von Schiffsneubauten und Umbauten.
16,8 Meter langes hölzerne Schnellfähre für 89 Fahrgäste; beförderte täglich rund 2000 Einwohner, Werftarbeiter und Luftwaffenangehörige zwischen Aveiro und São Jacinto; 1996 außer Dienst, seit 2013 Hafenrundfahrten.[20][21][22]
Erster eigentlicher Neubau der Werft; Haupteinsatz im portugiesischen Küstenverkehr, darüber hinaus Fahrten nach Marokko, Grönland und Neufundland sowie ins Mittelmeer; 1970 griech. Pioneer, 1979 zypr. Radino, Nach 1992 wahrscheinlich abgewrackt.[23]
Nereus
1947
Küstenmotorschiff
334 BRT
Bagão, Nunes & Machado
Wie das Schwesterschiff Caramulo Einsatz im Küstenverkehr und Marokko; 1977 griech. Efii und Kalathos, im gleichen Jahr 120 Meilen südwestlich Port Sudan gesunken.[10][24][25]
Dione
1951
Küstenmotorschiff
746 BRT
Empresa Continental de Navegacão;
Einsatz im Küstenverkehr und Nordafrika, Mittelmeer bis nach Neufundland; zuletzt Postbeförderung zwischen Leixões und den Azoren sowie Madeira; 1988 in Lissabon abgewrackt;[11][13][14][26]
Erste Schiffsverlängerung der Werft, der frühere Trawler war 1947 zum Frachtschiff umgebaut worden und nun verlängert; 1947 Ankauf durch Ribamar; bis zur Strandung 1954 in Marokkos Küstenverkehr im Einsatz.[15]
Verband ab 1963 in Portugiesisch-Timor die Kolonialhauptstadt Dili mit den Küstenorten sowie Singapur und anderen Nachbarländern für Waren- und Personentransport. 1973 im Sturm gesunken.
Madeirense (2)
1962
Frachtschiff
1214 BRT
Empresa de Transportes do Funchal
zweiwöchentliche Obsttransporte von Madeira nach Portugal; 1989 an Porto Santo Line und Umbau für 120 statt 12 Passagiere, 2000 als künstliches Riff versenkt.[31]
Santa Isabel
1965
Trawler
2056 BRT
Empresa de Pesca de Aveiro
Früher port. Hecktrawler der Hochseefischerei für Einsatz vor Neufundland (IMO-Nr. 6511623), 1971 durch Kollision zerstört;[32]
Lutador
1967
Trawler
1665 BRT
Empresa de Pesca Lavadores
Hecktrawler der Hochseefischerei für Einsatz vor Neufundland (IMO-Nr. 6711390); 2018 noch in Fahrt;[33][34]
Patrouillenboot für den Küstenwache; 1998 ausgemustert.[35]
P1149 Dom Jeremias
1968
Patrouillenboot
63 Tonnen
Portugiesische Marine
Patrouillenboot für den Küstenwache; 1998 ausgemustert.[35]
Carlos Roeder
1968
Trawler
180 BRT
?
Hecktrawler für Küstenfischerei (IMO-Nr. 6900276); weiteres unklar;[36]
Funchalense (3)
1968
Frachtschiff
1290 BRT
Empresa de Navegação Madeirense
Neubau der Reederei und Schwesterschiff der Madeirense (2) für den Linientransport von Stückgut, Obst und Passagieren zwischen Portugal und Madeira. 1989 nach Cap Verde verkauft und als Jenny 2009 abgewrackt.[37]
Bunkerschiff/Produktentanker; von Shell Portugal (IMO-Nr. 7010896); ab 1970 im Hafen Lissabon im Einsatz; spätere Namen Galp Rio (bis 2011) und Baia für Enacol, Cap Verde.[38]
Capitão Pisco
1970
Trawler
180 BRT
Testa & Cunhas
Hecktrawler für Küstenfischerei; 1986 in Figueira gestrandet;[39][40]
Früher Schlepper der Werft, auch zur Brandbekämpfung ausgerüstet (IMI 7037246); Einsatz in Lissabon für Lisnave (1970–2000), anschl. für Lisbontugs (2000–2005), für Svitzer Lisboa (2005–2007), ab 2007 für Epinosul; 2011 in Luanda/Angola im Einsatz.[41][42]
Brites
1971
Trawler
1951 BRT
Brites, Vaz & Irmãos
Hochseetrawler für Einsatz auf der Neufundlandbank (IMO-Nr. 7107431); 1997 von der Empresa de Pesca João Vilarinho übernommen; 2018 in Fahrt;[43]
Coimbra
1972
Trawler
1951 BRT
Empresa de Pesca de São Jacinto
Hochseetrawler für Einsatz auf der Neufundlandbank (IMO-Nr. 7228091); unklar, ob noch in Fahrt.[44][45]
Aveirense
1974
Trawler
1990 BRT
Empresa de Pesca Lavadores
Hecktrawler der Hochseefischerei für Einsatz vor Neufundland (IMO-Nr. 7362823); 2019 in Fahrt;[34]
Mitrena
1975
Schlepper
258 BRT
Lisnave
IMO 7385083; Werftschlepper bei Lisnave in Setúbal, 1989 Einsatz bei Reboques e Assistência Naval S.A. (REBONAVE), Setubal; Verbleib unklar;[46]
Erster von 6 Schleppern der Arad-Klasse für Bahrain, Verwendung von Kort-Düsen; ausgerüstet auch für Brand- und Schadstoffbekämpfung und als Bergungsschlepper; Schwesterschiffe El Azil, Sawad, Al Qalaa, Dokhan und Ryya Noon. Weitere 8 Bauten für Lisnave, 2 für Soponata und 2 für Setenave.[47]
Zusammen mit dem Schwesterschiff Pinhal Novo erstes Passagierschiff der Werft; 1979 ausgeliefert; 1994 an Soflusa – Soc. Fluvial de Transportes; 2004 stillgelegt, 2005 unter panam. Flagge nach Angola verkauft als Kwanza Tours II, 2006 Espresso dos Bijagós auf der Strecke Bissau – Bubaque, Verbleib unklar.[48]
Vila do Conde
1977
Trawler
1992 BRT
Tavares, Mascarenhas, Neves & amp
Hecktrawler der Hochseefischerei (IMO-Nr. 7385071). 1998 abgewrackt.[49]
Zweiter Passagierschiff-Neubau der Werft; Schwesterschiff der Tunes; Einsatz als Tejo-Fähre, 2006 verkauft und umgebaut, seit 2007 Ausflugs- und Restaurantschiff in Lissabon;
Principe da Beira
1981
Fährschiff
313 BRT
Veltagus-Companhia de Navios Charter Lda
bis 2015 als Montes Claros Fähre auf dem Tejo, seitdem Hafenrundfahrten in Lissabon (IMO-Nr. 7813236).[50]
1953 bei Estaleiros Navais de Viana do Castelo gebaut für Einsatz auf dem Tejo bei Lissabon (IMO-Nr. 8966767); 1983 aufgelegt; 1989 umgebaut in Aveiro, 1991 neu motorisiert;[52]
Rio Agueda
1993
Trawler
172 BRZ
?
IMO-Nr. 9034262, Rio Agueda; 2016 nach Senegal verkauft: Senefand Uno, 2017 vor Senegal gesunken.[53]
Odd Lundberg, 2003 vergrößert auf 768 BRZ, 2015 Verkauf nach Sierra Leone: Gromoboy, 2016 Übergabe nach Russland, 2019 in Fahrt.[17]
Skår Senior I
2002
Trawler
1119 BRZ
Skår Senior, Nerlandsøy, Ålesund
Skår Senior I, 2003: Skår Senior, 2008 Vergrößerung auf 1195 BRZ, 2011: Havstål, 2015: Odd Lundberg, 2018: Morten Einar, 2019 in Fahrt.[17]
Rosenborg
2007
Trawler
383 BRZ
Hansson Fiskeriselskap, Åfjord, Trondheim
Rosenborg, 2008: Radek, 2013 verlängert, Neuvermessung 549 BRZ, 2015 Radek Senior, 2015 Übergabe nach Kamerun Jorge R, 2019 in Fahrt.[17]
Literatur
Paulo Jorge Martins da Brázia: A Marinha Mercante entre 1945–1985. As Grandes Armadoras. Universidade de Lisboa, Lissabon 2010, (Online-Version als PDF; 43 MB).
Alexandre Dias Pedro: A Construção Naval em Aveiro. O Caso dos Estaleiros Navais de São Jacinto. E-Book, 2018.
Luís Miguel Correia: Lisbon Ferry tales. River Tagus Steamers, Ferries and Catamarans. EIN Nautica, Lissabon 2012, ISBN 978-972-8536-18-3.