Ernst-Otto CzempielErnst-Otto Czempiel (eigentlich: Ernst Otto Czempiel; * 22. Mai 1927 in Berlin; † 11. Februar 2017 ebenda[1]) war ein deutscher Politikwissenschaftler im Bereich der Friedensforschung. LebenErnst-Otto Czempiel wurde als Sohn des Rektors Franz Nikolaus Czempiel und seiner Frau Anna Margarethe (“Anny”), geb. Rüther, in Berlin geboren. Czempiels Familie väterlicherseits stammte aus Dorotheendorf in Schlesien; seine Mutter stammte aus Bruchhausen bei Brilon im Sauerland. Nach dem Abitur am Schiller-Gymnasium in Berlin-Lichterfelde im Herbst 1944 war er zunächst als Schulhelfer tätig und studierte ab dem Sommersemester 1948 Geschichte, Anglistik, Philosophie und Französisch an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Februar 1957 wurde er dort bei Leo Just mit einer Arbeit über Deutschland und die Dreyfus-Affäre promoviert. Von 1957 bis 1964 arbeitete er am Lehrstuhl für Politische Wissenschaften an der TH Darmstadt und habilitierte sich dort im Jahr 1964 an der Fakultät für Kultur- und Staatswissenschaften mit der Schrift Sicherheit und Führung, Probleme und Entscheidungen der amerikanischen Außenpolitik 1945–1949. Im Anschluss an seine Habilitation lehrte Ernst-Otto Czempiel zunächst als Privatdozent an der TH Darmstadt hauptsächlich im Teilgebiet Internationale Beziehungen. Von 1965 bis 1966 ging er als Gastforscher an die New Yorker Columbia University. 1966 erhielt Czempiel einen Ruf an die Philipps-Universität Marburg auf die Professur für Internationale Politik. 1970 wechselte er an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main auf die Professur für Internationale Politik und Außenpolitik. Ernst-Otto Czempiel war verheiratet mit der Politikerin Christa Czempiel (1925–2007). Er wurde an der Seite seiner Frau auf dem Waldfriedhof Zehlendorf (Feld 057-430) beigesetzt. WirkenWährend seiner Professur in Marburg war Czempiel Vorsitzender der Sektion Internationale Politik in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), von 1967 bis 1971 und von 1992 bis 1994 war er dort Vorstandsmitglied. Als Czempiel 1970 den Lehrstuhl in Frankfurt annahm, wurde er zum Mitbegründer der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), wo er von 1970 bis 1996 als Vorstandsmitglied fungierte. Darüber hinaus war er von 1970 bis 1997 Forschungsgruppenleiter der HSFK. Seit 1997 war er Mitglied der Stiftung. Von 1972 bis 1980 war Czempiel Fachgutachter für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Darüber hinaus agierte er von 1974 bis 1976 als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung. Von 1980 bis 1985 war Czempiel Mitglied des Heisenberg-Ausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das Heisenberg-Programm hilft herausragenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und währenddessen weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Czempiel wurde 1987 zum Expert Adviser des Centre on Transnational Cooperation der Vereinten Nationen in New York und hielt diese Position bis 1991 inne. Von 1994 bis 2002 fungierte er als Vorsitzender des Kuratoriums des Hessischen Friedenspreises. Seit 1996 war er außerdem Mitglied des International Advisory Board of the Joan Kroc Institute of International Peace Studies der University of Notre Dame. Czempiel arbeitete vor allem auf den Gebieten Internationale Politik, US-Außenpolitik und Friedensforschung. Ihm zu Ehren wird seit 2008 alle zwei Jahre von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), der mit 5.000 Euro dotierte Ernst-Otto-Czempiel-Preis, im Rahmen der Jahreskonferenz der HSFK verliehen. Auszeichnungen
WerkErnst-Otto Czempiel arbeitete in der Tradition des Liberalismus. Der Liberalismus als eine Theorie der Internationalen Beziehungen geht davon aus, dass:
Der Liberalismus ist fortschrittsorientiert, verfolgt eine optimistische Entwicklungsperspektive. Der Mensch gilt im Liberalismus als aufklärungs- und lernfähig, deswegen spielen Bildung und Erziehung bei manchen Theoretikern des Liberalismus eine wichtige Rolle.[2] Czempiel hat einen besonderen Beitrag zur liberalen Friedenstheorie geleistet. In seinem Buch „Friedensstrategien“ werden unter anderem verschiedene Erklärungsansätze zum Thema „Herrschaft und Frieden“ ausgewertet. So sagt er z. B., dass Konflikte sich durchaus aus dem internationalen System ergeben können, aber:
(Czempiel 1998: 147–148) Das Herrschaftssystem bestimmt die Werteverteilung; das Herrschaftssystem ist dem Wirtschaftssystem übergeordnet. Der Gewaltgrad der Herrschaft bestimmt die Qualität eines Herrschaftssystems und die Art und Weise, wie ein internationaler Konflikt gelöst wird – friedlich oder nicht. (Czempiel 1998: 151) „Ein Herrschaftssystem, das auf hohem Konsens beruht, und deswegen gegenüber seiner Gesellschaft kein Gewaltinstrument braucht, wird auch in den Beziehungen zur internationalen Umwelt die Gewalt vermeiden“ (Czempiel 1998: 153). Czempiel formelierte es auch so: "Friede kommt von unten".[3] Demokratien entsprechen diesen Voraussetzungen. Mit einem geschichtlich-theoretischen Ausblick untermauert Czempiel seine Kernaussage: „Demokratien sind friedlicher als andere Herrschaftsformen“. Die Argumente dafür lauten:
(Krell 2004: 198) Die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Herrschaftsform und Frieden wurde in den 1980er Jahren erneut aufgegriffen. Infolge wissenschaftlicher Diskussion haben sich die meisten Politologen darauf geeinigt, dass Demokratien untereinander friedlich sind, sich aber gegenüber Nicht-Demokratien durchaus gewaltsam verhalten können – man spricht hier von dem so genannten „Doppelbefund“ (Czempiel 1998, 178), für den noch keine überzeugende theoretische Erklärung gefunden wurde. Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), bei deren Gründung Czempiel aktiv mitgewirkt hat und lange Zeit tätig war, beschäftigt sich mit ebendieser Problematik. Das Kernprojekt der HFSK prüft, ob in den drei Faktoren a) Machtposition im internationalen System, b) Allianzzugehörigkeit und c) Rollenauslegung mögliche Ursachen für die wechselhafte Interventionsneigung der einzelnen Demokratien liegen. Damit leistet das Projekt einen Beitrag zur Kritik und Weiterentwicklung der Theorie des „demokratischen Friedens“. Czempiel nennt vier Strategien, die den Frieden erzeugen:
Für den Autor ist Strategie – Friede durch Demokratisierung der Herrschaftssysteme von großer Bedeutung. (Czempiel 1999: 136) Der Ausgangspunkt von Czempiels These basiert unter anderem auf der folgenden Annahme: „Da in der modernen liberalen Staatstheorie der Träger der Souveränität das Volk ist, ist die internationale Umwelt verpflichtet, im Falle der Unterdrückung dem Volk zu Hilfe zu kommen und so die Demokratisierung zu fördern. Die Einmischung muss aber gewaltfrei verlaufen; sie kann sowohl indirekt als auch direkt erfolgen.“ (Czempiel 1999: 137) Den Prozess der Demokratisierung stellt Czempiel sich folgendermaßen vor: Die internationale Umwelt kann mit ihrem eigenen Beispiel für die Demokratie werben und so die Demokratisierung indirekt beschleunigen. Die internationalen Organisationen tragen zur Reduzierung des Sicherheitsdilemmas bei, räumen den Weg für die internationale Kooperation frei und wirken damit positiv auf die Demokratisierungsprozesse. Die Aufgabe der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang wäre, ihre politischen Anforderungen stärker zu artikulieren, die Bedeutung der Internationalen Organisationen zu betonen, die Zusammenarbeit weiterzuentwickeln und so die jungen Demokratien zu unterstützen. (Czempiel 1999: 141–145) Bei der direkten Einmischung darf nie gewaltsam vorgegangen werden (sonst lässt sich diese Vorgehensweise von der traditionellen Machtpolitik nicht unterscheiden; Gewaltlosigkeit ist deswegen hier besonders wichtig). Die direkten Maßnahmen sollen, z. B., auf die Infrastrukturverbesserung abzielen oder den wirtschaftlichen Fortschritt fördern. Czempiel war der Meinung, dass die direkten Strategien den gesellschaftlichen Akteuren (NGOs, Stiftungen etc.) überlassen werden sollen. (Czempiel 1999: 149–151) Eine weitere These besagt, es habe ein Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft stattgefunden. Sie knüpft an die Demokratisierungsthese von Czempiel an, und zwar aus folgenden Gründen:
(Czempiel 1999: 23–24) Dieser Wandel der Wirtschaft und der Gesellschaft bildet die Voraussetzungen für den Demokratisierungsprozess auf internationaler Ebene, und zwar in der Art und Weise, die bereits in der liberalen Friedenstheorie erläutert wurde. Czempiel war außerdem der Ansicht, dass nicht nur die Wirtschaft und die Gesellschaft sich verändern, sondern auch das ganze internationale System. Man spricht nicht mehr von der Staatenwelt, sondern von der Gesellschaftswelt. Die Gesellschaftswelt wird durch die wechselseitige Abhängigkeit (Interdependenz) charakterisiert. Unter den Bedingungen der Interdependenz kann die Sicherheit eines einzelnen Staates nur dann gewährleistet werden, wenn die Staaten miteinander kooperieren. Die Kooperation ist für alle beteiligten Seiten von Vorteil und sie zu beenden bedeutet, Verluste zu erleiden. Auf diese Weise wird die Kooperation, und nicht eine Balancepolitik (mehr zu Balancing – Link 2001), zum vorherrschenden Verhaltensmuster im internationalen System. Bei Ernst-Otto Czempiel ergibt sich daher die Verbindung zum Institutionalismus und seine Kontroverse zum Realismus. Werke
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
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