Die Echten Dornfinger oder nur Dornfinger (Cheiracanthium) sind eine Gattung aus der Familie der Dornfingerspinnen (Cheiracanthiidae). Mit zurzeit 195 beschriebenen Arten ist die Gattung die größte der Familie. Sie ist weltweit verbreitet. Für Europa sind bisher 25 Arten beschrieben. Typusart der Gattung[1] und zugleich eine für die Giftwirkung auf den Menschen bekannte Art ist der Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium). Einige in Nordamerika beheimatete Arten werden dort zusammenfassend als Gelbe Sackspinnen (yellow sac spider) bezeichnet.
Die Arten der Echten Dornfinger sind für mitteleuropäische Verhältnisse mittelgroße bis große Spinnen, die größte europäische Art ist der Ammen-Dornfinger mit einer Körperlänge von bis zu 15 mm. Der Körper ist kräftig, der Vorderkörper (Prosoma) ist länglich oval und meist einfarbig beige-bräunlich. Der Hinterkörper (Opisthosoma) ist ebenfalls länglich oval. Er ist bei vielen Arten fast einfarbig grünlich oder bräunlich, bei einer Reihe von Arten zeigt er aber ein breites Mittelband. Die Cheliceren (Kieferklauen) sind auffallend kräftig und bei den Männchen zusätzlich stark verlängert.
Die relativ kleinen Augen sind in zwei dicht hintereinanderliegenden Doppelreihen angeordnet. Anders als bei den Eigentlichen Sackspinnen (Clubiona) ist die hintere Augenreihe dabei nicht deutlich breiter als die vordere.[2][3][4] Die Beine sind recht lang, dabei ist das erste Beinpaar deutlich länger als das zweite Beinpaar, bei Clubiona ist es umgekehrt.[2][3][4] Zudem fehlt im Gegensatz zu Clubiona eine klare foveale Absatzmarke am Prosoma.[3][4]
Lebensweise
Die Echten Dornfinger sind nachtaktive Jäger. Der Tag wird in Ruhegespinsten verbracht, die je nach Art unterschiedlich exponiert, meist in krautiger Vegetation oder versteckt unter Steinen und in Gestrüpp angelegt werden. Zur Fortpflanzung legen die Weibchen Brutgespinste an. Der Eikokon wird an der Innenseite des Brutgespinstes befestigt und dort ebenso wie die Jungspinnen vom Weibchen bewacht.
Bedeutung des Namens
Der deutsche Name „Dornfinger“ ist eine wörtliche Übersetzung der von C. L. Koch 1839 vergebenen Gattungsbezeichnung Cheiracanthium (griech.: ἡ χείρ hē cheir = „die Hand, die Faust, der Arm“; ἡ ἄκανθα hē akantha = „der Dorn“).[6][7] Bei der häufig verwendeten Schreibweise Chiracanthium handelt es sich um eine weder sprachwissenschaftlich noch den internationalen Regeln der zoologischen Nomenklatur entsprechend gerechtfertigte Korrektur der Umschreibung.[1][8] Der Name bezieht sich auf einen der Gattung eigenen dornartigen Fortsatz an dem Cymbium genannten, umgestalteten Tarsus der männlichen Pedipalpen, der von C. L. Koch bei der Aufstellung der Gattung als Unterscheidungsmerkmal zur Gattung Clubiona herangezogen wurde.[9] Der Name stammt somit aus der Genital-Morphologie der Gattung und weist keine Verbindung mit der Gefährlichkeit durch Biss- oder Giftwirkung einzelner Arten für den Menschen auf, wie man vielleicht glauben könnte.[6][10] Wenn auch unter „Dornfinger“ häufig die Spezies Cheiracanthium punctorium verstanden wird, so gilt die Bezeichnung im ursprünglichen und eigentlichen Sinne jedoch für alle Arten der Gattung Cheiracanthium.[6]
Bei der Verwendung der deutschen Bezeichnung „Dornfinger“ sind Verwirrungen und Verwechslungen leicht möglich. Obwohl nicht Cheiracanthium, sondern Miturga wissenschaftlich namensgebend für die Familie Miturgidae ist,[11] wurde sowohl für die Familie selbst als auch für verschiedenen Gattungen der Familie ebenfalls die deutsche Bezeichnung „Dornfingerspinnen“ verwendet. Seit der Ausgliederung der Gattung Cheiracanthium werden die Miturgidae vermehrt als „Wanderspinnen“ bezeichnet, u. a. da die Zoridae mit ihnen synonymisiert wurden.[11] Die Dornfinger-„Hysterie“ im Jahr 2006 in Österreich könnte sich an einer südeuropäischen, nach Nordamerika eingeschleppten und rezent wieder seit 1993[12] für Österreich nachgewiesenen Art – Cheiracanthium mildeiL. Koch, 1864 – entzündet haben, die möglicherweise dorthin eingeschleppt wurde oder eingewandert ist.[6][13]
Systematik
Die Gattung der Echten Dornfinger war – aus Gründen der Praktikabilität und trotz deutlicher Bedenken an einer verwandtschaftlichen Zugehörigkeit – noch bis vor kurzer Zeit in die Familie Clubionidae (Sackspinnen) gestellt worden.[14] 1997 wurde sie von Ramírez et al. in die Unterfamilie Eutichurinae der Familie Miturgidae (daher frühere Dornfingerspinnen; heute: Wanderspinnen) transferiert.[15] Deeleman-Reinhold revidierte 2001 diesen Transfer,[16] jedoch wurde diese erneute Zuweisung zu den Clubionidae nicht in den World Spider Catalog übernommen und galt somit in Fachkreisen als weitestgehend nicht akzeptierte Ansicht. Im Jahr 2014 erhob Ramírez durch eine Revision der Echten Webspinnen die Unterfamilie Eutichurinae in den Familienstatus.[17] Eutichuridae wird mittlerweile als Synonym für die Familie Cheiracanthiidae angesehen.
Liste aller Arten der Echten Dornfinger
Der World Spider Catalog listet für die Gattung der Echten Dornfinger aktuell 209 Arten.[1] (Stand: Februar 2016)
Eine Reihe der größeren Arten der Gattung kann dem Menschen relevante Vergiftungen zufügen. Dazu zählt in Europa der Cheiracanthium punctorium sowie die im südlichen Europa verbreitete Art Cheiracanthium mildei. Der Biss selbst und die anschließenden klinischen Symptome – im anglophonen Raum zuweilen als Chiracanthism[18] oder Cheiracanthism[19] geführt – werden in der Literatur sehr unterschiedlich beschrieben, da offenbar häufig Vergiftungen ohne ausreichende Sicherheit Arten der Gattung Cheiracanthium zugeschrieben wurden.[20][21] Die Bisse werden gelegentlich kaum wahrgenommen, meist aber als ähnlich schmerzhaft wie ein Wespen- oder Bienenstich empfunden. Fast immer stellt sich an der Bissstelle nach einigen Minuten ein brennender Schmerz ein. Diese Schmerzen dehnen sich dann innerhalb von Minuten oder einigen Stunden auf die gesamte gebissene Gliedmaße aus.[22] Bei Bissen in die Finger treten fast immer Schmerzen und Druckempfindlichkeit in den Lymphknoten der Achselhöhlen auf. Selten sind schwerere Verläufe mit Schüttelfrost, Schwindel, Erbrechen, leichtem Fieber oder Kreislaufversagen. Nach 24–30 Stunden sind die Symptome meist vollständig abgeklungen. Berichte über dauerhaftere Schädigungen oder gar Todesfälle gibt es nicht. Bisse bei Kindern und empfindlicheren Erwachsenen sollten ärztlich beobachtet, aber nur symptomatisch behandelt werden. Zu diesem Zweck können analgetischeSteroid-Salben, ASS oder ein Relaxans (Erschlaffungsmittel) zur Anwendung kommen.[18]
Die in der Literatur häufig zu findende Feststellung, dass Bisse von Arten der Gattung Cheiracanthium auch kleinflächige Nekrosen verursachen, ist so pauschal offenbar falsch. Eine kritische Überprüfung aller publizierten Vergiftungen durch Cheiracanthium-Arten ergab nur in einem Fall eine (durch Cheiracanthium punctorium verursachte) bohnengroße Nekrose an der Bissstelle. Weder in Europa noch in Amerika und Australien konnten darüber hinaus weitere Nekrosen durch Bisse von Arten der Gattung Cheiracanthium nachgewiesen werden.[20]
In Südafrika warnen Fachpublikationen[23] und Feldführer[24] vor den Bissen diverser Cheiracanthium-Arten, von denen besonders Cheiracanthium lawrenceiRoewer, 1951 eine signifikante Giftwirkung auf den Menschen nachgesagt wird. Cheiracanthium-Exemplare sollen dort – laut M. R. Filmer – häufig in den Häusern mit ihren Gespinstsäcken gefunden werden, nachts über schlafende Menschen laufen und auf leichte Provokationen hin aggressiv beißen.[24] Doch wurden die Verursacher der Bisse in den betreffenden Fällen offenbar nicht oder nicht fachgerecht bestimmt.[25] Auch die beschriebenen Symptome (verhältnismäßige Schmerzlosigkeit, relativ großer Abstand der Bissmarken durch die Cheliceren) werfen Widersprüche auf, die eine Überprüfung nahelegen.[25]
Gesicherte Angaben zur Häufigkeit von Bissen gibt es nicht. Auch bei zahlreichen publizierten Mitteilungen zu Vergiftungen ist häufig unklar, ob die Patienten tatsächlich durch eine Art der Gattung Cheiracanthium gebissen wurden, da die Spinne meist nicht zur Bestimmung vorlag, oder zum Teil gar nicht gesehen wurde.[20]
Spinnenbefall bei Mazda-Automobilen
Im März 2011 musste der Automobilhersteller Mazda 65.000 Fahrzeuge der Modellreihe 6 in die Werkstätten zurückrufen, da Spinnweben in der Entlüftungsleitung der Tankanlage einiger Fahrzeuge festgestellt worden waren.[26] Als Urheber wurden Tiere der ArtCheiracanthium inclusum festgestellt.[27] Trotz Einbaus einer Feder, die Spinnen davon abhalten sollte, sich in der Tankanlage niederzulassen, kam es zu einer Reihe weiterer Vorfälle der gleichen Art, und so musste Mazda im April 2014 weitere 42.000 Fahrzeuge des gleichen Modells zurückholen. Die befallenen Fahrzeuge hatten gemein, dass sie alle aus dem Automobilwerk Flat Rock in Michigan stammten. Die Ursache für das Verhalten der Tiere, insbesondere auch, warum ausschließlich Fahrzeuge dieser einen Modellreihe betroffen waren, ist bislang ungeklärt.[28]
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Carl Ludwig Koch (Begründer: Carl Wilhelm Hahn): Die Arachniden - Getreu nach der Natur abgebildet und beschrieben. C. H. Zeh’sche Buchhandlung, Nürnberg, Sechster Band, 1839, S. 1–156, hier S. 9–11 unter "Cheiracanthium Nutrix" Originalexemplar von Oxford University, URL: [1] oder [2]
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Konrad Thaler & Barbara Knoflach: Adventive Spinnentiere in Österreich - mit Ausblicken auf die Nachbarländer (Arachnida ohne Acari). In: Stapfia. Band 37 (Einwanderer - Neue Tierarten erobern Österreich.) Linz 1995, S. 55–76, zobodat.at [PDF]
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