Duloxetin
Duloxetin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) und wird in der Behandlung von Depressionen, generalisierten Angststörungen, diabetischer Polyneuropathie und Harninkontinenz eingesetzt. In den Studien wurden neben den psychischen Beschwerden auch begleitende körperliche Symptome (zum Beispiel Schmerzen) gelindert. Der analgetische Effekt bei Schmerzsymptomen in Verbindung mit Depression ist nach einer neueren Metaanalyse vorhanden, allerdings sehr gering ausgeprägt.[4] Duloxetin wurde von der Firma Eli Lilly and Company entwickelt. Das Medikament mit dem Handelsnamen Cymbalta, welches den Arzneistoff Duloxetin enthält, gehört zu den „Blockbuster-Medikamenten“ (2013 über 6 Mrd. Dollar Umsatz). AnwendungsgebieteZugelassene Anwendungsgebiete für Duloxetin sind die Behandlung von Frauen mit mittelschwerer bis schwerer Belastungsharninkontinenz (Yentreve) sowie die Behandlung von depressiven Erkrankungen, generalisierten Angststörungen und Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie (Cymbalta, Xeristar, Duloxetine Lilly). In den USA ist der Wirkstoff auch zur Behandlung der Fibromyalgie zugelassen, jedoch nicht zur Behandlung der Inkontinenz. In Deutschland wird Duloxetin im Rahmen eines Off-Label-Use ebenfalls zur Behandlung der Fibromyalgie eingesetzt[5] und stellt eine wichtige Erweiterung der Behandlungsmöglichkeit dar, wenn Amitriptylin beispielsweise nicht vertragen wird oder wegen Kontraindikation nicht verabreicht werden kann. Die Mittel sind peroral anwendbar, es sind verschiedene Wirkstärken verfügbar. Pharmazeutisch wird ausschließlich das Hydrochlorid von Duloxetin eingesetzt.[6] Entwicklung und VermarktungYentreveAm 11. August 2004 erteilte die Europäische Kommission dem Unternehmen Eli Lilly Nederland B.V. eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Yentreve in der gesamten Europäischen Union. Entgegen den Erwartungen der Partner (Eli Lilly und Boehringer Ingelheim) verlief der Umsatz von Yentreve enttäuschend, woraufhin sich Boehringer Ingelheim aus der gemeinsamen Kooperation mit Lilly im Bereich Belastungsinkontinenz verabschiedete.[7] Im Januar 2005 wurde in den USA der Zulassungsantrag für Yentreve hingegen zurückgezogen, da die FDA schwere Sicherheitsbedenken hatte. In den US-Studien kam es zu einer deutlich erhöhten Anzahl von Suizidversuchen, die FDA sprach sogar von einem doppelt so hohen Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung.[8] Bereits zuvor kam es immer wieder zu Suiziden in Duloxetin-Studien, darunter der Fall einer gesunden Probandin, die sich in einem Forschungslabor von Eli Lilly mit einem Schal erhängte. Sie war kurz zuvor von Duloxetin auf Placebo umgestellt worden, als Grund wurde daher ein akutes Entzugssyndrom vermutet.[9] Sowohl Eli Lilly als auch die FDA wurden für ihre damalige Beschwichtigungspolitik heftig kritisiert.[10] Cymbalta/XeristarIm Dezember 2004 bekamen auch Cymbalta und Xeristar eine EU-weite Zulassung, anfangs nur zur Behandlung von depressiven Episoden. Bereits 2005 wurde die Indikation um die Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie bei Erwachsenen erweitert. 2008 kam die Behandlung der generalisierten Angststörung dazu und 2009 schließlich die Erweiterung zur Behandlung depressiver Erkrankungen (Major Depression). Einzig beim Versuch, auch Fibromyalgie den Indikationen hinzuzufügen, scheiterte die Firma 2008. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA war der Auffassung, dass die Wirksamkeit von Cymbalta/Xeristar bei der Behandlung der Fibromyalgie nicht hinreichend nachgewiesen worden war.[11] Vor der Öffnung des Marktes für Generikahersteller kam Lilly 2014 mit der Zulassung Duloxetine Lilly hinzu. Boehringer zog seine 2004 erhaltene Zulassung für Ariclaim (Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie) im Jahr 2018 zurück. Kosten-Nutzen-Bewertung in Deutschland2013 lautete der Befund der ersten Kosten-Nutzen-Bewertung des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) für die Wirkstoffe Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin, dass Duloxetin im Verhältnis zum Nutzen deutlich höhere Preise als andere Antidepressiva habe.[12] Seit 2015 sind für den deutschen Markt auch Duloxetin-Generika zugelassen.[13] Pharmakologie
Duloxetin ist chiral und liegt in der (S)-Konfiguration vor. Der Wirkstoff ist ein kombinierter Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Er zeigt eine geringe Wiederaufnahmehemmung von Dopamin, hat aber keine signifikante Affinität für Histamin-, Dopamin- und Acetylcholin-Rezeptoren sowie Adrenozeptoren. Die schmerzhemmende Wirkung von Duloxetin dürfte auf eine Verstärkung der absteigenden hemmenden Schmerzbahnen im zentralen Nervensystem zurückzuführen sein. Die antidepressive Wirkung tritt erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf und ist – wie bei allen Antidepressiva – vermutlich auf die höhere Neurotransmitterverfügbarkeit durch Anpassung der Rezeptoren und ähnlicher Strukturen zurückzuführen. Im Vergleich mit anderen Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer hat Duloxetin eine 10-fach größere Selektivität für Serotonin als für Noradrenalin. Während Milnacipran die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme ungefähr gleich stark blockiert, hat Venlafaxin eine 30-fach größere Selektivität für Serotonin.[15] Verstoffwechselung (Pharmakokinetik) Die absolute orale Bioverfügbarkeit von Duloxetin schwankt stark und kann je nach Patient zwischen 32 % und 80 % liegen. Dies ist auf den starken First-Pass-Effekt zurückzuführen, der großen interindividuellen Unterschieden unterliegt, bedingt durch unter anderem Geschlecht, Alter, Raucherstatus (im Vergleich zu Nichtrauchern eine um nahezu 50 % reduzierte Plasmakonzentration), Nahrungsaufnahme und Enzymaktivität des Cytochrom P450 2D6 (CYP2D6). Auch Leber- und Nierenerkrankungen beeinflussen die Pharmakokinetik von Duloxetin. Der Abbau erfolgt gleichzeitig über die Cytochrome P450 1A2 und 2D6 (wobei Duloxetin wohl nur eine moderate Hemmung von 2D6 bewirkt und die anderen Isoenzyme damit nicht gehemmt werden[16]). Eine Hemmung eines dieser Enzyme durch andere Arzneimittel kann zu gefährlichen Überdosierungen führen (siehe Wechselwirkungen). Die entstehenden beiden Hauptmetaboliten 4-Hydroxyduloxetin und 5-Hydroxy-6-methoxyduloxetin sind beide inaktiv.[17] Unerwünschte WirkungenZu den beobachteten Nebenwirkungen gehören:
Die unerwünschten Effekte treten insbesondere in den ersten Tagen nach dem Beginn der Einnahme auf, können aber auch mehrere Wochen andauern. Im direkten Vergleich ist Duloxetin dem Venlafaxin unterlegen: Mehr Patienten brachen die Therapie wegen Nebenwirkungen ab. Sowohl Duloxetin als auch Venlafaxin schnitten bezüglich dieses Kriteriums schlechter als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ab.[19][20] Wenn die Einnahme von Duloxetin abrupt beendet wird, können Absetzsymptome auftreten. Es können Schwindel, Hyperhidrose, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, sensorische Störungen, Reizbarkeit und Angst auftreten. Daher wird empfohlen, die Behandlung ausschleichend zu beenden.[21] Eine weitere, sehr seltene, jedoch gefährliche Nebenwirkung ist das Serotonin-Syndrom, welches insbesondere in Wechselwirkung mit serotonerg wirkenden Arznei- und Rauschmitteln auftreten kann.[22][23] Wechselwirkungen und GegenanzeigenBei der Anwendung von Duloxetin zusammen mit anderen Antidepressiva ist Vorsicht geboten. Die gleichzeitige Anwendung von Duloxetin und irreversiblen Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-B-Hemmern) wie Selegilin und Tranylcypromin ist kontraindiziert. Ebenfalls kontraindiziert ist die Kombination mit CYP1A2-Inhibitoren, wie Fluvoxamin, Ciprofloxacin oder Enoxacin, da erhöhte Plasmaspiegel von Duloxetin resultieren.[21] Die Kombination von Duloxetin mit reversiblen MAO-Hemmern wie Moclobemid wird nicht empfohlen. Duloxetin sollte nicht zusammen mit Johanniskraut eingenommen werden.[24] SchwangerschaftsrisikenDas potenzielle Risiko für den Menschen ist unbekannt. Auch wenn keine Daten über die Anwendung von Duloxetin vorliegen, ist darauf hinzuweisen, dass Entzugssymptome bei Neugeborenen aufgetreten sind, wenn die Mutter kurz vor dem Entbindungstermin andere serotonerge Arzneimittel angewendet hat. Duloxetin sollte während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Die Einnahme von Duloxetin ist jedoch kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Frauen, die während der Behandlung schwanger werden oder beabsichtigen, schwanger zu werden, sollten ihren Arzt darüber unterrichten.[21] Im Tierversuch führte Duloxetin zu Schäden bei den Nachkommen trächtiger Tiere, denen es verabreicht wurde (siehe unten). Es ist jedoch unklar, ob dies auf den Menschen übertragen werden kann. Bei Nachkommen trächtiger Mäuse, die Duloxetin erhielten, wurde eine Wachstumsverzögerung der Jungen beobachtet. Bei den Nachkommen trächtiger Kaninchen konnte in einer Studie eine erhöhte Inzidenz kardiovaskulärer und das Skelett betreffender Missbildungen festgestellt werden, in einer anderen Studie jedoch nicht. Wurde Duloxetin trächtigen Ratten verabreicht, so traten Verhaltensauffälligkeiten bei deren Jungen auf.[25] HandelsnamenCymbalta (EU, CH, USA, J), Yentreve (EU), Xeristar (EU), diverse Generika Weblinks
Einzelnachweise
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