Die unsichtbaren StädteDie unsichtbaren Städte (italienischer Originaltitel: Le città invisibili) ist der Titel eines 1972 erschienenen Buches von Italo Calvino. Die deutsche Erstübersetzung von Heinz Riedt erschien 1977 im Carl Hanser Verlag, München, und zugleich im Verlag Volk und Welt, Berlin (DDR). Im Gegensatz zum Original trug sie die Gattungsbezeichnung „Roman“. Eine Neuübersetzung von Burkhart Kroeber ist 2007 bei Hanser erschienen. InhaltEine nacherzählbare „Handlung“ im üblichen Sinn gibt es in diesem Buch nicht, und es ist auch – anders als manchmal behauptet wird – kein Roman (jedenfalls hat sein Autor es nie so genannt, und das Original ist nie so bezeichnet worden), sondern ein singuläres, sich gegen alle Gattungsbezeichnungen sperrendes Stück Literatur. Es besteht aus 55 kurzen Texten, Miniaturen nach Art von Prosagedichten, von denen die kürzesten nur eine halbe, die längsten nicht einmal drei ganze Seiten einnehmen, eingebettet in eine Art Rahmenerzählung, die jedoch eher eine Situationsbeschreibung oder Spielanordnung als eine Erzählung darstellt: Marco Polo, der große venezianische Asien-Reisende im späten 13. Jahrhundert, berichtet dem alternden Mongolenherrscher Kublai Khan, Begründer der Yuan-Dynastie und somit Kaiser von China, an lauschigen Abenden in dessen Palast zu Kambaluk (= Peking), in welche Städte er auf seinen Inspektionsreisen durch das weitläufige Reich gekommen ist. Jeder der 55 Texte skizziert mit knappen Worten eine dieser (fiktiven) Städte, die jeweils eine bestimmte geographische, historische, gesellschaftliche oder allgemein menschliche Situation in ein poetisches Bild fassen und jede mit einem Frauennamen benannt sind. Was anfangs wie eine Galerie zart hingetuschter, filigraner Bilder anmutet, die in sprachlicher Form an Paul Klee oder Salvador Dalí erinnern mögen, verdichtet sich mehr und mehr zu einem beklemmenden Panorama einer von Zerfall und Untergang bedrohten Welt, die der heutigen immer ähnlicher wird. So stellt Kublai Khan am Ende die Frage, ob denn nicht „alles vergebens“ sei, „wenn der letzte Anlegeplatz nur die Höllenstadt sein kann und die Strömung uns in einer immer engeren Spirale dort hinunterzieht“. Worauf Marco Polo die inzwischen berühmt gewordene Antwort gibt:
FormDas in Paris entstandene Buch gehört in Calvinos „kombinatorische“ Phase, die von der experimentellen Literatur des „Ouvroir de littérature potentielle“ (Oulipo) angeregt worden war, aber weit über bloß formale Experimente hinausging. Die Anordnung der 55 Städtebilder folgt einem ausgefeilten Muster: In neun Kapiteln, jeweils ein- und ausgeleitet mit einem Stück der „Rahmenerzählung“, werden elf Reihen von je fünf Städten vorgestellt, jeweils durchnummeriert nach dem Muster „Die Städte und ... 1“ bis „Die Städte und ... 5“ und zyklisch miteinander verschränkt, so dass sich eine Struktur ergibt, die von weitem an das klassische Strophenschema der italienischen Dichtung erinnert: das der gereimten Terzine in Dantes Göttlicher Komödie, auf welche auch – sicher nicht zufällig – der Umstand verweist, dass es gerade neun Kapitel sind, in die Calvino den Zyklus eingeteilt hat, entsprechend den neun Kreisen der Hölle bei Dante, und dass er am Ende des letzten Kapitels explizit von der Hölle spricht. So lässt sich dieses Buch, das gewiss Calvinos poetischstes ist, am ehesten als ein modern gebrochenes „Weltpoem“ mit fernen Anklängen an Dante definieren. Calvino selbst sagte dazu einmal in einem Interview mit der New York Times: „Ich glaube, ich habe so etwas wie ein letztes Liebesgedicht an die Stadt geschrieben, in einem Moment, in dem es immer schwieriger wird, sie als Stadt zu erleben.“Ref? Das Inhaltsverzeichnis, das Calvino bewusst an den Anfang des Buches gestellt hat, macht mit den neun Kapiteln der in elf verschränkten Fünferreihen angeordneten Stadtbeschreibungen – hier ergänzt um die Namen der Städte[2] – den „kombinatorischen“ Aufbau deutlich:
WirkungDer Name der Protagonistin Irene in Herta Müllers Erzähl-Collage Reisende auf einem Bein (1989) leitet sich von der imaginierten Stadt Irene bei Calvino her. Müller lässt die Passage bei Calvino von dem deutschen Mann Franz zitieren, wo „die Stadt als Frau – ob als Hure oder Mutter – und Begehren nach ihr“ in transformierter Perspektive wieder auftauchen. Denn auch bei Müller versinnbildlicht Irene das Transitorische, allerdings aus der Perspektive einer deutschsprachigen Frau, die in den 1980er Jahren vor dem Mauerfall als Fremde in der Bundesrepublik lebt, so Antje Harnisch in ihrer Analyse von Müllers Werk.[3] Ausgaben
Sekundärliteratur
Einzelnachweise
Weblinks
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