Der Standpunkt des Betrachters befindet sich in mittlerer Höhe, so bleibt die Übersicht gewahrt und Einzelheiten sind gut zu erkennen. Das Höhenniveau steigt nach hinten an (Galgen und Segelboot sind frontal gemalt). Durch diese Winkelverschiebung entsteht ein Eindruck zusätzlicher räumlicher Tiefe.[2] Die Hauptachse verläuft, wie oft bei Bruegel, quer durchs Bild von der linken unteren bis zur rechten oberen Ecke. Die „fälschlich“ frontal gemalten Pfannkuchen (oben links) sind wohl eine bewusste perspektivische Abweichung.[3]
Inhalt und Deutung
Geschildert wird vordergründig das alltägliche Leben und Treiben in einem Dorf am Fluss nahe der Meeresküste. Die auf den Kopf gestellte Weltkugel steht für die erste Gruppe von Sprichwörtern der verkehrten, gottlosen Welt, in der die Menschen wie Narren ihrem weltlichen Treiben nachgehen. Unterhalb des Bildzentrums erkennt man farblich herausgehoben eine Frau in rotem Kleid, die ihrem Mann einen blauen Mantel umhängt; sie symbolisiert damit, dass sie ihn betrügt. Im Bildmittelpunkt sitzt der Teufel unter einem blauen Baldachin, und es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass er der Regent der Bilderwelt ist.
Bruegels Gemälde knüpft in seiner Weltbetrachtung an die Vorstellung seiner Zeit an, die Welt als sündhaft, böse und närrisch zu begreifen. Betrug und Selbstbetrug, Bosheit und Schwäche gehen Hand in Hand. Literarisch wird das Thema auch in Sebastian Brants „Narrenschiff“ und in Erasmus von Rotterdams „Lob der Torheit“ gleichermaßen eindringlich geschildert.
Im 17. Jahrhundert wurde das Bild historischen Quellen zufolge auch mit „Der blaue Mantel“ und „Verkehrte Welt“ betitelt.
Hintergrund
Sammlungen von Sprichwörtern waren zu Bruegels Zeit allgemein üblich. Erasmus von Rotterdam veröffentlichte bereits im Jahr 1500 Sprüche und Wendungen lateinischer Autoren, und Rabelais beschreibt in seinem 1564 erschienenen Roman Pantagruel unter anderem eine Sprichwörterinsel. Auch Bruegel hatte 1558 eine Serie von Tafelbildern angefertigt (Zwölf Sprichwörter, heute im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen).[3] Im selben Jahr erschien bei Hieronymus CockFrans Hogenbergs Sprichwörter-Kupferstich Blauwe Huick (Blauer Mantel), aus dem Bruegel vieles übernommen hat. Die etwa vierzig Sprichwörter sind mit Beischriften versehen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit erscheinen die Figuren und Gegenstände im Hintergrund größer als es die Perspektive erwarten ließe.[4]
Die dargestellten Sprichwörter
Die nachfolgend genannten Sprichwörter bilden einen Teil der über 100 dargestellten Sinnsprüche des Gemäldes. Die figurativ ins Bild gesetzten Sprüche sind auf dem Schwarzweiß-Bild durchnummeriert worden.
Nummer
Sprichwort (Niederländisch)
Bedeutung
Bildausschnitt
1
Den Teufel aufs Kissen binden.(nl)
Durch Starrköpfigkeit selbst den Teufel überwinden.
2
Ein Pfeilerbeißer.(nl)
Jemand ist ein scheinheiliger Heuchler.
3
Sie trägt Feuer in der einen, Wasser in der anderen Hand.(nl)
Jemand ist eine doppelzüngige Person.
4
Jemand will mit dem Kopf durch die Wand.(nl)
Stur und unbedacht etwas Unmögliches versuchen.
4
An einem Fuß einen Schuh, der andere barfuß.(nl)
Gleichgewicht ist entscheidend.
5
Scher sie ab, doch schinde sie nicht.(nl)
Opfere nicht für einen kurzfristigen Vorteil die Erträge der Zukunft; suche nicht um jeden Preis deinen Vorteil.
5
Man muss das Schaf scheren, um seine Wolle zu haben.(nl)
Man muss eine Arbeit tun, um den Lohn zu erhalten.
6
Der eine schert Schafe, der andere Ferkel.(nl)
Der eine lebt im Überfluss, der andere in Not.
7
Geduldig wie ein Lamm sein.(nl)
Sehr geduldig sein.
8
Dem Mann einen blauen Mantel umhängen.(nl)
Jemanden betrügen.
9
Er schüttet den Brunnen zu, nachdem das Kalb ertrunken ist.(nl)
Es wird erst etwas unternommen, wenn es zu spät ist.
10
Rosen (Perlen) vor die Säue werfen.(nl)
Verschwendung an Unwürdige.
11
Wer durch die Welt will, muss sich krümmen.(nl)
Wer etwas werden will, muss sich anpassen oder anstrengen.
12
Er lässt die Welt am Daumen tanzen.(nl)
Andere nach seiner Pfeife tanzen lassen.
13
Jeder reißt sich um seinen Vorteil.(nl)
Jeder will gewinnen.
14
Wer seinen Brei verschüttet hat, kann nicht wieder alles einsammeln.(nl)
Ein Schaden ist nicht wieder gutzumachen.
14
Einen Stock ins Rad halten. (nl)
Jemanden sabotieren.
15
Sich an der Seite des Geldbeutels festhalten.(nl)
Die Liebe hängt auf der Seite des Geldbeutels; sich an finanziellen Vorteilen orientieren.
Jürgen Müller: Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels d. Ä., München 1999, S. 155–171.
Altmann, Sarah: Lebt denn der alte Bruegel noch? Pieter Bruegels "Die niederländischen Sprichwörter" (1559) im heutigen Europa. Greifswald, Univ.Press, 2013.
Britta Juska-Bacher: Empirisch-kontrastive Phraseologie. Am Beispiel der Bekanntheit der Niederländischen Sprichwörter im Niederländischen, Deutschen und Schwedischen. Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 2009, ISBN 978-3-8340-0549-6 (Dissertation).
↑Rose-Marie und Rainer Hagen: Pieter Bruegel d. Ä. Bauern, Narren und Dämonen. Benedikt Taschen, Köln 1994, ISBN 3-8228-8951-2, S.61.
↑ abPieter Bruegel d. Ä. Bauern, Narren und Dämonen S. 34
↑Christian Vöhringer: Pieter Bruegel der Ältere: Malerei, Alltag und Politik im 16. Jahrhundert; eine Biographie. Stuttgart: Reclam 2013, ISBN 978-3-15-010898-7, S. 66–67