Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der WürmerDie Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer (im englischen Original: The Formation of Vegetable Mould through the Action of Worms, with Observations on their Habits, teilweise verwendete Kurzform: Worms) ist der Titel eines Werkes von Charles Darwin, dessen Erstausgabe am 10. Oktober 1881 erschien. Ein Jahr vor seinem Tod schloss Darwin mit diesem Buch seine Jahrzehnte währenden Studien über die Wechselbeziehungen zwischen Regenwürmern und Bodenbeschaffenheit sowie über das Verhalten dieser Tiere ab. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts galten Regenwürmer – sowohl in als auch außerhalb der Agrarwissenschaft – als Schädlinge.[1] Darwins genaue Beobachtungen ihrer Lebensweise sowie seine Experimente über ihr Hörvermögen, ihre Lichtempfindlichkeit, ihr Kälte- und Wärmeempfinden und die Tätigkeit ihrer Reflexe führten dazu, dass sich das Wissen um die Nützlichkeit von Regenwürmern für den Ackerbau rasch verbreitete und auch außerhalb von Fachkreisen durchsetzte.[2] Anhand von Belegen aus unterschiedlichen Kontinenten zeigte Darwin am Beispiel der Ökologie von Regenwürmern zudem erstmals die Bedeutung von Lebewesen für die Bodenbildung auf. EntstehungsgeschichteVon Dezember 1831 bis Oktober 1836 hatte Charles Darwin an einer Vermessungsfahrt der H.M.S. Beagle teilgenommen, die ihn um den Globus geführt hatte. Unmittelbar nach seiner Rückkehr begann er, seine während dieser fünf Jahre gesammelten Materialien, Manuskripte und Notizen zu ordnen und die geplanten Publikationen vorzubereiten, deren erste bereits im Februar 1838 unter dem Titel The Zoology of the Voyage of H.M.S. Beagle erschien. Die Nachwirkungen der langen Seereise und die intensive Arbeit an den Manuskripten beeinträchtigten Darwins Gesundheit so sehr, dass ihm von seinen Ärzten 1837 geraten wurde, für einige Wochen alle Arbeit einzustellen und den Sommer auf dem Land zu verbringen.[3] Darwin verbrachte diese Ferienwochen bei seinem Onkel Josiah Wedgwood II in Maer, Staffordshire. Während dieses Aufenthalts in der Sommerfrische berichtete ihm sein Onkel eine Beobachtung, die er kurz zuvor auf mehreren seiner Wiesen gemacht hatte. Francis Darwin, Darwins dritter Sohn, erinnerte 1887 daran, dass sein Vater nie verleugnet habe, durch wen er die Anregung zu seiner Regenwurm-Studie erhalten hatte: „Er war seinem Onkel Josiah Wedgwood zu Dank verpflichtet, der darauf hingewiesen hatte, dass Würmer, indem sie in ihrer Losung Erde an die Oberfläche bringen, jeden an der Oberfläche liegenden Gegenstand untergraben.“[4] Wenige Wochen nach seiner Abreise aus Maer, am 1. November 1837, verlas Darwin vor der Geological Society of London eine kurze Abhandlung On the formation of mould („Über die Bildung der Ackererde“) …
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 3 Darwins Vortrag wurde 1838 in der Zusammenfassung eines unbekannten Autors in den Proceedings of the Geological Society of London und erneut 1840 von Darwin selbst – in einer überarbeiteten und ergänzten Fassung – in den Transactions of the Geological Society veröffentlicht.[5] Ein Druckfehler in dieser zweiten Publikation veranlasste Darwin schließlich 1844 zu einer Kurzmitteilung in Gardeners' Chronicle and Agricultural Gazette, die diesmal unter dem Titel On the Origin of Mould erschien.[6] Erst zehn Jahre nachdem Charles Darwin seine heute als Hauptwerk geltende Schrift Die Entstehung der Arten fertiggestellt und die Arbeit an Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl begonnen hatte, beschäftigte er sich ab 1869 erneut mit der Bedeutung von Regenwürmern für die Beschaffenheit der Ackererde. Auslöser war eine Kritik[7] an seiner Kurzmitteilung von 1844 im Gardeners’ Chronicle:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 3 f. Aus drei Briefen von Darwins Nichte Lucy Wedgwood geht hervor, dass sie auf Bitten ihres Onkels bereits im Mai 1870 die Aktivitäten von Regenwürmern beobachtete, die sie offenbar in Gefäßen hielt; jedoch ist erst ab dem Winter 1870/71 eine Häufung von Aufzeichnungen Darwins zu dieser Thematik nachweisbar.[8] In den folgenden zehn Jahren trug Darwin alles erreichbare Schrifttum über Regenwürmer zusammen,[9] erbat aus entlegenen Weltgegenden aufgesammelte Exemplare oder zumindest genaue Beschreibungen der Kothäufchen und führte zahlreiche eigene Experimente durch. Abgeschlossen wurde das Manuskript schließlich Ende März 1881; die Herausgabe des Buches verzögerte sich aber bis Oktober 1881, weil Darwins englischer Verleger Wert darauf legte, es gleichzeitig in England und in den USA erscheinen zu lassen. InhaltDas Verhalten der RegenwürmerNoch vor Fertigstellung seines 1872 publizierten, verhaltensbiologischen Werkes Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren hatte Darwin begonnen, sich einerseits speziell mit den Ausscheidungen der Regenwürmer zu befassen, andererseits aber auch ganz generell ihr Verhalten zu studieren. In der Einleitung zur Bildung der Ackererde schrieb Darwin:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 2 Tatsächlich widmete Darwin fast 70 der rund 180 Textseiten der „Lebensweise der Würmer“. Er beschrieb ihren Körperbau und die Beschaffenheit der von ihnen bewohnten Orte und wies nach, dass sie vorwiegend nachtaktiv sind, weite Strecken kriechen und unter Wasser leben können. Ausführlich schilderte er Experimente, aus denen hervorgeht, dass Regenwürmer – die keine Augen besitzen – dennoch zwischen Licht und Dunkelheit unterscheiden können und – seiner Vermutung nach dank vorhandener Reflexe – sich schnell in ihre Röhren zurückziehen, wenn sie hell beleuchtet werden. Darwin testete ihre Empfindsamkeit gegen Wärme und Kälte, für Schwingungen im Boden sowie in der Luft:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 15 Druckveränderungen im Boden, bestätigte Darwin, können Regenwürmer hingegen sehr wohl wahrnehmen:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 17 f. Darwin testete ferner den Geruchssinn der Regenwürmer, ihre Nahrungsvorlieben, präparierte ihren Verdauungsapparat und analysierte dessen Drüsen. Über mehrere Druckseiten hinweg schilderte er sodann Experimente, die sein Sohn Francis durchführte: Auf welche Weise ziehen Regenwürmer Blätter und weitere potentielle Nahrung, aber auch kleine Papierdreiecke und andere Gegenstände nachts in ihre Röhren? Da einige dieser Gegenstände erst nach wiederholten Ziehversuchen in den Röhren verschwanden, gelangte Darwin zu der Einsicht:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 51 Schließlich beschrieb Darwin die Vorgehensweise der Regenwürmer, wenn sie ihre Röhren aushöhlen (dies geschieht seiner Beobachtung nach durch das Wegdrängen der Erde nach allen Seiten oder durch das Verschlingen derselben) und verglich das – recht ähnliche – Aussehen der Kothaufen englischer, französischer, indischer und ceylonesischer Regenwürmer. Anhand der ausländischen, ihm zugesandten Exkrementhaufen verallgemeinerte Darwin seine eigenen, in England gemachten Beobachtungen und kam zu dem Schluss, „dasz die Würmer mit dem Heraufschaffen feiner Erde an die Oberfläche in den meisten oder allen Theilen der Erde und unter den allerverschiedenartigsten Climaten“ beschäftigt seien.[10] Bodenkundliche AnalysenNach den verhaltensbiologischen Analysen widmete sich Darwin „dem mehr unmittelbaren Gegenstand“ seines Werks, nämlich „der Menge Erde, welche durch die Würmer von unterhalb der Oberfläche heraufgeschafft und später durch den Regen und Wind mehr oder weniger vollständig ausgebreitet wird.“[11] Detailliert schilderte er zunächst jenes Geschehen, das ihm Jahrzehnte zuvor sein Onkel erläutert hatte: Um das Jahr 1827 habe man in der Nähe von Maer Hall grob gemahlenen Kalk dick über ein Feld gestreut, der zehn Jahre später in einer Tiefe von drei Zoll (acht Zentimeter) nachgewiesen werden konnte. Auf einem zweiten Feldstück waren 1822 Mergel und Schlacken ausgebracht worden, die 1837 in einer Tiefe von drei bis vier Zoll (entspricht acht bis zehn Zentimeter) unter der Oberfläche lagerten. Nach weiteren Beispielen schildert Darwin schließlich ein Experiment, das – in der Nähe seines Hauses – von Dezember 1842 bis November 1871 dauerte: Binnen 29 Jahren gelangten ausgeschüttete Kreidestückchen bis in eine Tiefe von sieben Zoll (entspricht circa 20 Zentimeter), was einen Aufwurf von Erde durch Regenwürmer von 0,22 Zoll pro Jahr bedeutet (rund fünf Millimeter pro Jahr). Nach Überlegungen, wie rasch auch große, an der Oberfläche liegende Steine – wie die von Stonehenge – einsinken können, versucht Darwin die Masse der im Laufe der Zeit bewegten Erde zur Zahl der im Boden lebenden Regenwürmer in Beziehung zu setzen. Unter Verweis auf den deutschen Physiologen Victor Hensen schrieb Darwin, dass man von 133.000 lebenden Regenwürmern pro Hektar ausgehen könne, was ungefähr 133 Kilogramm Regenwurm-Biomasse entspreche. Ziel von Darwins Berechnungen war es, den Nachweis zu führen, dass „die Wirkungen einer beständig wiederkehrenden Ursache“ sich summieren und daher auch kleine Ursachen (sprich: kleine Würmer), wenn sie zahlreich vorhanden sind und genug Zeit dafür eingeräumt bekommen, große Wirkungen zeitigen können. Betrachtungen zu Archäologie und ÖkologieAnhand der ihm geschilderten Beispiele von versunkenem Dünge-Kalk auf englischen Wiesen konnte Darwin abschätzen, wie tief Steine binnen 20 bis 30 Jahren in den Boden gelangen. Am Beispiel archäologischer Ausgrabungsstätten versuchte er zudem, den Anteil abzuschätzen, den Würmer beim „Eingraben“ alter Bauten und antiker Gegenstände hatten:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 100 Die Ausgrabung einer römischen Villa rustica, deren Fußboden und Mauerreste 13 bis 15 Zoll (= rund 40 cm) unter der Oberfläche lag, nutzte Darwin, um auf dem Grabungsgelände zu beobachten, ob Regenwürmer den aus Zement und Mosaikplatten bestehenden Fußboden durchdringen können. Darwin vermutete zunächst, die Reste der Villa rustica seien im Laufe der Jahrhunderte durch angewehte Erde bedeckt worden, konnte dann aber beobachten, dass Nacht für Nacht auch zwischen den Mosaikplatten Regenwurmkot abgesondert wurde. Von Ende August bis Mitte Oktober 1877 ließ Darwin daher auf einer zuvor gesäuberten Bodenfläche die Zahl der Regenwurm-Kothaufen und -Röhren protokollieren und drei Jahre später eine Nachschau vornehmen. Auf diese Weise konnte er belegen, dass Regenwürmer – zumindest im gemäßigten Klima Englands – so gut wie immer aktiv sind, daher ständig Erde nach oben bringen und infolge des gelegentlichen Zusammensinkens ihrer Röhren selbst größere, zusammenhängende Flächen zum nahezu gleichförmigen Einsinken bringen können. Zu den Beispielen, die Darwins Sohn William untersuchte, gehört unter anderem Beaulieu Abbey, wo der Fußboden des zerstörten Kirchenschiffs 1872 in zehn bis elf Zoll Tiefe lag (rund 25 bis 28 cm). William grub nicht nur Löcher in den Rasen, um die Tiefe eigenhändig nachzumessen, sondern sammelte auch den Regenwurmkot, der sich über einem der Löcher befand – so dass abgeschätzt werden konnte, dass „die Anhäufung während eines Jahres auf einem Quadrat-Yard [= rund 0,84 ] 1,68 Pfund betragen“ dürfte.[12] Darwin kam schließlich zu dem Ergebnis,
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 129 Es folgt ein längerer Exkurs zur Zersetzung von kristallinem Gestein durch die Einwirkung der Luft, des Wassers, der Temperaturveränderungen und anderer Ursachen. Ihm schließt sich eine Beschreibung der neutralisierenden Wirkung jener von Regenwürmern produzierten Substanzen an, die sie aus kalkführenden Drüsen absondern und auf im Humus vorhandene organische Säuren einwirken lassen. Daraus leitete Darwin ab, dass die Regenwürmer zumindest indirekt auch an der chemischen Zersetzung von Gesteinen beteiligt sind. Ferner seien sie durch ihre Kaumägen an der Zerkleinerung von sandkorngroßen Partikeln unmittelbar beteiligt. Ihre Gänge dienten andererseits dazu, Regenwasser aufzunehmen, was die Erosion von Boden in Hanglage verringere. Zugleich dienten die Gänge der Belüftung des Bodens:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 176 Otto Graff hat diese Angaben Darwins Anfang der 1970er-Jahre in Freilandexperimenten an der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft bestätigt. Darwin schloss seine Anmerkungen zum Regenwurm mit den Worten:
– Charles Darwin: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, S. 177 Wirkung im 19. JahrhundertBinnen eines Monats nach ihrem Erscheinen waren 3500 Exemplare der englischen Erstausgabe verkauft, drei Jahre später belief sich der Absatz auf 8500 Stück.[13] Das Buch wurde bereits 1882 zweimal ins Russische, ins Französische,[14] ins Italienische und ins Deutsche übersetzt. Die bislang einzige Übersetzung ins Deutsche erschien in der E. Schweizerbart'schen Verlagsbuchhandlung, besorgt von dem Zoologen Julius Victor Carus, der zuvor bereits u. a. Darwins Origin of Species und The Expression of the Emotions in Man and Animals übersetzt hatte; erst 1899 folgte im gleichen Verlag die zweite (und bisher letzte) deutsche Auflage.[15] Darwin hatte 100 Freiexemplare seines Buches erhalten und viele davon noch im Oktober 1881 an Freunde und Fachkollegen verschickt, die das Buch „zumeist begeistert oder zumindest zustimmend“ kommentierten, wohingegend die Rezensenten einiger Publikumszeitschriften – beispielsweise in den USA und in Belgien – Darwins Darstellungen ablehnten, da Regenwürmer Pflanzenschädlinge seien.[16] In Deutschland und Österreich hingegen wurde Darwins Buch in zahlreichen Journalen positiv besprochen. Hierzu trug vor allem bei, dass der an der Universität Kiel lehrende Physiologe Victor Hensen parallel zu Darwin Über die Beziehungen des Regenwurms zur Urbarmachung des Bodens – so der Titel eines Vortrags von Hensen – experimentiert und auf diese Weise das Feld für Darwins Thesen vorbereitet hatte. Auch Louis Pasteur hatte beispielsweise im Juni 1881 argumentiert, dass in den Kotbällchen der Regenwürmer Krankheitserreger aus tieferen Erdschichten an die Oberfläche gelangen können: Damals war es üblich, an Milzbrand-Erregern (Bacillus anthracis) verstorbene Rinder, Schafe und Pferde auf einer Acker- oder Wiesenfläche zu vergraben. In den Kotbällchen der Regenwürmer über diesen Kadavern waren hohe Konzentrationen an Milzbrand-Erregern entdeckt worden, die nachweisbar von Weidetieren aufgenommen wurden und zu weiteren Infektionen führten.[17] Ein Jahr später erörterte auch Robert Koch diese Form der Infektion in seiner Publikation „Über die Milzbrandimpfung“.[18] Die Wiener Presse empfahl das Buch schon am 9. November 1881 ihren Lesern, da es Darwin „mit der Einfachheit und Klarheit geschrieben“ habe, die man von ihm kenne; es sei „frei von technischer Terminologie“ und daher ein „im höchsten Grade fesselndes Buch“ – „fesselnd wie ein Feenmärchen“.[19] Eine zweiteilige Rezension in der Illustrirten Zeitung begann im Dezember 1881 zum Beispiel mit der Aussage, dass „der bündige Nachweis geführt wird, dass die gewöhnlichen und oft so geringschätzig behandelten Regenwürmer eine hochwichtige Rolle im Haushalt der Natur spielen.“[20] Und Anfang 1882 hieß es in einer ausführlichen Besprechung in Die Gegenwart über Regenwürmer, „seit dem 10. October, dem Ersterscheinungstage des neuesten Werkes Darwins, beschäftigen sich Leute mit ihnen, von denen sie früher kaum angesehen wurden, und alle Zeitungen und Journale wissen von ihren Großthaten zu erzählen.“[21] An gleicher Stelle wurde auf die Parallelen zu Darwins Studie über die Entstehung der Arten hingewiesen („kleine Ursachen, große Wirkungen“) und angemerkt, dass Darwins These von der Entstehung fruchtbarer Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer „durch directe Versuche von V. Hensen“ bestätigt worden sei. Die Rezension in Die Gegenwart schloss wie folgt:
– Carus Sterne: Die Rolle der Regenwürmer …, S. 86 Trotz vieler zustimmender Kommentare: Unbestritten blieben Darwins Thesen auch im deutschsprachigen Raum nicht. Vor allem der deutsche Agrarwissenschaftler Ewald Wollny – er galt als der bedeutendste Bodenkundler seiner Zeit – äußerte sich 1882 in der von ihm herausgegebenen Fachzeitschrift Forschungen auf dem Gebiete der Agrikulturphysik ablehnend und hielt auch Hensens Experimente für fehlerhaft.[22] Wollny, „eine damalige Kapazität der wissenschaftlichen Landwirtschaft“,[23] versuchte in den folgenden Jahren, seine Position, Regenwürmer seien Schädlinge, gegenüber Darwin und Hensen experimentell abzusichern. Über seine 1883/84 und von 1888 bis 1890 vorgenommenen Experimente berichtete Wollny 1890. Darin schreibt er bereits in der Einleitung:
Mit Wollnys „Bekehrung“ – schrieb Otto Graff in seinem Rückblick auf „die Regenwurmfrage im 18. und 19. Jahrhundert“ – war „die Regenwurmfrage wenigstens in Deutschland zugunsten der überwiegenden Nützlichkeit dieser Tiere durch die Wissenschaft entschieden.“ Wollnys Experimente hatten unter anderem belegt, dass durch Regenwürmer erhebliche Ertragsverbesserungen bei unterschiedlichsten Kulturpflanzen bewirkt werden können. Die quasi offizielle Anerkennung der Regenwürmer als landwirtschaftliche Nützlinge folgte 1892, als Victor Hensen von Albert Schultz-Lupitz eingeladen wurde, einen Vortrag über Regenwürmer vor der Winterversammlung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft zu halten. Würdigung im 20. und 21. Jahrhundert1936 wurde Darwin aufgrund seines Buches in der ersten, seit 1899 existierenden Fachzeitschrift für Bodenkunde – der in Russland erscheinenden Potschwowedenije (damals bezeichnet als Pochvovedenie) – von deren Herausgeber Arseni Arsenjewitsch Jarilow (1868–1947) als einer der Gründerväter der Bodenkunde gewürdigt.[26] Der russische Bodenkundler Merkuri Giljarow (1912–1985)[27] bezeichnete Darwins Buch zudem als eine Wurzel der Wirbellosen-Ethologie.[28] Zwischen 1972 und 1979 erhoben niederländische Forscher in einem neu erschlossenen Poldergebiet von Ost-Flevoland Daten über die Häufigkeit des Vorkommens von Regenwürmern auf Grasland. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Darwin die Regenwurm-Biomasse recht niedrig geschätzt hatte. Den niederländischen Forschern zufolge leben unter ungestörten Grasflächen 300 bis 900 Regenwürmer pro Quadratmeter (im Durchschnitt sind es 500), deren Biomasse 2500 kg pro Hektar (das sind 250 g/m^2) ergibt.[29] 1979 wurde in Großbritannien eine Studie publiziert, die – angeregt durch Darwins Beobachtungen zum Absinken von Steinen im Boden – ein vergleichbares Geschehen bei Grassamen nachwies. Sowohl unter Laborbedingungen als auch im Freiland gerieten oberflächlich ausgebrachte Samen häufiger unter die Erde, wenn in dieser Regenwürmer heimisch waren. Da oberflächlich liegende Samen häufiger von Vögeln und anderen Tieren gefressen werden, habe das „Eingraben“ der Saat eine erhöhte Anzahl von Keimlingen zur Folge. Daraus wurde abgeleitet, dass „die Einflüsse von Regenwürmern auf das Saatgut für die Populationsdynamik von Pflanzen eindeutig wichtig sind.“[30] 2008 bestätigte der Biologe Kenneth Catania die von Darwin zitierte, von ihm aber nicht ausführlich experimentell erforschte Hypothese, dass Regenwürmer auf die Grabgeräusche von nahen Maulwürfen reagieren, indem sie aus ihren Gängen heraus an die Oberfläche kriechen: Die in den USA endemischen Regenwürmer der Art Diplocardia mississippiensis konnten durch das Vorspielen von aufgezeichneten Grabgeräuschen des Ostamerikanischen Maulwurfs dazu veranlasst werden, ihre Gänge zu verlassen. Catania vermutete, dass die Regenwürmer so ihren Fressfeinden ausweichen, da diese an der Erdoberfläche kaum Nahrung suchen.[31][32] In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2004 hatten deren Autoren bereits darauf hingewiesen, dass im Anschluss an Wollnys Studie von 1890 zunächst fast ausschließlich in Europa über den Zusammenhang von Regenwürmern und Bodenbeschaffenheit geforscht worden war.[33] Erst ab den 1930er-Jahren griffen chinesische und US-Forscher, ab den 1950er-Jahren auch indische und neuseeländische Forscher dieses Thema auf. Seitdem seien tausende Publikationen erschienen, die viele von Darwins Schlussfolgerungen – insbesondere seine Beobachtungen zum Einfluss der Regenwürmer auf den terrestrischen Anteil der Biosphäre – bestätigt hätten:
– G. G. Brown et al.[34] Forscher des Johann Heinrich von Thünen-Instituts beschrieben 2012 die Bedeutung der Regenwürmer wie folgt:
– Christine van Capelle et al.: Regenwurm und Co. – unverzichtbare Helfer in der Landwirtschaft[35] LiteraturErstausgaben
Sekundärliteratur
WeblinksCommons: Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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