Der Autor Cao Xueqin (曹雪芹)[2], der zwischen 1715 und 1724 geboren wurde und 1763 oder 1764 starb, verarbeitete im Roman, der sein einziges überliefertes Werk ist, sein eigenes Leben. Der vollständige Roman in der Fassung des Autors letzter Hand, ca. 1759 vollendet, kursierte nur in Manuskriptform, die letzten 40 der 120 Kapitel galten mehrere Jahrzehnte als verschollen. Erst 1791 erschien eine von Gao E (高鹗)[3] redigierte Fassung im Druck. Er behauptete, die Originalkapitel wieder zusammengetragen und nur wenig selbst geglättet zu haben. Einige Sinologen und sogenannte Rot-Forscher vermuten jedoch, dass sein Anteil größer war. 1792 gab Gao E eine zweite überarbeitete Auflage heraus.
Der Roman ist mit über 350 Figuren eine filigran verästelte Erzählung vom Aufstieg und Verfall einer chinesischen Aristokratenfamilie, in deren Zentrum die Geschichte des verwöhnten und weltentrückten Adelssohnes Jia Baoyu (贾宝玉)[4] steht, der ein nach außen hin sorgenfreies und dekadentes Leben führt, auch wenn er gelegentlich deprimiert ist, endlich aber der Welt entsagt und Mönch wird. Die Haupthandlung gruppiert sich um den Protagonisten und seine zwei Cousinen Lin Daiyu (林黛玉 – „Blaujuwel“)[5] und Xue Baochai (薛宝钗)[6].
Einige Sinologen vermuten, dass Gāo È das Ende etwas angepasst hat, um der Zensur des Kaisers zu entgehen. Damit sei ein Teil des sozialkritischen Hintergrundes verlorengegangen. In den überlieferten Originalhandschriften lassen sich aber bereits Eingriffe erkennen, weil schon Cáo Xuěqín tatsächlich existierende Personen schützen wollte.
Als Standardausgabe gilt die heute erhältliche, in überarbeiteter 2. Auflage 1996 im PekingerVolksliteraturverlag erschienene, maßgeblich von Feng Qiyong und dem Traum-der-Roten-Kammer-Forschungsinstitut erarbeitete Edition der 120 Kapitel (1. Auflage 1982, ISBN 7-02-000220-X, ixx/1606 S.).
Inhalt
Der Roman erzählt den Niedergang der in Peking lebenden Familie Jia. Obwohl der Autor die Ereignisse in die Ming-Zeit zurückdatiert hat, um der Zensur zu entgehen, beschreibt der Roman sehr detailliert die Gesellschaft und sozialen Verhältnisse unter der Herrschaft des Kaisers Qianlong. Der Traum der Roten Kammer gilt als gelungenste Darstellung Chinas zur Zeit der Qing-Dynastie. Die wichtigen chinesischen Philosophie-Strömungen des Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus lassen sich im Werk nachweisen.
Der in China geborene Choreograph Wang Xinpeng kreierte 2012 nach dem Roman das Ballett Der Traum der roten Kammer mit dem Ballett Dortmund. Die Musik dazu stammt von Michael Nyman, das Szenario stammt von Christian Baier.
Jin yu liang yuan hong lou meng (1977, Hongkong) – Englischer Titel: The Dream of the Red Chamber
Hong lou chun shang chun (1978) – Englischer Titel: Erotic Dream of the Red Chamber
Hong lou meng (1962/II, Hongkong) – Englischer Titel The Dream of the Red Chamber
Xin gong lou meng (1978, Hongkong) – Englischer Titel: Dream of the Red Chamber
Xin hong lou meng (1952, Hongkong) – Englischer Titel: Modern Red Chamber Dream
Hong lou meng (Fernsehserie mit 36 Folgen) (1987, Festlandchina) – Englischer Titel: Dream of the Red Chamber
Hong lou meng (1989, Festlandchina) – Englischer Titel: Dream of the Red Chamber
Xin hong lou meng (2010, Festlandchina) – Englischer Titel: New Dream of the Red Chamber
Zitat aus dem Nachwort von Franz Kuhn
„Wenn man gebildeten, jugendlichen Chinesen beiderlei Geschlechts gegenüber den Namen Hongloumeng nennt, dann werden ihre Augen leuchten, und sie werden erkennen, dass sie den Roman nicht nur einmal, sondern drei- oder viermal durchgelesen haben und stellenweise auswendig kennen. Die erstaunliche Beliebtheit des Hongloumeng gerade bei der chinesischen Jugend erklärt sich wohl daraus, dass der Roman sich in sehr eindringlicher ernsthafter Weise mit nahezu allen Problemen befasst, die gerade junge Chinesen beiderlei Geschlechts unmittelbar bewegen. Es ist zu beachten, dass das Alter der Hauptpersonen sich zwischen zwölf und neunzehn Jahren bewegt! Der Roman ist eine Art Lebensbrevier der chinesischen Jugend.“
– Franz Kuhn: Nachwort der deutschen Übersetzung (1932)
„Bau-yü schlief ein, kaum dass er die Augen geschlossen hatte. Ihm war, als ob Frau Tjin vor ihm ginge, und er folgte ihr leichtfüßig bis in eine Gegend, wo er rote Geländer und weißen Stein, grüne Bäume und klare Bäche erblickte. Hier war kaum die Spur eines Menschen zu finden, und kein Staub drang hierher. Erfreut dachte Bau-yü im Traum: „Welch reizender Ort! Hier würde ich gern mein Leben lang bleiben, auch wenn ich mich deswegen von der Familie trennen müßte. Das wäre doch besser, als Tag für Tag von den Eltern und Lehrern Schläge zu bekommen!“
Während er so seinen törichten Gedanken nachhing, hörte er plötzlich, wie hinter einem Berg jemand sang:
„Frühlingsträume mit den Wolken vergehen,
fallende Blüten trägt der Strom mit sich fort.
Sagt es den Jungen, den Mädchen nur allen:
Wozu sich unnütz mit Sorgen beladen?!“
Bau-yü hörte, dass es eine Mädchenstimme war, und noch ehe das Lied zu Ende war, sah er die Sängerin hervorkommen. Ihr tänzelnder Gang und ihr graziler Wuchs unterschieden sie von den Menschen. […]
Als Bau-yü erkannte, dass es eine Fee war, trat er erfreut vor sie hin, verbeugte sich rasch mit zusammengelegten Händen und sagte: „Schwester Fee, ich weiß nicht, woher du kommst, wohin du gehst und wo wir hier sind, ich bitte nur, dass du mich mitnimmst.“
Lächelnd erwiderte die Fee: „Ich wohne am Himmel des Trennungsschmerzes, inmitten des Kummernährenden Meeres, in den Wahngefilden der Großen Leere, in der Duftverströmenden Höhle des Frühlingspendenden Berges. Ich bin die Fee Warnendes Trugbild und wache über die Herzensangelegenheiten und die Liebesschulden der Menschen, über Mädchenkummer und Männertorheit in der Welt des Staubes. Weil sich unlängst Liebesnarren hier versammelt haben, bin ich hergekommen, um die Gelegenheit zu erkunden und Sehnsucht auszustreuen.
Auch dir bin ich nicht zufällig begegnet. Mein Reich ist nicht fern von hier. Aber ich habe nichts anderes für dich als eine Schale Feentee, den ich selber gepflückt habe, einen Kübel schönen Wein, den ich selber bereitet habe, ein paar Sängerinnen, die in magischen Tänzen geübt sind, und zwölf neue Feenlieder vom Traum im prachtvollen Frauengemach. Willst du versuchen, mit mir zu gehen?“
Als Bau-yü das hörte, vergaß er, wo Frau Tjin geblieben war, und folgte der Fee. Sie kamen an ein steinernes Schmucktor, das den Weg überspannte und auf dem oben in großen Schriftzeichen geschrieben stand ‚Wahngefilde der Großen Leere‘. Ein Parallelsatzpaar auf beiden Seiten lautete:
„Wenn Falsches wahr ist, wird auch Wahres falsch,
wo Nichtsein Sein ist, wird auch Sein zum Nichts.““
Eine frühe, auf ein Drittel gekürzte Teilübersetzung war die 1932 erschienene Ausgabe von Franz Kuhn, die 1956 und in den Folgejahren wieder aufgelegt wurde und heute der aktuellen Ausgabe des Insel Verlags zugrunde liegt. 2007 erschien Rainer Schwarz’ Übersetzung der ersten 80 Kapitel. Martin Woesler fügte in der zweiten Auflage 2009 die Übersetzung der Kapitel 81 bis 120 hinzu und edierte Schwarz’ Übersetzung. Schwarz zeigte sich entsetzt ob der Vielzahl von Fehlern, die Woesler nicht nur in der eigenen Übersetzung, sondern auch in der von Schwarz einführte.[9][10][11] Auch andere Sinologen kritisierten Woeslers Übersetzungsarbeit.[12][13]
In anderen Sprachen liegen schon länger vollständige Übersetzungen vor, die beste in einer anderen westlichen Sprache ist von David Hawkes und John Minford auf Englisch und heißt nach einem der chinesischen Alternativtitel[1]The Story of the Stone also known as The Dream of the Red Chamber. Für eine Übersicht von Übersetzungen in die deutsche Sprache siehe Literatur.
Literatur
《红楼梦大辞典》 Hongloumeng-Wörterbuch, 北京 Peking: 文化艺术出版社 Kultur und Kunstverlag 1990, 1503 S. [chinesisch, Überarbeitete Neuauflage in Vorbereitung.]
Überblick über die Rotforschung im 20. Jh.: 杜景华: 《红学风雨》, 长江文艺出版社, Februar 2002 (chinesisch)
Aktuelle Diskussionen, insbesondere um Hu Shis und Yu Pingbos Rollen: 张庆善 (Hg.): 《红楼梦学刊》, 中国艺术研究院 Peking, ISSN1001-7917 [chinesisch, Monatsschrift seit 1979.]
Zu den vier Fassungen der ersten gedruckten Ausgabe Chengjiaben: Xu Rencun, Xu Youwei: 《紅樓夢版本的新發現》 中外文學, 1. Mai 1980 Nr. 92 (8–12, chinesisch)
Literaturwissenschaftliche Hinweise: William H. Nienhauser Jr., ed. The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, Indiana University Press 1986, 2 Vols. (englisch)
Deutsche Rotforschung: Wolfgang Kubin (Hg.), Hongloumeng. Studien zum Traum der Roten Kammer, Bern et al.: Peter Lang 1999 (Schweizer Asiatische Studien 34)
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Übersetzung mit Erlaubnis des Verlags zitiert aus (OTRS-Freigabe liegt vor):
Cao Xueqin, Gao E: Der Traum der Roten Kammer. Hrsg.: Martin Woesler. 2. Auflage. Europäischer Universitätsverlag, Bochum 2009, ISBN 978-3-89966-500-0, Kapitel 5, S.87–91 (chinesisch: 紅樓夢 / 红楼梦, Hóng Lóu Mèng. Übersetzt von Rainer Schwarz, Martin Woesler).
↑Rainer Schwarz: Der Traum ist aus im Sonnenhaus Martin Woeslers Übersetzung der Kapitel 81 bis 120 des Hongloumeng 紅樓夢. In: Monumenta Serica. Band58, Nr.1, Dezember 2010, ISSN0254-9948, S.357–394, doi:10.1179/mon.2010.58.1.010.
↑Rainer Schwarz: Einige Bemerkungen zur deutschen Neuübersetzung des Hongloumeng. In: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens e. V. Jg. 77, Heft 181-182, 2007, S.187–195 (uni-hamburg.de [PDF; 226kB]).
↑Hartmut Walravens: Rainer Schwarz (1940-2020) zum Gedenken. In: Orientierungen: Zeitschrift zur Kultur Asiens. Band33. Ostasien Verlag 2022 (ostasien-verlag.de [PDF; 556kB]).
↑Bernd Kramer: Forschung an Hochschulen: Von der Wirtschaft in die Wissenschaft. In: Der Spiegel. 23. August 2017, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. Juni 2023]).
↑Jungling Yao: Die deutschen Übersetzungen des Hongloumeng. Doktorarbeit. Berlin Juni 2009 (fu-berlin.de [PDF; 1,6MB]).