Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet ist ein Märchen (ATU 590). Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der 2. Auflage von 1819 an Stelle 121 (KHM 121). Dort schrieb sich der Titel ab der 3. Auflage ohne Komma Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet.
Ein Königssohn wandert in die Welt und spielt mit mannsgroßen Kegeln vor dem Haus eines Riesen. Der trägt ihm auf, einen Apfel vom Baum des Lebens für seine Braut zu holen. Der Königssohn findet den Garten mit dem Baum. Die wilden Tiere, die ihn bewachen, tun ihm nichts. Als er den Apfel abbricht, schließt sich um seinen Arm der Ring, durch den man dazu hindurch fassen muss, wodurch er große Kraft erhält. Ein Löwe wacht auf und folgt ihm als seinem Herrn. Er bringt den Apfel dem Riesen, aber dessen Braut ist nicht zufrieden, wenn er ihr nicht auch den Ring zeigt. Der Riese versucht erst erfolglos ihn dem Prinzen im Kampf wegzunehmen, dann stiehlt er ihn, als sie im Fluss baden, aber der Löwe holt ihn wieder zurück. Der Riese sticht dem Königssohn die Augen aus und führt den Blinden dann zweimal zu einem Abhang, damit er zu Tode stürzt, aber der Löwe verhindert es beide Male und stürzt den Riesen hinunter. Der Löwe führt den Königssohn zu einem Bach, dessen Wasser ihm das Augenlicht zurückgibt. Der Königssohn wandert weiter und trifft eine schwarze Jungfrau in einem verwünschten Schloss, die ihn bittet sie zu erlösen. Dazu verbringt er drei Nächte in dem Schloss und lässt sich dort von kleinen Teufeln quälen, ohne sich zu fürchten oder einen Laut von sich zu geben. Dabei kommen die Teufel jedes Mal um Mitternacht, nehmen zunächst keine Notiz von ihm, spielen und reden über seine Anwesenheit, ehe sie über ihn herfallen. Morgens kommt die Jungfrau und heilt ihn mit Wasser des Lebens, wobei von Mal zu Mal ihre schwarze Farbe schwindet. Schließlich ist das Schloss erlöst, der Königssohn und die schneeweiß gewordene Prinzessin heiraten.
Claus Riemann nutzt das Märchen im Sinne der astrologischen Psychologie, um den Löwe-Aspekt zu veranschaulichen. Demnach hole der Königssohn den Apfel nicht aus innerem Antrieb, sondern um dem Riesen zu beweisen, dass ihm alles möglich ist, was seine unreife Einstellung zeige. Das selbstsichere Siegerkonzept des Königssohnes werde durch sein Erblinden ins Wanken gebracht. Laut Riemann nutze dieser darauf die Ohnmachtserfahrung zu einer Veränderung seines Selbstbildes, was sich in der Reaktion auf das Hilfegesuch der Prinzessin äußere, das er "mit Gottes Hilfe" zu erfüllen versucht. Der Entwicklungsprozess des Märchens beschreibe demnach eine Wandlung hin zu einem innerlichen Heldentypus und einer von äußerlichen Umständen unabhängigen inneren Würde.[5]
Regina Kämmerer bemerkt den Gegensatz von mutigem Prinz und großtuerischem Riesen, der dessen Zuversicht für sich nutzen will.[6]
Literatur
Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 574–579. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag; ISBN 3-538-06943-3)
Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. S. 212–213, S. 491–492. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 268–269.
↑Rölleke, Heinz (Hg.): Märchen aus dem Nachlass der Brüder Grimm. 5. verbesserte und ergänzte Auflage. Trier 2001. S. 35–37, 107–108. (WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier; ISBN 3-88476-471-3)
↑Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 268–269.
↑Walter Scherf: Das Märchenlexikon. Band 2. C. H. Beck, München 1995, ISBN 978-3-406-51995-6, S. 1373–1377.
↑Claus Riemann: Der tiefe Brunnen. Die zwölf Archetypen der psychologischen Astrologie. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2003, S. 153, 159–164.
↑Regina Kämmerer: Märchen für ein gelingendes Leben. KVC-Verlag, Essen 2013, S. 115–116.