Das Ende (Anna Seghers)Das Ende ist der Titel einer 1945 entstandenen Erzählung von Anna Seghers, die erstmals 1946 in New York in der Sammlung Der Ausflug der toten Mädchen und andere Erzählungen herauskam. Ein Jahr später erschien sie ebenfalls in der Neuausgabe des Buches in Berlin. Die Autorin greift darin auf die Figur des Scharführers Zillig aus dem Roman Das siebte Kreuz zurück und verfolgt dessen Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg. Geschildert werden die letzten Stationen seiner Flucht, nachdem er versuchte, in sein altes Leben auf einem Bauerndorf zurückzukehren. ÜberblickIn Umkehrung der Flucht der KZ-Häftlinge des Romans „Das siebte Kreuz“ ist in der Erzählung „Das Ende“ der KZ-Aufseher Zillich der Verfolgte. Nach der zufälligen Begegnung mit dem ehemaligen Häftling Volpert, der in einer Parallelhandlung die Fahndung auslöst und auch selbst recherchiert, flieht er aus seinem Dorf. In einer Stationensequenz versucht er unterzutauchen, wird aber auf jeder Etappe mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Vorgeschichte im Lager PiaskiNach Westhofen arbeitet Zillich als Wachmann in verschiedenen Lagern, zuletzt unter dem aus dem „Siebten Kreuz“ bekannten Kommandanten Sommerfeld in Piaski[1]. Er bewacht zusammen mit seinem Kollegen Nagel und dem Personal die meist jüdischen Insassen, die er schmierige Treppen ablecken lässt, und quält die Arbeitskolonnen mit Strafexerzieren. „Gleichgültig-aufmerksam“ verfolgt er die Ausführung seiner Befehle: Hinrichtungen am Galgen, nächtliche Erschießungen, zu-Tode-Prügeln. Vor Anrücken der Sowjets werden die meisten Gefangenen erschossen. Die Aufseher verändern ihr Aussehen und ihre Namen, setzen sich in den Westen ab und tauchen dort unter. Zillich kehrt zu seiner Familie auf den abgelegenen Bauernhof zurück. Während er vor dem Krieg als SA-Mann oft bei Schlägerei-Einsätzen unterwegs war, seine Frau für sich arbeiten ließ, sie schlecht behandelte und in der Kriegszeit seine Familie nur ab und zu im Urlaub besuchte, erwirbt er jetzt durch seine Arbeitsamkeit die Achtung der Dorfbewohner und er fühlt sich sicher. InhaltIn der amerikanischen Besatzungszone leitet der Ingenieur Kurt Volpert einen Reparaturzug bei der Instandsetzung einer Eisenbahnstrecke in einem süddeutschen Mittelgebirge. Er begegnet zufällig dem Bauern Zillich, der mit seiner Frau und den vier Kindern in der Nähe des, wie auch die anderen Orte, fiktiven Dorfes Zeißen wohnt. Seine abstehenden Ohrläppchen erinnern ihn an einen „Das Schweinsohr“ genannten brutalen Büttel im KZ, das Volpert im Chaos der letzten Kriegstage überlebt hat. Er denkt über die Ähnlichkeit nach und möchte den Bauern befragen, doch dieser ist plötzlich verschwunden und hat seiner Frau die Nachricht hinterlassen, er sei zur Arbeit auf einem Neubau gerufen worden. Darauf beginnt Volperts Handlungsstrang und damit der Aspekt der rächenden Gerechtigkeit. Der Ingenieur meldet seine Beobachtung der alliierten Behörde, und dann noch einmal mit ergänzenden Angaben, und lässt Zillich auf die Suchliste der NS-Verbrecher setzten. In Braunsfeld findet man auf Grund seiner Beschreibung Zillichs Spur und folgt ihr bis zur Baustelle. Doch inzwischen gab es in der Fabrik eine Explosion, und die Behörde geht von Zillichs Tod aus und meldet dies seiner Frau. Parallel dazu macht sich Volpert selbst auf die Suche. Er fährt nach Zeißen und spricht mit dem Bürgermeister Abst und dem Lehrer Degreif, die beide im KZ inhaftiert waren. Sie haben Verständnis für Volperts Racheforderung, doch der Lehrer richtet seinen Blick auf Zillichs Sohn Hans: „Damit die da leben können […] und besonders der da. […] Ich habe in einem Märchen gelesen, der Teufel hätte einmal ein Mädchen geschändet. Da hat ihr der Himmel erlaubt, einen Sohn zu gebären, der nur die guten Eigenschaften vom Vater erbt. […] Der Sohn wurde ausnehmend klug.“[2] Während sich Hans und Volpert gegenseitig finster anblicken, will sich Degreif, nachdem Zillichs vermutete Selbsttötung bekannt wird, um den Jungen kümmern, der seinen Vater hasst. Am Ende der Erzählung gibt er dafür eine Erklärung: „Der Junge hatte nichts anderes als Schande und Ekel von seinem Vater erfahren. Der Vater hatte ihn in die Welt gesetzt und dann im Stich gelassen. Jetzt mußte ein anderer, ein fremder Vater, jetzt mußte er selbst für ihn sorgen.“[3] In der Kontrasthandlung beginnt für Zillich mit seiner Identifikation die Flucht von einer Station zur nächsten, weil er auf jeder Etappe einer Figur seiner Vergangenheit oder einer Person begegnet, die ihn verraten könnte. Dabei ist er sich keiner Schuld bewusst: Er habe nur Befehle der Führer ausgeführt. Jetzt will er in Ruhe leben und erwartet von den „Kameraden“ auf der Wanderung oder an den Arbeitsplätzen Unterstützung.
Vorgeschichte im KZ WesthofenIm Roman „Das siebte Kreuz“ tritt Zillich nur in wenigen Kapiteln auf (z. B. Kp. I,4; Kp. III,1; Kp. V,3; Kp. VI,1 u.7). Er gehört im Herbst 1937 zur „Equipe“ des Kommandanten Fahrenberg. Als Befehlsempfänger, Melder, Blitzableiter für die jähzornigen Attacken des Vorgesetzten, nachdem sieben Häftlinge aus dem Lager geflohen sind, ist er auf Unterordnung gedrillt. Als Leiter der SA-Gruppe beaufsichtigt er die Folterverhöre der wieder eingefangenen Ausbrecher und lässt sie zur Warnung der auf dem Hof angetretenen Inhaftierten an Kreuze binden. Im 6. Kp. (VI, 7) wird Zillichs Lebensgeschichte skizziert, etwas ausführlicher als in der Erzählung „Das Ende“: Er wächst als Bauernsohn bei Wertheim auf und kämpft als Soldat im Ersten Weltkrieg. „Sein angeborener Verstand, seine Riesenkräfte waren von klein auf eingezwängt, unberaten, unerlöst, unverwendbar. Er hatte im Krieg das eine gefunden, was ihn erleichterte. […] Er wurde nicht wild beim Anblick des Blutes, wie man es Mördern nachsagt. Das wäre noch eine Art Rausch gewesen, noch heilbar, vielleicht durch andere Räusche. Der Anblick des Blutes beruhigte ihn. Er wurde so ruhig, als ströme sein eigenes Blut aus der tödlichen Wunde, wie ein eigener Aderlaß. Er sah hin, wurde ruhig und ging weg, und er schlief dann auch ruhig.“ Einen solchen Blick der „Ruhe“ und „Ebenbürtigkeit“ wird der blutüberströmte Wallau am Ende seines Verhörs auf sich gerichtet sehen und dabei denken: „Das ist der Tod“. 1918 kehrt Zillich in seinen verwahrlosten Bauernhof zurück und überlässt seiner überforderten Frau weiterhin die Arbeit. Stattdessen sitzt er im Wirtshaus und räsoniert mit den anderen Gästen über den verlorenen Krieg und die wirtschaftliche Not. Schuld daran sind immer die anderen. Widerspricht ihm jemand, kommt es zu Prügeleien. Sein Hof wird zwangsversteigert und er muss den winzigen Hof der Schwiegereltern übernehmen. Von der schweren Ackerarbeit befreit ihn ein Kriegskamerad, indem er ihn für die SA anwirbt. Jetzt schlägt er sich mit Kommunisten und bekommt für eine Messerstecherei eine Gefängnisstrafe. Nach der Entlassung trifft er bei einem SA-Treffen Fahrenberg, seinen Leutnant aus dem Krieg. Dieser verhilft ihm zu einer Anstellung im Lager Westhofen. Hier ist er vom Wohlwollen des launischen Vorgesetzten abhängig. Nach der Flucht der sieben Häftlinge wird der Kommandant abgelöst und durch Sommerfeld ersetzt, Zillich muss die Verantwortung für die „Besondere Kolonne“ abgeben und fragt sich, ob sein Chef ihn mit zu seiner neuen Stelle nimmt, ob er in Westhofen nach Auflösung der Clique allein zurückbleibt oder ob er seinen Posten verliert und wieder auf den Bauernhof zurückkehren muss. Seine Frau hofft im Gegensatz zu ihm auf seine Rückkehr, um durch seine Arbeitskraft das verpachtete Feld wieder selbst zu bewirtschaften und dadurch Geld zu sparen. Außerdem rechnet sie damit, dass sie durch seine Beziehungen als Alter Kämpfer und ihren Kinderreichtum bevorzugt behandelt werden. RezeptionDie Erzählung „Das Ende“ wird meist in Verbindung mit dem Roman „Das siebte Kreuz“ rezipiert, z. B. von Sonja Hilzinger[7] Dabei werden neben der Thematik auch die sprachlichen Mittel fokussiert: Kontrasthandlung, Stationensequenz, Mischung aus realistisch gezeichneten Personen und Symbolfiguren mit surrealen Verhaltensweisen, wie das alte Männlein. LiteraturSonja Hilzinger: „Jetzt sind wir hier. Was jetzt geschieht, geschieht uns.“ Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“. In: Sonja Hilzinger (Hrsg.): „Das siebte Kreuz von Anna Seghers. Texte, Daten, Bilder.“ Sammlung Luchterhand Frankfurt a. M. 1990, S. 7 ff. Einzelnachweise
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