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Als Dachstuhl bzw. Stuhl wird in der Baufachsprache im engeren Sinne ein stuhlartiger Teil der Dachkonstruktion verstanden, der in Sparren- und Pfettendächern angeordnet wird und diese von unten unterstützt.[2] Der Dachstuhl stützt die Dachsparren oder die Kehlbalken und dient der Aussteifung des Dachs in Längs- und Querrichtung. Es ist in der Regel auch ohne Mitwirkung der aufgelegten Sparren für sich alleine standsicher.[3]
Demgegenüber wird im weiteren umgangssprachlichen Sinn mit dem Begriff Dachstuhl auch das gesamte Gefüge einer Dachkonstruktion bezeichnet.[4]
Der Begriff ist im Deutschen seit 1598 belegt („tachstuel“[5]). Der Wortbestandteil „Stuhl“ bedeutet hier „Gestell“, insbesondere eines, auf dem etwas anderes ruht.[6][7]
Material und Konstruktion
Der Dachstuhl besteht üblicherweise aus Holz. Für die Wahl des Materials sind besonders maßgebend die Spannweite, die Feuersicherheit und die Kosten; insofern gibt es seit dem 19. Jahrhundert auch Eisendachstühle[8] und seit dem 20. Jahrhundert Dachkonstruktionen mit Traggliedern aus Stahlbeton.
Bei einer hölzernen Stuhlkonstruktion in einem Dachtragwerk werden die Stützen beziehungsweise Stiele auch als Stuhlpfosten, Stuhlsäulen oder Binderstiele bezeichnet.[9] Die schräg stehenden Stuhlsäulen eines liegenden Dachstuhls heißen liegende Stuhlsäulen.
Eine Reihe davon bildet zusammen mit Schwellen, Rähmen und Streben einen parallel zum First stehenden Längsverband, die Stuhlwand.[10] Die Schwelle zur Lastverteilung unter liegenden Stuhlpfosten wird Stuhlschwelle genannt.[9] Am oberen Ende der Pfosten verlaufen zur Unterstützung der Kehlbalken Längshölzer, die verschieden bezeichnet werden: Stuhlpfetten[11] (auch Stuhlwandpfetten, Stuhlrähme[12][13] oder Kopfbandpfetten (Bugpfetten)[14]).
Durch die Verstrebung der Pfosten und Pfetten zur Stuhlwand sowie oft durch Kopfbänder, wird die Errichtung des Dachstuhls erleichtert und gemeinsam mit Windrispen die Längsaussteifung des Dachwerks gewährleistet.[11]
Stehender Stuhl
Ein stehender Stuhl ist ein Stuhl mit lotrechten Stuhlsäulen. Sind diese zur Unterstützung der Firstpfette oder zur mittigen Stützung der Kehlbalken nur in der Längsachse unter dem First angeordnet, wird vom einfach stehenden Stuhl gesprochen, bei einer zweireihigen Stellung vom doppelt oder zweifach stehenden Stuhl. Kombinierte Konstruktionen werden auch als mehrfach stehender Stuhl bezeichnet.[15]
Ein stehender Stuhl ist die Standardkonstruktion des Pfettendachs als Satteldach, wenn die Mittelpfette nicht auf einer Mittelwand bzw. auf Quer- und Giebelwänden aufgelagert werden kann. Ein Sparren- und Kehlbalkendach ist hingegen bei geringen Spannweiten auch ohne Stuhl zu errichten.
Liegender Stuhl
Beim liegenden Stuhl sind die Stuhlsäulen schräg geneigt und stützen sich oben am Spannriegel ab. Ihre Fußpunkte befinden sich in der Regel auf dem Dachbalken (Deckenbalken) dicht über der Außenwand oder einer anderen tragenden Wand. Liegende Stühle können sowohl in Pfetten- als auch in Sparren- und Kehlbalkendächer angeordnet sein.
Ein Vorteil dieser Anordnung liegt in einer besseren Nutzbarkeit des stützenfreien Dachraumes. Der liegende Stuhl belastet zudem die darunterliegenden Dachbalken (Deckenbalken) am Rand in der Nähe des Auflagers und nicht in der Feldmitte. Dies sorgt für ein geringeres Biegemoment. Der liegende Stuhl wird darum auch (oft in Kombination mit einem Hängewerk) dann eingesetzt, wenn im Geschoss unter der Balkenlage große stützenfreie Räume entstehen sollen und die Decke nicht durch die Dachkonstruktion belastet werden kann, beispielsweise über dem Mittelschiff einer Kirche.
Stuhl mit Spreng- und Hängewerkbinder und liegendem Stuhl
Beispiele
Großes Pfettendach: Der Dachstuhl ist als Binder (Dachbinder) ausgeführt, alle fünf Sparrenfelder ein Binder. Der Längsverband, aus Firstpfette und Mittelpfetten, ist mit Kopfbändern ausgesteift (Kopfbandpfetten). Die Hängepfosten mit angehängtem Binderbalken (Bundbalken) sind hier nicht weiter belastet. Die Bundbalken sind mit einer doppelten Brettreihe in Längsrichtung stabilisiert.
Dachstühle, Konstruktionsübersicht aus Meyers Konversationslexikon (4. Aufl. 1885–90): Fig. 1 und 2 zeigen Dachwerke ohne Stuhlkonstruktion im engeren Sinne. Die Stühle in Fig. 3,4, 5, 10 und 11 sind in Querrichtung nicht für sich alleine standsicher, soweit sie nicht durch diagonale Streben o. ä. ausgesteift werden. Legende:S. 404 * (a) Dachbalken (Hauptbalken) * (b) Sparren * (c) Kehlbalken * (d) senkrechte Stuhlsäulen * (e) Stuhlpfetten * (f) Firstpfetten * (g) (Zwischen-)Pfetten * (h) Kopfbänder * (i) geneigte Stuhlsäulen * (i) liegende Stuhlsäulen * (k) Spannriegel * (l) Fußpfetten * (n)(q) Streben * (o) Kehlzangen * (p) Gegenstreben * (r) Stichbalken / -zangen * (s) Hängesäulen * (t) Oberzüge * (u) Unterzüge
Literatur
Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 25. Dezember 2023), S. 124.
Johann Friedrich Penther: Ausführliche Anleitung zur bürgerlichen Bau-Kunst (Band 1): Enthaltend ein Lexicon Architectonicum oder Erklärungen der üblichsten Deutschen, Französischen, Italiänischen Kunst-Wörter der Bürgerlichen Bau-Kunst (…). Johann Andreas Pfeffel, Augspurg 1744, S. 50: Dachstuhl. (Digitalisat auf digi.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 15. Februar 2024)
↑Johann Friedrich Penther: Ausführliche Anleitung zur bürgerlichen Bau-Kunst (Band 2): Worin durch zwantzig Beyspiele gewiesen, wie die Erfindungen von allerhand Wohn-Gebäuden aus Stein und Holtz (...) zu machen. Augspurg 1745, Tafel XLVIII. (Digitalisat auf digi.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 26. Februar 2024)
↑Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 25. Dezember 2023), S. 124.
↑Klaus Dierks (Hrsg.): Baukonstruktion, 2. Auflage, Düsseldorf, 1990 S. 447.
↑So beispielsweise bei Otto Lueger: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2, Stuttgart / Leipzig 1905, S. 513–527, hier S. 513, Einleitungssatz: „Dachstuhl, der tragende Teil eines Daches, die sogenannte Tragkonstruktion, das Dachgerüste.“ (Digitalisat bei zeno.org, abgerufen am 17. Februar 2024)
↑Jacob und Wilhelm Grimm: dachstuhl. In: dwds.de (Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm). 1855, abgerufen am 28. Dezember 2023.
↑Satz nach Kluge Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, 2002.
↑nach Duden online unter www.duden.de, Lemma Dachstuhl, abgerufen am 12. Dezember 2008.
↑Otto Lueger: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2, Stuttgart / Leipzig 1905, S. 513–527: Dachstuhl, hier: S. 513. (Digitalisat bei zeno.org, abgerufen am 17. Februar 2024)
↑ abSatz nach Hagen Prehl: Hölzerne Dachkonstruktionen, 2. Auflage, Düsseldorf, 2001, Werner Verlag, S. 43.
↑Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Stuhlwand.
↑ abSatz nach Hagen Prehl: Hölzerne Dachkonstruktionen, 2. Auflage, Düsseldorf, 2001, Werner Verlag, S. 45.
↑Satz nach Günther Binding (Hrsg.): Fachterminologie für den historischen Holzbau. Fachwerk – Dachwerk. 38. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln. 2. überarbeitete Auflage, Köln 1990. Grafik S. 14.
↑Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Stuhlwandpfette. „… die 16/18 bis 18/20 starken Pfetten, die zur Unterstützung von über 3,5 bis 4 m langen Kehlbalken dienen …“
↑Die Kopfbandpfette (Bugpfette). In: Der Zimmererpolier. 1991 Bruderverlag, ISBN 3-87104-085-1, S. 109.
↑Satz nach Günther Binding (Hrsg.): Fachterminologie für den historischen Holzbau. Fachwerk – Dachwerk. 38. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln. 2. überarbeitete Auflage, Köln 1990. S. 15.