Marchia (I) wurde um Ostern 1791 gestiftet[1] und gliederte sich schon in einen inneren und äußeren Kreis, wie es die modernen Corps heute noch tun.[2] Wie angesehen und toleriert die Kränzchen zu dieser Zeit waren lässt sich gut erahnen, wenn man sich vor Augen führt, dass Marchia 1794 Vertreter nach Berlin entsandte, um mit dem Kultusminister über das bevorstehende Universitätsjubiläum zu verhandeln.[3] Ein frühes Mitglied der Marchia war Christian Friedrich Bernhard Augustin, der Verfasser der vielzitierten „Bemerkungen eines Akademikers über Halle und dessen Bewohner in Briefen nebst einem Anhange“, Germanien 1795.[4]
Die Stimmung änderte sich in den folgenden Jahren und so musste auch Marchia durch das am 8. März 1796 erlassene Verbot aller Kränzchen am 31. März suspendieren.[5]
Das Kränzchen wurde am 5. September 1799[6] mit den Farben orange-weiß und den Wahlsprüchen „Freundschaft, Moral, Würde“, sowie "Succurrere cadenti" rekonstituiert.[7] Im wahrscheinlich zwischen 1799 und 1801 geschlossenen Kartellvertrag der alten Hallenser Kränzchen werden Marchia die Rekrutierungsgebiete Kur-, Neumark und Brandenburg zugesprochen.[8] Am 26. Januar 1802 wurde Marchia wie die anderen Kränzchen erneut verboten, nachdem sie der Aufforderung zur Selbstanzeige vom 3. November 1801 nachgekommen war und insgesamt 65 Mitglieder gemeldet hatte.[9] Schon wenige Monate später rekonstituierte sie am 24. November[10] und beteiligte sich am 13. März 1803 am Duell bei Reideburg, bei dem ihr Senior Oppen das dritte Glied stellte und nach einem Schmiss im Gesicht noch drei weitere Verwundungen erhielt.[11] Als die als Hochburg des Pietismus bekannte, zweitälteste Universität Preußens durch Napoleon am 19. Oktober 1806 aufgelöst wurde, suspendierten auch alle Kränzchen.[12]
Nach der Wiedereröffnung der Universität bestanden zunächst nur Saxonia und Guestphalia, bevor Marchia im Sommer 1811 durch ehemalige Mitglieder der „Res Publica“ mit den Farben orange-weiß-gold (ohne Perkussion) rekonstituiert wurde.[13]
Über drei von Friedrich Ludwig Jahn entsandte Studenten, die für ihn die Stimmung für ein nach seinen Plänen zu errichtendes Freikorps ergründen sollten, kamen die Märker unter Führung ihres Mitglieds David Christian Hoffbauer in Kontakt mit der Befreiungsbewegung. Auf einen geheimen Brief hin machten sie sich schon am 13. Februar 1813 geschlossen zu Fuß auf den Weg nach Breslau, um sich dem Lützower Freikorps anzuschließen. Damit war Marchia faktisch suspendiert. Im Anschluss an die Befreiungskriege schlossen sich die rückkehrenden Mitglieder der am 11. Januar 1814 im urburschenschaftlichen Sinn gestifteten Teutonia an.[14]
Marchia (II)
Kurz bevor sich die urburschenschaftliche Teutonia am 14. Februar 1819 selbst auflöste, wurde Marchia (II) am 12. Februar gestiftet. Der bei Wilhelm Fabricius angegebene 14. Februar[15] ist nicht korrekt, wie die 1819 geschriebene Konstitution, das älteste bekannte Wappen und ein Untersuchungsergebnis der Behörden von 1833 zeigen.[6] Die Farben waren zunächst orange-gold-weiß bzw. orange-gelb-weiß, später orange-weiß-gelb (ohne Perkussion), die Fuchsenfarben orange-weiß-orange mit breiter silberner Perkussion und der Wahlspruch "Foederis membra valent concordia".
Marchia trat bald dem am 15. Februar 1819 zwischen Pomerania (II) und Guestphalia geschlossenen Kartellvertrag bei.[15] Die Verfolgung der Behörden führte jedoch nach einer Schlägerei zwischen Studenten und Halloren schon am 20. Juni zur Suspension des Senioren-Convents.[16]
Marchia rekonstituierte Mitte November 1820 und beschloss gemeinsam mit Saxonia, Thuringia und Pomerania wenige Tage darauf einen neuen SC-Comment[17]. Weitere Rekonstitutionen sind für den 4. Januar 1822[18] und den 16. Dezember 1824[19] belegt, nachdem sich Marchia um den Jahreswechsel 1823/24 aufgelöst hatte.[20] Aufgrund der starken Verfolgung der Verbindungen durch die Behörden sind Suspensionen zu dieser Zeit in Halle nichts Ungewöhnliches. Fraglich ist dabei jedes Mal, ob die betreffende Verbindung tatsächlich suspendierte, oder im Geheimen fortbestand.
Anfänglich haben Convente in Kröllwitz im Apollogarten stattgefunden, und Anfang der 1830er Jahre kneipte Marchia im goldenen Adler in Glaucha.[21] Nachdem im Jahre 1834 eine Untersuchung der Behörden die Existenz der Marchia ergab[22], suspendierte sie etwa im Herbst 1835.[23] Ein Mitglied war der Schriftsteller August Jäger. Marchia und Franconia Jena sollen das älteste Kartell begründet haben. Die beiden Corps hatten neun gemeinsame Corpsbrüder. Marchias Constitution wird im Archiv von Franconia Jena verwahrt.[24]
Marchia (III)
Marchia (III) wurde am 11. Februar 1838 aus den sogenannten „Kannibalen“ heraus gestiftet. Die Farben waren orange-weiß-gelb mit goldener Perkussion, die Fuchsenfarben orange-weiß-orange, der Wahlspruch "Vir fortis contemnit mortem" und das Wappen wurde von Marchia (II) übernommen.[23] Anfang März 1841 berichtet der Polizeiinspektor Hesse, dass die Marchia etwa 14 Mann stark sei und bei Wohlfarth kneipe. Weiter sagte er, es seien die liederlichsten, die man stets im Rausche und zu allem Unfug geneigt sehe.[25]
Viele Mitglieder kamen aus alten Familien und waren Juristen im Staatsdienst. Fraglos war Marchia III ein preußisch-aristokratisches Corps; es stand im Kartell mit Saxonia Göttingen, Pomerania, Franconia Jena und Neoborussia Berlin.[23] Mit Saxo-Borussia hatte Marchia achtzehn, mit Saxonia Göttingen acht gemeinsame Corpsbrüder. Das Kartell mit den Sachsen wurde nie aufgehoben und besteht formal noch heute. Obwohl es in Halle drei ältere Corps gab, leitete Marchia 1849 und 1857 den Congress des 1848 gegründeten Kösener Senioren-Convents-Verbandes.
Wie die Königsberger Silber-Litthauer und die Breslauer Märker litten die Hallenser Märker an den Auswirkungen der preußischen Heeresvermehrung: Der gewünschte Nachwuchs blieb aus, weil die Preußische Armee immer größer wurde und dem Adel glänzende Perspektiven bot. Marchia (III) hatte 224 Mitglieder und suspendierte am 9. Mai 1866.[23] In den letzten Jahren ihres Bestehens kneipte Marchia im Hotel zu den drei Schwänen (spätestens ab 1860) und zuletzt im Gasthaus Rosenthal (1865).[26]
Pfeifenkopf der Marchia (1855)
Schokoladentasse mit Fahnenwappen der Marchia (III), dediziert um 1861
Bauer, Erich: Eine Erinnerung an das Corps Marchia zu Halle (1811–1813), in: Deutsche Corpszeitung 56 (1955), S. 50 f.
Bauer, Erich: Joseph v. Eichendorff als Student in Halle und Heidelberg – Auszüge aus seinen Tagebüchern mit verbindendem Text und einem Nachwort der Schriftleitung, in: Einst und Jetzt, Band 6 (1961), S. 5–23.
Bauer, Erich: Stiftungsfest- und andere Lieder der Halleschen Landsmannschaften Magdeburgia, Marchia und Pomerania vor 1810, in: Einst und Jetzt, Band 16 (1971), S. 25–30.
Bruchmüller, Wilhelm: Ein Propatriaskandal zwischen Leipziger und Hallenser Studenten aus dem Jahre 1803 und seine Untersuchungsergebnisse für das damalige studentische Verbindungswesen in Leipzig, in: Studium Lipsiense – Ehrengabe Karl Lamprecht dargebracht aus Anlass der Eröffnung des Königlich-Sächsischen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig, Berlin 1909, S. 322–338.
von Eberstein, Alfred: Geschichtlicher Ueberblick über den Hallenser S.C. von 1836-1873.
Fabricius, Wilhelm: Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts und ihr Verhältniß zu den gleichzeitigen Landsmannschaften, Jena 1891.
Fabricius, Wilhelm: Die Deutschen Corps – Eine historische Darstellung der Entwicklung des studentischen Verbindungswesens in Deutschland bis 1815, der Corps bis zur Gegenwart, zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage Frankfurt am Main 1927.
Hallenser SC-Komment vom 12. Mai 1799, in: 14 der ältesten SC-Komments vor 1820, in: Einst und Jetzt, Sonderheft 1967, S. 9–16.
König, Friedrich Wilhelm: Aus zwei Jahrhunderten. Geschichte der Studentenschaft und des studentischen Korporationswesens auf der Universität Halle. Halle 1894.
Marchia Halle – Constitution vom 12. II. 1819, in: Einst und Jetzt, Sonderheft 1983, S. 79–125.
Rosenbaum, Karl: In memoriam! In Dankbarkeit für Leonhard Zander, in: Einst und Jetzt, Band 2 (1957), S. 113–115.
↑Bruchmüller, Wilhelm: Ein Propatriaskandal, S. 327.
↑König, Friedrich Wilhelm: Aus zwei Jahrhunderten, S. 147.
↑König, Friedrich Wilhelm: Aus zwei Jahrhunderten, S. 153.
↑Bauer, Erich: Eine Erinnerung an das Corps Marchia, S. 51.
↑ abFabricius, Wilhelm: Die deutschen Corps, S. 300.
↑König, Friedrich Wilhelm: Aus zwei Jahrhunderten, S. 173–174.
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↑König, Friedrich Wilhelm: Aus zwei Jahrhunderten, S. 184.
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↑Archiv der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Rep. 5 Nr. 118 Bl.88
↑König, Friedrich Wilhelm: Aus zwei Jahrhunderten, S. 60.
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↑ abcdWinkel, Gustav Gotthilf: Kösener SC.-Kalender, 26. Ausgabe Halle 1920, S. 38.
↑Marchia Halle, Constitution vom 12. II. 1819, S. 79–125.
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↑Universitätsarchiv der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Rep. 4, Abteilung XIV/II, Nr. 1625
↑Heinrich Bonnenberg, Hermann Sternagel-Haase, Alfred Methner, Georg Lustig: Geschichte des Corps Borussia zu Breslau, Die ersten 100 Jahre 1819–1919, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Aachen/Köln 1984, S. 185.