Claus Harms wurde als Sohn des Mühlenbesitzers Christian Harms (1738–1796) und der Margarethe geb. Jochims (1749–1820) in Fahrstedt im KirchspielMarne geboren. Peter Jochims war ein Verwandter. Sein Großonkel Jacob Jochims (1719–1790) war Pastor in Sankt Michaelisdonn und Propst von Dithmarschen. Von ihm und ab 1791 von seinem Nachfolger als Pastor in Sankt Michaelisdonn, Friedrich Ernst Christian Oertling, erhielt Claus Harms seinen ersten Unterricht in den alten Sprachen und anderen Wissenschaften. Die Zeit bei Pastor Oertling schrieb Harms später in seiner Lebensbeschreibung als „Jahre des aufgehenden, eindringenden, strahlenden Sonnenlichtes des Rationalismus“.[1] Trotz seines Wunsches zu studieren, absolvierte Harms zunächst eine Lehre als Müller, um seinen kranken Vater zu unterstützen. Nach dem Tode des Vaters 1796 betrieb er gemeinsam mit seinem Bruder Jacob die Mühle, verkaufte aber bald seinen Anteil an seinen Bruder und arbeitete als Knecht bei diesem, bis er genügend Geld für ein Studium beisammenhatte.
1817 veröffentlichte Harms zusammen mit einem Abdruck der Thesen Luthers zum Jubiläum der Reformation auch 95 eigene Thesen. In seinen Thesen attackierte Harms den theologischen Rationalismus als der Götzen Vernunft, den man an die Stelle Gottes gesetzt habe. Außerdem lehnte Harms die vom preußischen König betriebene Preußische Union zwischen lutherischer und reformierter Kirche zur Evangelischen Kirche in Preußen ab (siehe Agendenstreit). Seine pointierten Thesen riefen eine Flut von Schriften hervor, Gegenschriften u. a. von den rationalistischen Pastoren Friedrich Marquard Meyer und Jasper Boysen, aber auch Unterstützung z. B. von Behrends und Twesten.[2] Der sogenannte Thesenstreit 1817–1819 machte Harms zu einem Begründer des Neuluthertums. Darin beeindruckte und beeinflusste er seinen Schüler Wilhelm Heinrich Koopmann, der als holsteinischer Bischof 1867 unionistische Bestrebungen in Holstein und Schleswig abwendete. Harms erhielt u. a. Widerspruch von Friedrich Schleiermacher, einem Gegner der Zwangsunion, sowie von dem Theologen und Philosophen Christian Schreiber, wurde aber andererseits vom Rationalisten Christoph Friedrich Ammon verteidigt.
Schreiber beschrieb Harms wie folgt: „Harms, dem es offenbar nicht an Genialität, wenn auch an philosophischem Durchblick fehlt, predigte vor einigen Jahren […] in meiner Nähe, mit großem Beifall. Er hat etwas Apostolisches in seinem Wesen. Junge Prediger könnten viel aus seinen Reden lernen, wenn sie seine natürliche Beredtsamkeit von seiner gekünstelten Dogmatik immer gehörig zu unterscheiden wüßten.“[3]
Einem Ruf nach St. Petersburg, den er 1819 erhielt, und einem zweiten Ruf an die Dreifaltigkeitskirche nach Berlin im Jahr 1834 als Nachfolger Schleiermachers folgte Harms nicht. 1835 wurde er zum Hauptpastor in der Nikolaikirche sowie zum Propst der Propstei Kiel ernannt. 1841 anlässlich seines 25-jährigen Amtsjubiläums folgte die Ernennung zum Oberkonsistorialrat.
Ab 1830 publizierte Harms seine einflussreiche Pastoraltheologie (drei Bände, 1830/31/34), in der er den Pfarrer in seiner dreifachen Funktion als Prediger (Verkündigung), Priester (Taufe und Abendmahl) und Pastor (Seelsorge und Beichte) beschrieb. Ein bedeutender Schüler von Harms war Michael Baumgarten.
1806 heiratete Claus Harms die Tochter des Hoper Müllers. Zu diesem Anlass standen die Flügel der inzwischen durch einen Neubau ersetzten Bockmühle in St. Michaelisdonn in der Freudenschere.[5]
In Marne in der Claus-Harms-Straße steht ein Denkmal in Form einer Büste. Dieser Denkmal "würde von der Marner Bildhauerin Elma Grohs-Hansen (1892-1981) geschaffen und in 1928 enthüllt" (Marne Zeitung 1928).
Thesen gegen den theologischen Rationalismus, die „Vernunftreligion“:
These 1: Wenn unser Meister und Herr Jesus Christus spricht: „Thut Buße!“ so will er, daß die Menschen sich nach seiner Lehre formen sollen; er formt aber die Lehre nicht nach den Menschen, wie man jetzt thut, dem veränderten Zeitgeist gemäß. 2. Tim. 4,3
These 3: Mit der Idee einer fortschreitenden Reformation, so wie man diese Idee gefasset hat und vermeintlich an sie gemahnet wird, reformiert man das Lutherthum ins Heidenthum hinein und das Christenthum aus der Welt hinaus.
These 11: Das Gewissen kann nicht Sünden vergeben, mit anderen Worten, dasselbe: Niemand kann sich selbst Sünden vergeben. Die Vergebung ist Gottes.
These 21: Die Vergebung der Sünden kostete doch Geld im sechzehnten Jahrhundert; im neunzehnten hat man sie ganz umsonst, denn man bedient sich selbst damit.
These 24: „Zwey Ort, o Mensch, hast du vor dir“, hieß es im alten Gesangbuch. In neuern Zeiten hat man den Teufel todtgeschlagen und die Hölle zugedämmt.
These 27: Nach dem alten Glauben hat Gott den Menschen erschaffen; nach dem neuen Glauben erschafft der Mensch Gott, und wenn er ihn fertig hat, spricht er: Hoja! Jes 44,12–20.
These 32: Die sogenannte Vernunftreligion ist entweder von Vernunft oder von Religion oder von beydem entblößt.
These 37: Ich kenne ein religiöses Wort, dessen die Vernunft zur Hälfte mächtig ist und zur Hälfte nicht: „Feyer“ … wird das Wort verwandelt in „Feyerlichkeit“, ists der Vernunft gleich entrückt, ihr zu wunderlich und zu hoch. … Die Sprache ist so voll und das Leben so reich an Dingen, die eben so entfernt von der Vernunft wie von den leiblichen Sinnen liegen. Ihr gemeinschaftliches Gebiet ist das Mystische, die Religion ist ein Theil dieses Gebietes. Terra incognita für die Vernunft.
These 71: Die Vernunft geht rasen in der lutherischen Kirche: reißt Christum vom Altar, schmeißt Gottes Wort von der Kanzel, wirft Koth ins Taufwasser, mischt allerley Leute beim Gevatterstand, wischt die Anschrift des Beichtstuhls weg, zischt die Priester hinaus, und alles Volk ihnen nach, und hat das schon so lange gethan. Noch bindet man sie nicht? Das soll vielmehr ächtlutherisch und nicht carlstadisch sein!
Die Thesen 54–62 richten sich gegen die Altonaer Bibel, 1815 von Nikolaus Funk herausgegeben und mit rationalistischen Anmerkungen versehen:
These 53: … Die Bibelgesellschaften sollten eine revidirte lutherische Bibelübersetzung veranstalten.
These 54: Eine deutsche Übersetzung [sc. die originale Lutherübersetzung] mit Erklärungen deutscher Wörter versehen, heißt: sie als die Ursprache der Offenbarung ansehen. Das wäre papistisch und abergläubisch.
These 55: Die Bibel mit solchen Glossen ediren, / die das ursprüngliche Wort emendiren, / heißt: den heiligen Geist corrigiren, / die Kirche spoliren, / und die dran glauben, zum Teufel führen.
Thesen gegen die Union zwischen Lutheranern und Reformierten:
These 75: Als eine arme Magd möchte man die lutherische Kirche jetzt durch eine Copulation reich machen. Vollziehet den Akt ja nicht über Luthers Gebein! Er wird lebendig davon und dann – Weh euch!
These 77/78: Sagen, die Zeit habe die Scheidewand zwischen Lutheranern und Reformirten aufgehoben, ist keine reine Sprache. … (78) War auf dem Colloquio zu Marburg 1529 Christi Leib und Blut im Brodt und Wein, so ist es noch 1817.
These 92: Die evangelisch-katholische Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Sacrament.
These 93: Die evangelisch-reformirte Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Worte Gottes.
These 94: Herrlicher als beyde ist die evangelisch-lutherische Kirche. Sie hält und bildet sich am Sacrament wie am Worte Gottes.
These 95: In diese hinein bilden sich, selbst ohne der Menschen absichtliches Zuthun, die beyden andern. Aber der Gottlosen Weg vergehet, sagt David, Ps. 1,6.
Winter- und Sommer-Postille oder Predigten an den Sonn- und Festtagen des ganzen Jahres. 2 Teile, 6. Aufl., Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1846 (Digitalisat, Erster Theil; Digitalisat, Zweiter Theil).
Dr. Claus Harms, gewesenen Predigers in Kiel Lebensbeschreibung verfasset von ihm selber. Akad. Buchhandlung, Kiel 1851 (Digitalisat).
Auslegung der Epistel St. Pauli an die Kolosser. Schwetschke, Berlin 1857.
Johann Schmidt (Hrsg.): Claus Harms. Ein Kirchenvater des 19. Jahrhunderts. Auswahl aus seinen Schriften. Mohn, Gütersloh 1976.
Heinrich Zillen (Hrsg.): Claus Harms’ Leben in Briefen, meist von ihm selber. Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte I,4. Kiel 1909.
Lorenz Hein: Claus Harms – Leben und Werk. In: Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte (Hrsg.): Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, Bd. 5: Kirche im Umbruch. Wachholtz, Neumünster 1989, S. 77–124.
Lorenz Hein: Die Thesen von Claus Harms in der neueren theologischen Kritik. In: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, II 26/27 (1970/71), S. 70–83.
Lorenz Hein: Evangelische Spiritualität bei Claus Harms und im Weltluthertum der Gegenwart. In: Kurt Jürgensen, Friedrich-Otto Scharbau, Werner H. Schmidt (Hrsg.): Gott loben das ist unser Amt. Beiträge zu einem Leitwort (Gedenkschrift Johann Schmidt), Kiel 1984, S. 107–121.
Friedrich Wilhelm Kantzenbach: Claus Harms und seine Bedeutung für das Neuluthertum des 19. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte, 28 (1959), S. 190–205.
Heinrich August Mau: Commentatio de norma judicii extremi, quam proposuit Christus apud Matth. XXV. S. 31–46, Kiliae 1841 (Gewidmet Probst Claus Harms zur 25-jährigen Amtstätigkeit in der Gemeinde Kiel).
Johann Schmidt: Harms, Claus. In: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon. Band 2. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1971, ISBN 3-529-02642-5, S. 164–166.
Johann Schmidt: „… mächtig zu rühren die Geister“. Zum 200. Geburtstag von Claus Harms am 25. Mai 1978. In: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte II 34/35 (1978), S. 9–24.
Eberhard Schwarz: Claus Harms und das Schullehrerseminar. In: Kurt Jürgensen, Friedrich-Otto Scharbau, Werner H. Schmidt (Hrsg.): Gott loben das ist unser Amt. Beiträge zu einem Leitwort (Gedenkschrift Johann Schmidt), Kiel 1984, S. 203–211.
Hans-Friedrich Traulsen: Schleiermacher und Claus Harms. Von den Reden „Über die Religion“ zur Nachfolge an der Dreifaltigkeitskirche. Schleiermacher-Archiv 7. Berlin 1989.
Friedrich Wintzer: Claus Harms. Predigt und Theologie (Diss. Göttingen 1963). Flensburg 1965.
↑Harms: Lebensbeschreibung verfasset von ihm selber, S. 28.
↑Siehe die zeitgenössische Übersicht bei Franz Adolph Schrödter: Archiv der Harms'schen Thesen oder Charakteristik der Schriften, welche für und gegen dieselben erschienen sind: größtentheils in deren eigenen Worten, mit beigefügten kurzen Beurtheilungen. Altona: Hammerich 1818, S. Digitalisat
↑Gerd Stolz: Kleiner Führer über den Südfriedhof in der Landeshauptstadt Kiel. Herausgegeben vom Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Kiel. Kiel 1996, S. 41 f.
↑Edda. In: st-michaelisdonn.de. Abgerufen am 29. Mai 2023.
↑Frieder Schulz: Das Gedächtnis der Zeugen – Vorgeschichte, Gestaltung und Bedeutung des Evangelischen Namenkalenders, Göttingen 1975, S. 94
↑Förderverein – Vorstand gewählt! Förderverein Claus-Harms-Kapelle Reinsbüttel e. V., März 2007, archiviert vom Original am 30. Januar 2018; abgerufen am 29. Januar 2018.