Brigitte Kuhlmann wurde als Tochter eines Elektroinstallateurs geboren, der starb, als sie sieben Jahre alt war. Sie wuchs zunächst in Hannover-Mitte, dann an der Hildesheimer Straße im Stadtteil Wülfel auf. Sie besuchte das Gymnasium Goetheschule, verließ es jedoch vor dem Abitur, bezog eine eigene Wohnung in Wülfel und begann eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin in Hildesheim. Am Wochenende kümmerte sie sich im hannoverschen Annastift um Behinderte. Sie bezog mit ihrem Freund eine Wohnung in Anderten bei Hannover, holte das Abitur nach und studierte dann Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hannover.
Anfang der 1970er Jahre zog Kuhlmann nach Frankfurt am Main. Sie wohnte an der Holzhausenstraße im Stadtteil Nordend,[1] schloss sich dort der linksradikalen Szene an, lebte mit Gleichgesinnten – unter anderem Wilfried Böse und Hans-Joachim Klein – in einer Kommune und arbeitete für den Verlag „Roter Stern“, der dort seinen Sitz hatte. In ihrer Freizeit sorgte sie für Körperbehinderte und schrieb Gedichte.[2] Sie wurde Böses Lebensgefährtin, gründete mit ihm die terroristische Vereinigung „Revolutionäre Zellen“ und hatte auch enge Verbindungen zur Rote Armee Fraktion. Sie vermittelte der bereits gesuchten Ulrike Meinhof ein Quartier in Hannover, wo diese 1972 verhaftet wurde, nachdem der Wohnungsbesitzer Fritz Rodewald die Polizei informiert hatte.[3] Nach Aussage ihres letzten Lebensgefährten und RZ-Mitglieds Gerd Schnepel war diese Fehleinschätzung ein wichtiges persönliches Motiv für Kuhlmann, durch internationale RZ-Aktionen eine Freipressung Meinhofs und anderer RAF-Mitglieder zu versuchen.[4] Nach Einschätzung von Kuhlmanns Freundin und damaliger RZ-Terroristin Magdalena Kopp sah Kuhlmann in der Zusammenarbeit mit Wadi Haddad günstige Aussichten, ihre inhaftierten deutschen Freunde freipressen zu können. Gemeinsam mit Böse absolvierte sie zu diesem Ziel eine Ausbildung in einem von der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) betriebenen Lager.[5] Seit der OPEC-Geiselnahme von Wien im Dezember 1975, bei der die Täter per Flug über Algerien fliehen konnten, gehörte sie zu den meistgesuchten deutschen Terroristinnen.[2] Nach späteren Aussagen von Hans-Joachim Klein vor Gericht hatte Kuhlmann ihn im Herbst 1975 bei einem Treffen zur Teilnahme an dem Anschlag auf die OPEC-Ministerkonferenz überredet.[6][7]
Entführung von Air-France-Flug 139
Zusammen mit Böse und zwei Palästinensern aus der von Wadi Haddad angeführten Terrorgruppe PFLP-EO entführte Kuhlmann am 27. Juni 1976 den Air-France-Flug 139 von Tel Aviv nach Paris: Kurz nach der Zwischenlandung in Athen leiteten sie ihn über Bengasi in das ugandische Entebbe um. Erklärtes Ziel war die Freipressung von insgesamt 53 inhaftierten Gesinnungsgenossen – darunter vor allem in Israel einsitzende Palästinenser, aber auch sechs in der Bundesrepublik Deutschland wegen Mordanschlägen inhaftierte Terroristen einschließlich Jan-Carl Raspe (RAF) und Ralf Reinders (Bewegung 2. Juni).
Das am Flughafen Entebbe um weitere Mitglieder der PFLP-EO vergrößerte Entführerkommando trennte dort die israelischen und jüdischen von den anderen Geiseln und ließ in den darauffolgenden Tagen die meisten Nicht-Israelis und Nicht-Juden, aber auch Juden mit nicht-israelischer Staatsangehörigkeit frei.[8] Kuhlmanns Verhalten gegenüber den Geiseln während der einwöchigen Aktion wurde später von mehreren Entführungsopfern als besonders feindselig beschrieben, wodurch sie Nazi-Assoziationen weckte.[9] Eine israelische Geisel entwickelte dagegen zur selben Zeit ein fast freundschaftliches Verhältnis zu Kuhlmann und zitierte sie 40 Jahre später mit der Aussage „Schade, dass Sie Israelin sind“.[10]
↑Magdalena Kopp: Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos. DVA, München 2007, ISBN 978-3-421-04269-9, S. 103 f.
↑Thomas Riegler: Im Fadenkreuz: Österreich und der Nahostterrorismus 1973 bis 1985. S. 131, V&R unipress, Göttingen 2011
↑Neue Akzente im Opec-Prozeß, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Oktober 2000, S. 69.
↑Freia Anders, Alexander Sedlmaier: „Unternehmen Entebbe“ 1976. Quellenkritische Perspektiven auf eine Flugzeugentführung. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Jg. 22 (2013), S. 267–289, hier S. 289.
↑Smadar Reisfeld: רינה רייספלד, מחטופי טיסה 139 של אייר פראנס: "החוטפים היו משכילים, השיחות איתם היו מרתקות (Rina Reisfeld, Geisel des Air-France-Flugs 139: „Die Entführer waren gebildet, wir hatten angeregte Diskussionen mit ihnen“), in: Haaretz vom 1. Juni 2016 (hebräisch).
↑Robert Wolff: Blinde Flecken, Erzählungen, Mythen. Neue Perspektiven auf die Flugzeugentführung nach Entebbe 1976. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 71 (2023), Heft 3, S. 525–555, hier S. 554.