Bowe Bergdahl

Bowe Bergdahl (als Private First Class, 2009)

Bowe Robert Bergdahl (* 28. März 1986 in Sun Valley, Idaho)[1] ist ein ehemaliger Sergeant der United States Army. Bergdahl kam nach fünfjähriger Gefangenschaft in Afghanistan am 31. Mai 2014 wieder frei, dieses galt als „Heimkehr von ‚Amerikas letztem Gefangenen aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan‘“.[2] Als Gegenleistung übergaben die USA fünf Guantánamo-Häftlinge an Katar.

Leben

Bergdahl wurde 1986 als Sohn von Jani und Robert Bergdahl in Idaho geboren. Die Familie hat norwegische Wurzeln.[3] Sein Vater arbeitet als Kurierfahrer. Bowe Bergdahl ging nie zur Schule, sondern wurde, wie seine ältere Schwester, daheim von der Mutter unterrichtet. Im Herbst 2008 erhielt er eine 16-Wochen-Ausbildung an der Infantry School in Fort Benning, Georgia. Er war Mitglied des 1st Battalion, 501st Infantry Regiment, 4th Brigade Combat Team, 25th Infantry Division. Er war in Fort Richardson, Alaska, stationiert.

Einsatz im Krieg in Afghanistan

Bergdahl wurde ab März 2009 in der asymmetrischen Kriegführung in der Strategie der Aufstandsbekämpfung (engl.: Counterinsurgency (COIN)) auf einer US-Militärbasis, dem Außenposten Mest Malak bei der Stadt Yahya Khel, in der Provinz Paktika nahe der Grenze zu Pakistan eingesetzt. Die US-Armee beschrieb Paktika als eine zu 99 % ländlich geprägte Region des Landes, in der nur 6 % der Haushalte Zugang zu Elektrizität hat. Dort lernte Bergdahl etwas Paschtunisch. Angeblich trat er immer wieder in Kontakt mit der afghanischen Bevölkerung und verbrachte mehr Zeit mit ihnen als mit seinem Platoon (Zug).

Investigativjournalist Michael Hastings veröffentlichte zwei lange Artikel im Magazin Rolling Stone über diese Zeit des Krieges in Afghanistan. Der erste, The runaway General („Der abtrünnige General“), führte zur sofortigen Entlassung des Nato-Oberbefehlshabers in Afghanistan, General Stanley McChrystal, wegen Insubordination und zu gravierenden Umbesetzungen in der Befehlskette beim Zentralkommando der Vereinigten Staaten und dem Oberbefehlshaber der ISAF-Truppen in Afghanistan.[4][5][6] Der zweite Artikel, America’s Last Prisoner of War, über den als vermisst und gefangen gemeldeten Soldaten Bergdahl war wie der zuvor veröffentlichte Beitrag über General McChrystal ein Schlüsselbericht. Darin wurde thematisiert, dass der später von den Republikanern heftig kritisierte Gefangenenaustausch von fünf Insassen des Guantánamo-Militärgefängnisses gegen den Gefangenen Bergdahl schon damals von der US-Regierung geplant und bereits im Parlament diskutiert wurde.[7]

Gefangenschaft

Im Juni 2009 geriet Bergdahl in Kriegsgefangenschaft. Ein Kommandeur des Haqqani-Netzwerkes berichtete der Nachrichtenagentur AFP am Telefon Details aus der Gefangenschaft Bergdahls. Bergdahl war nach diesen Informationen nach seiner Entführung im Juni 2009 zunächst in Ostafghanistan und dann vom Haqqani-Netzwerk im pakistanischen Stammesgebiet Nord-Wasiristan versteckt worden.

Die Familienmitglieder des Haqqani-Netzwerks spielten eine wichtige Rolle bei der Freilassung von Bergdahl. Prominent wurde ein Foto Bergdahls mit Badruddin Haqqani, der 2012 durch einen Drohnenangriff getötet wurde. Bergdahls Kameraden warfen ihm nach der Veröffentlichung des Fotos Verrat vor.[8]

Freilassung

Die Taliban hatten die Freilassung von fünf Guantánamo-Häftlingen zur Bedingung für Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung gemacht. Erste Kontakte zu den Taliban waren in den vergangenen Jahren immer wieder abgerissen, weil sich die US-Regierung weigerte, die Guantánamo-Häftlinge freizulassen. Eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung zwischen den Taliban und der US-Regierung spielte dann Katar. In Katar unterhielten die Taliban lange Zeit ein offizielles Taliban-Verbindungsbüro. Schließlich erklärte sich die Obama-Regierung bereit, im Gegenzug die fünf Guantánamo-Häftlinge nach Katar zu überstellen, wo sie mit ihren Familien leben konnten. Eine Weiterreise nach Afghanistan sollte ihnen zunächst für ein Jahr nicht gestattet sein. Bei den fünf freigelassenen Männern handelt es sich um:

Obama zufolge gab Katar Sicherheitsgarantien zum Schutz der USA vor Racheakten ab. Der katarische Emir Tamim Al Thani erklärte sich gegenüber der US-Regierung bereit, die fünf Männer zu überwachen und ein Jahr lang nicht ausreisen zu lassen.[13] Er beschrieb außerdem die Schließung von Guantánamo auf Kuba als sein erklärtes Ziel. Auch die deutsche Bundesregierung unterstützte seit Jahren ein Wiedereingliederungsprojekt für ehemalige Kämpfer der regierungsfeindlichen Kräfte: Im Rahmen des auf fünf Jahre angelegten Friedens- und Reintegrationsprogramms der afghanischen Regierung (Afghanistan Peace and Reintegration Programme, APRP) steht die Zahl der reintegrierten Kämpfer inzwischen bei etwa 8.500, davon rund 3.100 in Nordafghanistan. Die Bundesregierung hat das Programm bislang mit über 30 Mio. Euro unterstützt und ist nach Japan zweitgrößter Geber. Deutschland setzte die Unterstützung auch 2014 fort.[14]

Am 31. Mai 2014 wurde Bergdahl nahe der Grenze zur pakistanischen Provinz Chost lokalisiert und von einem Sondereinsatzkommando der US-Special Forces von der Bagram Air Base an Bord eines Hubschraubers genommen. 18 Taliban waren bei der Gefangenenübergabe zugegen. Von einer US-Militärbasis in Afghanistan wurde Bergdahl zur Ramstein Air Base geflogen und dann medizinisch im Landstuhl Regional Medical Center bei Kaiserslautern versorgt. Die Klinik ist das größte US-Lazarett außerhalb der USA. Dort wurde er auch auf das Treffen mit seinen Eltern in den USA vorbereitet.

US-Sicherheitsberaterin Susan Rice sagte unmittelbar nach Bergdahls Befreiung, er habe „mit Ehre und Auszeichnung“ gedient. Im Rosengarten des Weißen Hauses bedankte sich US-Präsident Obama nach der Freilassung Bergdahls in seiner Stellungnahme sowohl beim Emir von Katar als auch bei der afghanischen Regierung für deren Vermittlertätigkeit und betonte, die US-Regierung habe jahrelang auf die Freilassung des letzten Gefangenen des Irak- und Afghanistan-Krieges hingearbeitet. Der Vater Bergdahls lernte Paschtu, um mit den Entführern per Videobotschaft zu kommunizieren. Er sagte bei einer Pressekonferenz mit einem langen Bart vor dem Weißen Haus auf Paschtu: „Ich möchte Bowe, der mittlerweile wahrscheinlich Schwierigkeiten hat, in seiner Muttersprache zu kommunizieren, auf Paschtu nur eines sagen. Ich bin dein Vater, Bowe.“

Für Obama markierte die frohe Botschaft der Kriegsheimkehr Bowe Bergdahls das Ende einer Woche, in der er den endgültigen Afghanistan-Rückzug Ende 2016 versprach.

Anklage und Urteil

Bergdahl ist nach seiner Rückkehr in die USA nicht in der Öffentlichkeit erschienen. Im März 2015 wurde bekannt, dass er wegen Fahnenflucht und Fehlverhalten vor dem Feind angeklagt wurde. Eine Untersuchung war zuvor zu dem Ergebnis gekommen, dass er seinen Posten „gezielt und freiwillig“ verlassen habe. Ein militärisches Geschworenengremium sollte sich des Falls annehmen und ihn gegebenenfalls für den eigentlichen Prozess an ein Kriegsgericht weiterreichen. Bei einem Schuldspruch drohten Bergdahl bis zu 28 Jahre Haft, die unehrenhafte Entlassung aus der Armee mit dem Verlust seiner Bezüge und der Aberkennung des militärischen Rangs.[15]

Am 16. Juni 2014 erklärte die US Army, sie habe Ermittlungen über den Fall Bergdahl aufgenommen.[16] Am 25. Juni gab sie jedoch bekannt, es gäbe keinen Beweis (no evidence), dass Bergdahl während der Jahre seiner Gefangenschaft in Afghanistan an irgendeinem Fehlverhalten beteiligt war (engaged in any misconduct).[17]

Im Juli 2014 nahm Bergdahl wieder seinen Dienst in Fort Sam Houston in San Antonio in Texas auf.[18]

Im August 2014 wurde eine weitere Untersuchung durch Major General Kenneth Dahl angekündigt.[19][20][21][22][23] In deren Verlauf sagte Bergdahl aus, er habe seine Stellung im Juni 2009 verlassen, um über „Fehlverhalten in seiner Einheit“ zu berichten, und dass er vorgehabt habe, schnell zurückzukehren.[24] Seinem Anwalt erklärte Bergdahl, er glaubte seinerzeit, nur dadurch Aufmerksamkeit für seine Bedenken erlangen zu können, indem er die Information direkt zu einem leitenden Offizier bringe.[24]

Im September 2015 fand ein weiteres Hearing in Fort Sam Houston statt.[25] Dort sagte Dahl aus, dass er keinen Beweis gefunden habe, der nahelege, dass Bergdahl den Taliban zustimmend gegenüberstand (sympathetic to the Taliban) oder dass er desertieren wollte.[22][23] Weiterhin sei kein Soldat umgekommen bei dem Versuch, Bergdahl zurückzuholen. Eine Inhaftierung wäre letztlich eine „unangemessene“ Strafe für Bergdahl.[22]

Am 3. November 2017 wurde er zu insgesamt 10.000 $ Geldstrafe verurteilt, degradiert und unehrenhaft aus dem Militär entlassen.[26]

Reaktionen

Der Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid warnte davor, zu viel in die Freilassung der Guantánamo-Häftlinge hinein zu interpretieren. Es habe sich nur um „einen Austausch von Kriegsgefangenen“ gehandelt. Nach dem damaligen Stand verblieben noch 149 Häftlinge in dem umstrittenen US-Lager auf Kuba, darunter zwölf Afghanen.

Die afghanische Regierung in Kabul protestierte vehement gegen die Auslieferung der fünf Guantánamo-Häftlinge an Katar. Das afghanische Außenministerium betonte, dies sei illegal, weshalb die Männer unverzüglich freigelassen werden müssten. Gemäß dem Völkerrecht „dürfe keine Regierung den Bürger eines Landes als Gefangenen an einen Drittstaat“ ausliefern. Der Präsident Hamid Karsai zeigte sich über den Gefangenenaustausch empört und warf den USA vor, den Friedensplan nicht mehr zu unterstützen. Er fragte, wie der Gefangenenaustausch mit den USA so reibungslos habe verlaufen können, wenn zur gleichen Zeit der Friedensprozess keine Fortschritte mache.

In den USA gab es eine heftige Kontroverse zwischen dem Weißen Haus, Demokraten und Republikanern über die eigenmächtigen Verhandlungen der Regierung, die zur Freilassung der fünf Gefangenen aus Guantánamo führte. Vertreter der Republikanischen Partei kritisierten den Gefangenenaustausch als Präzedenzfall, der Anreize für weitere Entführungen schaffen könnte.

Ehemalige Kameraden Bergdahls bezweifelten, dass er von den Taliban entführt wurde. Sie äußerten den Verdacht, dass er desertiert sei.[27][28]

Die zweite Staffel des erfolgreichen Podcasts Serial von den Produzenten von This American Life und dem Radiosender WBEZ Chicago handelt von der Geschichte Bowe Bergdahls.

Commons: Bowe Bergdahl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bowe Bergdahl Fast Facts – CNN.com
  2. Kriegsheimkehrer Bowe Bergdahl – Besser, er ist ein Held FAZ.net vom 1. Juni 2014
  3. Brief Narrative << Sgt Bowe Bergdahl (Memento vom 25. Juni 2014 im Internet Archive)
  4. The Runaway General - The Rolling Stone profile of Stanley McChrystal that changed history, Rolling Stone, 22. Juni 2010
  5. Präsident Obama ließ General McChrystal einen Tag nach Erscheinen des Artikels zum Rapport aus Kabul ins Weiße Haus einfliegen und zwang ihn zum Rücktritt und es war auch das Aus für seinen gesamten Stab. Bei McChrystals Rücktritt sagte Obama: “As difficult as it is to lose General McChrystal, I believe that it is the right decision for our national security. The conduct represented in the recently published article does not meet the standard that should be set by a commanding general. It undermines the civilian control of the military that is at the core of our democratic system. And it erodes the trust that’s necessary for our team to work together to achieve our objectives in Afghanistan”; zitiert nach Michael Hastings of Rolling Stone on the Story that Brought Down Gen. McChrystal, Democracy Now! vom 1. Juli 2010.
  6. Obama feuert General McChrystal, Deutsche Welle vom 23. Juni 2010.
  7. Michael Hastings: America’s Last Prisoner of War (Memento vom 8. Mai 2018 im Internet Archive)
  8. Emran Feroz: Taliban-Regierung in Afghanistan: Wer ist der vom FBI gesuchte Innenminister Sirajuddin Haqqani? In: Der Spiegel. Abgerufen am 8. September 2021.
  9. http://www.lessentiel.lu/de/news/story/15754402
  10. Ansgar Graw: Hochverrat?: Fall Bergdahl wird unangenehm für Obama. In: welt.de. 26. März 2015, abgerufen am 7. Oktober 2018.
  11. FAZ.net: Kriegsheimkehrer Bowe Bergdahl - Besser, er ist ein Held vom 1. Juni 2014.
  12. Cleveland.com: Sgt. Bowe Bergdahl freed from captivity in Afghanistan vom 1. Juni 2014.
  13. tagesschau.de: Emotionales Ende einer Gefangenschaft (Memento vom 1. Juni 2014 im Internet Archive)
  14. Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan 2014 einschließlich einer Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagement. Versöhnung und Reintegration, Deutscher Bundestag, 20. November 2014.
  15. Ehemalige Geisel der Taliban in Afghanistan: Bergdahl als Deserteur angeklagt bei tagesschau.de, 25. März 2015 (abgerufen am 26. März 2015).
  16. Army Begins Probe Of Bowe Bergdahl's 2009 Disappearance. In: The Huffington Post. Abgerufen am 25. März 2015 (englisch).
  17. Dion Nissenbaum: No Evidence of Misconduct by Bergdahl While Captive, Army Says In: The Wall Street Journal, 25. Juni 2014. Abgerufen am 15. Juli 2014 
    Todd Lopez: Official: Initial Bergdahl Investigation Was Inconclusive In: Army News Service, United States Department of Defense, 25. Juni 2014. Abgerufen am 22. August 2014 
  18. Bowe Bergdahl Set To Return To U.S. Army Active Duty: Reports In: Huffington Post, 14. Juli 2014. Abgerufen am 15. Juli 2014 
  19. Maggie Ybarra: Army extends investigation into Bergdahl case In: Washington Times, 19. August 2014. Abgerufen am 22. August 2014 
  20. Investigation into Bergdahl disappearance extended (Memento des Originals vom 26. August 2014 im Internet Archive) In: KSAT, Graham Holdings, 16. August 2014. Abgerufen am 4. November 2022 
  21. Kristina Wong: Army extends Bergdahl probe In: The Hill, News Communications, Inc., 17. August 2014. Abgerufen am 22. August 2014 
  22. a b c Robert A. Oppel Jr., Bowe Bergdahl Should Not Be Imprisoned, Army Investigator Says (September 18, 2015).
  23. a b Ralph Ellis, Faith Karimi & Chris Lett, Bowe Bergdahl investigation leader says GI should not face jail time, CNN (September 21, 2015).
  24. a b Josh Rogin: Bergdahl's Defense Is He Was Planning to Come Back. In: Bloomberg View. Archiviert vom Original am 27. März 2015; abgerufen am 27. März 2015 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bloombergview.com
  25. Krishnadev Calamur, The Case of Bowe Bergdahl: The Army sergeant will be in court for a preliminary hearing into whether he deserted his post in Afghanistan, The Atlantic (September 17, 2015).
  26. tagesschau.de: US-Deserteur Bergdahl bleibt ein freier Mann. Abgerufen am 3. November 2017.
  27. tagesschau.de: Befreite Obama einen Deserteur? (Memento vom 4. Juni 2014 im Internet Archive)
  28. sueddeutsche.de http://www.sueddeutsche.de/panorama/vater-des-us-soldaten-bowe-bergdahl-mit-der-sprache-des-gegners-1.1982319-2