Betty Paoli ist das Pseudonym von Barbara Elisabeth (Anna) Glück, die offiziell eine Tochter des Militärarztes Anton Glück war. Wie allerdings Marie von Ebner-Eschenbach mehreren Personen vertraulich mitteilte, war Paoli eine leibliche Tochter des Fürsten Nikolaus von Esterházy aus Ungarn.[1] Ihre in Belgien gebürtige leibliche Mutter Theresia Grünnagel[2] erbte zwar ein Vermögen, verlor aber später ihr Eigentum aufgrund von Spekulationen.[3] Paoli erhielt zunächst eine gute Ausbildung, musste aber nach dem frühen Tod des Vaters und dem Verlust des Vermögens der Mutter mit 16 Jahren ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, zunächst als Erzieherin in Russland und Polen. 1830 starb ihre Mutter. 1841 wurde Betty Paoli Partnerin im Haus des Philanthropen Josef Wertheimers (bis 1843). Dort lernte sie Adalbert Stifter, Franz Grillparzer, Nikolaus Lenau,[Anm. 1]Leopold Kompert, Hieronymus Lorm, Ernst von Feuchtersleben und Ottilie von Goethe kennen. Ihr erstes Buch, Gedichte, war Nikolaus Lenau gewidmet. Von 1843 bis zu deren Tod 1848 war sie Gesellschaftsdame der Fürstin Maria Anna Schwarzenberg. Mit dieser bereiste sie Holland und Deutschland, wo sie Bettina von Arnim besuchte. Im Jahr 1843 verbrachte Betty Paoli mehrere Monate in Venedig, wo sie sich kunsthistorisch bildete. Nach dem Tod der Fürstin versuchte Paoli in Deutschland als Journalistin Fuß zu fassen, kehrte aber Anfang der 1850er Jahre nach Wien zurück und arbeitete weiterhin als Gesellschafterin.
Ihre ersten Gedichte erschienen 1832/33 in Prager und Wiener Zeitungen, anfangs noch unter dem Namen Betti/Betty Glück.[4] Nach der Rückkehr nach Wien arbeitete sie als Sprachlehrerin. Seitdem hat sie unter dem Pseudonym Betty Paoli ihre Werke veröffentlicht. Sie übersetzte die Werke von Alexander Puschkin und Iwan Turgenjew. 1845 schrieb sie die Gedichte Romanzero, die Bettina von Arnim gewidmet waren, und 1850 Neue Gedichte. Von 1855 bis zu ihrem Tod lebte sie als freie Schriftstellerin im Haus ihrer Freundin Ida Fleischl[5], der Mutter des Physiologen Ernst Fleischl von Marxow, in Wien. Ihre enge Beziehung zu der jüdischen Familie Fleischl (später geadelte als Fleischl von Marxow) führte zu der Annahme, Betty Paoli stamme selbst aus einer jüdischen Familie.[Anm. 2]
Betty Paoli, Marie Ebner von Eschenbach und Ida Fleischl von Marxow beim Kartenspiel (von links nach rechts).Grabstätte von Betty Paoli
Paoli arbeitete als Journalistin für die Zeitungen Lloyd, Die Presse sowie Wiener Zeitung und verfasste Theater-, Buch- und Ausstellungskritiken.[6] In der Zeit der Direktion Heinrich Laubes war sie (unter dem Namen Branitz) als Übersetzerin französischer Salonstücke für das Burgtheater tätig.[Anm. 3] Paoli und Fleischl-Marxow wurden später kunstkritische Beraterinnen der Schriftstellerin Marie Ebner von Eschenbach.
Mit einfühlsamen Gedichten und kritischen Aufsätzen wurde Betty Paoli zu einer wichtigen Figur der frühen Frauenbewegung. Ihre Gedichte fanden bei ihren Zeitgenossen höchste Anerkennung. Adalbert Stifter urteilte über ihren Gedichtband Nach dem Gewitter: „Das Weib ist durch und durch Genie, und es fehlt nur noch an Ruhe und Besonnenheit“. Für Grillparzer war sie „der erste Lyriker Österreichs“, für Hieronymus Lorm 1847 die „größte deutsche Dichterin“.[3] Sie veröffentlichte auch mehrere Novellen und war eine begabte Essayistin.
Am 15. September 1872 wurde das Wiener Stadttheater mit einem von Paoli verfassten und von Rosa Frauenthal (1852–1912)[7] vorgetragenen Prolog eröffnet.[8]
Wegen eines sie seit Jahren quälenden Nervenleidens hatte sich Fräulein Betty Paoli-Glück, Private, samt Dienstmädchen, am 21. Mai 1894 in das (ihr seit 1836 vertraute)[9] Baden zur Kur begeben.[Anm. 4][Anm. 5] In der Albrechtsgasse 23, unweit von Schloss Weilburg, bewohnte sie (in den Saisonen seit 1892) bei Zimmer, Küche, Kabinett einen Gartentrakt, in dem sie im Alter von 78 Jahren in den Morgenstunden des 5. Juli 1894, bereits in Agonie, einer Herzlähmung erlag.[10]
1930 wurde der Paoliweg in Wien-Hietzing nach ihr benannt.
Die ersten Gedichte von Betty Paoli tragen den Namen Gedichte (1841), folgend Neue Gedichte (1850), Lyrisches und Episches (1855), Neueste Gedichte (1870) und Letzte Gedichte (1895).
—, Helene Bettelheim-Gabillon (Hrsg.): Betty Paolis gesammelte Aufsätze. Schriften des Literarischen Vereins in Wien, Band 9. Verlag des Literarischen Vereins in Wien, Wien 1908. (Online bei ALO).
Helene Bettelheim-Gabillon: Betty Paoli. Ein Gedenkblatt zu ihrem hundertsten Geburtstag. In: Westermanns Monatshefte. Band 117.1915, ZDB-ID 501054-8, Seite 666–674.
Karin Wozonig: Die Literatin Betty Paoli. Weibliche Mobilität im 19. Jahrhundert. Löcker, Wien 1999, ISBN 3-85409-306-3.
Karin Wozonig: Betty Paolis Reise nach Venedig im Jahr 1846. In: Christina Ujma (Hrsg.): Wege in die Moderne. Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz. Aisthesis, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89528-728-2, S. 193–204.
Karin S. Wozonig: Paoli, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Band 9. 2., vollständig überarbeitete Auflage, De Gruyter, Berlin, New York 2010, ISBN 978-3-11-022044-5, S. 75–77.
Karin Wozonig: Der über allen Parteien schwebende Geist der Poesie. Die Dichterin Betty Paoli und die Familie Schwarzenberg. In: Urte Stobbe / Claude D. Conter (Hrsg.): Adel im Vormärz. Begegnungen mit einer umstrittenen Sozialformation. Aistesis Verlag, Bielefeld 2023 (Forum Vormärz-Forschung. Vormärz-Studien; 46), ISBN 978-3-8498-1859-3, S. 129–146.
Karin Wozonig: Betty Paoli - Dichterin und Journalistin, Eine Biographie, Residenz Verlag 2024, ISBN 978-3-70173-624-9.
↑Das Jüdische Lexikon, Berlin 1927, Bd. IV/1, Sp. 773, notiert Paoli als Jüdin. — Siehe: Eintrag online, wie auch Salomon WiningersGroße Jüdische National-Biographie. Band II, Czernowitz 1927, S. 432, die für Babette Elisabeth Glück als eigentlichen Namen Barbara Gründ nennt. — Siehe: Eintrag online.