BerserkerAls Berserker wird in mittelalterlichen skandinavischen Quellen ein im Rausch kämpfender Mensch bezeichnet, der keine Schmerzen oder Wunden wahrnimmt. Über diese Art von Kriegern, die auf der Seite verschiedener germanischer Stämme kämpften, berichten auch römische Quellen in der Kaiserzeit.[1] Sie werden dort aber nicht als „Berserker“ bezeichnet, sondern tragen andere Bezeichnungen. EtymologieDas Wort Berserker ist ein Wort des Altnordischen, formal ein Kompositum. Der zweite Teil serkr wird einhellig als „Gewand, Waffenrock“ gedeutet. Bezüglich der Erstkomponente gibt es unterschiedliche Annahmen, von denen zwei diskutiert werden: Einerseits wird eine Verbindung mit einem Wort für Bär erwogen, obwohl dies im Altnordischen bjorn lautet [Lloyd/Springer]. Andererseits argumentiert McCone, dass es sich bei den Berserkern den Beschreibungen nach um leichtes Fußvolk gehandelt habe und daher ein Vergleich mit bar „bloß, frei“ angebrachter sei. Näsström verweist darauf, dass schon aus praktischen Gründen die Verwendung eines Bärenfells mit einem Gewicht von ungefähr fünf Kilogramm eher hinderlich und unpraktisch sei.[2] Alexander Jóhannesson[3] schreibt dazu: „berserkr […] zum Adjektiv berr nudus, vgl. Andrésson 1683: miles, qui sine armis, lorica balea &c. pugnat, auch Bj. Halld. (1814): indusio tantum non lorica indutus. Vgl. auch Snorri: fóru brynjulausir.“ Man geht heute eher davon aus, dass die Bezeichnung der Raserei (bzw. „Kampfraserei“, berseksgangr, lateinisch furor germanicus[4]) entnommen ist, wie ein Bär oder Wolf zu kämpfen. Dies wird mit den in den nordischen Sagas oft geschilderten Verwandlungen, die auch hier im Zusammenhang mit dem Werwolf bekannt sind, in Verbindung gebracht.[5] Erste ErwähnungenDas Wort Berserker tritt zum ersten Mal in der Haraldskvæði (Strophe 8), einem Preisgedicht des Skalden Þorbjörn hornklofi (um 872) über die Entscheidungsschlacht Harald Hårfagres am Hafrsfjord, auf:
Es ist bislang unbestritten, dass hier ekstatisch schreiende Krieger in Wolfsfellen gemeint sind. Aus dem Parallelismus schließen viele Forscher, dass es sich bei den Berserkern nicht um Nackte, sondern um „Krieger des Bären“ gehandelt habe.[7] Fraglich ist allerdings, ob die Berserker mit den Kriegern im Wolfspelz gleichgesetzt werden können.[8] Aus den Strophen 20, 21 des Haraldskvæði ist zu entnehmen, dass die Berserker prinzipiell in der ersten Reihe jeder Schlachtordnung und dort auch ohne Rücksicht auf Verluste kämpften. Allerdings werden sie in den Schlachtberichten auffallend selten erwähnt. Klaus von See hat wahrscheinlich gedacht, dass die Strophen 13–23 eine Hinzufügung aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts sind,[9] so dass nur die oben erwähnte Strophe aus dem 9. Jahrhundert stammt. 250 Jahre vergingen, bis das Wort „Berserker“ wieder in der Literatur erwähnt wird. Daraus schließt Klaus von See, dass es sich nicht um einen feststehenden zeitgenössischen Begriff gehandelt habe, sondern um eine Wortschöpfung des Dichters Þorbjörn hornklofi, wobei dieser die sonst in der skandinavischen Literatur nicht vorkommende Wortverbindung mit „ber-“ aus deutschen Vorlagen übernommen habe, und fügt zum Beleg zwei weitere Wortverbindungen mit „ber-“ „ber-harð“ (bärenhart) und „ber-fjall“ (Bärenfell, nicht, wie zu erwarten, „Bärenfelsen“) von Þorbjörn an, die dieser dem deutschen Sprachschatz entlehnt habe.[9] Das Wort „berserkr“ wird erst im 12. Jahrhundert allgemein gebräuchlich. Die Tierkrieger traten oft in geschlossenen Gruppen auf, wie in der oben zitierten Schilderung der Schlacht am Hafrsfjord. Die Sagas berichten übereinstimmend, dass die Berserker am Bug des Schiffes, also dem gefährlichsten Platz beim Kampf, aufgestellt gewesen seien.[10] Sie galten als königliche Elitetruppe. Ihre Zahl wird in der Regel mit zwölf angegeben. Aber es ist falsch, die Berserker nur als „Elitekrieger“ zu bezeichnen. Vielmehr sind Berserker Menschen mit besonderen Eigenschaften, die in den Quellen mal als Elitekrieger, mal als Gefolgsleute mächtiger Herrscher, mal als gefährliche Verbrecher, auch als Briganten und auch als Zauberer auftreten.[11] Sie kommen in vornehmsten Geschlechtern vor, sind aber auch familienlose Waldmenschen. In einer Stelle in der Vatnsdœla saga unterhalten sich die Brüder Þorsteinn und Þorir über die Rangfolge der Brüder.
– Vatnsdœla saga Kap. 37. Übersetzung von W.H. Vogt und Frank Fischer. Aber diese Erkrankung unterscheidet sich deutlich von der Raserei im Kampf, die ja willentlich herbeigeführt wurde. In den frühen Erwähnungen ist von den unkontrollierbaren Tobsuchtsanfällen, die der Wissenschaft Rätsel aufgeben, nicht die Rede. Tierfelle und der Kampfschrei waren nichts Ungewöhnliches für damalige Kampfsituationen. Der „Berserkergang“ seit der ChristianisierungNach der Durchsetzung des Christentums um 1025 gab es keine Berserker mehr. Im isländischen Christenrecht von 1122 (Kap. 7 der Grágás) wird es verboten, sich in Berserkerwut zu versetzen, wobei nicht sicher ist, dass damit der literarisch bezeugte Berserkergang oder nicht nur einfach ein Tobsuchtsanfall gemeint ist.[9] In den norwegischen Christenrechten dieser Zeit werden Berserker nicht mehr erwähnt. Beides deutet darauf hin, dass diese Kampfesweise zu dieser Zeit, wenn auch regional unterschiedlich, bereits im Schwinden begriffen oder bereits verschwunden war. Danach entstehen zwei Traditionsstränge: Der eine nennt besonders tapfere Krieger Berserker, ohne ihnen besondere Eigenschaften beizumessen, der andere beginnt, sie zu menschlichen Bestien zu stilisieren. Gemeinsam ist beiden Strängen, dass die Verfasser keine eigene Anschauung von Berserkern hatten und auch keine lebenden Zeugen, die Berserker selbst erlebt hatten, kannten. Die Berserker waren nur noch vom Hörensagen bekannt. Zum ersten Traditionsstrang gehört die erst um 1320 verfasste Grettis saga. Sie hält bereits besonders tapfere Männer für „Berserker“. Denn sie hält im Gegensatz zu allen älteren Berichten bei der Schilderung der Schlacht am Hafrsfjord bereits den Anführer der Gegner Haralds für einen Berserker, obgleich Berserker nirgends als Führungspersönlichkeiten auftreten:
– Grettis saga Kap. 2, übersetzt von Paul Herrmann Dass Thorir fiel, obgleich er Berserker war, störte den Verfasser nicht, was zeigt, dass die Unverwundbarkeit den Berserkern nicht überall zugeschrieben wurde. Auch sonst ist die Form des Kampfes in Tierverkleidung überliefert. So ist auf einer Bronzeplakette aus dem 6./7. Jahrhundert, die in Torslunda[12] gefunden wurde, ein Krieger mit Tiermaske abgebildet. Und in der Vatnsdœla saga heißt es über die Schlacht am Hafrsfjord:
– Vatnsdæla saga Kap. 9, übersetzt von W. H. Vogt und Franz Fischer. Die Saga wurde zwischen 1260 und 1280 verfasst, weshalb der Verfasser den „Berserker“ seinen Lesern erläutern muss, wobei offenbleibt, ob er nicht verschiedene Elitekämpfer dabei vermengt hat. Eine Gruppe von Berserkern galt als fähig, das Schlachtenglück zu wenden. Durch ihr rücksichtsloses Vorgehen und das den Überlieferungen zufolge stark reduzierte bis vollkommen neutralisierte Schmerzempfinden konnten sie entscheidende, aber auch für beide Seiten blutige Manöver durchführen. In der Hrólf-Krakis-Saga ist viel von Berserkern, die neben dem König sitzen, die Rede. Doch in dieser späten Geschichte aus dem 14. Jahrhundert sind die Berserker längst nicht mehr unverwundbar und verfügen auch sonst nicht mehr über ungewöhnliche Fähigkeiten. In der Geschichte von Halfdan, dem Schützling der Brana, werden die Begriffe „Berserker“ und „Wikinger“ sogar synonym gebraucht.[13] Die Stilisierung der Berserker als menschliche Bestien findet ihren frühesten literarischen Niederschlag bei Saxo Grammaticus. Der später lebende Snorri Sturluson steht in einigen Texten in der gleichen Tradition. Dem Berserker wurden nunmehr besondere Eigenschaften beigemessen: Er war unempfindlich gegen Feuer, und Eisenschwerter verwundeten ihn nicht. Die Berserkerwut begann mit Zittern, Kälte am Kopf und Zähneklappern (offenbar so ähnlich wie Schüttelfrost), manchmal schwoll der Kopf an, und die Gesichtsfarbe veränderte sich, dem folgte lautes Brüllen und das Beißen in den Schild. Es wird erwogen, ob dieses Beißen in den Schild vielleicht magische Bedeutung hatte. Näsström weist auf eine Strophe in der Havamál hin, die Odin spricht:
Das Brüllen war die Aufheizphase für den Berserkergang.[15]
– Quelle: Saxo Grammaticus, Gesta Danorum 7.2.7 und
– Quelle: Saxo Grammaticus, Gesta Danorum 7.2.11 Später bezeichnete der Begriff „Berserker“ also Männer, die im Kampf der sogenannten „Schlachtenraserei“ anheimfielen, was auch als Blutrausch beschrieben werden kann. Derartige Krieger galten anfänglich als geliebte Söhne der Götter, vor allem Odins.[16] Dessen Selbstopfer in der Hávamál wird auch als „archetypische Proto-Initiation in einen Männerbund“ interpretiert,[17] woraus dann auch abgeleitet wird, dass es Berserkerbünde gegeben habe. Ein quellengestützter Nachweis lässt sich dazu nicht anführen. Snorri Sturluson schrieb später als Saxo Grammaticus. Man vermutet, dass er die Egils saga geschrieben hat.[18] Die Egils saga beginnt mit den Worten:
– Egils saga Kap. 1 übersetzt von Felix Niedner. Während hier die Berserkereigenschaft der Vornehmheit und der Freundschaft nicht im Wege steht, wird der Berserker Ljot negativ geschildert und sein Berserkeranfall beim Holmgang beschrieben:
– Egils saga Kap.65. In der Übersetzung von Felix Niedner Kap. 64. Nach dem Abklingen des Anfalls soll es zu einem Schwächeanfall, der sogar zum Tode habe führen können, gekommen sein. Auf diesen Verlaufstypus eines Berserkergangs nimmt Egils saga im 27. Kapitel explizit Bezug, als der genannte (Kveld-)Ulf, Egils Großvater, zusammen mit seinem Sohn Skala-Grimm (Egils Vater) die schlafende Mannschaft Hallvarads in „Berserkerwut“ erschlägt. Ulf ermattet, legt sich auf sein Lager, wird krank, gibt Anweisungen für den Fall seines Todes und stirbt bald darauf, während der gemeinsamen Fahrt zur Landnahme auf Island. Während in den frühen Sagas die Berserker im Holmgang von kampferprobten Männern besiegt wurden, treten in Handlungsabläufen der christlichen Zeit Bischöfe in den Vordergrund, die den Berserkern entgegentreten und ihnen ihre Unbesiegbarkeit nehmen. Alle, die Zeuge dieses Vorgangs sind, lassen sich anschließend taufen. Der Kampf wird durch das Wunder abgelöst. „Berserkergang“ ohne BrünneSnorri schilderte in seiner Heimskringla, in der Yinglinga saga Kap. 6 die Berserker so:
Hier ist bereits deutlich die Mythenbildung zu erkennen. Das Abwerfen der Brünne vor dem Kampf ist noch für Håkon den Guten (935–961) bezeugt.[19] Angesichts der Tatsache, dass der Kampf mit Pfeilschüssen eröffnet wurde, ist diese Schilderung allerdings zweifelhaft. Es könnte sich auch um einen literarischen Topos zur Schilderung des königlichen Kampfesmutes handeln. Dass Krieger ohne Brünne in den Kampf zogen, ist auch anderweitig bezeugt.[20] Allerdings wird aus der Schilderung in der Germania, die Germanen hätten kaum Eisen, selten Schwerter oder Lanzen,[21] geschlossen, dass hier weniger Tapferkeit als vielmehr schlichter Ausrüstungsmangel der Grund war, zumal man gerne die Rüstungen besiegter Römer nahm. Überhaupt gilt die Darstellung nackter Germanenkrieger als überholt. Man sei im Rahmen der Möglichkeiten sehr wohl bestrebt gewesen, sich Rüstungen und Waffen der Römer zu beschaffen.[2] GeschlechtIn der erzählenden Literatur gibt es ausschließlich männliche Berserker. Doch nach der Edda gab es auch weibliche Berserker:
Klaus von See meint, dass es sich dabei einfach um Riesinnen gehandelt habe und nicht um weibliche Berserker.[9] In den spätnordischen Quellen werden Berserker nur noch negativ dargestellt: Es handelt sich um Männer, die streitsüchtig waren und sich nicht an Gesetz und Gefolgschaftsregeln hielten. Die Anwendung von „Berserk“ für Auseinandersetzungen in Friedenszeiten scheint untersagt gewesen zu sein. In den späteren Sagas werden immer wieder Berserker oder Berserkergruppen erwähnt, die auf Bauernhöfen erschienen und den Bauern Geld und Frauen abpressten. Sie galten als vom Teufel besessen und verloren ihre Berserkereigenschaften daher mit der Taufe. Man stellte sich vor, dass die Berserker im Wesentlichen aus dem Osten kamen, dem schwedischen Uppland, Gästrikland und Hälsingland, aber auch Russland, wo auch sonst Riesen und Trolle angesiedelt waren.[24] Uppland ist als am längsten heidnisch geblieben das häufigste Herkunftsgebiet. In der Edda kommt dies im so genannten Gróttasöngr zum Ausdruck, wo die Riesinnen von sich sagen: Näsström hält die „Bären“ für ein Metonym für Berserker, so dass der Dichter die Riesinnen, die Bären-Berserker und die mit grauen Brünnen Gepanzerten in Schweden angesiedelt habe. Moderne DeutungenDie Schilderungen der Tobsuchtsanfälle der Berserker bei Saxo Grammaticus und Snorri regten viele zu Erklärungsversuchen an. Als erster entwickelte Samuel Lorenzo Ödman, ein Theologe an der Universität Uppsala, die Theorie, der Berserkergang sei auf die Einnahme von Fliegenpilzen zurückzuführen.[29] Dabei ließ er sich von Nachrichten über den Gebrauch des Fliegenpilzes bei den Schamanen Sibiriens leiten, ohne dass er selbst Beobachtungen über die Wirkungsweise des Fliegenpilzes angestellt hatte.[30] Jedoch führt das Muskarin-Syndrom nicht zur Erhöhung der Kampfkraft. Außerdem ist die in Fliegenpilzen enthaltene Menge an Muskarin zu gering, um ein solches Syndrom hervorzurufen. Die primären Toxine Muscimol und Ibotensäure wirken sedativ und halluzinogen, nicht antriebssteigernd oder analgetisch. Die Theorie wird nicht mehr vertreten.[31] Als man aus dem Mutterkorn das LSD isolierte, kam auch das Mutterkorn als Verursacher vorübergehend in die Diskussion. Später wurde auch Sumpfporst als Zutat zum Bier zur Wikingerzeit erwogen (Grutbier).[32] Sandermann, der wohl als erster diese Pflanze in der Literatur erörterte, stellt in seinem Aufsatz Berserkerwut durch Sumpfporst-Bier[33] die Frage, warum bei einer so weiten Verbreitung des Bieres nur so wenige Personen als Berserker überliefert sind. An anderer Stelle meint Rätsch, es gebe nur eine Substanz, die wirklich aggressiv mache, das sei der Alkohol.[34] Es ist keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt, die Substanzen von Pflanzen, die in Skandinavien vorkommen, als Auslöser der geschilderten Berserkerwut-Anfälle wahrscheinlich gemacht hat. In der skandinavischen Medizingeschichte wird der Berserkergang überwiegend als psychopathisches Phänomen gesehen, verbunden vielleicht mit einer gewissen Veranlagung.[35] So wird der Verknüpfung der Berserker mit den Wolfsmenschen in den Quellen größere Aufmerksamkeit geschenkt und mit dem Begriff der Lykanthropie verbunden.[36] Auch die „heilige Raserei“ als klassischer Initiationsritus wurde erwogen.[37] Høyersten[38] hält die beschriebenen Phänomene für eine dissoziative Trance, eine Autohypnose. Das Beißen in den Schild, manchmal in Gruppen, sei das die Selbstsuggestion auslösende Initiationsritual. Das klinische Bild solcher Selbstsuggestion beinhalte die eingeschränkte Wahrnehmung der Umgebung mit herabgesetzter Schmerzempfindlichkeit und gesteigerter Muskelkraft. Kritisches Denken und allgemeine Hemmungen würden abgeschwächt. Diesem Zustand folge eine psychische Entladung in Form von Müdigkeit, Ermattung, oft gefolgt von Schlaf. Einer endgültigen Klärung steht im Wege, dass die Nachrichten über den Berserkergang erst zu einer Zeit abgefasst wurden, als es schon seit Generationen keine Berserker mehr gab. Es handelt sich also nicht um unmittelbare Augenzeugenberichte über die Tobsuchtsanfälle. Keine dieser Theorien hat daher bei den Historikern bislang Anklang gefunden. Siehe auch
Literatur
Einzelnachweise
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