Belgische KolonienDie belgischen Kolonien wurden im Vergleich zu den Besitzungen der traditionellen europäischen Kolonialmächte erst relativ spät erworben. Obwohl der eigentliche belgische Staat seit 1830 existierte, also drei bis vier Jahrzehnte vor den anderen späten Kolonialmächten (Italien geeint seit 1861, USA endgültig seit 1865, Deutsches Reich seit 1871), fehlte Belgien die für die Absicherung von überseeischem Kolonialbesitz notwendige Kriegsflotte und die für die Beherrschung kolonialer Absatzmärkte notwendige Wirtschaftskraft. Dessen ungeachtet hatte schon 1841 der erste König der Belgier, Leopold I., die Compagnie Belge de Colonisation gegründet und sich bis 1855 um Kolonialbesitz bemüht. Sein Nachfolger, Leopold II. verfolgte ab 1865 weltweit Kolonialambitionen und erwarb nach 1876 mit dem Kongo-Freistaat zunächst eine Art Privatkolonie, die er nach den Kongogräueln 1908 dem belgischen Staat überlassen musste. Die belgische Kolonialherrschaft über den Kongo endete 1960 (in diesem Jahr erlangten 18 Kolonien in Afrika die Unabhängigkeit), das seit 1919 bestehende Mandat über Ruanda-Urundi 1962. AnfängeBereits 1837 hatte Spaniens Regentin Maria Cristina Frankreich, Großbritannien und Belgien angeboten, Kuba für 30 Mio. Reals zu kaufen, einschließlich der Philippinen für 40 Mio. Reals. Während sich Frankreich und Großbritannien zurückhielten, zeigte Belgien Interesse und bat Großbritannien um Kredit. Der britische Außenminister Henry John Palmerston warnte Belgiens Botschafter Sylvain van de Weyer, Belgien sei wirtschaftlich, militärisch und marinetechnisch zu schwach, kubanische Unabhängigkeitsbestrebungen oder eine Besetzung durch die USA zu verhindern. Sollte dies Belgien etwa mit französischer Hilfe dennoch gelingen, so verlöre es Kuba dann aber wohl an Frankreich, was Großbritannien und die USA nicht zulassen würden. Van de Weyer schlug daher vor, König Leopold I. zum Staatsoberhaupt eines unabhängigen Kuba zu machen, das nur durch Personalunion mit Belgien verbunden sei. Letztlich aber scheiterte der Plan an der Unfähigkeit Belgiens, auch nur einen bedeutenden Teil der Kaufsumme aufzubringen. Palmerston schlug Belgien stattdessen vor, mit der Gründung kleiner Siedlungskolonien zu beginnen.[1]
Frühere belgische KolonialpläneIm Archiv des Belgischen Außenministeriums bzw. Außenhandelsministeriums befindliche Briefe und Dokumente belegen über 50 verschiedene Kolonialambitionen seit Leopold I. in Asien, Afrika, Amerika, Ozeanien und sogar in Europa.[2][3] Afrika
Südamerika
Mittelamerika und Karibik
Nordamerika
Asien
Ozeanien
Europa
KaufpläneMangels militärischer und politischer Macht scheiterten alle belgischen Versuche, eine Schutzherrschaft über kleinere (zwischen anderen Großmächten umstrittenen) Staaten zu errichten (Texas, Hawaii) oder die frühen flämischen Überseekolonien zu beschützen. Daher handelte es sich bei den meisten späteren belgischen Kolonialambitionen wieder um Versuche, den Kolonialmächten Niederlande, Frankreich, Spanien, Portugal, Großbritannien, Dänemark und Schweden verschiedene Gebiete abzukaufen (z. B. die Philippinen, Neuguinea u. a. m.). Frankreich und die Niederlande lagen sprachlich auf der Hand, Großbritannien und Portugal hatten dem König verwandte Monarchen, Dänemark und Schweden waren ihrer fernen Kolonien überdrüssig. Tatsächlich verkauften die Niederlande, Dänemark, Schweden und Spanien Teile ihres Kolonialbesitzes (z. B. Goldküste, Nikobaren, Saint-Barthélemy, Pazifische Inseln) – nicht jedoch an das eher finanzschwache Belgien, sondern an die finanzstärkeren Großmächte Großbritannien, Frankreich und Deutschland.
Belgisch-AfrikaKolonien besaß Belgien daher nur im Zentrum Afrikas:
Sonstige Niederlassungen
Belgischer KolonialismusWährend der ersten Phase kolonialer Ambitionen 1842 bis 1855 hatte Leopold I. das Augenmerk auf die Schaffung belgischer Siedlungskolonien gerichtet. Die frühen Anläufe, kleinere Siedlungskolonien in Übersee zu gründen (Rio Nunez, Villaguay, Santa Catarina, Santo Tomás de Castilla), hatten Belgien zunächst die Chance geboten, sich durch die Auswanderung vor allem flämischer Bauern sozialer Probleme im Innern zu entledigen (Sprachenstreit sowie Armut und Überbevölkerung im unterentwickelten ländlichen Flandern). Die meist von Antwerpen nach Amerika verschifften Siedler trugen so zwar beispielsweise an der Ostküste Mittelamerikas, in Nordargentinien, in Südbrasilien oder einigen US-Bundesstaaten zur Entwicklung der Landwirtschaft bei, erschlossen die Gebiete aber letztlich nicht für den belgischen Staat. Auch Leopolds II. Kongo-Freistaat war zunächst Privatbesitz, der dermaßen rücksichtslos und brutal von Leopold sowie seinen US-amerikanischen und britischen Geschäftspartnern ausgebeutet wurde, dass sich die Bevölkerungszahl bis 1908 halbierte (10 Millionen Tote). Die Kongogräuel lösten schließlich in Europa und den USA einen derartigen Skandal aus, dass sich der König gezwungen sah, seinen Besitz dem belgischen Staat zu vermachen. Sie waren jedoch nicht der eigentliche Grund, sondern nur der letztliche Anlass für die Übergabe: Bereits 1890 hatte der König im Gegenzug für 25 Mio. Francs finanzielle Unterstützung des Staates in seiner Privatkolonie die Übergabe des Kongo an Belgien nach 10 Jahren zugesagt, und auch schon in seinem Testament von 1889 hatte Leopold den Freistaat in jedem Falle Belgien vermacht.[6] Bis 1908 gewährte Belgien dem Kongo-Staat jährlich 2 Mio. Francs als Darlehen, König Leopold II. eine weitere Million.[7] Das „Leopoldinische Regime“ der Zwangsarbeit wurde ab 1910 durch staatliche Reformen abgemildert. Die Verwaltung des riesigen Landes durch verschiedene regionale Konzessionsgesellschaften wich einer zentralen Verwaltung durch dem Mutterland unterstellte Kolonialbehörden. Wirtschaftlich aber blieb vor allem der britische Einfluss so stark, dass man von einem „belgisch-britischen Kondominium“ sprach.[8] Belgisches und britisches Kapital dominierte auch in den portugiesischen Kolonien[9], vor allem im angrenzenden Angola. Im Zweiten Weltkrieg dann wurde Belgisch-Kongo ab 1942 von US-Truppen besetzt, der koloniale Verwaltungsapparat wurde von US-amerikanischen "Ratgebern" beherrscht. US-Finanzgruppen erwarben das Vorkaufsrecht für kongolesische Rohstoffe, die führende Position im Außenhandel und die Aktienmehrheit wichtiger Bergbaugesellschaften.[10] Kolonialer PaternalismusAbweichend von den durch „indirect rule“ beherrschten britischen Kolonien oder dem belgischen Mandatsgebiet Ruanda-Urundi, aber ähnlich den französischen und portugiesischen Kolonien unterstand der Kongo direkter belgischer Verwaltung.
Waren die Afrikaner somit von „Kindern“ zu „Brüdern“ (und in den französischen Kolonien sogar zu Staatsbürgern) geworden, so blieben die Kolonialherren dennoch die „älteren Brüder“.[11] Diese Sichtweise spiegelte sich nicht nur in den Kolonialbehörden und Missionsstationen im Kongo, sondern auch in Belgien selbst lange wider, unter anderem wegen des 1930 von dem Zeichner Hergé geschaffenen und auch 1946 kaum veränderten Comic Tim im Kongo.[12][13] Da weder die UNO-Dekolonisierungskommission noch die Kongolesen selbst mit einer 30-jährigen Übergangsfrist einverstanden waren, beschloss die belgische Regierung noch im Oktober 1959 eine zumindest vierjährige Übergangszeit. Auf der Kongo-Konferenz vom Februar 1960 einigten sich belgische und kongolesische Politiker dann jedoch auf die Unabhängigkeit zu Ende Juni 1960.[14] Staatsbürgerliche ImmatrikulationÄhnlich dem Prinzip der Assimilation in den französischen und portugiesischen Kolonien gab es in den belgischen Kolonien eine nach einem Bildungs- und Besitzzensus vorgenommene Vergabe der Staatsbürgerwürde an europäisierte Afrikaner, doch gab es davon letztlich noch deutlich weniger als etwa die ohnehin schon sehr wenigen Assimilados.
Die unterbliebene Förderung einer bürgerlich-demokratischen Elite und eine von den Kolonialbehörden überstürzte Entkolonialisierung führten den auf die Unabhängigkeit somit unvorbereiteten Kongo 1960 schließlich in einen Bürgerkrieg.[11] Siehe auch
Literatur
WeblinksCommons: Belgischer Kolonialismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Belgische Kolonisierung von Santo Tomás – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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