Antal Doráti stammte aus einer ungarisch-jüdischen[2] Musikerfamilie. Er wurde 1906 als Sohn des Geigers Alexander Doráti (Budapester Philharmonisches Orchester) und dessen Frau Margit, geb. Kunwald, einer Klavierpädagogin, in Budapest geboren. Sein Onkel Cäsar Kunwald war Maler. Mit vierzehn Jahren besuchte er das Budapester Konservatorium.[3] Zu seinen Lehrern gehörten u. a. Arnold Székely (Klavier), Zoltán Kodály (Komposition), Karl Nováček (Cello) und Leó Weiner (Kammermusik). Bei Béla Bartók besuchte er fünf Jahre lang ein Folklore-Seminar. Weiterhin lernte er bei seinem jüngeren Onkel[4]Ernst von Dohnányi. Für zwei Jahre hörte er philosophische Vorlesungen an der Universität Wien.
1924 debütierte er als jüngster Kapellmeister an der Königlichen Oper seiner Heimatstadt Budapest, wo er bis 1928 als Korrepetitor wirkte. 1928 dirigierte er die ungarischen Erstaufführungen von StrawinskysLe chant du rossignol und Oedipus Rex.
Von 1924 bis 1928 assistierte er Fritz Busch an der Staatsoper in Dresden, bevor er 1928 eine Tätigkeit als Erster Kapellmeister an den Städtischen Bühnen in Münster (Westfalen) aufnahm. Während der Zeit des Nationalsozialismus wandte er sich von Deutschland ab. 1933 emigrierte er nach Frankreich. Von 1934 bis 1938 war er zweiter Kapellmeister und von 1938 bis 1941 Musikdirektor am Ballets Russes de Monte Carlo, mit dem er weltweit gastierte.
In zweiter Ehe war er mit der österreichischen Pianistin Ilse von Alpenheim (* 1927) verheiratet. 1947 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Im Jahr 1979 erschien seine AutobiographieNotes of Seven Decades. Zuletzt hatte er seinen Wohnsitz in der Schweiz.
Seine erste Aufnahme machte er mit dem London Philharmonic Orchestra bei His Master’s Voice (später RCA Records). Mit dem Exilorchester Philharmonia Hungarica legte er von 1969 bis 1972 die weltweit zweite Gesamtaufnahme der 107 SinfonienJoseph Haydns vor. Außerdem spielte er acht Opern des Komponisten ein. Die weltweit erste Aufnahme von Tschaikowskis drei Balletten (Schwanensee, Dornröschen und Der Nussknacker) erfolgte 1954/55 mit dem Minneapolis Symphony Orchestra bei Mercury Records. Weitere Veröffentlichungen einzelner Ballette erfolgten mit dem Concertgebouw-Orchester (Philips Classics Records) und dem London Symphony Orchestra (Mercury Records). Mit dem New Philharmonia Orchestra spielte er die vier Orchestersuiten Tschaikowskis ein. Als erster Dirigent überhaupt legte er 1954/58 mit dem Minneapolis Symphony Orchestra seine Ouvertüre „1812“ bei Gold Records vor. Alle Tschaikowski-Sinfonien erschienen mit dem London Symphony Orchestra. Weiterhin sind die Mercury-Tonträger zu Bartóks Orchesterwerken zu nennen. So spielte er in Kooperation mit u. a. Yehudi Menuhin Bartóks zweites Violinkonzert ein. Ebenso verewigte er mit dem Minneapolis Symphony Orchestra Léo Delibes’ Coppélia sowie Richard WagnersDer fliegende Holländer. Andere Weltersteinspielungen sind: Jean Sibelius’ Luonnotar (1969; mit Gwyneth Jones) und Max Bruchs Konzert für 2 Klaviere und Orchester (1973; wiederentdeckt 1971). Digitale Aufzeichnungen verwirklichte er mit dem Detroit Symphony Orchestra, dem Concertgebouw-Orchester und dem Royal Philharmonic Orchestra bei Decca Records.
Auszeichnungen und Würdigungen
Höchstwahrscheinlich zum 60. Geburtstag des Musikers schuf der Berliner Bildhauer Erich Fritz Reuter eine Bronzebüste Dorátis.[8]
2004 wurde in Bournemouth die Antal Doráti Centenary Society gegründet.[10]
Werke
Kammermusik
Nocturne and Capriccio für Oboe, 2 Violinen, Viola und Violoncello (1926)
Threnos für Streichquartett (1959, rev. 1977), "in memory of Ödon Pártos"
String Octet für 4 Violinen, 2 Violen und 2 Violoncelli (1964)
Variazioni sopra un Tema di Béla Bartók für Klavier (1974)
Die Stimmen – Klavierzyklus für Bass und Klavier (1975, 1978 Fassung für Bass und Orchester), Text: Rainer Maria Rilke
In The Beginning – Five Meditations on Texts from the Bhagavad Ghita für Bassbariton, Oboe, Violoncello und Percussion (1979)
Sonata per Assisi – Fünf Stücke für 2 Flöten (1980)
Cinq Pièces für Oboe solo (1980)
String Quartet (1980)
Duo Concertante für Oboe und Klavier (1984)
Autumn – Sechs Epigramme für Bariton und Kammerensemble (19 Spieler) nach alten chinesischen Texten (1986)
Adagio für Viola und Klavier (1987)
Hexaphoneia – Sechs Sätze für Bariton, 2 Violinen, Viola und 2 Violoncelli (1988), nach Hans Erni
Orchesterwerke
American Serenade für Streichorchester (frühe 1940er Jahre)
Symphony No. 1 (1956–57)
The Two Enchantments of Li Tai Pe für Bariton und kleines Orchester (1957)
7 Pictures (Sette Pezzi) für Orchester (aus "Magdalena") (1963)
Variations on a Theme of Kodály für Orchester (1962), in Kollaboration mit Tibor Serly, Ödön Pártos, Géza Frid, and Sándor Veress
Largo Concertato für Streichorchester (1966)
Chamber Music – Liederzyklus für Sopran und 25 Instrumente (1967), Text: James Joyce
Night Music für Flöte und kleines Orchester (1969)
Concerto for Piano and Orchestra (1975)
Divertimento für Oboe und Orchester (1976, Solopart rev. 1985–86)
Concerto for Cello and Orchestra (1977)
Trittico für Oboe, Oboe d’amore und Englischhorn mit Streichorchester (1984–85, 1984 Fassung für Oboe, Oboe d’amore, Englischhorn und Klavier, 1986 Fassung mit Begleitung von 12 Streichern), Auftragswerk von Heinz Holliger
Symphony No. 2 "Querela Pacis" (1985), Auftragswerk des Detroit Symphony Orchestra
Chorwerke
The Way – Kantate für Sprecher, Alt, Bassbariton, Chor und Orchester nach Paul Claudels "Le Chemin de la Croix" (1955–56)
Missa Brevis für gemischten Chor a cappella (SSAATB, vorzugsweise Knabenchor anstelle S/A-Stimmen) und Percussion (1959)
Madrigal Suite für gemischten Chor (SATB) und kleines Orchester (1965)
Öt Kánon – Fünf Kanons für gemischten Chor a cappella (1970)
Three Studies für gemischten Chor a cappella (1976)
Of God, Man, and Machine – Drei Chöre für gemischten Chor (SATB) a cappella (1978)
Négy noï Kar – Vier ungarische Chöre für Frauenstimmen (SMA) (1982), "To Maria Katanics and her choir"
Imádság (Prayer) für gemischten Chor (SATB) a cappella (1984), Text: Dezső Keresztury
Jesus or Barabbas? – Melodram für Sprecher, gemischten Chor und Orchester (1987), Text: Antal Doráti, nach einer Parabel von Frigyes Karinthy
Pater Noster für gemischten Chor (SATB) a cappella (1988)
Opern
Der Künder, auf Englisch: The Chosen, in 3 Akten (1984), entstanden aus Martin BubersElija. Ein Mysterienspiel, 2022 als szenische Inszenierung bei ORFEO International Music veröffentlicht
Transkriptionen/Orchestrationen
Graduation Ball – Ballett in einem Akt mit Musik von Johann Strauß (S) (1939)
Bartók: Three Rondos on Folk Tunes, Fassung für Streichorchester (1967)
Bartók: Suite op. 14, Bearbeitung für kleines Orchester (1967)
Allan Pettersson: 8 Barefoot Songs, Bearbeitung für Bariton und Orchester (1968–69)
Mozart: Rondo (Andante) für eine kleine Orgel, Bearbeitung für 2 Flöten und 2 Klarinetten
Mozart: Adagio für Harmonika, Bearbeitung für 2 Flöten, 2 Oboen, Fagott und Horn in F
Haydn: Die Zehn Gebote der Kunst – 10 Kanons für gemischten Chor, Bearbeitung zur Konzertaufführung mit Orchesterbegleitung ad libitum (1982)
Schriften
Notes of Seven Decades. Hodder & Stoughton, London 1979, ISBN 0-340-15922-7 (Autobiographie).
For Inner and Outer Peace. London 1987.
Literatur
Alberto Fassone: Doráti, Antal. In: Julian Caskel, Hartmut Hein (Hrsg.): Handbuch Dirigenten. 250 Porträts. Bärenreiter, Kassel 2015, ISBN 978-3-7618-2174-9, S. 135–137.
Peter Hollfelder: Klaviermusik. Internationales chronologisches Lexikon. Geschichte. Komponisten. Werke. Supplement. Noetzel, Wilhelmshaven 2005, ISBN 3-7959-0855-8, S. 66.
Calum MacDonald: Antal Doráti: Composer: A Catalogue of His Works. In: Tempo, N.S., 1982, 143, S. 16–25.
Alain Pâris: Klassische Musik im 20. Jahrhundert: Instrumentalisten, Sänger, Dirigenten, Orchester, Chöre. 2. erweiterte, völlig überarbeitete Auflage. dtv, München 1997, ISBN 3-423-32501-1, S. 210 f.
Gdal Saleski: Famous musicians of Jewish origin. Bloch Publishing Company, New York 1949, S. 227f.
Rudolf Ossowski (Hrsg.): Jugend fragt, Prominente antworten. Colloquium-Verlag, Berlin 1975, ISBN 3-7678-0373-9, S. 73 ff.
Schweizer Lexikon 91: in sechs Bänden. Band 2: Chap-Gem. Verlag Schweizer Lexikon, Luzern 1992, ISBN 3-9520144.
↑Judit Frigyesi: Jews and Hungarians in Modern Hungarian Musical Culture. Ezra Mendelsohn (Hrsg.): Modern Jews and Their Musical Agendas (Studies in Contemporary Jewry. Band 9). Oxford University Press, Oxford 1993, ISBN 0-19-508617-1, S. 40–60, hier: S. 58.
↑Ilona von Dohnányi: Ernst von Dohnanyi: A Song of Life. Hrsg. von James A. Grymes. Indiana University Press, Bloomington 2002, ISBN 0-253-34103-5, S. 19.
↑Tibor Frank: Double exile: migrations of Jewish-Hungarian professionals through Germany to the United States, 1919–1945 (Exil-Studien. Band 7). Lang, Oxford u. a. 2009, ISBN 978-3-03911-331-6, S. 441.
↑1984 (Memento vom 28. November 2020 im Internet Archive), sinfonieorchesterbasel.ch, abgerufen am 23. September 2018.