Die Grammatik der altgriechischen Sprache (altgriechisch ἡ Ἑλληνικὴ γλῶσσα [attischγλῶττα] hē hellēnikē glōssa [attisch glōtta]) ist in Beziehung auf die Morphologie komplex und verfügt, wie viele indoeuropäische Sprachen, über eine ausgeprägte Flexion. Dieser Artikel fasst die Veränderungsbereiche der altgriechischen Sprache kurz zusammen, stellt die Verwendungen einzelner Zeiten und Modi kurz gegenüber, listet Beispiele zur Konjugation auf und stellt die unterschiedlichen Deklinationen kurz vor.
Im Altgriechischen wird konjugiert und dekliniert.
Die Konjugation ist die Veränderung des Verbs. Sie findet bei den bestimmten Formen in verschiedenen Bereichen statt:
Person: im Altgriechischen gibt es die 1., 2. und 3. Person;
Numerus: im Altgriechischen gibt es den Singular, den Dual (auf Grund seiner Seltenheit hier nicht berücksichtigt) und den Plural;
Modus: im Altgriechischen gibt es den Indikativ, den Konjunktiv, den Optativ und den Imperativ;
Tempus: im Altgriechischen gibt es das Präsens, das Imperfekt, das Futur, den (starken) Aorist, das Perfekt und das Plusquamperfekt;
Genus verbi: im Altgriechischen gibt es das Aktiv, das Medium und das Passiv.
Unbestimmte Formen, beispielsweise der Infinitiv, sind von der Konjugation ganz oder teilweise ausgeschlossen.
Die Deklination ist die Veränderung des Nomens, das heißt des Substantivs, Adjektivs usw. Sie findet in verschiedenen Bereichen statt:
Kasus: im Altgriechischen gibt es den Nominativ, den Genitiv, den Dativ, den Akkusativ und (als Anrede) den Vokativ;
Numerus: im Altgriechischen gibt es den Singular, den Dual (auf Grund seiner Seltenheit hier nur für den Artikel und die III. Deklination) und den Plural;
Genus: im Altgriechischen gibt es das Maskulinum, das Femininum und das Neutrum.
Sich aufeinander beziehende Nomina müssen nach Kasus, Numerus und Genus Kongruenz aufweisen (das heißt Übereinstimmung in diesen Bereichen).
Konjugation
Hinweis: Konjugationstabellen für die regelmäßigen Verben sind unter Verba vocalia, Konjugation zu finden.
Gebrauch der Aspekte
Wesentlich wichtiger als das Ausdrücken einer bestimmten Zeitstufe (Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft) ist in der griechischen Verbalflexion der sogenannte Aspekt. Er drückt aus, mit welchem zeitlichen Fokus die Verbalhandlung innerhalb einer bestimmten Zeitstufe betrachtet wird. Nur im Indikativ haben Aorist und Präsens tatsächlich temporale Bedeutung; in allen anderen Modi repräsentieren sie nur ihren jeweiligen Aspekt. Die drei Aspekte des Altgriechischen werden durch einen jeweils eigenen Verbalstamm ausgedrückt und sind:
durativer Aspekt: Er betont die Dauer und Ausdehnung der Verbalhandlung unabhängig von Anfangs- und Endpunkt der Handlung. Er wird durch den Präsensstamm realisiert.
punktueller Aspekt: Er betrachtet einen einzigen Punkt der Verbalhandlung; dieser Punkt kann ein beliebiger (komplexiv), der Anfangs- (ingressiv) oder der Endpunkt (effektiv) der Handlung sein. Dieser Aspekt wird durch den Aoriststamm ausgedrückt.
resultativer Aspekt: Er nimmt das (gegenwärtige) Ergebnis einer Verbalhandlung in den Blick und ist der dem Perfektstamm eigene Aspekt.
Bildung und Gebrauch der Tempora und Modi
Gebrauch der Tempora
Präsens: Das Präsens wird durch das Anhängen der primären Personalendungen an den Präsensstamm (im Beispiel: θυ-) gebildet. Es drückt eine Handlung aus, die zum Zeitpunkt des Sprechens oder regelmäßig geschieht:
Ἀνὴρ θύει βοῦν.
Anēr thyei boun.
Ein Mann opfert einen Ochsen.
Imperfekt: Das Imperfekt wird aus dem Präsensstamm (θυ-) gebildet, indem ein Augment vor den Stamm und die sekundären Personalendungen hinten an den Stamm angehängt werden. Das Augment erscheint dabei bei konsonantisch anlautenden Stämmen als syllabisches (ἐ-) bzw. bei vokalisch anlautenden Stämmen als temporales Augment (durch Dehnung des Vokals, z. B. wird aus anlautendem ἀ- ein ἠ-). Das Augment markiert das Imperfekt als Vergangenheitstempus, während der durative Aspekt des Präsensstammes ausdrückt, dass die Handlung in der Vergangenheit regelmäßig geschah (iterativ), einen längeren Zeit andauerte (durativ) oder immer wieder versucht wurde (konativ):
Ἀνὴρ ἔθυε βοῦν.
Anēr ethye boun.
Ein Mann opferte einen Ochsen.
Futur: Das Futur wird durch die Erweiterung des Präsensstammes mit -σ- (θυσ-) und das Anhängen der primären Personalendungen gebildet. Es drückt eine Handlung aus, die in der Zukunft stattfindet:
Ἀνὴρ θύσει βοῦν.
Anēr thysei boun.
Ein Mann wird einen Ochsen opfern.
Aorist: Er drückt im Indikativ eine Handlung aus, die einmal in der Vergangenheit geschah. Meist wird hierbei ein bestimmter Punkt der Handlung (komplexiv), ihr Anfang (ingressiv) oder ihr Ende (effektiv) beschrieben:
Ἀνὴρ ἔθυσε βοῦν.
Anēr ethyse boun.
Ein Mann hat einen Ochsen geopfert.
Deutlich wird der aspektuelle Bedeutungsunterschied von Aorist und Präsens/Imperfekt zum Beispiel am Verb βασιλεύειν (König sein): ἐβασίλευε im Imperfekt bedeutet „er war König“ (durativ), während ἐβασίλευσε im Aorist heißt „er wurde König“ (punktuell-ingressiv).
Perfekt: Es drückt eine Handlung aus, die in der Vergangenheit geschehen und zum Zeitpunkt des Sprechens abgeschlossen ist:
Ἀνὴρ τέθυκε βοῦν.
Anēr tethyke boun.
Ein Mann hat einen Ochsen geopfert (der Ochse ist jetzt tot).
Plusquamperfekt: Es drückt eine Handlung aus, die bereits in der Vergangenheit abgeschlossen gewesen ist.
Ἀνὴρ ἐτεθύκει βοῦν.
Anēr etethykei boun.
Ein Mann hatte einen Ochsen geopfert.
Gebrauch der Modi
Indikativ: Er drückt allgemein eine geschehene Handlung aus:
Ἀνὴρ θύει βοῦν.
Anēr thyei boun.
Ein Mann opfert einen Ochsen.
Konjunktiv: Er drückt einen Wunsch, einen Willen oder eine Erwartung aus:
Πέμπουσιν ἄνδρα, ἵνα θύσῃ βοῦν.
Pempousin andra, hina thysēi boun.
Sie schicken einen Mann, um den Ochsen zu opfern. (… damit er einen Ochsen opfere.)
Optativ: Er drückt einen Wunsch (Optativ) oder eine Möglichkeit (Potentialis) aus:
Εἴθε ἀνὴρ θύοι βοῦν.
Eithe anēr thyoi boun.
Ich wünschte, ein Mann opferte einen Ochsen.
Ἔλεγον ὅτι ἀνὴρ οὐ θύοι βοῦν.
Elegon hoti anēr ou thyoi boun.
Sie sagten, dass ein Mann keinen Ochsen opfert (… einen Ochsen nicht opfert).
Εἰ βούλοιτο, θύοι ἂν βοῦν.
Ei bouloito, thyoi an boun.
Wenn er wollte, opferte er einen Ochsen. (… könnte er einen Ochsen opfern.)
Imperativ: Er drückt einen Befehl aus:
Ὦ ἄνερ, θῦσον βοῦν.
Ō anēr, thyson boun.
Mann, opfere einen Ochsen!
Das Verb εἰμί – sein
Das Verb εἰμί ist ein unregelmäßiges Hilfsverb.
Indikativ
Konjunktiv
Optativ
Imperativ
Infinitiv
Partizip
Präsens
εἰμί εἶ ἐστί(ν) ἐσμέν ἐστέ εἰσί(ν)
ὦ ᾖς ᾖ ὦμεν ἦτε ὦσι
εἴην εἴης εἴη εἴημεν/εἶμεν εἴητε/εἶτε εἴησαν/εἶεν
- ἴσθι ἔστω - ἔστε ἔστων/ὄντων/ἔστωσαν
εἶναι
ὤν οῦσα ὄν
Imperfekt
ἦν ἦσθα ἦν ἦμεν ἦτε ἦσαν
Futur
ἔσομαι ἔσῃ/ἔσει ἔσται ἐσόμεθα ἔσεσθε ἔσονται
ἐσοίμην ἔσοιο ἔσοιτο ἐσοίμεθα ἔσοισθε ἔσοιντο
ἔσεσθαι
ἐσόμενος ἐσομένη ἐσόμενον
Deklination
Artikel
Der Artikel ist immer bestimmt; einen unbestimmten Artikel gibt es im Altgriechischen nicht. Der bestimmte Artikel steht auch vor Eigennamen: ὁ Περικλῆςho Periklēs „Perikles“, ἡ Ἀθήνηhē Athḗnē „Athene“.
Maskulinum
Femininum
Neutrum
Singular
Dual
Plural
Singular
Dual
Plural
Singular
Dual
Plural
Nominativ
ὁ(ho)
τώ(tṓ)
οἱ(hoi) τοί(toí)
ἡ(hē)
τά(tā́) τώ(tṓ)
αἱ(hai) ταί(taí)
τό(tó)
τώ(tṓ)
τά(tá)
Genitiv
τοῦ(toû)
τοῖν(toîn)
τῶν(tôn)
τῆς(tês)
ταῖν(taîn) τοῖν(toîn)
τῶν(tôn)
τοῦ(toû)
τοῖν(toîn)
τῶν(tôn)
Dativ
τῷ(tôi)
τοῖν(toîn)
τοῖς(toîs)
τῇ(têi)
ταῖν(taîn) τοῖν(toîn)
ταῖς(taîs)
τῷ(tôi)
τοῖν(toîn)
τοῖς(toîs)
Akkusativ
τόν(tón)
τώ(tṓ)
τούς(toús)
τήν(tḗn)
τά(tā́) τώ(tṓ)
τάς(tás)
τό(tó)
τώ(tṓ)
τά(tá)
Bei dem im Vokativ und zudem nur im Attischen vorangestellten ὦō (wie in ὦ Περίκλειςō Perikleis) handelt es sich nicht um einen Artikel, sondern um eine Interjektion, wie sie auch im Deutschen bekannt ist.
Erste Deklination
In der Ersten Deklination (auch α-Deklination oder Alpha-Deklination genannt) finden sich maskuline und feminine Wörter.
In der Zweiten Deklination (auch ο-Deklination oder Omikron-Deklination genannt) finden sich maskuline, neutrale und feminine Wörter. Bei den neutralen Wörtern ist zu beachten, dass sich der Nominativ und der Akkusativ (wie auch in anderen Sprachen) immer gleichen.
In der Dritten Deklination finden sich Wörter aller Geschlechter. Sie vereinigt Wörter mit konsonantischen und vokalischen Stämmen und die Grundformen weisen sehr unterschiedliche Endungen auf (vergleiche ἅλςhals[W 7] [Stamm ἁλ-], ἀνήρanēr[W 8] [Stamm ἀνδρ-], γέρωνgerōn[W 9] [Stamm γεροντ-], γυνήgynē[W 10] [Stamm γυναικ-], δαίμωνdaimōn[W 11], ἐλέφαςelephas[W 12] [Stamm ἐλεφαντ-], ἐλπίςelpis[W 13] [Stamm ἐλπιδ-], ΖεύςZeus[W 14] [Stamm Δι-], ἰχθύςichthys[W 15], πούςpous[W 16] [Stamm ποδ-], πατήρpatēr[W 17], πόλιςpolis[W 18], ῥήτωρrhētōr[W 19], ΣωκράτηςSōkratēs, σῶμαsōma[W 20] [Stamm σωματ-], ὕδωρhydōr[W 21] [Stamm ὑδατ-]). Die folgenden Endungen sind im Wesentlichen regelmäßig:
Raphael Kühner, Friedrich Blass: Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Erster Teil: Elementar- und Formenlehre. 3. Auflage. Band2. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1892 (Digitalisat im Textarchiv – Internet Archive). Verbenlehre.