Die Adelphophagie (von griech. αδελφοί adelphoi = „Geschwister“ und φάγος phagos = „Fresser“) bezeichnet das Töten und Auffressen von Jungtieren durch ihre Geschwister. Vogelkundler beschreiben dieses Verhalten, das unter anderem bei Greifvögeln auftritt, in der Regel als Kainismus.[1]
Auch der Kannibalismus befruchteter Eier in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, die sogenannte Oophagie durch die Geschwister (u. a. bei Fröschen wie Oophaga), zählt zur Adelphophagie.[2]
In der Fachsprache wurde außerdem das Lehnwort Siblizid aus dem Englischen übernommen. Als Synonym für Geschwistertötung beinhaltet es jedoch lediglich die Tötung des Geschwister ohne den anschließenden Verzehr.[3]
Außerdem kann Adelphophagie als das Auffressen von Geschwistern ohne deren vorherige Tötung verstanden werden. Bei akutem Nahrungsmangel reagiert beispielsweise der Weißstorch, indem tote Küken an die Geschwister verfüttert werden. Diese sind entweder von selbst verhungert, von den Geschwistern getötet worden oder durch Infantizid der Altvögel ums Leben gekommen.[4]
Abgegrenzt wird dabei der Kainismus[1], der bei verschiedenen Vogelarten (z. B. bei Eulen und Greifvögeln[2]) auftritt, von Formen der Adelphophagie, die bereits in der Gebärmutter auftreten können. Nähreier, Embryonen oder Jungtiere in unterschiedlichen embryonalen Entwicklungsstadien werden bei einer Reihe von Tiergruppen bereits vorgeburtlich getötet und gefressen.
Dieser uterine Kannibalismus (oder embryonale Kannibalismus) ist unter anderem bei Sandtigerhaien normal und tritt auf, sobald die größten Jungtiere eine Länge von ca. 10 cm erreicht haben und beginnen, ihre zum Teil deutlich kleineren Geschwister zu fressen.[5][6]
Bei der direkten Adelphophagie werden Jungtiere von den Muttertieren über befruchtete Nähreier (Oophagie) oder Embryonen in verschiedenen Entwicklungsstadien ernährt. Dabei kann es bei dem normalen Nachwuchs zur Bildung von speziellen Fressstadien kommen, die für diese Ernährung anatomisch speziell ausgestattet sind. Ein Beispiel hierfür stellen die Baumsteigerfrösche der Gattung Oophaga dar, deren Kaulquappen durch Eier der Mutter ernährt werden. Bei vielen Formen kommt es zu einer typischen Arretierung der zur Ernährung bereitgestellten Entwicklungsstadien, die wahrscheinlich genetisch gesteuert festgelegt wird (OocytärerDimorphismus vor der Befruchtung) oder über eine Besamung durch atypische Spermien reguliert wird. Diese Form der Adelphophagie kommt vor allem bei Vorderkiemerschnecken, Ringelwürmern oder auch Amphibien vor.
Bei Vögeln tritt Siblizid entweder situativ als fakultativer Kainismus auf (insbesondere bei Nahrungsmangel), ist aber bei einigen Arten, die zeitversetzt wenige Eier legen, angeboren (obligater Kainismus).[7]
↑ abD. Chapman, S. Wintner, D. Abercrombie et al. (2013): The behavioural and genetic mating system of the sand tiger shark, Carcharias taurus, an intrauterine cannibal. Biology Letters 23. Jun 2013; 9(3): 20130003. doi:10.1098/rsbl.2013.0003
↑ abD. J. Anderson & R. E. Ricklefs (1995): Evidence of kin-selected tolerance by nestlings in a siblicidal bird. Behavioral Ecology and Sociobiology volume 37, pages 163–168 doi:10.1007/BF00176713
↑B. J. Ploger (1997): Does brood reduction provide nestling survivors with a food bonus? . Animal Behaviour Nov; Vol. 54 (5), Pages:1063-76. doi:10.1006/anbe.1997.0503
↑ P. Giudici, F. Quintana & W. Svagelj (2017): The Role of Hatching Asynchrony in a Seabird Species Exhibiting Obligate Brood Reduction. Waterbirds 40(3), 221-232, (1 Sept. 2017) doi:10.1675/063.040.0304
↑P. S. Reynolds(1996): Brood Reduction and Siblicide in Black-Billed Magpies (Pica Pica). The Auk, Vol. 113, Iss. 1, January 1996, Pages 189–199, doi:10.2307/4088945
↑David J. Anderson (1990): Evolution of Obligate Siblicide in Boobies. 1. A Test of the Insurance-Egg Hypothesis. The American Naturalist Volume 135, Number 3 doi:10.1086/285049
↑F. M. Neves, P. L.Mancini, F. P. Marques, et al. (2015): Cannibalism by Brown Booby (Sula leucogaster) at a small tropical archipelago. Revista Brasileira de Ornitologia, 23(3), 299-304 doi:10.1007/BF03544295
↑ abS. Wahaj, N. Place, M. Weldele et al. (2007): Siblicide in the spotted hyena: analysis with ultrasonic examination of wild and captive individuals. Behavioral Ecology, Volume 18, Issue 6, November 2007, Pages 974–984 doi:10.1093/beheco/arm076