ÖkohumanismusDer Begriff Ökohumanismus bedeutet eine Verknüpfung der Idee des Humanismus mit der Ökologie. Hierbei wird von einer modernen Konzeption des Humanismus ausgegangen, in dem Sinne, dass es eine Befähigung des Menschen gibt, ein gutes Leben anzustreben und zu verwirklichen. Der entscheidende Unterschied zu anderen Ausprägungen des Humanismus ist, dass im Rahmen des Ökohumanismus der Mensch als Teil des globalen Ökosystems angesehen wird, aus dem er im Zuge der Evolution hervorgegangen ist. Dies bedeutet, dass menschliches Wohlergehen, Grundbedingung für ein gutes Leben, nur erzielbar ist, wenn das globale Ökosystem funktionstüchtig ist. Hieraus kann ein ökologisches Primat abgeleitet werden. Gleichzeitig bedeutet das Konzept eine Verknüpfung der sozialen Frage mit der ökologischen. Begriffs- und IdeengeschichteDie Verknüpfung von Ökologie und Humanismus im Sinne eines ökologischen Humanismus wurde mutmaßlich mehrfach und unabhängig voneinander vorgeschlagen. Die Bemühungen reihen sich in die Versuche ein, die Idee des Humanismus zu aktualisieren. Dabei geht es nicht mehr um die Verherrlichung antiker Kulturen oder Sprachen, die im Renaissance-Humanismus, aber auch noch im Neuhumanismus eine zentrale Rolle spielte. Eine derartige Abgrenzung wurde bereits mehrfach vollzogen, u. a. in der existentialistischen Philosophie. Relevant ist die Zuwendung zur Eigenschaft der Menschlichkeit (lat. humanitas) und einer Philosophie, die es als legitim ansieht, das Wohlergehen des Menschen in den Mittelpunkt von individuellen und gesellschaftlichen Bestrebungen zu stellen. DeutschlandIn Deutschland kam der erste Impuls aus dem Kreis von Denkern, die im Rahmen der Achberger Sommerkongresse auf der Suche nach einem Dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Sozialismus suchten. Im Rahmen der Veranstaltungen unter der Beteiligung des Bauhaus-Professors Hanns Hoffmann-Lederer, des Soziologen Wilfried Heidt, Reformern des Prager Frühlings, des Politikwissenschaftler Ossip K. Flechtheim, des St. Galler Ökonomen Hans Christoph Binswanger auch Vordenkern aus der anthroposophischen Bewegung entstanden wesentliche Grundideen für die Gründung der Partei „Die Grünen“[1]. Mit dem von Wilfried Heidt herausgegebenen Buch „Abschied vom Wachstumswahn: ökologischer Humanismus als Alternative zur Plünderung des Planeten“ wurde der Ökohumanismus in die Literatur eingeführt. Heidt sprach ab 1980 über den ökologischen Humanismus als den Dritten Weg, da sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus gescheitert seien.
– Wilfried Heidt: Aus Vortrag von Wilfried Heidt beim VII. Achberger Jahreskongreß (15. - 30.8.1980); veröffentlicht in Wilfried Heidt (Hrsg.): Abschied vom Wachstumswahn: ökologischer Humanismus als Alternative zur Plünderung des Planeten, Achberg 1981, ISBN 3-88103-018-2. Im Nachgang wurde unter anderem kritisiert, dass Ökohumanismus von einigen Autoren als Quasi-Religion gesehen werde (bei Bartsch, Günter: Ökologischer Humanismus – eine neue Stufe der Menschwerdung? In: Heidt, S. 75–91; Mynarek, Hubertus: Der ökologische Humanismus als weltanschaulicher, ethischer und religiöser Impuls. In: Heidt, S. 93–127).[2] In Deutschland wurde der Ökohumanismus in unregelmäßigen Abständen neu aufgegriffen. 1992 verfasste Gerhard Pretzmann das Buch ‚Grundzüge eines ökologischen Humanismus‘[3]. Peter Cornelius Mayer-Tasch[4] sah 2001 im ökologischen Humanismus[5] eine Antwort auf die globale Um- und Mitweltkrise.
– Peter Cornelius Mayer-Tasch: Mensch und Natur - Der ökologische Humanismus der Jahrtausendwende (zobodat.at) International1983 veröffentlichte der schwedische Historiker Hans Albin Larsson sein Buch Grön idé: ekohumanism (Grüne Idee: Ökohumanismus). Das Konzept fand in der schwedischen Politik einen gewissen Widerhall (z. B. Zentrumspartei).[6] Der US-amerikanische Professor für Geisteswissenschaften, Religionswissenschaften und Südasienwissenschaften Robert Tapp hat 2002 den Ökohumanismus mutmaßlich ohne Kenntnis der europäischen Vorläufer aus einer eher geisteswissenschaftlich-theologischen Perspektive vorgeschlagen und ihm als Herausgeber einen entsprechenden Sammelband gewidmet.[7] Zu den Autoren, die sich auf Tapps Buch beziehend mit dem Ökohumanismus beschäftigten, zählt William Patterson, der sich um die Differenzierung von Prinzipien und Praxis bemühte.[8][9] Brian Morris sieht den ökologischen Humanismus als Synonym für Soziale Ökologie und als dritten Weg jenseits von Industrialismus und Antimodernismus eine Tradition, die sowohl die ökologischen Realitäten als auch den ethischen und kulturellen Fundus des Humanismus umfasst.[10] Der Niederländer Floris van den Berg schlägt 2019 in seinem Buch[11] vor, dass der Humanismus zu einem Ökohumanismus weiterentwickelt werden müsse, der zukünftige Generationen und Tiere einbeziehen müsse. William Cohen bezieht die ökohumanistische Idee auf ökologische Planung und ein Design im Einklang mit der Natur. Er sieht den Ökohumanismus in der Tradition der Arbeiten des schottischen Planers und Landschaftsarchitekten Ian McHarg, der 1969 das Werk Design with Nature veröffentlichte.[12] Verhältnis zum SozialismusPolitische Akteure, die das Konzept in ihrem Diskurs verwenden, bringen den Ökohumanismus in eine gewisse Nähe zu den Ideologien des Ökosozialismus und Ökokommunismus. Der französische Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon wirbt für einen ökologischen und sozialen Humanismus, einen neuen Humanismus.[13][14][15] Laut Damon Mayaffre präsentiere sich der Melenchonismus als 'sozialer und ökologischer Neo-Humanismus' und beanspruche in derselben Bewegung die Aufklärung und die jakobinische Revolution als Vergangenheit, den Sozialismus als Gegenwart und die ökologische Forderung als Zukunft. Neuere EntwicklungenDiverse Autoren betonen das weltanschaulich integrierende Potenzial des Ökohumanismus. Ökohumanismus scheint kompatibel mit verschiedenen nachhaltigkeitsorientierten Weltbildern des globalen Nordens und des globalen Südens. Eine klare Beziehung scheint unter anderem zum Konzept des guten Lebens gegeben, vgl. Sumak kawsay (Kichwa), auch buen vivir, ein ethisches Grundprinzip indigener Gesellschaften des Andenraumes in Südamerika. Michael Onyebuchi Eze wies darauf hin, dass Ökohumanismus auch aus afrikanischer Sicht das ganzheitliche Verhältnis von Mensch und Natur gut beschreibt.
– Michael Onyebuchi Eze: Eze, M. O. (2017): Humanitatis-Eco (Eco-Humanism): An African Environmental Theory. In: A. Afolayan and T. Falola (eds.). The Palgrave Handbook of African Philosophy. doi:10.1057/978-1-137-59291-0_40. 621-632.
– Cath Sutherland: C. Sutherland (2020): Time for Humanism to turn back to nature. Online abrufbar unter: https://greenworld.org.uk/ article/opinion-time-humanism-turn-back-nature. „The modern values reflected in Eco-humanism would be as demanding as those of many religions – respect for other people, no discrimination, respect for science and rational thinking, care for animals, lifestyles and a society that minimises damage to nature, love and care for the natural world“ (Cath Sutherland)[16] Pierre Ibisch und Jörg Sommer diskutieren das Konzept im Zusammenhang mit aktuellen Krisen und Umbrüchen wie der Digitalisierung und der Klimakrise; sie fordern eine Weiterentwicklung ökologischen Denkens zu einem radikalen und globalen Ökohumanismus. Sie sehen ein besonderes Potenzial im Ökohumanismus, die soziale mit der ökologischen Frage zu verknüpfen. Eine Weiterentwicklung der Ökologie zu einem radikalen Ökohumanismus könne sie anschluss- und einflussfähig gegenüber den Kräften machen, sich für eine gerechtere Welt einsetzen.[17][18]
– Pierre Ibisch und Jörg Sommer: Für einen globalen Ökohumanismus. Online abrufbar unter: https://oekohumanismus.de/ (2021) Am 13. Oktober 2021 erschien das Buch: Das „Ökohumanistische Manifest“ von Pierre Ibisch und Jörg Sommer im S. Hirzel Verlag.[19] Die Autoren setzen dem alten Denken ihre im positiven Sinne radikale Philosophie des Ökohumanismus entgegen. Sie plädieren dafür, unser Denken zu erden: Von der Natur ausgehend zum Menschen hin. Das Buch verknüpft die Akzeptanz der planetaren Grenzen mit dem Ziel einer gerechten Welt – und rückt den Menschen und seine Stärken in den Mittelpunkt der Debatte um die Ökologie und unsere Zukunft.[20]
– Ernst von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Club of Rome: Pierre L. Ibisch und Jörg Sommer: Ökohumanismus. Online abrufbar unter: https://oekohumanismus.de/testimonials/ (2021)
– Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises: Pierre L. Ibisch und Jörg Sommer: Ökohumanismus. Online abrufbar unter: https://oekohumanismus.de/testimonials/ (2021) Weblinks
Einzelnachweise
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