Die Frage nach der Gattung des Psalms und nach der Situation der Entstehung ist zentral für das Verständnis des Psalms. Hermann Gunkel glaubt, dass es sich bei dem Psalm „um die Feier der Thronbesteigung handeln [muss] wie bei so manchen andern dieser Gesänge“.[2] Es handele sich also, so Gunkel, um „ein Lied des judäischen Königs selber am Feste seiner Thronbesteigung“.[2] Auch Hans-Joachim Kraus stimmt dieser Einschätzung zu, wenn auch mit leichten Einschränkungen.[3] Der Sitz im Leben ist damit gefunden, auch wenn es unmöglich ist eine genaue Zeit der Entstehung fest zu machen.
Der Sprecher des Psalms ist der auf dem Zion thronende König, der über sein nie zu Ende gehendes Reich berichtet, das, von JHWH gestiftet, über allen anderen Reichen stehen wird. Das Chaos, das am Anfang des Psalms beschrieben wird (Verse 1–3), wird durch den von Gott eingesetzten König gebändigt und die Weltordnung wird wiederhergestellt. Geprägt von der ägyptischen und hellenistischen Königsideologie[4] wird der König als Sohn Gottes identifiziert (Vers 7), der „mit eisernem Zepter“ (Vers 9) über alle Nationen regieren wird. Der Beschluss (Vers 7) „ist ein Begriff des sakralen Königsrechtes. Er bezeichnet die Legitimationsurkunde, das Königsprotokoll, das bei der Inthronisation niedergeschrieben worden ist und forthin den rechtmäßigen Herrscher ausweist.“[5] Er bedeutet nicht, dass JHWH als der Erzeuger des Königs zu gelten hat, sondern dass der König von Gott adoptiert wurde. „Das JHWH-Wort des Psalms bedeutet, daß der Gott den König zum Sohne angenommen hat.“[6]
Es sollte nicht übersehen werden, dass dieser Psalm, der eine israelitische Weltherrschaft proklamiert, auch zu der Zeit als Israel in Gefangenschaft und alles andere als Weltherrscher war Teil des Kanons blieb. Der Psalm lässt sich nicht nur als megalomanische Propagandaliteratur lesen, sondern auch als Sehnsucht nach einem noch verborgenen Reich, das von Gott angekündigt wurde, aber noch seiner Vollendung harrt. Das Chaos der Völker wartet, gebändigt zu werden, um die im Schoß der Schöpfung liegende Weltordnung verwirklichen zu lassen. Das Ziel der Botschaft des 2. Psalms könnte man zusammenfassen in der Erklärung
„das Aufbegehren der Völker und Könige gegen die universale Herrschaft Gottes und seines Gesalbten ist ein sinnloses Unterfangen – nur mit Verwunderung wird diese Rebellion zur Kenntnis genommen; und sogleich wird angesichts der weltüberlegenen Macht Gottes und der gültigen Ermächtigung seines Königs mit einem Ultimatum zur Besinnung gerufen.“[7]
Aus neutestamentlicher Sicht wird Psalm 2 als Prophetie (Apg 13,33 EU und Heb 1,5 EU) auf Jesus Christus interpretiert. Mit Zuwendung zu Jesus Christus kann man dem Zorn Gottes entkommen (Vers 12). Das in Vers 12 genannte Küssen beschreibt aus orientalischer Sicht die symbolische Unterwerfung (Proskynese) und bis in die Neuzeit hinein eine symbolisch juristische Bedeutung (Fußkuss) oder ist zumindest eine Art der Ehrerbietung (Handkuss).