CamorraAls Camorra, auch bekannt als Bella Società Riformata, Società dell’Umirtà, Onorata Società[1][2] oder Il Sistema, werden organisierte kriminelle italienische Familienclans in Neapel und der Region Kampanien bezeichnet. Die Camorra ist eine der ältesten und größten kriminellen Organisationen in Italien und besteht seit dem 16. Jahrhundert. Im Gegensatz zur sizilianischen Cosa Nostra und der kalabrischen ’Ndrangheta mit ihrem überwiegend ländlichen Operationsfeld agiert die Camorra vorwiegend von Neapel und dem Umland aus. Die Camorra besteht aus autonomen Clans und ist daher auch nicht wie die Cosa Nostra vertikal, sondern horizontal organisiert.[3] Zulauf erhält die Camorra vor allem aufgrund der – besonders unter Jugendlichen – hohen Arbeitslosigkeit. Sie bietet ihnen (statistisch nicht erfasste) Arbeit an; überhaupt ist die Schattenwirtschaft eine bedeutende ökonomische Kraft der Stadt. OrganisationUrsprüngeDie Ursprünge der Camorra sind bis heute nicht ganz klar. Man nahm bisher an, dass sie seit dem 16. Jahrhundert als direkter Nachkomme einer spanischen Geheimgesellschaft namens „Garduña“ zurückreichen, welche im Jahr 1417 gegründet wurde. Jüngste historische Forschungen in Spanien legen jedoch nahe, dass die Garduña nie wirklich existierte und nur auf einem fiktiven Buch aus dem 19. Jahrhundert basieren würde.[4] Die Herkunft des Wortes „Camorra“ ist unklar,[5] es gibt jedoch zahlreiche Theorien. Die erste offizielle Verwendung des Wortes soll aus dem Jahre 1735 stammen, als eine königliche Verfügung die Einrichtung von acht Spielhöllen in Neapel zuließ. In dem besagten offiziellen Dokument ist die Rede von Camorra avanti palazzo, damit meinte man eine Spielhölle in der Nähe eines Palasts.[6] Daher ist das Wort nahezu zweifellos eine Mischung aus „Capo“ (Chef) und einem neapolitanischen Straßenspiel namens „Morra“.[7][8] Sprich: capo-morra, abgekürzt ca‘ morra. Möglicherweise leitet es sich auch von einem nach Neapel geflohenen und dort inhaftierten spanischen Verbrecher namens Gamur her. Die gamurri waren kastilische Banditen. Das spanische Wort kamora bedeutet Protest und Schlägerei. Im Altneapolitanischen bezeichnete der Begriff camurra (auch: gamurra oder gammurra) ein mittelalterliches Frauengewand (ähnlich der gamurra im Toskanischen Dialekt). Camorristi wären dann Blusenträger (ein anderer Begriff für das Proletariat). Die spätere chamarra (auch gomurra) war ein weites, langes Gewand der Spanier. Synonyme für Camorra waren La Società dell’Umirtà, Onorata Società und Bella Società Riformata. Nach dem Schriftsteller und Camorra-Experten Roberto Saviano spricht man in Neapel heute nicht mehr von der Camorra, sondern von il sistema (das System).[9]
– Marc Monnier: La camorra: notizie storiche raccolte e documentate. 1862 BeschäftigungsfelderDie Camorra operiert in der gesamten Europäischen Union mit Drogenhandel, Waffenhandel, Produktpiraterie von Luxusgütern, illegaler Müllentsorgung und Schutzgelderpressung.[10] Mit Hilfe von Korruption und Erpressung erlangte sie Großaufträge im Baugewerbe.[10] Weiterhin investiert die Camorra in hohem Maße in die Herstellung von Designermode[11] und Zement.[12] Schutzgelder werden in camorrakontrollierten Betrieben gewaschen und legal in den europäischen Großstädten reinvestiert. Wie die Cosa Nostra, ’Ndrangheta und andere Gruppierungen der Organisierten Kriminalität hat auch die Camorra längst ihre regionale Herrschaftszone verlassen und ihre Verbrechen auf andere Länder der EU und darüber hinaus ausgeweitet. Roberto Saviano hält kriminelle Organisationen sogar für den Inbegriff von Internationalismus, da diese Syndikate mit modernsten Mitteln operieren und sich überdies untereinander verheiraten wie einst der europäische Hochadel.[13] Als Beispiele führt er an:
Saviano folgert aus dieser bislang ungestörten Expansion: „Für die Camorra ist die Welt eine Art Brettspiel, wo einzelne Familien bestimmte Gebiete einfach in Besitz nehmen.“ Nur eine Kooperation auf europäischer Ebene könnte der organisierten Wirtschaftskriminalität noch Einhalt gebieten.[19] Ein erster notwendiger Schritt dazu sei die Einführung der „Mafia als Straftatbestand“ in der EU, der 2007 ausschließlich in Italien Geltung hatte.
Laut einer Studie von Eurispes sei der Umsatz der Camorra halbjährlich in etwa wie folgt:
Der Gesamtumsatz der neapolitanischen Familien wird somit halbjährlich auf rund zwölf Milliarden Euro geschätzt. Struktur und RegelnBei jedem bisherigen Versuch, die Camorra mit einer vertikalen hierarchischen Struktur zu reorganisieren, wurde als Modell die Struktur der Cosa Nostra genommen. Solche Versuche sind jedoch immer aufgrund der Haltung der Köpfe verschiedener Familien fehlgeschlagen. Aus diesem Grund ist es auch unangemessen, von der Camorra als einheitliches und organisches kriminelles Phänomen zu sprechen. Ausnahmen sind einige bestimmte Anzeichen von Allianzen wie die des Casalesi Clan mit einer Top-Down-Struktur von einem Dutzend Banden dreier Familien (Schiavone, Bidognetti, Zagaria-Iovine), auch als Alleanza di Secondigliano (Allianz von Secondigliano) bekannt. Seit 1820 hat sich die Camorra wiederholt eigene Statuten gegeben, die sogenannten frieni.[21] Einige Beispiele:
Camorra-ClansItalienDie ganze Region in und um Neapel wurde von der Camorra schon Mitte des 19. Jahrhunderts in zwölf Zonen eingeteilt, welche meist von mehreren Clans beherrscht werden:[22] Zu den dominierenden Clans gehört die sogenannte Alleanza di Secondigliano, die vor allem von den Clans Licciardi, Di Lauro und Contini-Bosti repräsentiert wird. Trotz ihrer Herkunft hat die Camorra auch Dependancen in anderen italienischen Regionen wie der Lombardei,[23][24][25] Piemont[26][27] und der Emilia-Romagna.[28][29]
Vereinigte StaatenDie Camorra existierte in den USA schon zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie wetteiferte in einem Krieg gegen die sizilianisch-stämmige Mafia bzw. der späteren amerikanischen Cosa Nostra, welchen sie jedoch verlor und so schließlich unter der neuen Führung des Sizilianers Salvatore D’Aquila mit der frühen amerikanischen Cosa Nostra verschmolz, was heute als Vorläufer des später als „Gambino-Familie“ klassifizierten Clans gilt.
Viele Camorra-Mitglieder und Assoziierte flohen aufgrund von Bandenkriegen und der italienischen Justiz aus Italien und wanderten in den 1980er Jahren in die Vereinigten Staaten aus. Im Jahr 1993 schätzte das FBI, dass es circa 200 Camorristi in den Vereinigten Staaten gäbe.[31] Obwohl es so scheint, dass in den Vereinigten Staaten keine Clanstruktur besteht, haben Camorra-Mitglieder eine Dependance in Los Angeles, New York City und Springfield (Massachusetts) gegründet.[32] Die Camorra ist von allen Gruppen der organisierten Kriminalität in den Vereinigten Staaten die am wenigsten aktive.[33] Trotz dieser Tatsache sind US-Strafverfolgungsbehörden der Ansicht, die Camorra sei ein aufsteigendes kriminelles Unternehmen und besonders gefährlich wegen ihrer Fähigkeit, neue Trends zu schaffen und sich durch neue Allianzen mit anderen kriminellen Organisationen anzupassen.[34] Vereinigtes KönigreichAntonio La Torre aus Aberdeen (Schottland) war der dortige lokale „Don“ der Camorra. Er ist der Bruder von Camorra-Chef Augusto La Torre des La Torre Clans, welcher in Mondragone (Kampanien) seine Basis hatte. Der La Torre Clan war Hunderte Millionen Euro schwer. Antonio betrieb mehrere legitime Geschäfte in Aberdeen, während sein Bruder Augusto dort illegale Geschäfte führte. Er wurde später in Schottland verurteilt und wartet auf seine Auslieferung nach Italien. Augusto wurde im Januar 2003 schließlich zum Pentito und gestand mehr als 40 Morde. Seinem Beispiel folgten später viele seiner Männer.[35] Giuseppe Baldini, der Vizekonsul der italienischen Regierung in Aberdeen, bestreitet, dass die Camorra noch eine starke Präsenz in Aberdeen hält.[36] DeutschlandIn Deutschland ist die Camorra seit den 1980er Jahren verstärkt aktiv. Regionale Brennpunkte liegen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern. Laut Bundeskriminalamt hielten sich zuletzt 88 mutmaßliche Mitglieder der Organisation aus dem Raum Neapel in Deutschland auf. Am häufigsten waren Mitglieder der Clans Licciardi, Moccia, Cava und Ascione vertreten.[37] Beispielsweise unterhielten die Corleonesi von der Cosa Nostra, besonders unter dem berüchtigten Boss Salvatore „Totò“ Riina, traditionell enge Verbindungen zur Camorra-Dependance in Baden-Baden. Diese, aus Giugliano in Campania stammend, soll unter ihrem Anführer Sabatino Ciccarelli den Kokainhandel in Deutschland organisiert haben.[38] Im Jahr 2009 wurden nach großangelegten Razzien in Deutschland und Italien neun Mafiosi der Camorra aus Neapel in Karlsruhe festgenommen. In Offenbach wurde eine gesamte Lagerhalle voll Mafia-Gut sichergestellt. Den verhafteten Beschuldigten wurde vorgeworfen, banden- und gewerbsmäßig betrogen zu haben.[39] Im Jahr 2010 wurden in Hamburg fünf Angehörige des Camorra-Clans Rinaldi festgenommen.[40] Auch hier wurde wieder gewerbs- und bandenmäßiger Betrug in großem Stil vorgeworfen. Die Geschichte der CamorraDas erste AufsehenDie Camorra trat das erste Mal bedeutend während des chaotischen Machtvakuums in den Jahren zwischen 1799 und 1815 hervor, als auf die Parthenopäische Republik die Welle der Französischen Revolution und die sogenannten Bourbon-Restaurierung traf. Die erste offizielle Erwähnung der Camorra als Organisation stammt aus dem Jahr 1820, als die Polizei eine Disziplinarsitzung der Camorra – ein Tribunal, bekannt geworden als Gran Mamma – dokumentierte. In diesem Jahr wurde auch erstmals eine schriftliche Satzung namens Il frieno entdeckt, welche eine stabile Organisationsstruktur in der Unterwelt aufzeigt. Eine weitere Satzung einschließlich Initiationsriten und vorgesehene Mittel für die Familien der Inhaftierten wurde im Jahr 1842 entdeckt. Die Organisation wurde nun auch bekannt als Bella Società Riformata, Società dell'Umirtà oder Onorata Società.[1][2] Die Entwicklung in organisierte Formationen zeigte eine qualitative Veränderung: die Camorristi lebten nicht mehr von lokalem Banden-Diebstahl und Erpressungen; sie hatten jetzt eine feste Struktur und eine Art Hierarchie. Ein weiterer qualitativer Sprung war die Einigkeit zwischen der liberalen Opposition und der Camorra nach der Niederlage in der Revolution von 1848. Die Liberalen erkannten, dass sie Unterstützung der Bevölkerung brauchten, um den König zu stürzen. Sie wandten sich an die Camorra und bezahlten sie, da die Camorristi die Führer der Stadt waren. Die Camorra hatte sich in einigen Jahrzehnten effektiv zu Machthabern entwickelt.[1] Mit der Niederlage des Bourbonenkönigs brach 1860 der neue Polizeichef in Neapel, Silvio Spaventa, mit der Camorra und versuchte, das Phänomen auszurotten.[41] Um mehr soziales Ansehen zu gewinnen, war eine der Strategien der Camorra die politische Patronage. Die Familienclans wurden aufgrund ihrer Griffigkeit in der Gemeinde die bevorzugten Ansprechpartner der lokalen Politiker und Beamten. Im Gegenzug nutzten die Familienbosse ihren politischen Einfluss, um sich und ihre Geschäfte gegen die lokalen Behörden zu schützen. Durch eine Mischung aus roher Gewalt, politischem Status und sozialer Führung wurden die Clans der Camorra auf nationaler Ebene zu Vermittlern zwischen der lokalen Bevölkerung, den Bürokraten und Politikern. Sie gewährten Privilegien und Schutz und intervenierten zugunsten ihrer Kunden im Austausch deren Schweigens und Mitwisserschaft gegen die lokalen Behörden und der Polizei. Durch die politischen Verbindungen entwickelten sich die Köpfe der großen neapolitanischen Camorra-Clans zu Machthabern im lokalen und nationalen politischen Kontext, indem sie neapolitanischen Politikern umfassend Wahlunterstützung boten, um im Gegenzug Vorteile für sich und ihre Anhänger zu erhalten.[42] Mafia-Camorra-Krieg in New YorkZwischen 1914 und 1918 fand in New York City der sogenannte Mafia-Camorra-Krieg statt. Dieser bezeichnet im Wesentlichen Kämpfe zwischen der neapolitanisch-stämmigen Camorra und der sizilianisch-stämmigen Mafia.[43] Innerhalb der italienischen Gemeinschaft von New York City war East Harlem größtenteils sizilianisch geprägt, während Brooklyn mehrheitlich neapolitanisch war. In Brooklyn bildeten sich die Navy Street Gang mit Alessandro Vollero sowie die Coney Island Gang mit Pellegrino Morano als Oberhaupt. In East Harlem war die bedeutende Morello-Familie ansässig, die als Vorläufer des später als „Genovese-Familie“ klassifizierten Clans gilt. Gegen 1919, nach mehrjährigen wechselseitigen Morden mit ständig wechselnden Koalitionen, verlor die Camorra schließlich aufgrund von Strafprozessen den Krieg. Auch Morano und Vollero wurden verurteilt und nach Italien ausgewiesen.[44][45][46][47] Die sizilianisch-stämmige Mafia übernahm die Kontrolle und die „Neapolitaner“ ordneten sich den neuen Bossen unter.[48] Reorganisation nach dem Zweiten WeltkriegAls Benito Mussolini 1925 zum Diktator aufstieg, sah die Camorra ihre lokale Vormachtstellung in Gefahr. Ihre Herrschaft wurde unter den Faschisten mit deren radikalen Methoden bekämpft, was durch andere Mafiaorganisationen aus Sizilien und Korsika ausgenutzt wurde. Die Camorra war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zerbrochen; erst nach dem Sturz Mussolinis erholte sie sich wieder und ihre Macht wuchs erneut, nicht zuletzt auch dank der Entscheidung der US-Navy, in Neapel ihren Hauptstützpunkt für die 6. Flotte nach der alliierten Invasion in Süditalien zu errichten. Die Contrabande, der Schwarzmarkt, blühte auf und von Zigaretten bis zu Fahrzeugen aus dem militärischen Nachschub wurde alles illegal gehandelt. Die Camorra vertrieb die korsischen Banden mit äußerster Aggressivität aus der Gegend, die sie als ihr Gebiet ansah. Mit der Cosa Nostra aus Sizilien konnte man sich meist einigen, auch wurden engere Beziehungen zur amerikanischen Cosa Nostra geknüpft. Nuova Camorra Organizzata
In den 1970er Jahren gründeten einige Camorristi unter der Führung von Raffaele Cutolo die Nuova Camorra Organizzata (NCO), um die Camorra-Clans in der Art und Weise der sizilianischen Mafia zu vereinigen. Die NCO konnte sich in den Folgejahren erfolgreich gegen die alten Familien durchsetzen. Die Finanzkraft der NCO stieg derart an, dass Cutolo sich nun auch Politiker kaufen konnte, um sich dadurch die Kontrolle über das Baugeschäft und die damit verbundenen kommunalen Aufträge sichern zu können. Das große Erdbeben (Terremoto dell’Irpinia) vom November 1980 tat sein Übriges: Es flossen rund drei Milliarden Euro für den Wiederaufbau aus Rom und dem Ausland nach Kampanien. Der daraufhin ausbrechende Bandenkrieg innerhalb der Camorra um die Verteilung dieser Gelder forderte allein bis zum Mai 1983 ca. 795 Todesopfer, was die Position der Camorra allerdings keineswegs schwächte. Seit Mitte der 1980er Jahre totgesagt, hat sich die Organisation wieder zusammengefunden und operiert nun auch außerhalb ihres angestammten Territoriums. Trotz der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans hat die Camorra bis heute weite Teile der Politik und Wirtschaft Süditaliens unterwandert. Mitte der 1990er Jahre befanden sich die meisten großen Bosse in Haft. In jüngerer Zeit ist die Organisation jedoch wieder verstärkt in Neapel aktiv und hat die Stadt weitgehend unter ihrer Kontrolle. Jährlich gehen zurzeit mehr als 100 Morde in Neapel auf ihr Konto, die in der Regel unter rivalisierenden Clans verübt werden. Touristen sind normalerweise nur von Kleinkriminalität wie Diebstahl bedroht, vor allem in der historischen Altstadt um den Dom. Dort werden auf Weisung der Camorra keine Motorradhelme getragen, da sich darunter Mitglieder feindlicher Clans mit Attentatsabsichten zu verstecken pflegen.[51] Gegenwärtig wirken in ihr etwa 111 Familien und über 6700 Mitglieder,[52] alle diesbezüglichen Zahlenangaben sind Schätzungen. Die Fehde von ScampiaAls Fehde von Scampia (italienisch: La faida di Scampia) bezeichnet man einen Krieg zwischen dem Di Lauro Clan aus Secondigliano und einer abtrünnigen Splittergruppe, den so genannten „Scissionisti di Secondigliano“, welcher in der Nähe von Scampia zwischen 2004 und 2005 ausgetragen wurde. Bei den Kämpfen ging es um die Kontrolle über Drogen und Prostitution in den nördlichen Vororten von Neapel.[53] Paolo Di Lauro, Chef des Clans, zog sich im Jahr 2002 vor den Behörden in den Untergrund zurück und übertrug die Geschäfte Vincenzo Di Lauro – einem seiner zehn Söhne. Nach der Verhaftung von Vincenzo im Jahr 2004 übernahm Cosimo Di Lauro die Leitung.[54][55] Einer der lokalen Drogenhändler, Raffaele Amato, widersetzte sich den Regeln und der neuen Arbeitsaufteilung von Cosimo, floh nach Spanien und organisierte einen Aufstand gegen seine ehemaligen Chefs. Die beiden Banden bekämpften sich mit einer Brutalität, welche selbst die Mafiabrutalität gewohnten Carabinieri bestürzte.[56] Der Innenminister Giuseppe Pisanu entsandte daraufhin 325 zusätzliche Polizisten in die Stadt, die bereits über eine höhere Anzahl an Beamten verfügte als jede andere Stadt Italiens. Am 7. Dezember 2004 wurden bei einer Operation mit circa 1500 Polizisten 52 mutmaßliche Gangster einschließlich Ciro Di Lauro verhaftet.[53][57] Am 27. Februar 2005 wurde in Spanien der Führer der Scissionisti, Raffaele Amato, festgenommen.[56][58] Ein weiterer Schlag gelang der Polizei und zivilen Fahndern am 16. September 2005, als mit Paolo Di Lauro einer der wichtigsten Anführer verhaftet werden konnte.[59][60][61][62] Ende Oktober 2006 begann in Neapel erneut eine Mordserie zwischen 20 konkurrierenden Clans, die in zehn Tagen zwölf Todesopfer forderte.[63] Italiens Innenminister Giuliano Amato kündigte die Entsendung von 1.000 zusätzlichen Polizisten und Carabinieri auf nunmehr über 10.000 Polizeikräfte für Ermittlungen und zur Sicherheit der Touristen an. Die Bürgermeisterin Rosa Russo Iervolino rief die Bürger zu einer Massenmobilisierung gegen die Camorra auf. Sie sieht als deren Nährboden die wachsende Armut an und forderte Wirtschaftsinitiativen von der Regierung mit dem Verweis, dass in Neapel die Arbeitslosenquote 25 Prozent und unter Jugendlichen sogar 50 Prozent betrage. So werde „das organisierte Verbrechen zum Brotgeber für Tausende von Verzweifelten.“ Ein großes Problem bei der Bekämpfung stellen die mangelnden finanziellen Aufwendungen seitens des Staates dar. Im Jahre 2006 wurden bis zum Oktober schon über 700 Morde verübt. Als Ende Oktober 2006 mit zwölf Morden in zehn Tagen ein offen ausgetragener Bandenkrieg eskalierte, erwog Italiens Regierungschef Romano Prodi öffentlich, militärische Truppen in Neapel stationieren zu lassen. Kurzfristige polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Camorra können aber wegen des Personalmangels der neapolitanischen Justiz wiederum nicht bewältigt werden.[64] Im Gegensatz zur Fehde zweier Teile des Di-Lauro-Clans 2004/2005 geht die Mordserie Ende 2006 auf das Konto drogensüchtiger, junger Kleinkrimineller, so Staatsanwalt Corona.[10] Seiner Ansicht nach ist Neapel im Norden und Nordosten eine No-Go-Area geworden. Hoffnung auf Besserung bestünde allein in der Verbesserung der sozialen Lage, alle anderen Maßnahmen seien vergebliche Bemühungen. Am 14. Dezember 2007 wurde der Clan-Chef Edoardo Contini bei einer großangelegten Anti-Mafia-Operation in Neapel von Carabinieri verhaftet.[65] Saviano und GomorrhaNach der Veröffentlichung von Gomorrha und seines Engagements gegen die organisierte Wirtschaftskriminalität erhielt Roberto Saviano mehrere Morddrohungen. Saviano wurde ab dem 13. Oktober 2006 vom Innenministerium unter Personenschutz gestellt und lebt seitdem versteckt an verschiedenen Orten, die er etwa alle zwei Tage wechseln muss.[66] Er hält nur noch den Kontakt zu seiner Familie aufrecht.[67] Im Oktober 2008 informierte ein Kronzeuge der italienischen Polizei darüber, dass der Camorra-Clan der Casalesi plane, Saviano bis Weihnachten 2008 in seinem Wagen auf der Autobahn zwischen Rom und Neapel mit einer Fernzündung in die Luft zu sprengen. Saviano bezweifelt mittlerweile, ob er seinen Roman noch einmal verfassen würde: „Jeden Morgen frage ich mich, warum ich das gemacht habe, und finde keine Antwort, weiß nicht, ob es das wert war.“[68] Ebenfalls im Oktober 2008 äußerte er in einem Interview die Vermutung, dass die Camorra nun mit einem Anschlag abwarte, bis seine Popularität nachlasse. Ein normales Leben in der Öffentlichkeit ist ihm nicht mehr möglich, Fluglinien weigern sich, ihn zu befördern, Hotels und Restaurants lassen vor seinem Besuch erst ihre Räume auf Bomben hin durchsuchen. Spartacus-ProzessDer Processo Spartacus (Spartacus-Prozess) war eine Reihe von Strafprozessen, die speziell gegen die Aktivitäten des mächtigen Casalesi Clans der Camorra gerichtet waren. Nach dem Abschluss des zehn Jahre andauernden Prozesses[69][70] wurden am 19. Juni 2008 36 Mitglieder des Casalesi-Clans aus Casal di Principe wegen Mordes und weiteren Delikten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die beiden flüchtigen Anführer des Clans, Antonio Iovine und Michele Zagaria, bekamen lebenslange Strafen.[71] Das Urteil wurde am 15. Januar 2010 vom Obersten Kassationsgerichtshof in Rom bestätigt.[72] Am 31. Oktober 2009 gelang der italienischen Polizei dann die Verhaftung des seit 1995 flüchtigen Salvatore Russo, der gemeinsam mit seinem Bruder als einer der führenden Clan-Chefs galt, denen der Wiederaufbau der Organisation nach den Rückschlägen der frühen 1990er Jahre zugeschrieben wird. Am 17. November 2010 konnte Antonio Iovine in einem Haus in Casal di Principe gefasst werden.[73] Castel Volturno MassakerDas Castel Volturno Massaker, Strage di San Gennaro oder auch Strage di Castelvolturno, ist der von der italienischen Presse gegebene Name des Massakers durch den Casalesi Clan, bei dem am 18. September 2008 sieben Menschen vor einem Laden in Kampanien ums Leben kamen.[74] Das Massaker war Teil eines wachsenden Konflikt zwischen der Camorra und einer immigrierten afrikanischen Drogenbande. Jedoch war laut Angaben keines der sechs afrikanischen Opfer in kriminelle Aktivitäten verwickelt – sie wurden offenbar nach dem Zufallsprinzip ermordet. Sechs Männer, die im Auftrag von Giuseppe Setola – einem Angehörigen des Casalesi Clans – gehandelt haben sollen, werden als Täter vermutet.[75] Im Jahr 2011 verurteilte ein Gericht in Santa Maria Capua Vetere den Auftraggeber Giuseppe Setola sowie drei Täter zu lebenslanger und einen weiteren Komplizen zu 23 Jahren Haft.[76][77] Filme und Dokumentationen
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
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