Amartya SenAmartya Kumar Sen, CH (bengalisch অমর্ত্য সেন Amartya Sen, [ ]; * 3. November 1933 in Shantiniketan, Westbengalen) ist ein indischer Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Problematik der Armut und die Wohlfahrtsökonomie. Er ist Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts). 1998 erhielt Amartya Sen den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Arbeiten zur Wohlfahrtsökonomie, zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung und zum Lebensstandard. Bahnbrechend waren außerdem seine Beiträge zur Interdependenz von ökonomischer Freiheit, sozialen Chancen und Sicherheit und politischer Freiheit (Demokratie), dem Zusammenhang zur Armutsbekämpfung und zur Theorie der kollektiven Entscheidungen. Dabei sah er früh die Bedeutung der Genderfrage und der feministischen Ökonomie.[1] Er gilt als einer der prominentesten Kritiker der Theorie der rationalen Entscheidung. Sen war an der Einrichtung des Index der menschlichen Entwicklung durch den pakistanischen Ökonomen Mahbub ul Haq maßgeblich mit beteiligt. Der Index wird von dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen seit 1990 regelmäßig aktualisiert herausgegeben. Auch der Sen-Index ist nach ihm benannt. 2020 wurde ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zuerkannt. Leben und SchuleSchulzeitAmartya Sen kommt aus einem gebildeten und wohl situierten Elternhaus. Sein Vater war Professor für Chemie an der University of Dhaka. So wurde er schon in frühen Jahren von den diversen Campus geprägt, auf denen er zusammen mit seiner Familie lebte. „I was born in a University campus and seem to have lived all my life in one campus or another.“ (Ich wurde auf einem Universitätscampus geboren und scheine mein ganzes Leben lang auf irgendeinem Campus gelebt zu haben.) Er besuchte die von Rabindranath Tagore gegründete und geleitete Shantiniketan-Schule.[2] Abgesehen von den politischen Unruhen, die Indien in den 1940er Jahren heimsuchten, gibt es zwei wichtige Erfahrungen mit sozialer Ungerechtigkeit, die Sen in jungen Jahren prägten und die sein Interesse für Ökonomie, Ethik und politische Philosophie weckten: Die eine erlebte er im Jahr 1941 im Alter von acht Jahren. Extremistische Hindus stachen dem muslimischen Tagelöhner Kader Mia auf offener Straße in den Rücken. Er floh in das Haus der Familie Sen, von wo aus ihn der Vater sofort in das nächstgelegene Krankenhaus brachte. Auf dem Weg dorthin erzählte Kader Mia, dass er von seiner Frau davor gewarnt worden sei, in einem Gebiet mit lokalen Unruhen zu arbeiten. Seine wirtschaftliche Lage habe ihn jedoch dazu gezwungen, solche Gefahren in Kauf zu nehmen. Im Spital verstarb er. Dieses Erlebnis öffnete Amartya Sen die Augen dafür, wie eng soziale Ungerechtigkeit und der Mangel an Freiheit beisammenliegen. Das zweite wichtige Erlebnis war die Hungersnot von Bengalen im Jahre 1943. Obwohl sie ca. 1,5 bis 4 Millionen Menschen den Tod brachte, konnte Sen in seiner nächsten Umgebung nicht die geringsten Anzeichen der Katastrophe erkennen, denn betroffen waren nur die untersten, die „unsichtbaren“ Schichten der Gesellschaft. UniversitätNach dem Abschluss seiner Schulausbildung studierte Sen Wirtschaftswissenschaften am Presidency College in Kalkutta, wo er 1953 den Bachelor erhielt. Danach vertiefte er sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der englischen University of Cambridge. Dort erhielt er unter anderem im Jahre 1954 den Adam-Smith-Preis der Universität und einen weiteren Preis, der es ihm ermöglichte, ein vierjähriges Studium seiner Wahl zu belegen. Da Philosophie und Wirtschaft seiner Meinung nach einander auf vielen Ebenen nahestehen, entschloss er sich, die erste ebenfalls zu studieren. Den Bachelor-Grad im Fach Wirtschaftswissenschaften erlangte er im Jahr 1955 und den des PhD im Jahr 1959[3]. Seine Doktorarbeit trägt den Titel "The Choice of Techniques"[4] und wurde von der Postkeynesianistin Joan Robinson betreut. Amartya Sen unterrichtete in den 60er-Jahren am Massachusetts Institute of Technology, in Stanford, Berkeley und an der Harvard University als Gastprofessor. An der Delhi University und der Delhi School of Economics unterrichtete er von 1963 bis 1971 Wirtschaftswissenschaften. Danach wirkte er an der London School of Economics und ab 1977 in Oxford, wo er sowohl Wirtschaftswissenschaften als auch politische Ökonomie unterrichtete und seine ersten Werke veröffentlichte, unter anderem das Buch Collective Choice and Social Welfare, das ihm ein weltweites Renommee verschaffte. Sen war einer der Gründerväter des World Institute for Development of Economic Research (WIDER) in Helsinki, einer Abteilung der United Nations University (UNU), für das er ab Mitte der 1980er Jahre in verschiedenen Projekten tätig war.[5] Ab dem Jahr 1987 arbeitete Sen dabei eng mit der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum zusammen, die zu seinem „Fähigkeiten-Ansatz“ eine konkrete Variante entwickelte. Im Jahre 1988 wechselte Amartya Sen nach Harvard, wo er zehn Jahre lang eine Professur für Philosophie und Ökonomie innehatte. Von 1998 bis 2004 amtierte er als Oberhaupt des Trinity College in Cambridge, ehe er nach Harvard zurückkehrte. Weiteres WirkenSen ist Fellow der Britischen Akademie, Fellow am Darwin College, Cambridge und Mitglied der American Philosophical Society. Des Weiteren ist er als ehrenamtlicher Berater für die Organisation Oxfam tätig.[6] Sen ist einer der Gründer des World Institute for Development Economics Research of the United Nations University (UNU-WIDER) und war Research Adviser von mehreren UNU-WIDER Projekten während der Jahre 1985 bis 1991. Im Jahr 1994 stand Sen der American Economic Association als gewählter Präsident vor.[7] Seit Anfang 2008 war Sen wissenschaftlicher Leiter der Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress (Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission), die im Auftrag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy innovative Messkriterien für ein qualitatives Wirtschaftswachstum (Wohlstandsindikator) ermittelte und im September 2009 ihren Abschlussbericht vorlegte. Im September 2010 war er an der Gründung der Spinelli-Gruppe beteiligt, die sich für den europäischen Föderalismus einsetzt. PrivatSen war in erster Ehe mit Nabanita Dev Sen, einer indischen Schriftstellerin, verheiratet. Mit ihr hat er zwei Töchter, Antara und Nandana. Nach dem Wechsel nach London wurde die Ehe 1971 geschieden. Im Jahr 1973 heiratete er Eva Colorni, die Tochter von Ursula Hirschmann und Eugenio Colorni sowie Stieftochter von Altiero Spinelli,[8] die 1985 an Krebs starb. Sie haben zwei Kinder, die Tochter Indrani und den Sohn Kabir.[9] 1986 lernte er Martha Nussbaum am World Institute for Development of Economic Research in Helsinki kennen. Sie ist eine renommierte Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. In den folgenden sieben Jahren leitete Nussbaum an dem von Sen gegründeten Institut ein philosophisches Projekt, machte sich mit der Realität Indiens vertraut und führte dort später eigene Feldstudien durch. Die beiden lebten mehrere Jahre zusammen, erzogen gemeinsam ihre Kinder aus früheren Ehen und stießen Initiativen an, die Brücken zwischen engagierter Universität und (Entwicklungs-)Politik schlagen sollten.[10] Sen ist seit 1991 mit Emma Rothschild in dritter Ehe verheiratet. Sie ist britische Wirtschaftshistorikerin und Professorin an der Harvard University.[11] Denken und WerkSchriftenAmartya Sens Denken ist von der Frage geprägt, wie die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen in der ökonomischen Theorie so abgebildet werden können, dass die Theorie Hinweise liefert, wie die allgemeine Wohlfahrt verbessert werden kann. Die traditionelle Wirtschaftstheorie befasst sich mit dieser Frage in der Mikroökonomie und dort speziell in der Haushaltstheorie bzw. in der Wohlfahrtsökonomie. Angestoßen durch die Arbeiten von Kenneth Arrow und dessen Unmöglichkeitstheorem entwickelte Sen eine umfassende Kritik an den klassischen und neoklassischen Theorien der Nationalökonomik. Zugleich beharrte er darauf, Lösungsansätze für sein Anliegen im Rahmen der ökonomischen Theorie zu suchen, und erarbeitete wichtige Beiträge zu der von Arrow begründeten Sozialwahltheorie (Social Choice). Im Jahr 1970 erschien hierzu sein grundlegendes Werk Collective Choice and Social Welfare. Der Kern von Sens Kritik an der traditionellen Ökonomie richtet sich dagegen, dass diese ohne wesentliche Einschränkungen keine Aussagen über Soziale Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit ermögliche. Das Buch On Economic Inequality aus dem Jahr 1973 fasst seine Auffassungen zu diesem Thema zusammen. Mit der Frage von Armut und Hungersnöten befasste Sen sich in dem 1981 erschienenen Essay Poverty and Famines. Ziel von Sens Forschungen war neben der Verbesserung der zugrunde liegenden Theorien auch ein Ausbau der Methodik zur Erfassung und Messung sozialer Ungleichheit und vor allem der Armut. Eine Reihe wichtiger Aufsätze erschien in den Sammelbänden Choice, Welfare and Measurement (1982) sowie Resources, Values and Development (1984). In dem 1980 veröffentlichten Aufsatz Equality of What? trat Sen in die Debatte um die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls ein und vertrat erstmals die Auffassung, dass es vorrangig nicht um die Verteilung von Gütern gehe, sondern um Verwirklichungschancen, die Menschen erreichen können. Entscheidend für die Qualität des Lebens sei nicht das Einkommen, denn auch bei einem guten Einkommen können Unterdrückung und Unfreiheit bestehen. Der Maßstab des Lebensstandards ist in dieser Hinsicht ein Fortschritt, aber noch nicht ausreichend, so Sen in seinen Tanner Lectures von 1985 (The Standard of Living, 1986). Die traditionelle Ökonomie müsse zur Kenntnis nehmen, dass neben dem egoistischen Selbstinteresse auch andere Werte für das menschliche Handeln (agency) maßgeblich seien, auch wenn beides einander regelmäßig beeinflussten (On Ethics and Economics, 1987). Eingebunden in verschiedene UN-Projekte, trug Sen wesentlich zur Entwicklung des erstmals 1990 im Weltentwicklungsbericht veröffentlichten Index der menschlichen Entwicklung (englisch Human Development Index, abgekürzt HDI) bei. In den 1980er und 1990er Jahren befasste sich Sen zudem mit empirischen Arbeiten über das Problem des Hungers. Hierüber veröffentlichte er umfangreiche Studien gemeinsam mit Jean Drèze (Hunger and Public Action, 1989). Dabei lag ein Schwerpunkt auf seinem Heimatland Indien; er hob den Erfolg der indischen Demokratie auch bei der Bekämpfung des Hungers hervor (India: Economic Development and Social Opportunity, 1995). An ein breites Publikum wandte Sen sich mit seiner Schrift Development as Freedom (1999), in der er seine Gedanken unter Verzicht auf formale ökonomische Darstellungen zusammenfasste. Ein weiterer Beitrag zur politischen Philosophie ist das Buch Identity and Violence (2006), in dem sich Sen gegen die Debatte über den Krieg der Kulturen wendet. Durch pauschale Zuschreibungen von Eigenheiten und Mentalitäten würden Vorurteile von Fundamentalisten bestärkt und die Identitätsfalle schnappe zu. Eine Überwindung sei möglich, wenn man Pluralismus nicht nur akzeptiere, sondern aktiv befördere. In der grundlegenden Ausarbeitung zur Idee der Gerechtigkeit (2009) verband Sen u. a. die Konzepte des Befähigungsansatzes (Capability Approach) und der Sozialwahltheorie, um eine Gerechtigkeitstheorie zu finden, die er denen von John Rawls, Immanuel Kant, David Hume oder Jean-Jacques Rousseau entgegenstellt. Er kritisiert deren Theorien, weil sie ihm zufolge nur die idealtypisch gerechte Welt definierten, was die ethische Evaluierung von realen Zuständen kaum möglich mache. Außerdem stellt er sich sowohl gegen Konsequentialismus als auch gegen eng verstandene deontologische Ethik und schlägt stattdessen vor, Gerechtigkeit sowohl auf Grundlage von tatsächlich Erreichtem als auch der dazu führenden Institutionen zu bewerten. Dabei baut er auf einer aus der altindischen Jurisprudenz stammenden Unterscheidung zwischen niti (etwa Gerechtigkeit im Sinne von Institutionen) und nyaya (Gerechtigkeit im Sinne des tatsächlich Realisierten) auf. Ein weiterer wichtiger Aspekt für ihn ist Objektivität und Unparteilichkeit; hier baut er auf einer Denkfigur von Adam Smith auf, dem impartial spectator. Zur SozialwahlDie Sozialwahltheorie (englisch Social Choice Theory) untersucht, wie kollektive Entscheidungen einer Gruppe mit den Präferenzen ihrer Individuen zusammenhängen. Sie fragt, unter welchen Bedingungen solche Entscheidungen Ausdruck und Abbild der Präferenzen des Einzelnen sein können. Amartya Sen, der der Sozialwahltheorie mit großem Optimismus gegenübersteht, bemerkte, dass die Reaktionen und Wellen von Veröffentlichungen der 1950er Jahre und ihre Interpretationen, die dem Arrow’schen „Unmöglichkeits-Theorem“ gefolgt waren, die Aussichten einer Sozialwahl negativ überschatteten. Sen genügten diese negativen Auslegungen nicht. Er machte sich daher auf die Suche nach einem Weg, der das systematische und axiomatische Wesen der Theorie bewahren und trotzdem ein positives Resultat mit ihrer praktischen Dienlichkeit erzielen konnte. Er nahm dabei an, die Idee, sich der Ratio für die Errichtung einer besseren und erstrebenswerteren Gesellschaft zu bedienen, habe die Menschheit immer schon angespornt. Die Zunahme der Freiheit und das Erreichen von Entwicklungszielen werden vor allem durch Werte und rationale Überlegungen geprägt. Er machte es sich in der Folge zur Aufgabe, den Beweis für deren Machbarkeit durch philosophische Reflexion und ökonomische Nachweise zu erbringen. Sen stellt fest, dass sich aus dem „Arrow’schen Theorem“ nicht auf die Unmöglichkeit einer Sozialwahl, sondern auf die Notwendigkeit der Nutzung mehrerer Informationsgrundlagen schließen lässt. Man sollte sich jedoch nicht nur auf die Mehrheitsregel bei Streitigkeiten auf wirtschaftlicher Ebene verlassen, denn es ist nicht klar, ob die sozialen und wirtschaftlichen Stellungen der Minderheiten miteinbezogen sind. Es könnten für Entscheidungen notwendige Informationen (z. B. Armut) ausgeblendet werden. Eine auf soziale Einigkeit setzende Politik darf nicht auf der Basis vorgegebener individueller Präferenzen und Direktiven handeln, sondern muss sich auch an deren Entwicklung beteiligen. Dabei spielt die öffentliche Diskussion eine erhebliche Rolle. Für eine funktionierende Lösung ist dennoch kein sozialer Konsens vonnöten. Die Lösungen bergen zumeist ungeahnte und unbeabsichtigte Konsequenzen. Deren Wahrscheinlichkeit sollte mitreflektiert werden, um Argumente für bestimmte Institutionen besser bewerten zu können. So war zum Beispiel die Zunahme der Abtreibungs- und Kindersterblichkeitsrate Chinas – und insbesondere die für weibliche Föten und Kinder – nach der Einführung der Ein-Kind-Politik enorm gestiegen. Die Gesetzgeber wollten allerdings nur das Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen und keineswegs die Menschen zur Vernachlässigung oder gar Tötung ihrer Kinder verleiten. Ungewollte Folgen vorwegzunehmen ist ein wichtiger Teil der Anstrengungen für institutionelle Umgestaltungen und rational fundierten gesellschaftlichen Wandel. Bekannt geworden ist Amartya Sen außerdem für das Paradox des Liberalismus. Entwicklung als FreiheitDie Gedanken zu diesem Thema legte Amartya Sen im Werk Development as Freedom dar (deutscher Titel „Ökonomie für den Menschen“). Die zwölf Kapitel des Buches basieren auf sechs Vorträgen, die er bei der Weltbank gehalten hatte. Sens Hauptgedanke richtet sich hier auf die Vergrößerung der individuellen Freiheiten zur Minderung der sozialen, globalen Ungerechtigkeit. Er entwirft zuerst ein Konzept, nach dem die Freiheit beziehungsweise die Verwirklichungschancen die Basis des ethischen Handelns und das eigentliche Entwicklungsziel sind („Capability Approach“). Die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes ist nur eine Nebenerscheinung dieses Prozesses. Daraus folgert er, es sei wichtig, dass Entwicklungsländer schon früh ein allgemeines Bildungs- und Gesundheitssystem einrichten sollten. Die Gleichberechtigung und Bildung der Frau sei nicht nur notwendig, um den Lebensstandard zu erhöhen, sondern auch der beste Weg zur Geburtenkontrolle. Der Begriff der Entwicklung ist, wie man dem englischen Originaltitel entnehmen kann, von zentraler Bedeutung. Sein Verständnis von Entwicklung liegt weit entfernt von Modernisierungs- und Dependenztheorien. Den Maßstab für die Entwicklung versteht Sen nicht allein – wie in neoklassischer Sicht üblich – im Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens. Entwicklung wird bei ihm als die Freiheit der Menschen gesehen, ein Leben zu erreichen, das sie wertschätzen können. Dazu gehöre deutlich mehr als nur ein hohes Einkommen – zumal das Bruttoinlandsprodukt keinen Aufschluss über Einkommensverteilung und Bedarf der Menschen bietet. Behinderte Menschen brauchen z. B. ein höheres Einkommen, um damit denselben Grad an Freiheit zu erreichen wie nichtbehinderte Menschen. Neben den wirtschaftlichen Faktoren spielten auch soziale und politische eine erhebliche Rolle.[12] Damit unternimmt er den Versuch, die ethische Dimension der Wirtschaftswissenschaften wiederzubeleben. Er möchte Ökonomie und Philosophie einander näherbringen. Entwicklung ist die Vergrößerung der Freiheiten der Menschen – sie soll die menschlichen Verwirklichungschancen (capabilities) erweitern. Freiheit, ein Begriff, der mit dem der Entwicklung in ständiger Wechselwirkung steht, manifestiert sich in Verfahren, die sowohl Handlungs- als auch Entscheidungsfreiheit ermöglichen, und in Chancen, die die Menschen angesichts ihrer eigenen sozialen Umstände haben. Des Weiteren sind Freiheiten die Grundbausteine der Entwicklung, wobei die Freiheit zur Erweiterung der individuellen Verwirklichungschancen die größte Rolle spielt. Individuelle Freiheit ermöglicht es dem Menschen, sich selbst zu helfen und auf seine Umgebung einzuwirken. Sie ist daher zugleich Mittel und Ziel der Entwicklung. Der Stand der Entwicklung kann auf zwei Ebenen sichtbar werden:
Fünf einander ergänzende Freiheiten sind unter anderem für den Entwicklungsprozess von Bedeutung:
Im Gegensatz zu Ansichten, wie sie zum Beispiel Robert Nozick vertritt und die Sen als „neoliberalistisch“ bezeichnet, ist er der Meinung, dass Staat und Gesellschaft die individuellen Verwirklichungschancen zu erweitern haben, damit Grundlagen für ein eigenverantwortliches Handeln geschaffen werden können, denn die Menschen sind aktiv an der Gestaltung ihres Schicksals beteiligt.[13] Anschließend erläutert Sen die Perspektiven der Entwicklung – die Überwindung von Hunger und Unterernährung, Bekämpfung von Armut und Ungleichheit, Erhöhung der Lebenserwartung und die Eindämmung des Bevölkerungswachstums. Das Problem am Hungers in der Welt sei, dass er akzeptiert und hingenommen werde, als ob man nichts gegen ihn tun könne. Hungersnöte seien weniger das Ergebnis von Nahrungsmittelknappheit als vielmehr häufig die Folge eines Verteilungsproblems, insofern manche nur unzureichenden Zugang zu den vorhandenen Nahrungsmitteln haben. Kausal für Hungersnöte können sein:
Laut Sen gibt es drei Strategien, die man nützen könne, um dem Hunger zu entrinnen:
Armut sei Ausdruck eines Mangels an grundsätzlichen Verwirklichungschancen. Die Beziehung zwischen Einkommen und Verwirklichungschancen wird beeinflusst durch:
Größere Realeinkommen und ein schnelles Wirtschaftswachstum führten nicht, wie oft behauptet, automatisch zu einer Erhöhung der Lebenserwartung. Sen unterscheidet zwischen einer wachstumsbedingten und einer sozial geförderten Senkung der Sterblichkeitsrate. Da die Erde ohne Zweifel gegen Ende des 21. Jahrhunderts bei anhaltendem Bevölkerungswachstum übervölkert sein werde, rät Sen zu Gegenmaßnahmen. Die wirksamste Methode sei die Gleichberechtigung, Beschäftigung und Bildung der Frau in allen Erdteilen. Vor allem die Verbesserung der Stellung junger Frauen in der Gesellschaft sei ein wirkungsvoller Ansatz. Er verdeutlicht das mit einigen Studien, die erhöhte Bildungsniveaus der Frauen beziehungsweise deren Integration in den Arbeitsprozess mit der Senkung der Geburtenrate in Zusammenhang bringen. Auszeichnungen, Preise und Mitgliedschaften
Veröffentlichungen (Auswahl)Bücher
Essays und Fachartikel
Literatur
WeblinksCommons: Amartya Sen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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